Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.02.2023, Az.: 2 Ws 336/22

Rechtliches Gehör; Eröffnung; Sicherungsverfahren; Vernehmung; Auswirkungen des Unterbleibens rechtlichen Gehörs im Ermittlungsverfahren auf die gerichtliche Eröffnungsentscheidung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.02.2023
Aktenzeichen
2 Ws 336/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 11974
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0210.2WS336.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - AZ: 4 KLs 19/22

Fundstellen

  • NStZ 2023, 8
  • NStZ 2023, 377-379
  • RPsych 2023, 276-278
  • RPsych 2023, 182-185
  • StRR 2023, 2
  • StraFo 2023, 190-192

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Wird im Ermittlungsverfahren entgegen § 163a Abs. 1 StPO eine Beschuldigtenvernehmung nicht durchgeführt, ist das Gericht nicht verpflichtet, auf eine unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erhobene Anklage hin das Hauptverfahren zu eröffnen.

  2. 2.

    Dies gilt entsprechend bei einer Antragsschrift im Sicherungsverfahren.

  3. 3.

    Werden anlässlich eines Explorationsgesprächs durch den psychiatrischen Sachverständigen die Vorwürfe mit dem Beschuldigten erörtert, stellt dies keine Vernehmung im Sinne des § 163a Abs. 1 StPO dar.

In der Strafsache
gegen M. A . H .,
geboren ...,
wohnhaft: ...,
- Verteidiger: ... -
wegen Körperverletzung u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Verden gegen den Beschluss der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 15. November 2022 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht
XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Landgericht
XXX am 10. Februar 2023 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Beschuldigten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

1. Die Staatsanwaltschaft Verden wirft dem Beschuldigten mit Antragsschrift vom 19. September 2022 vor, im nicht auszuschließenden Zustand der Schuldunfähigkeit in der Zeit vom 2. September 2021 bis zum 31. Dezember 2021 in B. F. und O. durch drei rechtswidrige Taten

1. rechtswidrig fremde Sachen beschädigt oder zerstört zu haben,

2. versucht zu haben, eine andere Person mittels eines gefährlichen Werkzeugs körperlich zu misshandeln oder an der Gesundheit zu schädigen,

3. eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt zu haben,

wobei sich aus der Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei, weshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen sei. Konkret wird dem Beschuldigten vorgeworfen, er habe unter einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit begleitendem Alkoholkonsum bzw. -missbrauch leidend

1. am 2. September 2021 gegen die Front eines PKW getreten, wodurch an dessen Kühlergrill eine deutliche Trittstelle zu erkennen sei und der Lack leichte Kratzer aufweise, was der Beschuldigte billigend in Kauf genommen habe,

2. am 20. Dezember 2021 gemeinsam mit einem anderen das Grundstück des Zeugen Nagel betreten, der sie aufgefordert habe, das Grundstück zu verlassen. Der Beschuldigte habe eine teils gefüllte 0,5 l Bierflasche gezielt in Richtung des Zeugen geworfen, die den Zeugen verfehlt habe. Daraufhin habe der Zeuge eine Schreckschusspistole gezogen. Dennoch habe der Beschuldigte erneut eine teils gefüllte 0,5 l Bierflasche gezielt in Richtung des Zeugen geworfen. Nachdem der Zeuge einen Warnschuss mit der Schreckschusspistole abgegeben habe, habe der Beschuldigte das Grundstück verlassen. Es sei ihm darauf angekommen, den Zeugen mit den Bierflaschen an der Gesundheit zu schädigen oder körperlich zu misshandeln,

3. am 31. Dezember 2021 eine im zweiten Monat schwangere Zeugin mit der linken Hand am Kragen festgehalten und diese mit der rechten Faust einmal ins Gesicht und zweimal in den Bauch geschlagen. Anschließend habe er ihr mit dem beschuhten Fuß mehrfach in den Bauch getreten. Die Zeugin habe Schmerzen verspürt, was der Beschuldigte billigend in Kauf genommen habe.

Im Rahmen der Ermittlungen zu den Vorwürfen 1. und 3. wurde der Beschuldigte durch die jeweils die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten angetroffen, eine Beschuldigtenvernehmung erfolgte nicht. Zu dem Vorwurf zu 2. wurde der Beschuldigte ebenfalls nicht als Beschuldigter vernommen.

Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Verden untersuchte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie P. den Beschuldigten am 11. August 2022 in der Justizvollzugsanstalt G. zur Frage seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit sowie zu den Voraussetzungen einer Unterbringung gem. § 63 StGB, wobei er den Beschuldigten auf "die Fragestellungen des Gutachtens und sein Schweigerecht" hinwies. Der Sachverständige kam zu dem sich in der Antragsschrift wiederspiegelnden Ergebnis.

Ebenfalls unter dem 19. September 2022 beantragte die Staatsanwaltschaft die Anordnung der einstweiligen Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Der Vorsitzende der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Verden verfügte die Zustellung der Antragsschrift sowie ihrer Übersetzung in die arabische Sprache an die Betreuerin des Beschuldigten und an diesen selbst. Mit Telefonat und Vermerk vom 24. Oktober 2022 wies der Vorsitzende die Staatsanwaltschaft auf Bedenken gegen die Antragsschrift hin, weil dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden sei, was zur Unwirksamkeit der Antragsschrift führe, sofern die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht nachgeholt werde. Im Hinblick auf den Antrag, die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten anzuordnen, wies der Vorsitzende auf Bedenken gegen einen hinreichenden Tatverdacht, gegen die Annahme eines Zustandes im Sinne der §§ 20, 21 StGB und die Verhältnismäßigkeit der beantragten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hin.

Die Staatsanwaltschaft teilte diese Bedenken nicht und bat um den Erlass rechtsmittelfähiger Entscheidungen.

Mit Beschluss vom 15. November 2022 lehnte die Kammer die Eröffnung des Sicherungsverfahrens gegen den Beschuldigten aus Rechtsgründen ab, weil dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Mit Beschluss vom 16. November 2022 lehnte die Kammer die Anordnung der einstweiligen Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus ab.

Gegen den Nichteröffnungsbeschlussbeschluss der Kammer vom 15. November 2022 wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde. Eine gegen den Beschluss der Kammer vom 16. November 2022 eingelegte Beschwerde hat die Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich zurückgenommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den die Eröffnung des Sicherungsverfahrens ablehnenden Beschluss der Kammer vom 15. November 2022 aufzuheben und das Sicherungsverfahren vor dem Landgericht Verden zu eröffnen, hilfsweise, das Hauptverfahren vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Walsrode zu eröffnen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Unterlassen einer Beschuldigtenvernehmung vor Abschluss der Ermittlungen und die damit einhergehende Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör begründen einen Verfahrensmangel, der die mit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens betraute Kammer berechtigt, die Eröffnung abzulehnen.

1. Vorliegend ist dem Beschuldigten vor Abschluss der Ermittlungen entgegen § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO kein rechtliches Gehör gewährt worden.

Soweit der Beschuldigte im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wegen der Vorwürfe zu 1. und 3. angetroffen worden ist, wurde von einer Vernehmung als Beschuldigter durch die Polizeibeamten abgesehen. Eine solche Vernehmung ist später auch nicht durch die Polizeibeamten oder die Staatsanwaltschaft nachgeholt worden. Die Pflicht zur Vernehmung des Beschuldigten vor dem Abschluss der Ermittlungen gem. § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO gilt indes auch für das Sicherungsverfahren (Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 163a, Rn. 34 m.w.N.).

Soweit der Beschuldigte im Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen Pallenberg zu den Anlassdelikten befragt worden ist und insbesondere der Vorwurf zu 3.erörtert worden ist, stellt dies keine Vernehmung als Beschuldigter im Sinne des § 163a Abs. 1 StPO dar. Auch wenn die Exploration unter Umständen in Abhängigkeit von dem Gutachtenauftrag vernehmungsähnliche Elemente haben kann, ist sie mit den Vernehmungen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht nicht gleichzusetzen (BGH, Beschluss vom 8. August 2002 - 3 StR 239/02 -, Rn. 10, juris). Der Sachverständige ist nicht wie der Richter, der Staatsanwalt und der Polizeibeamte ein Organ der Strafverfolgung. Seine Aufgabe ist es nicht, durch seine Tätigkeit unmittelbar zu der Klärung beizutragen, ob der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Straftat begangen hat und also insoweit überführt werden kann. Er hat sich vielmehr auf Grund seiner Sachkunde nur zu bestimmten einzelnen Fragen zu äußern; dabei muss er unparteiisch und nur nach seinem besten Wissen und Gewissen verfahren. Das gilt insbesondere für den psychiatrischen Sachverständigen, der mit der Erstattung eines Gutachtens über die Verantwortlichkeit des Beschuldigten beauftragt ist (BGH, Urteil vom 6. September 1968 - 4 StR 339/68 -, Rn. 8 - 9, juris).

Es kann vorliegend dahinstehen, ob es ausreichend gewesen wäre, dem Beschuldigten gem. § 163a Abs. 1 Satz 2 StPO Gelegenheit zu geben, sich schriftlich zu äußern, denn auch eine solche Gelegenheit ist ihm nicht gegeben worden.

2. Dass dem Beschuldigten kein rechtliches Gehör gewährt worden ist, führt dazu, dass das Landgericht rechtsfehlerfrei die Eröffnung des Sicherungsverfahrens abgelehnt hat.

a. Zwar wird vertreten, dass die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs im Ermittlungsverfahren keinen Grund darstelle, eine Anklage zurückzuweisen (Hilgendorf/Kudlich/Valerius-Heghmanns, Handbuch des Strafrechts Band 8, § 40, Rn. 49). Eine unter Verletzung des § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO erhobene Anklage sei nicht deswegen unwirksam (KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl., § 163a Rn. 34). Vielmehr könne im Fall der Verletzung der Pflicht zur Vernehmung des Beschuldigten vor dem Abschluss der Ermittlungen gem. § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO der Vorsitzende die Nachholung des rechtlichen Gehörs bei der Staatsanwaltschaft anregen (Meyer-Goßner/Schmitt-Köhler, 65. Aufl. § 163a, Rn. 1) bzw. werde der Vorsitzende die Akten zur Nachholung der Beschuldigtenvernehmung an die Staatsanwaltschaft zurückgeben (KK-StPO/Weingarten, a.a.O.). Das rechtliche Gehör des Beschuldigten sei aber durch die Aufforderung zur Erklärung nach § 201 StPO ausreichend gewahrt (KK-StPO/Weingarten, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt-Köhler a.a.O.; BeckOK StPO/von Häfen StPO § 163a Rn. 2; ders. in Graf, 4. Aufl. § 163a Rn. 2; KMR/Noltensmeier-von Osten, 101. EL § 163a, Rn. 38).

Dieser Ansicht hat sich das Landgericht Düsseldorf angeschlossen. Danach kann die Zustellung einer unter Verletzung des § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO erhobenen Anklage gemäß § 201 StPO nicht wegen der unterbliebenen Vernehmung des Angeschuldigten verweigert werden. Die Gewährung rechtlichen Gehörs sei keine Prozessvoraussetzung, von der die Wirksamkeit einer Anklage abhänge. Diese sei zuzustellen, weil der Angeschuldigte ein Recht darauf habe, über den Grund einer erhobenen Anklage informiert zu werden. Das Gericht könne die Vernehmung des Angeschuldigten im Zwischenverfahren gem. § 202 StPO anordnen, im Übrigen sei das rechtliche Gehör durch die in § 201 StPO vorgesehene Erklärungsmöglichkeit gewahrt (LG Düsseldorf, Beschluss vom 25. November 1985, NStZ 1986, S. 138 f.).

b. Der bloße Verweis auf die Möglichkeit, das im Ermittlungsverfahren und damit vor der Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft unterbliebene rechtliche Gehör im Zwischenverfahren nachholen zu können, überzeugt indes nicht. Bei einer Nachholung im Zwischenverfahren kann das rechtliche Gehör seine zentrale Funktion, dem Beschuldigten evtl. die Belastungen einer Hauptverhandlung zu ersparen, nur noch eingeschränkt erfüllen, weil die Erreichung einer Einstellung nach §§ 153 ff. ohne Eintritt in die Hauptverhandlung de facto kaum mehr in Betracht kommt, und die Möglichkeit, durch Geltendmachung geeigneter Umstände eine Erledigung im Strafbefehlsverfahren zu erreichen, überhaupt nicht mehr besteht (Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 163a, Rn. 121). Aus diesem Grund wird mittlerweile wohl überwiegend vertreten, dass das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen habe, wenn die Staatsanwaltschaft die Nachholung rechtlichen Gehörs verweigere (Erb in: Löwe-Rosenberg, a.a.O.; MüKoStPO/Kölbel, 1.Aufl., StPO § 163a Rn. 50; Radtke/Hohmann-J. Kretschmer, 1. Aufl. StPO § 163a, Rn. 5; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, 5. Auf., § 163a Rn. 11; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Ziegler, 3. Aufl. StPO § 163a Rn. 8; i.E. auch Meinecke, StV 2015, 325, 328 und - jedenfalls gegen eine Heilung im Zwischenverfahren - Gercke/Julius/Temming/Zöller, 5. Aufl. StPO § 163a Rn. 29). Dieser Ansicht haben sich Teile der Rechtsprechung angeschlossen. Danach ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs bei widerruflichen Maßnahmen wie einer Anklageschrift durch Widerruf eben dieser Maßnahme sowie neuer Entscheidung nach Gewährung rechtlichen Gehörs oder durch Nachholung des rechtlichen Gehörs zur Prüfung eines Widerrufs zu heilen (LG Köln, Beschluss vom 27. Oktober 1989, StV 1990, S. 553 f.). Bei der Frage, ob eine Anklage erhoben wird, gebiete der Grundsatz der Wahrheitserforschung und die Subjektstellung des Beschuldigten, das zentrale Beweismittel der Beschuldigteneinlassung auszuschöpfen (LG Köln, a.a.O.).

Dem entsprechend hat das Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Erlass eines Strafbefehls abgelehnt, weil der Angeschuldigte zuvor nicht als Beschuldigter vernommen worden war. Das Amtsgericht hat ausgeführt, das Gericht sei in diesem Fall jedenfalls berechtigt, den Erlass des Strafbefehls abzulehnen. Denn das dem Beschuldigten nach § 163a StPO eingeräumte Recht auf Vernehmung im Ermittlungsverfahren finde seine Basis nicht nur im einfachen Gesetzesrecht, sondern die Vorschrift erfülle aus verfassungsrechtlicher Sicht eine wichtige rechtsstaatliche Funktion zur effektiven Wahrung des rechtlichen Gehörs. Sie stärke und konkretisiere die Subjektstellung des Beschuldigten. Dass ein in Fällen der vorliegenden Art erlassener Strafbefehl für nicht unwirksam erachtet werde, beantworte nicht die Frage, wie das Gericht den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zu behandeln hat oder jedenfalls behandeln darf, sondern betrifft die Situation, dass ein Strafbefehl bereits ergangen ist. Vor Erlass eines Strafbefehls sei das Gericht berechtigt, wenn nicht gar verpflichtet, auf eine ungeschmälerte Wahrung aller Beschuldigtenrechte hinzuwirken (AG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 3. Dezember 2019 - 412 Cs 166/19 -, Rn. 9, 11, juris).

c. Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Das Gericht ist nicht verpflichtet, durch eine Eröffnung des Hauptverfahrens den Angeschuldigten auf eine Nachholung des rechtlichen Gehörs im Zwischenverfahren zu verweisen, vielmehr ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt.

aa. Der Wortlaut des § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO spricht für diese Ansicht, weil er keine Einschränkung des rechtlichen Gehörs im Ermittlungsverfahren enthält.

bb. Auch der Zweck der Vorschrift streitet für diese Ansicht. Mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs werden zwei Funktionen gewährleistet: Zum einen dient die Beschuldigtenvernehmung der Sachaufklärung, zum anderen soll der Beschuldigte über den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf bzw. die Tatvorwürfe unterrichtet werden (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, a.a.O.; BeckOK StPO/von Häfen, a.a.O.). Bei einer Verweisung des Angeschuldigten auf die Nachholung seines rechtlichen Gehörs im Zwischenverfahren ist - mit den oben dargelegten Einschränkungen - nur der letztgenannte Zweck überhaupt noch zu erreichen, wobei auch zu beachten ist, dass der Angeschuldigte schon durch eine Anklageerhebung außerstrafrechtliche Nachteile unabhängig vom Verfahrensausgang erfahren kann (Meinecke, StV 2015, S. 325). Die Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft hingegen kann eine möglicherweise mit der Beschuldigtenvernehmung einhergehende weiteren Sachaufklärung nicht mehr berücksichtigen.

cc. Die historische Betrachtung spricht ebenfalls für diese Ansicht. § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO ist mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 31. Dezember 1964 eingeführt worden. Den Gesetzesmaterialien ist insoweit zu entnehmen, dass der historische Gesetzgeber die Vernehmung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren in jedem Fall als notwendig erachtet hat, wenn das Verfahren nicht schon ohnehin eingestellt werden kann, wodurch die Pflicht zur Vernehmung im Ermittlungsverfahren gegenüber der vorherigen Regelung gerade erweitert werden sollte (BT-Drucks. IV/178 S. 32 f.).

dd. Letztlich spricht auch eine Abwägung der Folgen beider Ansichten für die Berechtigung des Gerichts, die Verfahrenseröffnung abzulehnen. Wäre das Gericht nicht berechtigt, die Eröffnung des Verfahrens zu verweigern, obwohl die zuvor auf den Mangel rechtlichen Gehörs hingewiesene Staatsanwaltschaft das Nachholen einer Vernehmung ablehnt, würde das Gericht verpflichtet, sich gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes zu stellen. Die Ablehnung der Verfahrenseröffnung aus Rechtsgründen hingegen führt lediglich dazu, dass eine neue Anklage bzw. vorliegend ein neuer Antrag nach Nachholung des rechtlichen Gehörs zu erheben wäre. Es wird mithin der gesetzmäßige Zustand herbeigeführt.

d. Vorliegend gilt nicht etwa deswegen etwas Anderes, weil der Beschuldigte nach dem vorläufigen Gutachten des Sachverständigen an einer psychischen Krankheit leidet. Auch im Fall eines durch geistig-seelische Störung verursachten Verständnisdefizits, das in dem Beschuldigten angelegt ist, ist dessen Vernehmung nicht entbehrlich, denn die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. Diese Möglichkeit würde dem Beschuldigten abgeschnitten, verzichtete man auf seine Vernehmung, weil er die Belehrung möglicherweise oder mit Sicherheit nicht verstanden hat (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 - 1 StR 475/93 -, BGHSt 39, 349-353, Rn. 4 - 6).

e. Vorliegend führt auch der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrer Antragsschrift zugleich auch die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt hat, zu keiner anderen Betrachtung. Dass der Beschuldigte vor einer Entscheidung über diesen Antrag nicht zu hören ist, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde, folgt aus § 33 Abs. 4, Satz 1, 3. Fall StPO. Diese Vorschrift rechtfertigt aber keine Abweichung von der Regelung des § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO in Verbindung mit § 414 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die Antragsschrift im Sicherungsverfahren. Dazu besteht auch unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Beschleunigung kein Anlass, weil die Möglichkeit besteht, unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO ohne Gewährung rechtlichen Gehörs zunächst über die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu entscheiden und anschließend im Hinblick auf die Antragsschrift eine verantwortliche Vernehmung durchzuführen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).