Landgericht Braunschweig
Urt. v. 04.12.1981, Az.: 23 O 6/79 (Baul.)

Bergrechtliche Grundabtretung; Verpflichtung der Überlassung eines Grundstückes zur Durchführung bergmännischer Erkundungsbohrungen; Einrichtung eines Endlagers für die nukleare Entsorgung; Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle; Anwendung des Bergrechtes und der bergrechtlichen Grundabtretung auf Anlagen und Untersuchungen für Anlagen zur Ablagerung von radioaktiven Stoffen

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
04.12.1981
Aktenzeichen
23 O 6/79 (Baul.)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1981, 14603
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:1981:1204.23O6.79BAUL.0A

Die Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 1981
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
die Richterin am Landgericht ...
den Richter am Landgericht ...,
die Richterin am Verwaltungsgericht ... und
den Richter am Verwaltungsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung gegen den Grundabtretungsbeschluß vom 2. November 1979 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 60.000,00 DM. Die Kosten bezüglich des in der Hauptsache erledigten Antrags der Antragsgegnerin vom 3.12.1979 trägt das beteiligte ... nach einem Streitwert von 12.000,00 DM.

Das Urteil ist für die Antragsgegnerin und das beteiligte ... gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 3.000,00 DM vorläufig vollstreckbar, für den Antragsteller und die Antragsgegnerin gegenüber dem beteiligten ... ohne Sicherheitsleistung. Das beteiligte ... kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 600,00 DM abwenden, wenn nicht der Antragsteller und die Antragsgegnerin zuvor jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1

Die Antragsgegnerin führt Untersuchungen über die Eignung des Salzstockes ... für die Anlage eines untertägigen Endlagers zur Lagerung radioaktiver Abfälle durch. Zu diesem Zweck werden auch die geologisch-hydrologischen Verhältnisse oberhalb des Salzstockes erkundet. Zu dem Erkundungsprogramm gehören ca. 100 Aufschlußbohrungen, denen jeweils bis zu 5 weitere Bohrungen (Pegelbohrungen) zugeordnet sind, die der Einrichtung von Grundwassermeß- und entnahmestationen (Pegel) dienen. Der Antragsteller verfügt im Bereich ... über ausgedehnten Grundbesitz, den die Antragsgegnerin nach dem Erkundungsprogramm für einen Teil der Aufschlußbohrungen in Anspruch nehmen muß und schon in Anspruch genommen hat.

2

Nachdem Verhandlungen zwischen den Parteien mit dem Ziel einer gütlichen Einigung über die Durchführung von 20 Aufschlußbohrungen, die das Bergamt ... mit Betriebsplan vom 9. Juli 1979 zugelassen hätte, gescheitert waren, beantragte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 7. August 1979 beim beteiligten ... den Antragsteller gem. den §§ 2 b, 142 des Allg. Berggesetzes für das Land Niedersachsen - ABG - in der Fassung vom 10. März 1978 (Nds. GVBl. S. 256) für verpflichtet zu erklären, die Grundstücke zum Zwecke der geschilderten Untersuchungen abzutreten (Grundabtretung). Außerdem beantragte sie gem.§ 146 ABG. die vorzeitige Besitzeinweisung in die genannten Grundstücke zum Zwecke der Durchführung der Bohrungen. Das ... kam dem Antrag auf Grundabtretung mit Beschluß vom 2. November 1979 nach, wies aber zunächst den Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung zurück; weil hierfür kein Bedürfnis bestehe, da der Grundabtretungsbeschluß mit seiner Zustellung wirksam werde.

3

Auf Antrag des Antragstellers hat die erkennende Kammer demgegenüber im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit Beschluß vom 20. November 1979 festgestellt, daß dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Grundabtretungsbeschluß aufschiebende Wirkung zukommt.

4

Die Antragsgegnerin wandte sich daraufhin ihrerseits mit Antrag vom 3. Dezember 1979 gegen den Beschluß des ... vom 2. November 1979 soweit darin ihr Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung zurückgewiesen worden war, und begehrte die Anordnung der vorzeitigen Besitzeinweisung durch das Gericht. Dieser Antrag hat sich erledigt, da das ... mit Beschluß vom 13. März 1980 die vorzeitige Besitzeinweisung in die der Grundabtretung unterworfenen Flächen anordnete. Gegen diese vorzeitige Besitzeinweisung hat der Antragsteller ebenfalls Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, der Gegenstand des Verfahrens 23 O 4/80 Baulandkammer - ist (vgl. das Urteil in dieser Sache vom gleichen Tage).

5

Bezüglich des Antrages der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 1979 haben beide Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

6

Der Antragsteller ist der Ansicht, daß die angeordnete Grundabtretung rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze, weil dem in § 2 b ABG vermuteten allgemeinenöffentlichen Interesse an Untersuchungen zur Auffindung eines geeigneten Endlagers für radioaktive Abfälle ein besonderes Interesse an der Nichtdurchführung dieser Untersuchungen im Bereich des Salzstockes ... als überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne des § 136 Abs. 1 ABG entgegenstehe. Denn es stehe aufgrund von wissenschaftlichen Untersuchungen, insbesondere eines Gutachtens von Prof. ..., bereits fest, daß das Planfeststellungsverfahren für ein Endlager im Salzstock ... keine Aussicht auf Erfolg haben werde. Außerdem fehle es an dem für jede Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz erforderlichen öffentlichen Interesse, weil das Konzept eines integrierten Entsorgungssystems mit Wiederaufarbeitungsanlage und Endlager schon vor Erlaß des Grundabtretungsbeschlusses aufgegeben worden sei. Mit der Aufgabe des Projektes eines integrierten Entsorgungszentrums in ... stehe fest, daß auch eine Endlagerung in ... nicht stattfinden werde und dort nur ein sogenanntes Zwischenlager in Betracht komme. Damit fehle es aber an dem erforderlichen öffentlichen Interesse für die Durchführung der Untersuchung.

7

Der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers beantragt,

den Grundabtretungsbeschluß des ... vom 2. November 1979 aufzuheben.

8

Der Prozeßbevollmächtigte der Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

9

Er ist der Ansicht, daß der Grundabtretung keine überwiegenden Gründe des öffentlichen Interesses im Sinne von § 136 ABG entgegenstehen. Aus dem wissenschaftlichen Meinungsstreit über die Eignungshöffigkeit des Salzstockes ... für die Errichtung eines Endlagers könnten sich solche Gründe nicht ergeben. Die vorgenommenen Untersuchungen sollten gerade dazu dienen, insoweit eine Klärung zu erbringen.

10

Schließlich sei auch keine politische Entscheidung gegen die Einrichtung eines Endlagers gefallen, dessen Einrichtung entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht unabweisbar mit der Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in ... verknüpft sei.

11

Der Prozeßbevollmächtigte des beteiligten ... beantragt ebenfalls,

den Antrag zurückzuweisen.

12

Er unterstützt die Ausführungen der Antragsgegnerin.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des ... über das Grundabtretungsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

15

Der angefochtene Grundabtretungsbeschluß vom 2. November 1979 findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 2 b Abs. 1, 135-147 ABG. Die in den §§ 135 ff ABG geregelte bergrechtliche Grundabtretung beinhaltet die Möglichkeit, den Grundbesitzer zu verpflichten, sein Grundstück dem Berechtigten zur Durchführung bergmännischer Erkundungsbohrungen zu überlassen. Nach § 2 b Abs. 1 ABG in Verbindung mit § 135 ABG kann eine solche Grundabtretung angeordnet werden, wenn an Anlagen oder Untersuchungen für Anlagen zur untertägigen Speicherung oder Ablagerung von festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffen ein öffentliches Interesse besteht. Mach § 2 b Abs. 1 Satz 3 ABG besteht ein öffentliches Interesse insbesondere, wenn die Anlagen oder Untersuchungen der Energieversorgung oder Durchführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabe dienen.

16

Die Antragsgegnerin ist gem.§ 23 Abs. 1 Nr. 2 Atomgesetz verpflichtet, für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle zu sorgen (§ 9 a Abs. 3 Atomgesetz). Dieser gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabe dienen die Untersuchungen, zu deren Durchführung die Inanspruchnahme des Grundbesitzes des Antragstellers notwendig ist. Denn sicheren Aufschluß über die geologisch-hydrologischen Verhältnisse oberhalb des Salzstockes ... kann nur ein Netz von zahlreichen Aufschlußbohrungen geben, das angesichts der Ausdehnung des Grundbesitzes des Antragstellers nicht ohne die Inanspruchnahme seines Grundbesitzes geschaffen werden kann. Dies wird vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen.

17

Da Bemühungen um eine gütliche Einigung über die Grundabtretung zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin scheiterten - der Antragsteller machte die Erteilung im Schreiben vom 15. Juni 1979 von verschiedenen Forderungen bezüglich einer etwaigen End- und Zwischenlagerung und dem sicheren Ausschluß des Konzepts der Wiederaufarbeitung abhängig -, durfte nach mündlicher Verhandlung (§ 143 ABG) das ... gem. § 142 ABG die Grundabtretung durch Beschluß anordnen.

18

Die materiellen Bedenken des Antragstellers gegen die Zulässigkeit der Grundabtretung greifen nicht durch. Soweit der Antragsteller aus dem von einzelnen Wissenschaftlern geäußerten Zweifeln an der Eignung des Salzstockes ... für ein Endlager die Folgerung herleiten will, der Untersuchung dieses Salzstockes stünden überwiegende Gründe des Allgemeinwohls im Sinne von § 136 Abs. 1 ABG entgegen, verkennt er, daß nach § 136 Abs. 1 ABG nur zu prüfen ist, ob die Erhaltung des in Anspruch genommenen Grundstücks für den Zweck, dem es zur Zeit dient, mehr im öffentlichen Interesse liegt, als die beabsichtigte Verwendung für den mit der Grundabtretung verfolgten Zweck (vgl. Ebel-Weller Allg. Berggesetz mit Erläuterungen, 2. Aufl., Berlin 1963, Anm. 1 zu § 136).

19

Wenn die Nichteignung des Salzstockes ... für ein Endlager bereits vor Erlaß des Grundabtretungsbeschlusses festgestanden hätte, so könnte es deswegen nur an der Voraussetzung fehlen, daß jede Enteignung - also auch die Grundabtretung (vgl. zur Rechtsnatur der Grundabtretung Zydek, Bundesberggesetz, S. 335) - dem Wohl der Allgemeinheit dienen muß (Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz). Es besteht aber offensichtlich keine allgemein anerkannte feststehende wissenschaftliche Erkenntnis über die Nichteignung des Salzstockes ... für ein Endlager. Die Ansicht des Antragstellers, es müsse deswegen durch das ... oder das Gericht im Rahmen des Grundabtretungsverfahrens im Wege der Beweisaufnahme die Eignung des Salzstockes vorab geklärt werden, geht fehl. Sie verkennt das Wesen des Untersuchungs- und Erkundungsprogramms, das lediglich der Vorbereitung der letztlich im Planfeststellungsverfahren zu überprüfenden Entscheidung über die Eignung des Salzstockes für ein Endlager dient.

20

Die Rechtmäßigkeit der Grundabtretung kann auch nicht im nachhinein aufgrund der Ergebnisse der inzwischen durchgeführten Bohrungen, die zum Teil durch die Grundabtretung erst ermöglicht worden sind, angezweifelt werden. Die Grundabtretung, sollte gerade dazu dienen, Klarheit über die Eignung des Salzstockes für die Einrichtung eines Endlagers zu gewinnen. Selbst wenn das Ergebnis der Untersuchung negativ wäre, berührte das die Rechtmäßigkeit der Grundabtretung nicht.

21

Soweit der Antragsteller vorträgt, mit der Aufgabe des integrierten Entsorgungskonzepts sei politisch auch die Einrichtung eines Endlagers gescheitert, so daß nur ein Zwischenlager in Betracht komme, für das die Untersuchungen nicht erforderlich seien, verkennt er die für die Rechtmäßigkeit der Grundabtretung entscheidende Sach- und Rechtslage. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die Entscheidung über das Ob und Wie der Einrichtung eines Endlagers für die nukleare Entsorgung von großer politischer Bedeutung ist. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Grundabtretungsbeschlusses ist aber von den die Grundabtretung regelnden und ermöglichenden gesetzlichen Bestimmungen auszugehen. Danach hat die Antragsgegnerin die ihr im Atomgesetz vom Gesetzgeber zugewiesene Aufgabe, Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle zu errichten und zu betreiben (§ 9 a Abs. 3 Atomgesetz). Angesichts dieses Auftrages des Bundesgesetzgebers und der korrespondierenden Regelung durch den Landesgesetzgeber in § 2 b Abs. 1 Satz 3 ABG, in dem die Anwendung des Bergerechtes und der bergrechtlichen Grundabtretung auf Anlagen und Untersuchungen für Anlagen zur Ablagerung von radioaktiven Stoffen ermöglicht wird und ein öffentliches Interesse für diese Anlage und Untersuchungen fingiert wird, kann nicht die Rede davon sein, daß "politisch" die Schaffung eines Endlagers in ... ausgeschlossen ist.

22

Der Antrag ist deswegen zurückzuweisen.

23

Die Kostentragungspflicht des Antragstellers folgt aus § 161 Abs. 1 BBauG in Verbindung mit § 91 ZPO.

24

Die Kostenentscheidung bezüglich des in der Hauptsache erledigten Antrages der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 1979 folgt aus §§ 161 Abs. 1, 168 Abs. 1 in Verbindung mit § 91 a ZPO. Insoweit muß das beteiligte Oberbergamt die Kosten tragen, weil es durch den Erlaß des Beschlusses über die begehrte vorzeitige Besitzeinweisung die Erledigung der Hauptsache herbeigeführt hat.

25

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 161 BBauG in Verbindung mit §§ 7 c 8 Ziff. 11, 709, 711 ZPO.

Vorsitzender Richter am Landgericht ...
Richterin am Landgericht ...
Richter am Landgericht ...
Richterin am Verwaltungsgericht ...
Richter am Verwaltungsgericht ..