Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 28.01.2022, Az.: 111 Qs 5/22

Urkundenfälschung; Blankett-Impfausweis; Gesundheitszeugnis

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
28.01.2022
Aktenzeichen
111 Qs 5/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59440
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 26.01.2022 - AZ: 15 Gs 153/22

Tenor:

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 26.01.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 26.01.2022 wird verworfen.

Gründe

I.

Die Beschuldigte ist verdächtig, im September oder Oktober 2021 zwei Impfausweise an die gesondert verfolgten S. N. und C. M. verkauft zu haben, welche diese am

13.12.2021 in der „W. L.“-Apotheke in der F. Straße, L. vorgelegt haben sollen, um sich jeweils ein digitales Impfzertifikat ausstellen zu lassen. Die Impfausweise, in denen jeweils zwei „Covid-19“-Impfungen mit dem Impfstoff Comirnaty vom 17.09. bzw.

19.07. und jeweils vom 22.10.2021 mit Chargennummern eingetragen gewesen sind, waren mit einem Praxisstempel der Gemeinschaftspraxis E. in S. und einer nicht leserlichen, vermeintlich ärztlichen Unterschrift versehen gewesen. Beide gesondert Verfolgten waren nach den Angaben des Dr. L. von der Gemeinschaftspraxis E. dort als Patienten nicht bekannt. Bei den gesondert Verfolgten wurde aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Lüneburg vom 22.12.2021 durchsucht und es wurden die beiden Impfausweise und elektronische Datenträger sichergestellt. Durch Schreiben des Rechtsanwalts B. vom 21.01.2022 wurde mitgeteilt, dass der gesondert verfolgte N. die Impfausweise im September oder Oktober 2021 von einer Frau namens K. oder K. erworben habe, deren Nummer auf dem Telefon des gesondert Verfolgten abgespeichert sei und die an der Adresse O. oder O. in S. wohnhaft sei. Für beide Impfausweise seien jeweils 250,00 € bezahlt worden, wobei aufgrund eines Zahlendrehers in einem der Impfausweise ein Betrag von 100,00 € erstattet worden sei. Die Polizei ermittelte anhand der von dem Rechtsanwalt B. übermittelten Daten die Beschuldigte.

Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 25.01.2022 die Durchsuchung der Wohnung, vorhandener Geschäftsräume und des sonstigen umfriedeten Besitztums der Beschuldigten sowie ihrer Person und der ihr gehörenden Sachen einschließlich Kraftfahrzeuge wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Urkundenfälschung und der fortdauernden gewerbsmäßigen Vorbereitung der Herstellung unrichtiger Impfausweise beantragt. Die Durchsuchung solle dem Auffinden von Beweismitteln, nämlich Blankett- Impfausweisen sowie Unterlagen zu An- und Verkaufsgeschäften, auch in elektronischer Form auf Computern, Tabletts oder Smartphones dienen.

Mit Beschluss vom 26.01.2022 hat das Amtsgericht Lüneburg den Antrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg abgelehnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass das Verschaffen von Blankett-Impfausweisen erst seit dem 24.11.2021 gemäß § 275 Abs. 1a StGB unter Strafe gestellt sei, der Verkauf aber im September oder Oktober erfolgt sein soll. Auch für eine Urkundenfälschung liege kein Anfangsverdacht vor, da nicht davon auszugehen sei, dass die Beschuldigte die Blankett-Impfausweise durch Dokumentierung der COVID-19-Schutzimpfungen selbst hergestellt habe. Für die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass die Impfausweise durch die Beschuldigte vor Übergabe an die gesondert Verfolgten mit deren Namen versehen worden seien, würden keine Anhaltspunkte vorliegen. Vielmehr liege es nahe, dass die gesondert Verfolgten selbst ihre Namen in die Impfausweise eingetragen haben, zumal diesen lediglich der Vorname der Beschuldigten bekannt war und nicht davon auszugehen sei, dass sie der Beschuldigten ihre persönlichen Daten mit Adresse und Geburtsdatum und –ort genannt haben. Ferner lasse sich auch nicht aus dem Zahlendreher darauf schließen, dass die Beschuldigte die Namen eingetragen habe, da sich der Zahlendreher beim eingetragenen Datum der ersten Impfung und nicht auf der Vorderseite des Impfpasses befindet. Auch ein Anfangsverdacht einer Beihilfehandlung im Hinblick auf eine spätere Urkundenfälschung durch die gesondert Verfolgten bestehe nicht, da dem die Spezialität der §§ 277 ff. StGB entgegenstehe und die Vorbereitung einer späteren Vorlage des Impfausweises bei einer Apotheke zum Zeitpunkt der Handlung der Beschuldigten noch nicht unter Strafe gestellt gewesen sei. Schließlich würden auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beschuldigte nach dem 24.11.2021 das bisher straflose Verschaffen von Blankett- Impfausweisen fortgesetzt haben soll, obwohl diese Handlung nunmehr ausdrücklich gem. § 275 Abs. 1a StGB unter Strafe gestellt wurde.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen diesen Beschluss mit Verfügung vom 26.01.2022 Beschwerde eingelegt, weil nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, was dieser in der Begründung zur Neufassung der §§ 275, 277 ff. StGB – DB Drucks. 20/15,S. 33 – nochmals klargestellt habe, nicht von einer Sperrwirkung der §§ 277 bis 279 StGB auszugehen sei, weshalb jedenfalls ein Anfangsverdacht einer Beihilfe zur Urkundenfälschung vorliege. Im Übrigen sei ein Anfangsverdacht gemäß § 275 StGBn.F. wegen der Vorbereitung der Herstellung von unrichtigen Impfausweisen aufgrund kriminalistischer Erfahrung gegeben, weil es sich bei der Beschuldigten offenkundig um eine „Impfgegnerin“ handele und die bisherigen Erfahrungen mit der COVID-19- Pandemie gezeigt hätten, dass sich Personen, die den zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen ablehnend gegenüberstehen, sich kaum bis gar nicht durch gesetzliche Regelungen beeindrucken lassen. Von daher sei begründet zu vermuten, dass die Beschuldigte weiterhin Blankett-Impfausweise vorrätig halte.

Das Amtsgericht Lüneburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und aus den zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts unbegründet.

Ein Anfangsverdacht für eine Straftat, der die Anordnung einer Durchsuchung rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Ein Anfangsverdacht wegen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB besteht nicht. Voraussetzung hierfür wäre, dass durch den Täter ein Gesundheitszeugnis unter der Bezeichnung als Arzt oder approbierter Medizinalperson oder unter dem Namen einer solchen Person erstellt wurde. Ein falsches Gesundheitszeugnis liegt bei einem Impfausweis allerdings nur dann vor, wenn bereits eine Person darin eingetragen ist, was bei sog. Blankett- Impfausweisen gerade nicht der Fall ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris). Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte neben den Angaben zur angeblich durchgeführten Impfung auch den Namen der gesondert Verfolgten eingetragen haben könnte, liegen nicht vor. Weder ist dies von den gesondert Verfolgten bzw. deren Verteidiger B. ausdrücklich so geschildert worden, noch ergibt sich dies aus den in der Akte befindlichen Ablichtungen der Impfausweise selbst. Ob sich aus einer Auswertung der Datenträger der gesondert Verfolgten, die zwischenzeitlich bereits wieder an diese herausgegeben worden sind, ergeben hat, welche genauen Vereinbarungen zwischen den gesondert Verfolgten und der Beschuldigten hinsichtlich des Erwerbs der Impfausweise und den darin enthaltenen Eintragungen getroffen worden sind, ist jedenfalls nicht aktenkundig.

Ein Anfangsverdacht einer Tat nach § 275 StGB a.F. scheitert bereits daran, dass es sich bei Impfausweisen nicht um amtliche Ausweise handelt (OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris).

Ein Rückgriff auf den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB scheitert nach herrschender Rechtsauffassung (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom17. Januar 2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris, m. w. N.), der sich auch die Kammer anschließt, an der Privilegierung der Straftatbestände der §§ 277 bis 279 StGB, die die Fälschung von Gesundheitszeugnissen betreffen. Diese sehen als Strafrahmen nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem oder zwei Jahren vor, während die Urkundenfälschung mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht ist. Zudem gibt es bei den §§ 277 bis 279 StGB keine Versuchsstrafbarkeit. Täuschungen müssen gegen eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft gerichtet sein. Bei § 277 StGB handelt es sich zudem um ein vollständig zweiaktiges Delikt. Aus alldem ergibt sich eine Sperrwirkung der §§ 277 bis 279 StGB gegenüber der Urkundenfälschung, soweit es um die Fälschung von Gesundheitszeugnissen geht. Für die Sperrwirkung ist es unerheblich, ob es im konkreten Fall zu einer Strafbarkeit nach §§ 277 bis 279 StGB kommt oder nicht. Maßgeblich ist allein, dass ein Gesundheitszeugnis und keine andere Urkunde vorliegt (vgl. hierzu LG Karlsruhe vom 26.11.2021, Az. 19 Qs 90/21 – juris, m. w. N.). Einer solchen Auslegung steht die von der Staatsanwaltschaft zitierte BT-Drucksache, in der zur Begründung des Gesetzesentwurfs zur Neufassung der §§ 279 und 275 StGB, angegeben ist, dass die §§ 277 bis 279 StGB keine Sperrwirkung für die §§ 267 ff. StGB entfalten würden, nicht entgegen. Denn, dass § 267 StGB nicht anwendbar ist und es dadurch zu Strafbarkeitslücken kommt, hat letztlich auch der Gesetzgeber so gesehen, da es ansonsten einer Neufassung der Vorschriften nicht bedurft hätte. Jedenfalls kann diese Rechtsauffassung des derzeitigen Gesetzgebers bzw. der den Gesetzesentwurf einbringenden Bundestagsfraktionen nicht zur Auslegung des Verhältnisses der §§ 277 ff. StGB in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung zu den §§ 267 ff. StGB herangezogen werden. Insofern kann nur der Wille des historischen Gesetzgebers für die Auslegung maßgeblich sein.

Zur historischen Gesetzesgenese führt das Oberlandesgericht Bamberg (a. a. O.) das Folgende aus:

„Die §§ 277-279 StGB a.F. befinden sich bereits seit dem Jahre 1871 im Kern unverändert im deutschen Strafgesetz (RGBl. 1871, 127 [180]). Zu dieser Zeit waren die Diagnosemöglichkeiten einer Krankheit wesentlich eingeschränkter und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den gegenwärtigen und zukünftigen Gesundheitszustand der Person wesentlich ungewisser als zum heutigen Zeitpunkt. Dementsprechend war der Aussagegehalt eines Gesundheitszeugnisses über den aktuellen Gesundheitszustand einer Person und die sich daraus für ihren künftigen Gesundheitszustand abzuleitenden Folgerungen zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung wesentlich vager und unsicherer als nach den heutigen Diagnosemöglichkeiten und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die nur eingeschränkte inhaltliche Aussagekraft eines Gesundheitszeugnisses zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung spricht dafür, dass der Gesetzgeber einem solchen nicht die gleiche Bedeutung beimessen wollte wie einer sonstigen Urkunde, dass er nur in den vom Gesetz geregelten Fällen überhaupt ein strafwürdiges Unrecht gesehen hat und deshalb die § 277-279 StGB a.F. als abschließende Sonderregelungen in Hinblick auf den Umgang mit Gesundheitszeugnissen verstanden wissen wollte. Im Hinblick auf das besondere Vertrauen, welches schon zur damaligen Zeit dem Urteil eines (i.d.R. studierten) Arztes entgegengebracht wurde, hat der Gesetzgeber andererseits den in § 277 StGB a.F. normierten Sonderfall der Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses unter der dem Aussteller nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt, also einen Fall der schriftlichen Lüge, welche nach der allgemeinen Vorschriften des § 267 StGB grundsätzlich nicht strafbar ist, ausnahmsweise für strafbar erklärt.“

Diese überzeugenden Ausführungen macht sich die Kammer zu eigen.

Schließlich liegt auch ein Anfangsverdacht für eine durch die Beschuldigte begangene Straftat nach § 275 Abs. 1a StGB n.F. für die Zeit seit dem 24.11.2021 nicht vor. Allein aus dem Umstand, dass jemand in der Vergangenheit eines erlaubten Verhaltens verdächtig gewesen ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass er dieses Verhalten auch dann fortsetzt, wenn es zwischenzeitlich durch den Gesetzgeber verboten worden ist. Etwas Anderes ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass jemand als „Impfgegner“ bekannt ist. Es gibt keinen allgemeinen - kriminalistischen - Erfahrungssatz, nach welchem sich Menschen, die den zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen ablehnend gegenüberstehen, nicht an gesetzliche Regeln halten würden und sich durch neue strafbewehrte Verbote nicht beeindrucken lassen. Eine solche Annahme würde sämtliche „Impfgegner“ unter Generalverdacht stellen. Bei der Annahme, dass die Beschuldigte weiterhin Impfausweis-Blankette verwahrt, handelt es sich - wie auch die Staatsanwaltschaft ausführt - lediglich um eine (begründete) Vermutung. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen rechtfertigt eine Durchsuchung jedoch gerade nicht (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, § 102 StPO Rn. 2 m. w. N.).

Zu prüfen ist, ob eine polizeirechtliche Durchsuchungsanordnung nach § 24 NPOG in Betracht kommt. Insoweit ist die Kammer aber nicht zu einer Entscheidung berufen.