Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.06.2020, Az.: 4 A 654/17

Ausgleichszahlung; Störfall; Verpflichtendes Arbeitszeitkonto

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.06.2020
Aktenzeichen
4 A 654/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71504
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 09.01.2024 - AZ: 5 LB 113/21

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt einen weiteren finanziellen Ausgleich ihres verpflichtenden Arbeitszeitkontos.

Die im E. 1962 geborene Klägerin war Lehrerin für Fachpraxis an einer Berufsschule des Landes Niedersachsen. Zehn Jahre lang, vom Schuljahr 2002/2003 bis einschließlich Schuljahr 2011/2012, leistete sie insgesamt 669 zusätzliche Unterrichtsstunden im Rahmen des verpflichtenden Arbeitszeitkontos. Da sie diese nicht unmittelbar im Anschluss an die sog. Ansparphase, sondern erst ab dem Schuljahr 2013/2014 abbaute, erhielt die Klägerin zusätzlich 10 Prozent der angesparten Stunden, d. h. 66,9 Stunden, gutgeschrieben.

Mit Ablauf des 31.01.2017 wurde die Klägerin wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie 376 angesparte Stunden durch Stundenreduzierung ausgeglichen.

Mit Bescheid vom 24.01.2017 gewährte die Beklagte der Klägerin für 293 Stunden (angesparte Stunden in Höhe von 669 Stunden abzüglich bereits ausgeglichener Stunden in Höhe von 376 Stunden) einen finanziellen Ausgleich. Den Zuschlag von 66,9 Stunden berücksichtigte die Beklagte nicht. Der Bescheid enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Nachdem die Klägerin wegen der Nichtberücksichtigung von 66,9 Stunden Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt hatte, teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie einen Widerspruch für unzulässig halte und verwies die Klägerin auf den Klageweg.

Am 14.12.2017 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor: Da sie nach der Änderung der Arbeitszeitverordnung im Jahr 2008 erst ein Jahr später mit der Ausgleichsphase habe beginnen dürfen, seien ihr weitere 10 Prozent der Mehrstunden gutgeschrieben worden. Mit ihrer Versetzung in den Ruhestand sei ein Störfall eingetreten, bei dem für nicht durch Stundenreduzierung ausgeglichene Stunden ein finanzieller Ausgleich erfolge. Der Entfall des Zuschlags von 10 Prozent sei für Störfälle nicht vorgesehen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24.01.2017 zu verpflichten, der Klägerin für 66,9 Unterrichtsstunden finanziellen Ausgleich nach den Sätzen der Mehrarbeitsvergütung für Beamtinnen und Beamte zu gewähren, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins auf den auszuzahlenden Betrag ab Klagzustellung.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erwidert: Der 10-Prozent-Zuschlag werde von der Ausgleichszahlung nicht erfasst. Der Zuschlag gemäß § 5 Abs. 4 Satz 4 Nds. ArbZVO-Schule habe für Lehrkräfte ein Anreiz sein sollen, die Ausgleichsphase nicht sogleich nach Abschluss der Ansparphase zu beginnen, sondern erst später. Hierdurch habe dem seinerzeit bestehenden Lehrkräftemangel begegnet werden sollen. Der Sinn und Zweck der Regelung werde lediglich dann erfüllt, wenn die Unterrichtsreduzierung noch möglich sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig. Dabei kann offenbleiben, ob gegen den Bescheid vom 24.01.2017 ein Widerspruchsverfahren durchzuführen war. Hielte man den Widerspruch für erforderlich, wäre die Klage als Untätigkeitsklage zulässig. Denn die Klägerin hat den Widerspruch erhoben, ohne dass die Beklagte bislang darüber entschieden hat. Wäre der Widerspruch ausgeschlossen, hätte die Klägerin mit ihrer Klage jedenfalls die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO eingehalten, weil der Bescheid keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt.

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat gemäß § 7 Nds. ArbZVO-Schule i. V. m. § 8 b Abs. 5 Nds. ArbZVO Anspruch auf Geldausgleich für weitere 66,9 Unterrichtsstunden.

Die Klägerin hatte ein verpflichtendes Arbeitszeitkonto i. S. d. § 5 der niedersächsischen Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten an öffentlichen Schulen (Nds. ArbZVO-Schule) zu führen, dem die während einer 10-jährigen Ansparphase geleisteten zusätzlichen Unterrichtsstunden gutgeschrieben wurden und das grundsätzlich durch eine nachfolgende Verringerung der Unterrichtsverpflichtung ausgeglichen werden sollte. Bei – wie hier – dauerhafter Unmöglichkeit des zeitlichen Ausgleichs angesparter Unterrichtsstunden sieht § 7 der zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung geltenden Nds. ArbZVO-Schule i. d. F. der Verordnung vom 07.12.2015 (Nds. GVBl. S. 340) die entsprechende Anwendung des § 8 b Abs. 2 bis 5 der niedersächsischen Arbeitszeitverordnung für die Beamtinnen und Beamten (Nds. ArbZVO) vor. Gemäß § 8 b Abs. 5 der Nds. ArbZVO i. d. F. der Verordnung vom 30.09.2015 (Nds. GVBl. S. 196) erfolgt bei dauerhafter Unmöglichkeit eines Ausgleichs von in der Ansparphase geleisteter Arbeitszeit eine Ausgleichszahlung in Höhe der zum Zeitpunkt des Ausgleichsanspruchs geltenden Sätze der Mehrarbeitsvergütung für Beamtinnen und Beamte.

Hinsichtlich der Anzahl der auszugleichenden Arbeitsstunden trifft die Nds. ArbZVO keine Regelung. Diese ergibt sich vielmehr aus den Regelungen zum Arbeitszeitkonto in § 5 Nds. ArbZVO-Schule.

Danach entspricht die Anzahl der auszugleichenden Unterrichtsstunden den in der Ansparphase geleisteten zusätzlichen Stunden (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nds. ArbZVO-Schule). Hinzu kommt hier ein Zuschlag von 10 Prozent gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nds. ArbZVO-Schule. Nach dieser Vorschrift erhöht sich die Zahl der auszugleichenden Unterrichtsstunden um 10 Prozent für Lehrkräfte, für die nach der vor dem 01.08.2008 geltenden Regelung ein früherer Beginn der Ausgleichsphase vorgesehen war. Die Klägerin hatte mit der Ansparphase vor der Änderung der Arbeitszeitverordnung zum 01.08.2008 begonnen und hätte nach der bis zur Änderung geltenden Regelung mit der Ausgleichsphase zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich am 01.08.2012, unmittelbar im Anschluss an die 10-jährige Ansparphase, beginnen können (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 Nds. ArbZVO-Lehr in der bis zum 31.07.2008 geltenden Fassung). Aufgrund der Neuregelung wurde der Beginn der Ausgleichsphase für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen auf das Schuljahr 2013/2014 verschoben (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Nds. ArbZVO-Lehr in der ab 01.08.2008 geltenden Fassung). Als Ausgleich für die durch die Rechtsänderung um ein bis vier Jahre verschobene Ausgleichsphase erfolgte der Zuschlag in Höhe von 10 Prozent der angesparten Unterrichtsstunden.

§ 5 Abs. 4 Satz 10 Nds. ArbZVO-Schule, nach dem die Erhöhung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nds. ArbZVO-Schule bei Bewilligung einer Ausgleichszahlung entfällt, ist auf die der Klägerin zu gewährende Ausgleichszahlung nicht anwendbar. Die Vorschrift bezieht sich nach der Gesetzessystematik allein auf die Fälle, in denen die Lehrkraft von ihrem Antragsrecht nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Nds. ArbZVO-Schule Gebrauch macht. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Nds. ArbZVO-Schule kann die Beklagte auf Antrag der Lehrkraft eine abweichende Dauer der Ausgleichsphase, einen späteren Beginn der Ausgleichsphase oder eine Ausgleichszahlung bewilligen. Die Ausgleichszahlung wurde, neben der Flexibilisierung der Ausgleichsphase, als Zugeständnis gegenüber den Lehrkräften anlässlich der Verschiebung der Ausgleichsphase im Jahr 2008 eingeführt. Nach der Äußerung der damaligen Kultusministerin in der Landtagsdebatte zur Änderung der Arbeitszeitverordnung sollte denjenigen Lehrkräften, die auf die bisherige Arbeitszeitregelung vertraut hatten, auf Antrag eine „sofortige Rückzahlung“ bewilligt werden. Diejenigen jedoch, die entsprechend der geänderten Verordnung eine Verschiebung der Ausgleichsphase hinnahmen, wurde ein Zuschlag von 10 Prozent der angesparten Unterrichtsstunden gewährt (Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 7. Plenarsitzung am 09.05.2008, S. 674). Aus Vertrauensschutzgründen wurde Lehrkräften, die von der Rechtsänderung betroffen waren, demnach die Möglichkeit eröffnet, zwischen der zeitnahen Ausgleichszahlung und einer Gutschrift von 10 Prozent der angesparten Unterrichtsstunden bei späterem Beginn der Ausgleichsphase zu wählen. Dieses Entweder-oder-Verhältnis erklärt, warum der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nds. ArbZVO-Schule gewährte Zuschlag gemäß § 5 Abs. 4 Satz 10 Nds. ArbZVO-Schule entfällt, wenn eine Ausgleichszahlung bewilligt wird.

Auf die der Klägerin gewährte Ausgleichszahlung sind die Regelungen über die Beantragung und Bewilligung einer Ausgleichszahlung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Nds. ArbZVO-Schule nicht anwendbar. Sie hat weder vor noch nach dem Beginn der Ausgleichsphase einen Antrag auf Ausgleichszahlung anstelle der Stundenreduzierung gestellt. Ihre Ausgleichszahlung ist vielmehr die gesetzliche Folge eines Störfalls in der Ausgleichsphase. § 5 Abs. 4 Satz 10 Nds. ArbZVO-Schule ist deshalb auf ihren Fall nicht anwendbar.

Sinn und Zweck der Regelung stehen dem nicht entgegen. Der Einwand der Beklagten, mit der Regelung des § 5 Abs. 4 Satz 4 Nds. ArbZVO-Schule sei das Ziel verfolgt worden, Lehrkräfte gegen Erhöhung ihres Guthabens zu einem späteren Beginn der Ausgleichsphase zu bewegen, dieses Ziel werde verfehlt, wenn eine Unterrichtsreduzierung unmöglich werde, geht ins Leere. Die Klägerin erhielt den Zuschlag von 10 Prozent der angesparten Unterrichtsstunden nicht aufgrund eines Antrags auf späteren Beginn der Ausgleichsphase gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Nds. ArbZVO-Schule, sondern – wie bereits ausgeführt – gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nds. ArbZVO-Schule, weil ihre Ausgleichsphase aufgrund der Rechtsänderung im Jahr 2008 später begann.

Das Ziel der Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 10 Nds. ArbZVO-Schule, die Lehrkräfte dazu zu bewegen, von einem Antrag auf Ausgleichszahlung abzusehen (und dafür eine Gutschrift von 10 Prozent zu erhalten), ist dagegen erreicht worden und kann einen späteren Entfall des Zuschlags nicht begründen. Die Klägerin begann die Ausgleichsphase entsprechend der nach 2008 anwendbaren Regelung und nahm bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand die Stundenreduzierung in Anspruch. Damit erteilte sie in dem Zeitraum bis zum Schuljahr 2013/2014, in dem die Landesregierung einen besonderen Lehrkräftemangel sah und der Grundlage für die Verschiebung der Ausgleichsphase war, Unterricht mit nicht reduzierter Stundenzahl.

Da eine Rechtsgrundlage für den Entfall des Zuschlags im Falle der Klägerin nicht ersichtlich ist, hat die Klägerin gemäß § 7 Nds. ArbZVO-Schule i. V. m. § 8 b Abs. 5 Nds. ArbZVO Anspruch auf Ausgleichszahlung für weitere 66,9 Stunden. Der Bescheid der Beklagten vom 24.01.2017 ist aufzuheben, soweit er die Gewährung der entsprechenden Ausgleichszahlung (konkludent) versagt.

Die Klägerin kann schließlich auch die geltend gemachten Rechtshängigkeitszinsen verlangen.

Nach den auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften des § 291 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB können Rechtshängigkeitszinsen verlangt werden. Nach § 291 Satz 1 BGB hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an eine Geldschuld zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Geldschuld muss im öffentlichen Recht in der Weise konkretisiert sein, dass ihr Umfang eindeutig bestimmt ist oder rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann. Es darf keine weitere Rechtsanwendung erforderlich sein, um den Geldbetrag zu beziffern. Insofern tritt bereits durch eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Geldforderung deren Rechtshängigkeit ein, wenn die Forderung nur dem Grunde nach streitig ist (OVG Lüneburg, Urteil vom 10.03.2020, - 5 LB 49/18 - juris, m. w. N.). So ist es hier. Die zu gewährende Vergütung der von der Klägerin geltend gemachten 66,9 Arbeitsstunden beträgt unstreitig 17,63 Euro. Der zu verzinsende Geldbetrag ist damit eindeutig bestimmbar. Der tenorierte Beginn der Verzinsung entspricht dem beantragten Datum der Klagezustellung.

Da die Beklagte unterliegt, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor.