Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 22.02.2013, Az.: 6 A 183/10

gefährlicher Hund; Auflage; Maulkorb; Feststellung der Gefährlichkeit

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
22.02.2013
Aktenzeichen
6 A 183/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64233
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerin ist Halterin zweier Miniatur-Bullterrier, eines inzwischen etwa 7 Jahre alten Rüden namens „Rudi“ und einer inzwischen etwa 11 Jahre alten Hündin namens „Rosi“. Ihr Lebensgefährte, der ihre Hunde gelegentlich ausführt, war Halter eines Kangal-Rüden namens „Abbas“.

Aus Anlass einer sog. „Beißattacke“ am 24.7.2008 seitens der Hunde der Klägerin gegenüber einem dritten Hund, bei der dieser verletzt wurde, ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 19.8.2008 gegenüber der Klägerin einen „generellen Leinenzwang außerhalb ausbruchsicherer Privatgrundstücke“ für beide Hunde an.

Aufgrund einer sog. „Beißattacke“ am 18.12.2008, bei der der Rüde Rudi einen Dackelmischling angriff und verletzte, stufte der Beklagte diesen Hund mit Bescheid vom 18.12.2008 gegenüber der Klägerin nach § 3 NHundG als Gefahrhund ein.

Mit Bescheid vom 6.4.2009 erteilte der Beklagte der Klägerin die Erlaubnis zur Haltung ihres Hundes Rudi nach § 3 Abs. 1 NHundG. Darin ist festgehalten, dass der Hund außerhalb ausbruchsicherer Privatgrundstücke nur angeleint von dem Inhaber dieser Erlaubnis geführt werden darf. Dieser Entscheidung lag das Gutachten zum Wesenstest nach dem NHundG eines einschlägig sachverständigen Tierarztes vom 2.2.2009 zugrunde. Danach bestand Rudi den Wesenstest in vollem Umfang, da er kein gesteigertes Aggressionsverhalten hatte und keine Gefahr für Menschen oder Tiere darstellte, weshalb auf einen Maulkorbzwang verzichtet werden könne. Da es möglich sei, dass er sich bei sehr kleinen Hunden, insbesondere Rüden, anders verhalte, solle er stets an der Leine ausgeführt werden. Auch sei dafür Sorge zu tragen, dass keine Personen oder andere Hunde hinzukommen könnten, wenn er sich mit den anderen Hunden der Klägerin frei auf einem abgeschlossenen Grundstück bewege, denn sein Verhalten im Rudel könne aggressiver ausfallen.

Wegen eines dem Beklagten mit Polizeireport vom 7.9.2009 berichteten Vorfalls vom 5.9.2009, wonach der freilaufende Hund Rudi eine an der Leine geführten Golden Retriever - Hündin angegriffen und gebissen hatte, erließ der Beklagte den Bußgeldbescheid vom 4.11.2009 gegenüber dem Lebensgefährten der Klägerin, weil dieser den Hund Rudi entgegen einer vollziehbaren Haltungsauflage unangeleint geführt habe, wodurch es dem als Gefahrhund eingestuften Rüden möglich gewesen sei, sich auf einen anderen Hund zu stürzen und diesen erheblich zu verletzen. Das Bußgeldverfahren wurde vom Amtsgericht mit Beschluss vom 2.8.2010 nach § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt.

Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin unter Bezugnahme auf die im Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht erfolgte Sachverhaltsschilderung des Lebensgefährten im Rahmen der Prüfung von Haltungsauflagen an. Mit einem an die Klägerin addressierten Bescheid vom 30.8.2010 ordnete der Beklagte unter Hinweis auf § 5 Abs. 4 Alt. 2 NHundG „gegenüber dem von Ihnen gehaltenen Miniatur-Bullterrierrüden `Rudi´ einen generellen Maulkorbzwang an“. Er habe zunächst die Einschätzung des tierärztlichen Gutachtens vom 2.2.2009 mitgetragen. Leider habe sich am 5.9.2009 neuerlich eine Beißattacke mit einem fremden Hund ereignet, die offensichtlich ursächlich vom Hund der Klägerin ausgegangen sei. Bei dem Vorfall habe der Hund nunmehr gezeigt, dass er ein ausgeprägtes Dominanzverhalten gegenüber Artgenossen ausleben wolle. Dabei entwickele er entsprechende Kräfte, die sogar ausreichten, Hundeleinen zu zerreißen.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 24.9.2010 Klage erhoben - 6 A 183/10 -, zu deren Begründung sie geltend macht, Rudi habe kein zu beanstandendes Verhalten dahingehend gezeigt, „dass er ein ausgeprägtes Dominanzverhalten gegenüber Artgenossen ausleben will“. Die weitere Annahme des Beklagten, dass der Hund „entsprechende Kräfte“ dabei entwickele, „die sogar ausreichen, Hundeleinen zu zerreißen“ seien spekulativ und gäben nicht die detaillierte Schilderung im Zusammenhang mit dem Aufreißen einer werkseitig an der Leine angebrachten Verknotung im Bußgeldverfahren gegen den Lebensgefährten der Klägerin wieder. Der freilaufende Golden Retriever des Anzeigeerstatters und Rudi seien bei dem Vorfall am 5.9.2009 aufeinander zugelaufen, wobei sich plötzlich und unerwartet durch einen Ruck des Hundes die werkseitig angebrachte Verknüpfung an der Rollleine, möglicherweise einer Sollbruchstelle, gelöst habe, so dass nunmehr beide Hunde frei aufeinander zuliefen. Unzutreffend sei, dass die im angefochtenen Bescheid dargestellte „Beißattacke“ von Rudi ausgegangen sei. Vielmehr sei der erheblich größere Hund des Anzeigeerstatters auf Rudi zugelaufen, habe diesen mehrfach in den Kopf und den Nasenbereich gebissen. Diese Verletzungen seien von dem beide Hunde behandelnden Tierarzt festgestellt worden. Rudi habe sich daraufhin verteidigt und zurückgebissen. Es habe sich - wie der Tierarzt habe feststellen können - um einen leichten Biss gehandelt, der weit davon entfernt sei, die Verbeißdramatik auf Grund einer besonderen Aggressivität Rudis begründen zu können, wie dies der angefochtene Bescheid darstelle.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30.8.2010 auf Anordnung der Maulkorbpflicht für den Miniatur-Bullterrier-Rüden „Rudi“ aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, die Ausführungen der Klägerin seien nicht geeignet, seine Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu ändern. Ob das Zerreißen der Leine durch einen Produktions- oder Materialfehler an der Leine begünstigt worden sei, sei unerheblich, da sich der Hund durch eigene Kraftanstrengung losgerissen und auf den anderen Hund eine Beißattacke durchgeführt habe. Der Beißvorfall hätte sich nicht ereignen können, wenn der Hund Rudi den erteilten Auflagen entsprechend und unter Beachtung der Erkenntnisse aus dem Wesenstest vom 2.2.2009 geführt worden wäre.

Auf Veranlassung des Gerichts legte die Klägerin die tierärztliche Bescheinigung vom 17.1.2012 vor, wonach die Golden Retriever - Hündin „Nora“ des Anzeigeerstatters am 5.9.2009 behandelt wurde. Danach wies die Hündin mehrere Biss- und Schürfverletzungen im Bereich Kopf und Schulter bzw. Rücken auf. Laut Aussage des Besitzers seien die Verletzungen durch eine Auseinandersetzung mit dem Mini-Bullterrrier - Rüden“Rudi“ entstanden. Dieser Hund sei am folgenden Tag mit vergleichbaren Verletzungen vorgestellt worden. Bei beiden Tieren hätten keine chirurgischen Eingriffe vorgenommen werden müssen. Es habe sich um oberflächliche Wunden gehandelt, die durch die Verabreichung von Antibiotika und lokaler Wunderversorgung zufriedenstellend und ohne Langzeitschäden ausheilten.

Auf richterlichen Hinweis vom 27.1.2012 nahm die Klägerin unter Vorlage einer weiteren tierärztlichen Bescheinigung vom 27.8.2012 zur Geringfügigkeit und Oberflächlichkeit der Verletzungen Stellung. In der Bescheinigung heißt es, mit dem Begriff „oberflächlich“ in der Bescheinigung vom 17.1.2012 sei die Oberfläche der Haut gemeint gewesen. Die tieferen Hautschichten seien nicht in Mitleidenschaft gezogen gewesen, es habe sich lediglich um sog. Schürfverletzungen gehandelt. Es seien keine tieferen Verletzungen oder gar offene Wunden entstanden. Eine Naht oder ähnliches sei nicht von Nöten gewesen.

Durch Polizeireport vom 28.12.2010 erfuhr der Beklagte von der Anzeige eines Vorfalls, wonach ein freilaufender Hund der Klägerin, welche einen zweiten Hund an der Leine führte, den Hund der Anzeigeerstatterin, einen Zwergschnauzer, gebissen hatte. Ausweislich eines Vermerks vom 3.1.2011 stellte der Beklagte durch Rücksprache mit der Anzeigeerstatterin fest, dass „es sich bei dem angreifenden Hund um die Hündin Rosi“ handelte und der Rüde von der Klägerin angeleint geführt wurde.

Am 7.1.2011 hörte der Beklagte die Klägerin zur Feststellung der Gefährlichkeit ihres Hundes Rosi an und stufte die Hündin mit Bescheid vom 24.2.2011 als Gefahrhund ein. Zur Begründung führt er darin aus, die Hündin sei in mehrere Beißvorfälle, zuletzt am 27.12.2010, verwickelt gewesen und habe eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust und Schärfe gezeigt.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin im 11.3.2011 Klage erhoben, zu deren Begründung sie geltend macht, Voraussetzung für die Feststellung der Gefährlichkeit sei, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Dies stelle der Beklagte nicht fest und gebe auch der von ihm dargestellte Sachverhalt nicht her. Dies umso mehr, als seine Darstellung sehr einseitig sei. Beide Hunde seien aufeinander zugelaufen, besprangen sich gegenseitig und kabbelten miteinander. Es habe sich um bei Hunden völlig normale Revierstreitigkeiten gehandelt. Dass es dabei zu einem leichten gegenseitigen „Schnappen der Hunde“ gekommen sein möge, sei als durchaus normales Verhalten der Hunde hinzunehmen. Der Hund der Anzeigeerstatterin habe ebenso wie Rosi sehr leichte und oberflächliche Verletzungen aufgewiesen. Sie habe Rosi selbst versorgt. Die Anzeigeerstatterin spreche selbst von leichten Wunden. Die Kennzeichnung des Vorfalls als „Beißattacke“ sei eine Schöpfung des Beklagten, die sich im Polizeireport und den Angaben der Anzeigeerstatterin nicht wiederfinde. Dass es zu weiteren Beißvorfällen durch Rosi gekommen sein solle, werde bestritten; der Beklagte benenne solche nicht. Der einzelne Vorfall in den zurückliegenden 9 Jahren sei nicht geeignet, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begründen. Dem Beklagten sei die Ausnahme des Nds. Oberverwaltungsgerichts für „geringfügige Verletzungen“ nicht bekannt gewesen und er habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Dass es sich um eine solche „geringfügige Verletzung“ gehandelt haben könne, ergebe sich bereits aus dem Polizeireport, wonach die Anzeigeerstatterin lediglich „leichte Verletzungen“ ihres Hundes angegeben habe. Die vom Beklagten vorgetragene „Beißattacke“ finde sich hingegen nicht und sei eine dramatisierende Wortschöpfung des Beklagten. - Darüber hinaus stehe nicht fest, dass der Hund Rosi der Klägerin überhaupt an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen sei. Ausweislich des Polizeireports meinte die Anzeigeerstatterin „Rosi“ oder „Rudi“ gehört zu haben. Wieso sich diese auf Befragen des Beklagten sechs Tage später nunmehr sicher gewesen sein solle, sei nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 24.2.2011 auf Einstufung des Hundes Rosi als Gefahrhund aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht sich die Angaben der Anzeigeerstatterin in dem ihm vorliegenden Polizeibericht zu eigen und weiter geltend, es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Klägerin den Vorfall als „normale Kabbelei“ verstanden wissen wolle. Insbesondere sei nicht auf die Schwere der Verletzungen abzustellen. Seiner Entscheidung liege keine Rasseeinstufung des Hundes tragend zugrunde.

Der Beklagte reicht eine Tierarztrechnung vom 11.2.2011 über die Behandlung des Hundes der Anzeigeerstatterin zu den Akten. Ausweislich der Rechnung wurde ein Zwergschnauzer namens Bandje wegen einer Bissverletzung am Vorderbein recht wie folgt behandelt: „Allgemeine Untersuchung, Teilrasur, Wundversorgung und Spülung, 2 Injektionen“.

Die Beteiligten wurden zur Übertragung der Rechtsstreitigkeiten - 6 A 183/10 - und - 6 A 60/11 - auf den Einzelrichter angehört. Die Kammer hat die Rechtsstreitigkeiten auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit Beschluss vom 29.1.2013 wurden die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Maulkorbpflicht für den Miniatur-Bullterrier-Rüden Rudi mit Bescheid vom 30.8.2010 ist § 5 Abs. 4 Satz 2 NHundG i.d.F.v. 30.10.2003, wonach Auflagen zu einer Erlaubnis zum Halten eines gefährlichen Hundes auch nachträglich aufgenommen, geändert oder ergänzt werden können. Bereits bei Erteilung kann die Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 NHundG befristet und mit einem Vorbehalt des Widerrufs versehen sowie mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden. Diese Bestimmungen finden sich nunmehr in § 10 Abs. 4 des NHundG i.d.F.v. 26.5.2011.

Mit bestandskräftigen Bescheid vom 18.12.2008 hat der Beklagte die Gefährlichkeit des Miniatur- Bullterrier-Rüden Rudi der Klägerin festgestellt. Bei Rudi handelt es sich mithin um einen gefährlichen Hund im Sinn des niedersächsischen Hundegesetzes.

Ausweislich der angeführten gesetzlichen Bestimmungen räumt der Gesetzgeber der zuständigen Behörde einen nicht spezifisch ausgestalteten und damit weiten Ermessensspielraum ein, für dessen Ausfüllung die Behörde im Gesetz neben dem sachlichen Bezug zum Regelungszweck des Gesetzes, dem hinsichtlich gefährlicher Hunde bestehenden Gefahrverdacht ordnungsrechtlich zu begegnen, insoweit einen Anhalt findet, als der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Satz 2 NHundG - jetzt § 9 Satz 4 NHundG - vorsieht, dass der Hund während des Erlaubnisverfahrens, mithin nach Feststellung der Gefährlichkeit bis zur Erteilung bzw. Versagung einer beantragten Erlaubnis, neben einer Leinen- auch einer Maulkorb- bzw. Beißkorbpflicht unterliegt, hingegen bei Erlaubniserteilung nach Feststellung hinreichender Sozialverträglichkeit durch einen Wesenstest von der Maulkorbpflicht absieht und von Gesetzes wegen in § § 11 Abs. 2 NHundG - jetzt § 14 Abs. 3 Satz 1 NHundG - allein eine Leinenpflicht regelt. Mit § 14 Abs. 3 Satz 2 NHundG in der aktuellen Fassung kann die Behörde auf Antrag den Leinenzwang, insbesondere unter Berücksichtigung des Wesenstests ganz oder teilweise aufheben. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die bereits zum NHundG in der vorliegend maßgeblichen Fassung vom 30.10.2003 ergangene Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts aufgegriffen, wonach die Behörde einer spezifischen oder auch geänderten Einschätzung des von einem Hund ausgehenden Gefahrenpotentials auf der Rechtsfolgenseite durch Anordnungen zu den Haltungsbedingungen Rechnung tragen kann bzw. muss (Nds. OVG, B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - ; B. v. 25.1.2013 - 11 PA 294/12 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de). Dabei hat sie - wie stets bei eingreifenden und den Bürger belastenden Verwaltungshandeln - den im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes wurzelnden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, so dass ihre Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen.

Ist die Behörde danach berufen, die Haltung eines gefährlichen Hundes zu überwachen und ggf. durch Erlass, Änderung und Ergänzung von Auflagen Einfluss zu nehmen, so wird eine Auflage, mit der eine Maulkorb- bzw. Beißkorbpflicht begründet wird, regelmäßig dann in Betracht kommen, wenn sich mit dem gefährlichen Hund erneut ein Vorfall zuträgt, der bereits für sich genommen eine Feststellung seiner Gefährlichkeit trüge oder jedenfalls nahe legte, ohne dass es dabei indes notwendig zu einer die Feststellung der Gefährlichkeit typischerweise auslösenden Verletzung eines anderen Lebewesens gekommen sein muss. Insoweit genügt es, wenn nach dem feststellbaren Geschehensablauf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Verletzungseintritts gegeben war und die Behörde aus dem Geschehensablauf den sachlich tragfähigen Schluss ziehen durfte, dass sich die bisherigen „maulkorbfreien“ Haltungsbedingungen als nicht ausreichend im Sinn des gesetzlichen Anliegens erwiesen haben, den erkennbar gewordenen Gefahrmomenten indes durch das Tragen eines Maulkorbs begegnet werden kann.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Nach den - insoweit unstreitigen - Feststellungen zum Sachverhalt hat sich Rudi am 5.9.2009 bei Annäherung eines anderen Hundes, nämlich eines Golden Retriever, kraftvoll von der Rollleine losgerissen, ist zu dem anderen Hund gerannt und hat sich mit diesem in eine Kampfhandlung eingelassen, infolge derer der Golden Retriever ausweislich der verschiedenen tierärztlichen Bescheinigungen auch eine mehr oder weniger oberflächliche Verletzung davongetragen hat, ohne dass es vorliegend auf eine realisierte Verletzungsintensität indes ankäme. Bereits die vom Tierarzt angenommene Behandlungsbedürftigkeit spricht im Übrigen dagegen, dass es sich dabei nur um „oberflächliche Kratzer“ im Sinn der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts gehandelt hat (vgl. Nds. OVG, B. v. 3.9.2008 - 11 LA 3/08 -; B. v. 13.12.2006 - 11 ME 350/06 -; m. w. Nachw.). Eine wirksame Einflussnahme auf Rudi, die diesen davon abgehalten hätte, mit dem anderen Hund zu kämpfen, war dem Hundeführer danach nicht möglich. Inwieweit dabei dem Golden Retriever eine artgerechte oder nicht artgerechte „Mitverantwortung“ zukommt, kann dahingestellt bleiben. So kommt es nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts im Rahmen der Feststellung der Gefährlichkeit auf das Verhalten des anderen - verletzten - Hundes nicht an (Nds. OVG, B. v. 27.7.2010 - 11 PA 265/10 -); von diesem Grundsatz bei der Bestimmung der bei Erlaubniserteilung oder im Nachhinein festzusetzenden Haltungsbedingungen abzuweichen, besteht keine Veranlassung. Zudem besteht mangels ausreichend fachlich-versierter Beobachter des Geschehens nicht die Möglichkeit aufzuklären, zu welchem Zeitpunkt welcher der beiden Hunde mit seinem noch artgerechten oder nicht mehr artgerechten Verhalten zu einer Eskalation ihrer Begegnung beigetragen hat. Die insoweit erforderlichen spezifischen Beobachtungen und Deutungen zu Mimik, Körperhaltung und Verhalten eines Hundes sind selbst für erfahrene und fachlich versierte Beobachter in Ansehung der Plötzlichkeit und Schnelligkeit des Geschehensablaufs kaum zu erwarten, weshalb es nicht überrascht, dass beide Hundeführer ihre jeweilige subjektive Einschätzung insoweit nicht mit detaillierten Angaben substantiiert haben. Der Vorfall trägt jedenfalls die Einschätzung des Beklagten, dass allein durch den von Gesetzes wegen bestehenden Leinenzwang die möglicherweise von Rudi ausgehenden Gefahren nicht hinreichend beherrschbar sind. - Auch ist die Anordnung einer Maulkorbpflicht eine geeignete Maßnahme, um zu verhindern, dass Rudi in einer künftigen vergleichbaren Situation erneut von seinem Gebiss Gebrauch machen kann, um ein anderes Lebewesen zu verletzten. Gleich gut geeignete, aber weniger belastende Maßnahmen sind nicht ersichtlich. Der bereits bestehende Leinenzwang hat sich als unzureichend erwiesen. Dabei kann letztlich dahingestellt bleiben, warum es Rudi gelungen ist, sich loszureißen. Es ist jedenfalls kein Anhalt dafür ersichtlich, dass bei der von seinem Hundeführer verwendeten Rollleine ein Produktionsfehler vorgelegen hat und dass dieser Rudi anderenfalls gehalten und erfolgreich daran gehindert hätte, auf den anderen Hund loszugehen. Soweit seitens der Klägerin ohne nähere Substantiierung eine „Sollbruchstelle“ angeführt wird, spricht dies eher dafür, dass das für das Ausführen Rudis ausgewählte Leinenmaterial angesichts dessen Körperkräfte und Einsatzbereitschaft generell ungeeignet ist, um Rudi zurückhalten zu können. Allein bedarf dies nicht der näheren Aufklärung, da es jedenfalls in den Verantwortungsbereich des Hundehalters und -führers fällt, Sorge dafür zu tragen, dass Rudi in jedem Fall an der Leine bleibt. Verschuldensgesichtspunkte spielen aus ordnungsrechtlicher Sicht insoweit keine Rolle. Auf einen weiteren Versuch der Klägerin, Rudi mit anderem, möglicherweise haltbareren Leinenmaterial auszuführen, braucht sich der Beklagte nicht verweisen zu lassen. Vielmehr mag die Klägerin nach ausreichender Zeit unauffälliger Hundehaltung eine Aufhebung der Maulkorbpflicht beantragen. - Der Bescheid des Beklagten geht auch nicht insoweit über die erforderliche Maßnahme hinaus, als sprachlich eine „generelle“ Maulkorbpflicht ausgesprochen wird. Insoweit nimmt der Beklagte in seiner Bescheidbegründung auf die bestandkräftig festgestellte Gefährlichkeit des Hundes und damit seinen Bescheid vom 18.12.2008 sowie den im Erlaubnisverfahren vorgelegten Wesenstest Bezug, so dass sich seine Anordnung bei der gebotenen restriktiven Auslegung in Ansehung der §§ 11 Abs. 2, 4 Satz 2 NHundG - anders als bei der der Klägerin am 19.8.2008 erteilten allgemeinen Ordnungsverfügungen nach § 11 Nds. SOG - als diesbezügliche ergänzende Haltungsauflage verstehen lässt, die sich wie die - von Gesetzes wegen generelle - Leinenpflicht auf das Führen des Hundes außerhalb ausbruchsicherer privater Grundstücke beschränkt. Bereits bei Feststellung der Gefährlichkeit von Rudi hatte der Beklagte am 18.12.2008 zunächst einen Leinen- und Maulkorbzwang „außerhalb ausbruchsicherer Privatgrundstücke“ verfügt und die Haltungsanordnungen erst im Rahmen der Erlaubniserteilung nach Vorlage des Wesenstests auf die Leinenpflicht „außerhalb ausbruchsicherer Privatgrundstücke“ beschränkt. Mit der abermaligen Anordnung eines „generellen Maulkorbzwangs“ wollte der Beklagte ersichtlich seiner ursprünglichen Regelungsabsicht erneut Geltung verschaffen und den mit der Haltungserlaubnis ausgesprochenen Leinenzwang um eine Maulkorbpflicht ergänzen. - In Anbetracht der im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht wie auch im speziellen Gefahrhundrecht geschützten hochwertigen Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit von Mensch und Tier sind die mit einer Maulkorbpflicht beim Führen des Hundes außerhalb ausbruchsicherer privater Grundstücke verbundenen Einschränkungen für Hund und Halter bzw. Hundeführer von vergleichsweise geringem Gewicht, so dass die Anordnung auch angemessen im Sinn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist.

Der Bescheid über die Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin Rosi der Klägerin vom 24.2.2011 beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 2 NHundG i.d.F.v. 30.10.2003 (jetzt § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG), wonach die Behörde die Gefährlichkeit eines Hundes feststellt, wenn Tatsachen den Verdacht rechtfertigen, dass von einem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Die Voraussetzungen der Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 NHundG (vormals § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 NHundG) sind nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts

(Nds. OVG, B. v. 31.8.2012 - 11 ME 221/12 - ; B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - , http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de, m. w. Nachw. aus der Senatsrechtsprechung)

dahingehend geklärt, dass schon bei einem bloßen Verdacht der Gefährlichkeit der betreffende Hund wie ein tatsächlich gefährlicher Hund zu behandeln ist (Nds. OVG, B. v. 12.5.2005 - 11 ME 92/05 -). Wie für die Einleitung der Gefährlichkeitsprüfung reicht es auch für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes aus, dass der betroffene Hund ein anderen (Haus-)Tier, insbesondere einen anderen Hund, nicht nur ganz geringfügig verletzt hat. Hierfür genügt grundsätzlich jede Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des anderen Tieres, insbesondere anderen Hundes, unabhängig von der Schwere; außer Betracht bleiben nur ganz geringfügige Verletzungen wie etwa einzelne ausgerissene Haare oder sehr kleine oberflächliche Kratzer (Nds. OVG, B. v. 3.9.2008 - 11 LA 3/08 -; B. v. 13.12.2006 - 11 ME 350/06 -; m. w. Nachw.).

Aus Entstehungsgeschichte, Systematik und Sinn und Zweck des NHundG folgt danach, dass unter diesen Voraussetzungen nicht die Annahme der Gefährlichkeit, sondern Ausnahmen von diesem Grundsatz besonderer Begründung bedürfen. Solche Ausnahmen kommen bei einem erlaubten Beißen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs etwa eines Dienst-, Wach- oder Jagdhundes oder bei der Verletzung eines anderen (Haus-) Tieres durch ein eindeutig und offensichtlich artgerechtes Abwehrverhalten oder ggf. auch beim Beißen oder Töten von Mäusen oder Insekten in Betracht (Nds. OVG, B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - , a.a.O., m. w. Nachw.). Danach spricht z.B. gegen die Annahme eines als „eindeutig artgerecht“ wertbaren Hundeverhaltens bereits der Umstand, dass ein Hund ein Privatgrundstück verlassen hat und auf einen anderen, im angrenzenden öffentlichen Verkehrsraum befindlichen Hund zugelaufen ist, bevor es zur Auseinandersetzung zwischen den Hunden kam (Nds. OVG, B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - , a.a.O., m. w. Nachw.).

Bedenken gegen eine ggf. „überschießende“ Kontrolle eines als gefährlich eingestuften Hundes ist nicht bereits im Rahmen der vorstehenden, auf der Tatbestandsseite angesiedelten Anforderungen an die Voraussetzungen für die Feststellung der Gefährlichkeit Rechnung zu tragen, sondern auf der Rechtsfolgenseite, d.h. bei den in § 14 NHundG geregelten Einschränkungen für das Führen eines gefährlichen Hundes (Nds. OVG, B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - , a.a.O., m. w. Nachw.). So hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, vom Leinenzwang ganz oder teilweise abzusehen, insbesondere wenn der Wesenstest keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Gefährlichkeit eines Hundes ergibt. Anlass für eine weitergehende Regelung, etwa zur Einführung eines gesonderten Verfahrens zur Aufhebung der Gefährlichkeit oder zu einzelfallbezogenen zusätzlichen Einschränkungen hat der Gesetzgeber hingegen nicht gesehen (Nds. OVG, B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 -, a.a.O.; B. v. 25.1.2013 - 11 PA 294/12 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de). Ein bestehender Verdacht der Gefährlichkeit eines Hundes kann danach weder durch eine nachträgliche positive Entwicklung des Hundes infolge eines Trainings noch durch einen nachträglich eingeholten Wesenstest in Zweifel gezogen werden (Nds. OVG, B. v. 25.1.2013 - 11 PA 294/12 -, a.a.O.)

Insoweit ist zugleich die Amtsermittlungspflicht der Behörde von Rechts wegen begrenzt (Nds. OVG, B. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - , a.a.O. unter Hinweis auf den Schriftlichen Bericht zum NHundG a.F., LT-Drucks. 14/4006, S. 4 a.E.). Danach bestimmt sich auch die Reichweite der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der behördlichen Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes, weshalb eine Beweisaufnahme auch bei widerstreitenden Zeugenaussagen nicht geboten erscheint, wenn die Tatsache der Verletzung eines anderen Tieres als solche feststeht (Nds. OVG, B. v. 31.8.2012 - 11 ME 221/12 -; B. v. 27.7.2010 - 11 PA 265/10 -; B. v. 12.5.2005 - 11 ME 92/05 -). Keine Bedeutung kommt dabei im Rahmen der Prüfung der Gefährlichkeit des betroffenen Hundes grundsätzlich dem Verhalten des anderen Tieres / Hundes und etwaigen Verletzungen des betroffenen Hundes selbst zu; gleiches gilt für die Frage nach einer „Gefährlichkeit“ des anderen Tieres / Hundes (Nds. OVG, B. v. 27.7.2010 - 11 PA 265/10 -).

In Ansehung dieser Rechtsgrundsätze hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt, dass Rosi ein gefährlicher Hund im Sinn des Gesetzes ist. Hinsichtlich des zugrunde liegenden Vorfalls steht fest, dass die Klägerin ihre Hunde am 27.12.2010 ausgeführt hat und Rosi - im Gegensatz zu dem bereits der Leinenpflicht unterliegenden Rudi - ohne Leine frei herumlief. Rosi lief auf den Hund der Anzeigeerstatterin, einen Zwergschnauzer, zu und verletzte diesen. Ausweislich tierärztlicher Bescheinigung erlitt der Zwergschnauzer als behandlungsbedürftig eingeschätzte leichte Bisswunden. Dass die Klägerin im Laufe des Verwaltungsstreitverfahrens begonnen hat, Zweifel dahingehend anzubringen, dass es sich - möglicherweise - gar nicht um Rosi gehandelt habe, ist nicht geeignet, dies in Frage zu stellen. Die Klägerin hat zur Relativierung des Vorfalls selbst angegeben, ihren Hund Rosi, der sehr leichte und oberflächliche Verletzungen aufgewiesen habe, selbst versorgt zu haben. Im Übrigen ist der der unmittelbaren eigenen Wahrnehmung der Klägerin unterliegende Vorfall einem „Bestreiten“ im Rechtssinne nicht zugänglich. Ob sich der Vorfall treffsicher als „Beißattacke“ charakterisieren lässt, ist nicht entscheidungserheblich. Jedenfalls liegt die vom Nds. Oberverwaltungsgericht ausweislich vorstehender Rechtsgrundsätze für die Feststellung der Gefährlichkeit genügende Verletzung eines anderen Hundes vor. Für einen anzunehmenden Ausnahmefall fehlt es an einem tragfähigen Anhaltspunkt. Insoweit besteht auch hinsichtlich dieses Vorfalls schon mangels ausreichend fachlich-versierter Beobachter des Geschehens letztlich nicht die Möglichkeit aufzuklären, zu welchem Zeitpunkt welcher der beiden Hunde mit einem vielleicht noch artgerechten oder schon nicht mehr artgerechten Verhalten zu einer Eskalation ihrer Begegnung beigetragen hat. Die insoweit erforderlichen spezifischen Beobachtungen und Deutungen zu Mimik, Körperhaltung und Verhalten eines Hundes sind - wie bereits zum Hund Rudi ausgeführt - selbst für erfahrene und fachlich versierte Beobachter in Ansehung der Plötzlichkeit und Schnelligkeit des Geschehensablaufs kaum zu erwarten, weshalb es nicht überrascht, dass beide Hundeführer ihre jeweilige subjektive Einschätzung insoweit nicht mit detaillierten Angaben substantiiert haben. Die im Verwaltungsstreitverfahren vorgetragene eigene Bewertung der Klägerin, es habe sich um „völlig normale Revierstreitigkeiten“ gehandelt, lässt einen solchen Schluss auf ein eindeutig artgerechtes Verhalten von Rosi im Sinn dargestellter Rechtsgrundsätze jedenfalls nicht zu. Vielmehr spricht die Tatsache, dass der Zwergschnauzer angeleint geführt wurde, eher gegen ein artgerechtes Verhalten von Rosi, die sich ihrerseits zu dem anderen Hund hinbegab, ohne dass Rosi hierbei von der Klägerin wirksam gehindert worden wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.