Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 03.04.2019, Az.: 8 B 65/19
Dekret; Garantiererklärung; Tarakhel; Zusicherung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 03.04.2019
- Aktenzeichen
- 8 B 65/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69680
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs 1 Nr 1 AsylVfG 1992
- § 34a Abs 1 S 1 AsylVfG 1992
- Art 3 MRK
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Vor einer Abschiebungsanordnung von Familien mit minderjährigen Kindern nach Italien bedarf es derzeit einer Zusicherung der italienischen Behörden an den rücküberstellenden Mitgliedsstaat, dass die Schutzsuchenden bei ihrer Ankunft in Italien in Einrichtungen und unter Bedingungen untergebracht werden, die dem Alter der Kinder entsprechen und dass die Familieneinheit gewahrt wird.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige, reiste am 8. Februar 2019 zusammen mit ihrem fünfjährigen Sohn in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 9. Februar 2019 Asylanträge. Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab sie an, bereits in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben, der dort abgelehnt worden sei. Sie sei schwanger und ihr Sohn habe aufgehört zu sprechen. Dem von ihr vorgelegten Mutterpass ist ein rechnerischer Entbindungstermin am 9. Juli 2019 zu entnehmen. Eine Eurodac Abfrage bestätigte, dass sie bereits in Italien Asyl beantragt hat. Das Bundesamt stellte daraufhin gegenüber den italienischen Behörden am 25. Februar 2019 ein Wiederaufnahmeersuchen, welchem diese am 27. Februar 2019 stattgaben.
Die Antragsgegnerin lehnte daraufhin mit Bescheid vom 27. Februar 2019 die Asylanträge der Antragstellerin und ihres Sohnes als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete ihre Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, dass nach der Dublin III-Verordnung Italien für den Asylantrag der Antragsteller zuständig sei. Auch bestünden keine Abschiebungsverbote, weil in Italien keine systemischen Mängel vorlägen, welche die Vermutung der zuverlässigen Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention in Italien widerlegen würden. Die Schwangerschaft der Antragstellerin stehe ihrer Abschiebung derzeit nicht entgegen und die medizinische Versorgung ihres Sohnes sei auch in Italien gewährleistet.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 11. März 2019 Klage erhoben (8 A 188/19) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt sie aus, dass in Italien die Bedingungen für Familien mit Kindern und schwangere Frauen so schlecht seien, dass ein Abschiebungshindernis anzunehmen sei. Sie selbst sei darüber hinaus an Hepatitis B erkrankt und ihr Sohn leide an einem kontinuierlichen Abbau seiner psychomotorischen Fähigkeiten.
II.
Der gegen die Abschiebungsanordnung gerichtete Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) ist zulässig und begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen das Entfallen der grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO gegebenen aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage - wie hier gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG - durch Bundesgesetz vorgeschriebenen ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass das öffentliche Vollzugsinteresse bereits durch den gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erhebliches Gewicht erhält (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.08.2014 - 9 VR 2.14 -, juris Rn. 3, und Beschl. v. 13.06.2007 - 6 VR 5.07 -, NVwZ 2007, 1207 [1209]; Bay. VGH, Beschl. v. 09.08.2018 - 15 CS 18.1285 -, juris Rn. 33). Insbesondere wenn die mit dem Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, besteht kein Anlass von der gesetzlich bestimmten Regel der sofortigen Vollziehbarkeit abzugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.09.2008 - 7 VR 1.08 -, juris Rn. 6). Ist hingegen die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung offensichtlich, weil sie sich schon bei summarischer Prüfung ergibt, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 06.09.2007 - 5 ME 236/07 -, juris Rn. 11; vgl. zu alledem auch Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 146 ff.).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt das Interesse der Antragstellerin an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer des Hauptsacheverfahrens gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung, da ihre Klage nach der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 05.03.2018 - 1 B 155.17 -, juris Rn. 13 zu OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.10.2017 - 11 A 78/17.A -, juris Rn. 48) bei summarischer Prüfung Aussicht auf Erfolg bietet. Das Bundesamt hat in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids aller Voraussicht nach rechtswidrig die Abschiebung der Antragstellerin angeordnet. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG (i.d.F.v. 31.07.2016). Hiernach ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Ob die Zuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen ist, weil in Italien derzeit für Schutzsuchende in der Situation der Antragstellerin systemische Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen bestehen, kann vorliegend offen bleiben. Denn die Abschiebungsanordnung stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls deshalb als rechtswidrig dar, weil entgegen den Vorgaben des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG derzeit nicht feststeht, dass die Antragstellerin nach Italien abgeschoben werden kann. Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG setzt voraus, dass „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat deshalb in den Fällen, in denen der Schutzsuchende in einem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, vor Erlass einer Abschiebungsanordnung auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen. Damit sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse gemeint (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 -, juris Rn. 11; Nds. OVG, Beschl. v. 30.01.2019 - 10 LA 21/19 -, juris Rn. 10).
Die Abschiebung der Antragstellerin mit ihrem fünfjährigen Sohn ist derzeit rechtlich unmöglich. Denn bei ihrer Abschiebung nach Italien besteht für ihren Sohn die ernsthafte Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung, so dass ihrer Abschiebung § 60 Abs. 5 AufenthG entgegensteht. Zwar sind bei einer Gesamtwürdigung der aktuell vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. BVerfG, Stattg. Kammerbeschl. v. 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, juris Rn. 11) keine hinreichenden Gründe für die Annahme feststellbar, dass Schutzsuchenden bei einer Rückkehr nach Italien generell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund systemischer Mängel im dortigen Asylverfahren oder in den dortigen Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK droht (vgl. Beschl. d. Gerichts v. 15.03.2019 - 8 B 59/19 -, juris Rn. 15). Die Antragstellerin gehört mit ihrem fünfjährigen Kind jedoch zu einem besonders schutzbedürftigen Personenkreis, bei dem nach dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.) eine Abschiebung nach Italien nur zulässig ist, wenn zuvor besondere Garantien von den italienischen Behörden eingeholt worden sind (so auch VG Gelsenkirchen, Urt. v. 22.02.2019 - 1a K 4879/18.A -, juris Rn. 33 ff., 68 ff.; VG Magdeburg, Beschl. v. 09.11.2018 - 2 B 589/18 -, juris Rn. 8; Beschl. d. Gerichts v. 08.10.2018 - 8 B 127/18 -, n.v.; vgl. dazu allgemein auch etwa: Nds. OVG, Urt. v. 04.04.2018 - 10 LB 96/17 -, juris Rn. 89 f.; vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 -, juris Rn. 16; nachfolgende abweichende Entscheidungen des EGMR darstellend: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 07.01.2019 - 13 A 888/18.A -, juris Rn. 14 ff., und VG Magdeburg, Beschl. v. 09.11.2018 - 2 B 589/18 -, juris Rn. 12), was vorliegend (noch) nicht erfolgt ist. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des EGMR bestand in Italien die Gefahr, dass eine erhebliche Zahl von Schutzsuchenden keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht wird (vgl. EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 115). Deshalb und wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern forderte der EGMR eine Zusicherung der italienischen Behörden gegenüber dem rücküberstellenden Mitgliedsstaat, dass die dortigen Beschwerdeführer bei ihrer Ankunft in Italien in Einrichtungen und unter Bedingungen untergebracht werden, die dem Alter des Kindes entsprechen und dass die Familieneinheit gewahrt wird.
Bei Kindern ist - unabhängig davon, ob sie von ihren Eltern begleitet werden - zu berücksichtigen, dass der durch Art. 3 EMRK vermittelte Schutz noch wichtiger ist, weil sie besondere Bedürfnisse haben und extrem verwundbar sind (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 119). Sie haben besondere Bedürfnisse wegen ihres Alters und ihrer Abhängigkeit, aber auch wegen ihres Status als Schutzsuchende (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99). Sie sind grundsätzlich verletzlicher und ihre Bewältigungsmechanismen sind noch unentwickelter (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Kinder neigen zudem mehr dazu, feindselige Situationen als verstörend zu empfinden, Drohungen Glauben zu schenken und von ungewohnten Umständen emotional beeinträchtigt zu werden (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie reagieren auch stärker auf Handlungen, die gegen nahe Verwandte gerichtet sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Was für einen Erwachsenen unbequem ist, kann für ein Kind eine ungebührende Härte darstellen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 98; UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 25). Die Aufnahmebedingungen für minderjährige Schutzsuchende müssen deshalb an ihr Alter angepasst sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche der Kinder entsteht. Anderenfalls wird die Schwere erreicht, die erforderlich ist, um unter das Verbot in Art. 3 EMRK zu fallen (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 119). Bei Minderjährigen wiegt ihre besonders verwundbare Lage schwerer als die Tatsache, dass sie Ausländer mit unrechtmäßigem Aufenthalt sind (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99).
Auch derzeit und damit im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts besteht die Möglichkeit, dass eine erhebliche Anzahl von Schutzsuchenden in der Situation der Antragstellerin mit ihrem fünfjährigen Sohn keine ihren Mindestbedürfnissen entsprechende Unterkunft finden (a.A. VG Hamburg, Beschl. v. 04.03.2019 - 9 AE 5844/18 -, juris Rn. 21 ff.). Insbesondere auch zur Unterkunftssituation für Schutzsuchende in Italien hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. April 2018 (Az. 10 LB 96/17, juris) ausgeführt:
„aa) Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, haben im Rahmen der – möglichen – Fortführung ihres Asylverfahrens einen mit den Vorgaben aus Artikel 17 Abs. 1 i. V. m. Artikel 2 g Aufnahmerichtlinie übereinstimmenden durchsetzbaren Unterkunftsanspruch. Ihnen droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit, weil sie auch faktisch in der Regel einen Zugang zu Wohnraum haben.
Unterkünfte im (staatlichen) Unterkunftssystem stehen Dublin-Rückkehrern nach der Ankunft in hinreichender Zahl zur Verfügung (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017, S. 2):
Laut MÈDECINS SANS FRONTIÈRES („Ärzte ohne Grenzen“ – im Folgenden: MSF –) bestanden am 31. Dezember 2017 für Asylsuchende – einschließlich Dublin-Rückkehrern – und anerkannt Schutzberechtigte insgesamt knapp über 180.000 Plätze zur Verfügung (MSF, Stand: 08.02.2018, „OUT of sight“ – Second edition). Das Bundesamt und Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von insgesamt 175.734 Plätzen aus (Bundesamt, Stand Mai 2017; AIDA 2017: Country Report: Italy, 2016 Update, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, S. 69). Diese verteilen sich auf das in Italien eingerichtete Erst- und Zweitaufnahmesystem zur Unterbringung von Schutzsuchenden einschließlich Dublin-Rückkehrern sowie auf die Notfallzentren CAS („Centri die accoglienza straordinaria“).
Das Erstaufnahmesystem besteht aus den CDA („Centro di accoglienza“) und den „Centri governativi di prima accoglienza“ (ehemals CARA). Diese Erstaufnahmeeinrichtungen verfügen über eine Kapazität von insgesamt 14.694 Plätzen (AIDA 2017: Country Report: Italy, Update 2016, S. 69). Gemäß Gesetzesdekret 142/2015 werden die Erstaufnahmeeinrichtungen durch öffentliche und private Träger betrieben. Insgesamt waren diese Anfang 2017 mit 14.290 Personen belegt (AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 70).
Das SPRAR („Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati“) bildet das Zweitaufnahmesystem mit einer Kapazität von 31.313 Plätzen (Schweizerische Flüchtlingshilfe – im Folgenden: SFH –, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover, S. 1). Bei den SPRAR handelt es sich um eine dezentrale und auf lokaler Ebene organisierte (Zweit-)Unterbringung mit dem Ziel der Teilhabe am kommunalen Leben. Die Unterbringung ist von Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen (Rechtsberatung, Sprachvermittlung, psychosoziale Unterstützung, Taschengeld je nach SPRAR-Projekt zwischen 1,50 Euro/Tag und 3 Euro/Tag) begleitet (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017, S. 1 und 2). Das Zweitaufnahmesystem (SPRAR) besteht zu einem Großteil aus Wohnungen (82 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten im Zweitaufnahmesystem), kleineren Aufnahmeeinrichtungen (12 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten im Zweitaufnahmesystem) und Gemeinschaftshäusern (6 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten im Zweitaufnahmesystem; AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 70). Zum 24. Januar 2017 (noch vor der Erhöhung der Kapazität) waren ca. 25.934 Personen im Zweitaufnahmesystem untergebracht (AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 71). Das SPRAR-System wird als Erfolgsmodell gelobt, das noch weiter ausgebaut werden sollte (Bundesamt, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2). Dies ist im letzten Jahr geschehen, indem Italien die SPRAR-Plätze um 10.000 Plätze auf nunmehr 31.313 Plätze erhöht hat (SFH, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover, S. 1, 2; AIDA 2017: Country Report: Italy, Update 2016, S. 71).
Neben den Unterkünften des Erst- und Zweitaufnahmesystems stehen für Schutzsuchende ferner Notfallzentren, die CAS, zur Aufnahme bereit. Anfang des Jahres 2017 bestand eine Gesamtkapazität von 137.218 Plätzen (AIDA 2017: Country Report: Italy, Update 2016, S. 69). Die Notfallzentren sind nicht nur auf die Erstaufnahme von Schutzsuchenden ausgerichtet, sondern dienen auch im Notfall als Reserve im Rahmen der Zweitaufnahme. Gegenwärtig werden die Notfallzentren zu diesen Zwecken herangezogen (AIDA 2017, Country Report: Italy, Update 2016, S. 71). Sie sind aufgrund der hohen Ankunftszahlen praktisch in das normale Aufnahmesystem integriert und haben somit ihren Charakter als Notfallzentren verloren. Bis Ende des Jahres 2016 waren 75 Prozent der Schutzsuchenden in solchen Notfallzentren untergebracht (AIDA 2017, Country Report: Italy, Update 2016, S. 72). Laut MSF sind dort derzeit mehr als 150.000 Migranten untergebracht (MSF, Stand: 08.02.2018). In den Notfallzentren erfolgt eine Versorgung und Unterstützung durch Nahrung, Taschengeld bzw. Gutscheine in Höhe von 2,50 Euro/Tag (bis zu 7,50 Euro/Tag für Familien), Gesundheitsversorgung, Hygieneartikel, Telefonkarte und Asylberatung (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017).
Werden die für die einzelnen Unterkunftsarten ausgewiesenen Unterkunftskapazitäten (14.694 Plätze in den CDA, 31.313 Plätze in den SPRAR und 137.218 Plätze in den CAS) zusammengezählt, ergibt sich eine Gesamtkapazität von 183.225 Plätzen im (staatlichen) Unterkunftssystem. Nach den oben wiedergegebenen Angaben von MSF sind aber in den Notfallzentren tatsächlich mehr Personen untergebracht, nämlich mehr als 150.000 Migranten, während das Erstaufnahmesystem mit 14.290 Personen jedenfalls Anfang 2017 nicht vollständig ausgelastet war. Ausgehend von diesen tatsächlichen Belegungszahlen lebten im Jahr 2017 195.603 Personen im (staatlichen) Unterkunftssystem. Dies stimmt nahezu überein mit den Angaben im Integrationsplan von Oktober 2017 (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 12). Danach lebten am 31. August 2017 196.285 Menschen im Aufnahmesystem („were present in the national migrants reception system“).
Aus diesen Zahlen ergibt sich zwar eine gewisse Überbelegung im (staatlichen) Unterkunftssystem im Umfang von ca. 13.000 Personen. Aus dieser im Vergleich zu der Gesamtkapazität des staatlichen Unterkunftssystems relativ geringen Zahl kann jedoch nach Auffassung des Senats keineswegs auf systemische Mängel in den Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer geschlossen werden.
Auch wenn die Zahl der im Asylverfahren befindlichen Migranten in den Blick genommen wird, ist ein evidentes Missverhältnis zwischen den vorhandenen Unterkunftskapazitäten von über 182.000 Plätzen (im Jahr 2017) zu den benötigten Kapazitäten nicht feststellbar (a.A. VG Hannover, Urteil vom 03.01.2018 – 10 A 8593/17 –, S. 6 ff. des Urteilsabdrucks, V.n.b.). Ausgehend davon, dass die Mindestanforderungen des Artikel 3 EMRK und Artikel 4 EUGrCh nur für diejenigen gelten, die in Italien überhaupt einen Asylantrag stellen und somit das italienische Asylsystem in Anspruch nehmen, kommt es nicht auf die Anzahl der tatsächlich „eingereisten“ Migranten an. Denn für die nach Italien Einreisenden, die ohne Asylantragstellung illegal in Italien verweilen oder direkt in andere EU-Mitgliedsstaaten weiterreisen, besteht kein Anspruch auf einen Unterkunftsplatz. Vielmehr ist der Bedarf an Unterkunftsplätzen anhand der im Asylverfahren befindlichen Migranten zu ermitteln. Dafür ist von der Anzahl der Asylanträge die Anzahl der abgeschlossenen Asylverfahren abzuziehen. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften – im Folgenden: Eurostat – sind im Jahr 2013 26.620 Asylanträge, im Jahr 2014 64.625 Asylanträge, im Jahr 2015 83.540 Asylanträge und im Jahr 2016 122.960 Asylanträge gestellt worden, d.h. insgesamt 297.745 Asylanträge. Davon sind die im Zeitraum 2013 bis 2016 in Italien anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten abzuziehen, um die Anzahl der derzeit noch im Asylverfahren befindlichen Migranten ermitteln zu können. Laut Eurostat hat Italien 2013 insgesamt 23.565 Flüchtlinge, 2014 insgesamt 35.180 Flüchtlinge, 2015 insgesamt 71.345 Flüchtlinge und 2016 89.875 Flüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberechtigte anerkannt, d.h. im gesamten Zeitraum 219.965 Schutzberechtigte. Dies ergibt einen Bedarf an 77.780 Plätzen zuzüglich der im Jahr 2017 gestellten und noch laufenden Asylverfahren. Nach Eurostat sind im Jahr 2017 insgesamt 128.855 Asylanträge gestellt und 78.235 Asylverfahren abgeschlossen worden (Eurostat, First instance decisions on applications by citizenship, age and sex Annual aggregated data -rounded-, Stand: 02/2018; Eurostat, Asylum and first time asylum applicants - monthly data -rounded-), so dass noch 50.620 Asylverfahren im Jahr 2017 offen sind. Das ergibt eine Gesamtzahl an noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren von etwa 128.400. Auch wenn bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs an Unterkunftsplätzen noch die unbekannte Zahl von anerkannten Schutzberechtigten, die noch für 6 Monate einen Anspruch auf Unterbringung im SPRAR haben (SFH, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover), hinzuzurechnen ist – nach dem oben genannten Integrationsplan von Oktober 2017 lebten am 31. August 2017 insgesamt 196.285 Menschen im Aufnahmesystem –, springt auch auf dieser Berechnungsgrundlage ein evidenter Kapazitätsengpass jedenfalls nicht ins Auge.
Der Integrationsplan weist ferner noch darauf hin, „es ist wichtig zu berücksichtigen, dass in den vergangenen Monaten weniger Migranten eingereist sind“ (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 12). Auch aus der Presseberichterstattung über die Unterbringung von Schutzsuchenden ab August 2017 ergibt sich ein deutlicher Rückgang der Flüchtlingszahlen in den letzten Monaten, die zu einer Entspannung der Unterbringungslage in Italien führen könnte. Folgendes führt bspw. die „Süddeutsche Zeitung“ aus (Süddeutsche Zeitung, Meiler, „Wo sind sie?“, 16.08.2017):
„Zero, null. Es gibt nun plötzlich Tage, da kommen keine neuen Flüchtlinge an in den Häfen von Sizilien, Kalabrien und Kampanien. Gar keine. Es sind Tage ohne Bilder von müden, aber glücklichen Menschen zumeist aus dem Westen Afrikas und aus Bangladesch, die ihre gefährliche Reise übers zentrale Mittelmeer nach Italien, dieses letzte Wegstück in ein neues Leben, überstanden haben und eingehüllt in goldene Schutzfolie aus Aluminium von Bord geführt werden. Im August gab es bisher schon fünf solcher Tage, es waren die ersten seit Beginn des Jahres. In den vergangenen zwei Monaten ist die Zahl der Neuankömmlinge dermaßen markant zurückgegangen, dass Italiens Medien bereits von einer Trendwende sprechen und sie mit bunten Grafiken illustrieren. Alle Kurven zeigen nach unten. Die Zahlen dazu stammen vom italienischen Innenministerium und vom europäischen Grenzschutzkorps Frontex und stimmen überein. Im Juli kamen demnach 10423 Flüchtlinge über das zentrale Mittelmeer nach Italien, das sind weniger als halb so viele wie ein Jahr zuvor. Im August ist die Abnahme noch deutlicher: Bis Montag zählten die Italiener nur 2080 Ankünfte, während es vor einem Jahr im selben Zeitraum 21294 gewesen waren. Minus 90 Prozent. Natürlich könnte man denken, der Rückgang sei ein Zufall, zum Beispiel dem schlechten Wetter geschuldet oder einer zwischenzeitlichen Organisationsschwäche der lybischen Schleuserbanden. Und vielleicht nehmen der Zahlen auch sehr bald wieder zu. Doch da die Trendwende im Sommer eingesetzt hat, wenn die See ruhiger und die Zahl der Überfahrten normalerweise besonders hoch ist, werden andere Erklärungen herangezogen. Sie sind umso interessanter, als 2017 als Rekordjahr angekündigt worden war. Bisher hieß es immer, man erwarte weit mehr als 200.000 Migranten. Nun ist sogar möglich, dass in diesem Jahr insgesamt weniger Flüchtlinge Italien erreichen werden als 2016. Derzeit, Stand 14. August, sind es 4,5 Prozent weniger.“
Die darin beschriebene deutliche Verringerung der Ankunftszahlen in den letzten Monaten wird durch die Angaben des italienischen Innenministeriums bestätigt. Die online-Zeitung „derStandard.de“ berichtet, dass im Januar und Februar 2018 insgesamt 4.731 Migranten über das Meer eingetroffen seien. Das seien 49,9 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2017. Es handele sich um Zahlen des italienischen Innenministeriums (https://www.derstandard.de/story/2000074198813/fluechtlinge-50-prozent-weniger-ankuenfte-in-italien-im-jahr-2018). Der UNHCR berichtet, dass bis zum 12. März 2018 5.939 Personen über das Mittelmeer gekommen seien (UNHCR, http://data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean). Im Januar seien 4.190 Personen über das Meer in Italien angekommen (UNHCR, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/62184). Diese Zahlen sind jeweils deutlich rückläufig im Vergleich zu den Vorjahren. Unter Berücksichtigung dieser Entwicklung geht der Bedarf an Unterbringungsplätzen daher tendenziell zurück.
Doch selbst wenn man unterstellt, die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern reichten derzeit oder in naher Zukunft nicht aus, ergäbe sich daraus nach Auffassung des erkennenden Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Verletzung der Rechte aus Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK überschreitendes Versagen des Staates. Denn diese Rechte verpflichten die Staaten weder, eine absolut bestimmbare Mindestanzahl von Unterkünften zur Verfügung zu stellen, noch dazu, rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten im Umfang einer "Spitzenbelastung" vorzuhalten (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 – 13 A 569/16.A –, juris Rn. 90).
Nach den vorliegenden Erkenntnissen reagiert Italien jedenfalls inzwischen flexibel auf den Zustrom. Das System ist durch die kurze Auftragsdauer für die temporären CAS-Zentren (Ausschreibung alle sechs Monate) sehr flexibel in Bezug auf Schwankungen. Ferner waren unter dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU verschiedene Projekte ausgeschrieben, die auch die Unterbringung von Asylbewerbern umfassten. Vor allem hat der italienische Staat die Zahl der Unterkunftsplätze im (staatlichen) Unterkunftssystem in den Jahren von 2015 bis 2017 erheblich erhöht, nämlich nahezu verdreifacht. Denn Ende Februar 2015 waren lediglich 67.128 Plätze vorhanden, davon 9.504 im Erstaufnahmesystem, 20.596 im SPRAR-System und 37.028 in den Notfallzentren (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 23.04.2015, Anfragebeantwortung an VG Schwerin, S. 2; Auswärtiges Amt vom 25.03.2015, Anfragebeantwortung an VG Schwerin, S. 2), nunmehr bestehen 183.225 Plätze im Unterkunftssystem.
Hiervon ausgehend ist die – nach den oben dargestellten neueren Zahlen ohnehin nicht begründete – Erwartung, dass künftig zunehmend mehr Flüchtlinge den Weg über das Mittelmeer suchen und in Italien die Grenze zur EU überschreiten werden, nicht ausreichend, um systemische Mängel anzunehmen. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn – was hier nicht der Fall ist – absehbar wäre, dass auf eine erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffen würden und der italienische Staat mit Gleichgültigkeit die Obdachlosigkeit eines erheblichen Teils der Migranten hinnimmt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 – 13 A 569/16.A –, juris Rn. 90 ff.; vgl. auch VG München, Beschluss vom 07.11.2017 – M 9 S 17.52825 –, juris Rn. 39;).
Systemische Mängel, die eine Verletzung der Rechte aus Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK begründen könnten, ergeben sich auch nicht aus der Situation, die Asylsuchende bei ihrer Rückkehr nach Italien konkret zu erwarten haben:
Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich allein gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. So gibt es Berichte, dass alleinstehende Dublin-Rückkehrer oder Dublin-Rückkehrer, die ohne Garantien nach Italien überstellt wurden, in den meisten Fällen keine Unterstützung von den Organisationen am Flughafen erhielten und sich mindestens die erste Zeit ohne Unterkunft durchschlagen mussten (SFH, E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover). Auch gibt es Berichte, wonach Dublin-Rückkehrer zumindest nicht in allen Fällen eine staatliche Unterkunft erhielten. The inside story on emergencies (im Folgenden: IRIN) berichtet von einem aus Deutschland überstellten, verletzten und behandlungsbedürftigen Syrer, dem Polizisten bei der Ankunft in Mailand gesagt hätten, er solle auf der Straße schlafen. Auch ein aus Frankreich überstellter palästinensischer Flüchtling, der „einfach auf der Straße gelassen“ worden sei, wird in dem Bericht erwähnt. Ein solches Verhalten der Polizei gegenüber Rückkehrern sei nicht ungewöhnlich. Es sei im Wesentlichen Glückssache, ob und wie viel Unterstützung Rückkehrer erhielten (IRIN, 11/2017, „How a fingerprint can change asylum seeker`s life“). Die Zeitung „Zeit“ berichtet ebenfalls von einem rückgeführten Asylbewerber, der anschließend auf der Straße lebte (Zeit Online, „An der Grenze des Rechts“, 08.10.2017). Von den vulnerablen Dublin-Rückkehrern, die Dutch Council for Frefugees (im Folgenden: DRF) und SFH für einen Bericht beobachteten, wurde keiner nach der Ankunft unmittelbar in ein SPRAR geschickt. Die Behandlung nach Ankunft sei als willkürlich empfunden worden. In vielen Fällen sei erst durch das Eingreifen der genannten Organisationen überhaupt eine Unterkunft zur Verfügung gestellt worden (SFH/DRC, „Is Mutual Trust Enough? The situation of persons with special reception needs upon return to Italy“, 09.02.2017, S. 22). Im Ergebnis sind diese Berichte aber nicht verallgemeinerungsfähig, sondern belegen allein, dass Dublin-Rückkehrer in Einzelfällen von Obdachlosigkeit bedroht sind. Dies wird dadurch bestätigt, dass nur wenige obdachlose Dublin-Rückkehrer auf der Straße angetroffen werden (SFH, Länderinformation Italien, August 2016, S. 29). Dabei übersieht der Senat nicht, dass in Italien insgesamt relativ viele Migranten auf der Straße oder in besetzten Häusern unter teils sehr schlechten Bedingungen leben (siehe z. B. IRIN, „No home for refugees in Rome. Italy`s policies appear designed to deter asylum seekers but most have nowhere else to go“, 10.11.2017). Genaue Zahlen scheinen hierzu jedoch nicht verfügbar zu sein. Weder die SFH noch der UNHCR haben Kenntnis über die Zahl obdachloser Schutzberechtigter (SFH, Anlage vom 31.07.2017 zur E-Mail vom 12.09.2017 an das VG Hannover, S. 5). Nach Schätzung der MSF gibt es mindestens 10.000 obdachlose Menschen unter den internationalen und humanitären Schutzgenehmigungsinhabern und Antragstellern, die nur begrenzten oder keinen Zugang zu grundlegenden Gütern und medizinischer
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auch außerhalb der staatlichen Einrichtungen Unterkunftsmöglichkeiten bestehen. Nichtregierungsorganisationen (im Folgenden: NGOs) und Freiwillige betreuen teilweise informelle Unterkünfte, z. B. Zelte (IRIN 11/2017, Fingerprint). Diverse NGOs bieten Notschlafstellen an (Bundesamt, Stand: Mai 2017, S. 2). Für anerkannte Asylbewerber ohne Unterkunft bieten namentlich Organisationen wie die Caritas, Suore Missionarie della Carità, Centro Astalli, Stranieri in Italia, Opere Antoniane, Comunità di Sant‘Egidio oder Consiglio Italiano per i Rifugiati Unterstützung an (Auswärtiges Amt – im Folgenden: AA –, Anfragebeantwortung an OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516.80/48651). Auch viele religiöse Einrichtungen betreiben Unterbringungseinrichtungen und verteilen Kleidung und Nahrung (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 21). Die SFH gibt zu Schlafplätzen von NGOs und Kirchen zu bedenken, dass diese erstens größtenteils bereits Teil des staatlichen Systems seien, womit sie auch den dortigen Vorgaben unterlägen, und nicht zusätzlich dazu bestünden. Zweitens stünden sie allen Bedürftigen zur Verfügung, nämlich nicht nur Schutzsuchenden oder -berechtigten, sondern auch Personen, die keinen Asylantrag stellen, oder italienischen Obdachlosen. Es handele sich daher um wenige Plätze (SFH, Länderinformation Italien, August 2016, S. 16).
Aus dem Vorstehenden kann zwar geschlossen werden, dass die Unterkunftssituation teilweise schwierig ist und ein im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Migranten eher kleiner Teil tatsächlich obdachlos ist bzw. in besetzten Häusern lebt. Diese Erkenntnisse rechtfertigen aber noch nicht die Annahme von systemischen Mängeln, die eine Verletzung der Rechte aus Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK begründen könnten.
Ebenso wenig lassen die Aufnahmebedingungen in den (staatlichen) Aufnahmezentren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit systemische Mängel erkennen:
Dublin-Rückkehrer - wie der Kläger - werden meist in einem Erstaufnahme- oder Notfallzentrum untergebracht, wobei auch die Unterbringung im Zweitaufnahmesystem SPRAR oder in sonstigen Gemeindeunterkünften möglich ist. Da Dublin-Rückkehrer lediglich einen kleinen Teil der insgesamt in Italien ankommenden Schutzsuchenden ausmachen, fehlt ein festgelegtes, einheitliches Vorgehen für die (Wieder-)Aufnahme ins System. Nach den Angaben der SFH kann dies ein Grund dafür sein, weshalb die Behandlung von Dublin-Rückkehrern variiert und die Aussagen ihrer „Interviewpartner und -partnerinnen“ weder untereinander noch mit den konkreten Erfahrungen von Personen, die unter der Dublin-Verordnung nach Italien transferiert wurden, übereinstimmen. Dublin-Rückkehrende stellen danach einen Sonderfall im italienischen Aufnahmesystem dar (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 13, 28).
Ausweislich des Berichts über die Fact-Finding-Mission einer Delegation des Europarats im Oktober 2016 stellen sich die Bedingungen in den vier besuchten Erstaufnahmeeinrichtungen als passabel dar. Die Delegation besuchte auch eine SPRAR-Einrichtung in Rom, die einen positiven Eindruck in Hinblick auf die materiellen Bedingungen und den guten Willen der dortigen Verantwortlichen hinterließ (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017; Report of the fact-finding mission to Italy by Ambassador Tomáš Boček, Special Representative of the Secretary General on migration and refugees, 16-21 October 2016).
Die CAS (Notfallzentren) werden von verschiedenen Institutionen geführt, unter anderem von Gemeinden, Privatorganisationen oder auch von NGOs. Der Leitung fehlt vielfach die Erfahrung im Asylbereich. Viele dieser Strukturen sind sehr abgelegen, überfüllt und ungeeignet. Zudem wird von sehr niedrigen sanitären Standards berichtet. Aufgrund des enormen Anstiegs an Zentren und des stetigen Wechsels durch die regelmäßigen Ausschreibungen ist das Personal oft unqualifiziert und/oder überarbeitet (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 31). Zudem ist Erkenntnismitteln aus dem Jahr 2016 zu entnehmen, dass einige Notfallzentren im Hinblick auf Hygiene und Sicherheit noch hinter den Standards im Erstaufnahmesystem zurückbleiben (Cona [Venedig], Piano Torre di Isnello [Palermo], Telese [Kampanien], Montalto Uffugo [Kalabrien]). In Telese sind heißes Wasser und Elektrizität nur zeitweise verfügbar. Allerdings gibt es auch positive Beispiele unter den CAS wie in Trieste, die den Standard der Erstaufnahmeeinrichtungen übertreffen und die Standards der SPRAR erreichen (vgl. dazu AIDA, Country Report: Italy, Update 2016, S. 75, 76). Auch insofern ist ferner zu berücksichtigen, dass Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK die Staaten nicht verpflichten, für "Spitzenbelastungen" Kapazitäten vorzuhalten (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2016 – 13 A 569/16.A –, juris Rn. 90) und es daher durchaus auch zu Engpässen bei der Qualität der Unterbringung kommen kann, ohne dass daraus sogleich eine Verletzung von Artikel 4 EUGrCh und Artikel 3 EMRK folgt, zumal Italien nach den obigen Feststellungen flexibel auf den Zustrom reagiert und die Zahl der Unterkunftsplätze im (staatlichen) Unterkunftssystem – wie oben ausgeführt – in den letzten Jahren erheblich erhöht hat.
Auch das Unterbringungsverfahren für Dublin-Rückkehrer als solches weist keine systemischen Mängel auf:
Zur Durchsetzung ihres Unterkunftsanspruchs müssen Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, wieder in die für ihr Asylverfahren zuständige Questura reisen. Dafür händigt die Polizei ihnen am Flughafen eine Einladung aus, in der die Information enthalten ist, welche Questura dies ist (Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Bundesrepublik Österreich – im Folgenden: BFA –, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien, 03/2017, S. 33). Das Zugticket stellt in der Regel eine Flughafen-NGO zur Verfügung (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28).
Ein abweichendes Verfahren gilt, wenn der Betroffene beim vorherigen Aufenthalt in Italien die ihm zugewiesene Unterkunft nicht in Anspruch genommen oder die Unterkunft ohne Meldung verlassen hat. In letzterem Falle wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen, so dass der Anspruch auf eine Unterkunft verloren geht. Die Unterbringung kann aber neu beantragt werden (AA, Anfragebeantwortung an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516.80/48651), um in das Unterbringungssystem wieder aufgenommen zu werden. Dazu muss ein Termin bei der Questura vereinbart werden, bei dem die Gründe für das Verlassen des Zentrums zu erklären sind. Die Questura entscheidet dann, ob die Person wiederaufgenommen wird. Bis zur Entscheidung hat die Person keinen Zugang zu staatlicher Unterbringung. Bei einer Ablehnung gibt es keine staatliche Unterbringungsalternative. Sofern eine Person wiederaufgenommen wird, wird sie im Falle von Platzmangel auf den letzten Platz der Warteliste gesetzt (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28 f.). Wurde eine Person bereits einmal im SPRAR-System aufgenommen und hat dieses wieder verlassen, gibt es keine Möglichkeit, dort wieder aufgenommen zu werden, es sei denn, es wird neue Vulnerabilität vorgebracht und ein Antrag beim Innenministerium gestellt (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 36). Rücküberstellte haben dann Zugang zum SPRAR, wenn sie die maximale Aufenthaltsdauer zuvor noch nicht ausgeschöpft haben und ein Platz frei ist. Die maximale Aufenthaltsdauer reicht bis zur Entscheidung über den Asylantrag plus sechs Monate nach Zuerkennung des Schutzstatus oder plus ein Jahr bei Vulnerabilität (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 39). Soweit es nach dem Gesagten in bestimmten Fällen zu einem Verlust des Unterkunftsanspruchs kommen kann, ergibt sich daraus kein Verstoß gegen Artikel 3 EMRK. Denn der italienische Staat kann den Unterkunftsanspruch zulässigerweise an bestimmte – von dem Asylsuchenden erfüllbare – Voraussetzungen knüpfen, bei deren Nichteinhaltung kein Anspruch auf Unterbringung in einer staatlichen Unterkunft mehr besteht. Diese Einschränkung oder Entziehung des Unterkunftsanspruchs steht im Einklang mit der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013. Gemäß Artikel 20 Abs. 1 Satz 1 a) i.V.m. Artikel 18 Aufnahmerichtlinie kann der italienische Staat die Unterkunft als materielle Leistung in dem Fall, dass der bestimmte Aufenthaltsort ohne Unterrichtung oder erforderliche Genehmigung verlassen wird, einschränken oder entziehen. Meldet sich der Asylsuchende bei der zuständigen Behörde hat diese gemäß Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 Aufnahmerichtlinie unter Berücksichtigung der Motive des Untertauchens eine ordnungsgemäß begründete Entscheidung über die erneute Gewährung einiger oder aller im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen zu treffen, die entzogen oder eingeschränkt worden sind. Die Entscheidung über diese „Sanktion“ hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen; in jedem Fall ist aber der Zugang zur medizinischen Versorgung zu gewährleisten (Artikel 20 Abs. 5 Sätze 2 und 3 Aufnahmerichtlinie). Gegen diese Entscheidung stehen dem Schutzsuchenden ferner Rechtsbehelfe nach Artikel 26 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie zu, insbesondere hat er gemäß Absatz 2 dieses Artikels einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung.
Die im Bereich der Unterkunftsversorgung aufgezeigten Mängel und Defizite sind demnach weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen Italiens festgestellt werden kann, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Artikel 3 EMRK oder Artikel 4 EUGrCh mit dem dafür notwendigen Schweregrad zur Folge hätte.
[…]
cc) Auch die Versorgung mit den übrigen zum Lebensunterhalt notwendigen Leistungen weist für Dublin Rückkehrer keine systemischen Mängel auf:
Den Vorgaben gemäß Artikel 17 Abs. 1 i.V.m. Artikel 2 g) und Artikel 18 der Aufnahmerichtlinie entsprechend erfolgt die Versorgung mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und dem sonstigen Bedarf des täglichen Lebens für Dublin-Rückkehrer im Grundsatz über die Unterbringungseinrichtungen. Denn Dublin-Rückkehrer, die nach ihrer Rückkehr in Unterbringungseinrichtungen untergebracht sind, werden für die Dauer ihres Aufenthalts dort versorgt. In den SPRAR-Unterkünften werden neben Lebensmitteln auch Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen (Rechtsberatung, Sprachvermittlung, psychosoziale Unterstützung) angeboten und ein Taschengeld je nach SPRAR-Projekt zwischen 1,50 Euro/Tag und 3 Euro/Tag ausgezahlt (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017, S. 1 und 2). In den CAS-Unterkünften werden neben den Lebensmitteln auch Hygieneartikel, Telefonkarten und Asylberatung zur Verfügung gestellt. Ferner wird ein Taschengeld bzw. Gutschein in Höhe von 2,50 Euro/Tag (bis zu 7,50 Euro/Tag für Familien) gewährt (Bundesamt, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017).
Soweit Migranten in bestimmten Fällen ihren Unterkunftsanspruch verloren bzw. aus anderen Gründen keinen Platz in einer Unterkunft gefunden haben, obdachlos sind und keine Lebensmittel durch staatliche Stellen und die Unterbringungseinrichtungen erhalten, begründet dies aus den oben genannten Gründen keine systemischen Mängel in den Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer, die mit einer Verletzung von Artikel 3 EMRK oder Artikel 4 EUGrCh einhergehen. Im Übrigen gibt es in diesen Fällen Hilfe durch religiöse Gemeinschaften, karitative Organisationen und Suppenküchen, die Nahrungsmittel verteilen (SFH 08/2017, S. 48).
dd) Abgesehen davon, dass nach den obigen Ausführungen die Eingriffsschwelle von Artikel 3 EMRK oder Artikel 4 EUGrCh weder im Hinblick auf das Asylverfahren und die Unterkunftssituation noch bezüglich der medizinischen Versorgung und der Bereitstellung der übrigen materiellen Leistungen überschritten ist, ist eine Verletzung dieser Rechte bzw. die Annahme systemischer Mängel auch deshalb zu verneinen, weil der italienische Staat auf die Situation der Asylbewerber und anerkannten Schutzberechtigten nicht mit Gleichgültigkeit, sondern mit durchaus effektiven Maßnahmen reagiert.
Denn zum einen hat er die Zahl der Unterkunftsplätze im staatlichen Unterkunftssystem in den letzten Jahren erheblich erhöht. Ende Februar 2015 waren lediglich 67.128 Plätze vorhanden, davon 9.504 im Erstaufnahmesystem, 20.596 im SPRAR-System und 37.028 in den Notfallzentren (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Anfragebeantwortung an VG Schwerin vom 23.04.2015, Seite 2; Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an VG Schwerin vom 25.03.2015, Seite 2). Ausgehend von den oben genannten 183.225 im Jahr 2017 vorhanden gewesenen Unterkunftsplätzen bedeutet dies nahezu eine Verdreifachung der Unterkunftskapazitäten in nur 2 bis 2 ½ Jahren.
Zum anderen hat Italien im Oktober 2017 einen Nationalen Integrationsplan erlassen. Der Plan wird durch EU-Gelder finanziert und wurde mithilfe verschiedener lokaler Regierungen und NGOs entwickelt (The Local, „Italy launches forst official migrant integration plan: Five Things you need to know“, 27.09.2017).
Der Plan beinhaltet eine Verpflichtung anerkannter Schutzberechtigter zu italienischen Werten (Verfassung), Rechten und zum Erlernen der italienischen Sprache, inklusive spezieller Hilfen für Analphabeten, die Aufnahme anerkannter Schutzberechtigter in regionale Notfallunterkünfte nach Verlassen der Aufnahmezentren, Unterstützung bei der Arbeitssuche und eine Bekräftigung des Rechts auf Zugang zum Gesundheitssystem.
Nach diesem Plan ist Italien bestrebt, das CAS-System weitestgehend in das SPRAR-System zu überführen, um effektive nationale Integration zu ermöglichen (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, http://www.interno.gov.it/sites/default/files/piano_nazionale_integrazione_eng.pdf, S. 17). Ziel ist die volle Ausführung der Übereinkunft zwischen der Zentralregierung und den Regionen von 2014. Es soll das Aufnahmesystem stärker in Richtung Integration orientiert und das Level der Dienstleistungen in den CAS erhöht werden, indem sofort Wege zur Integration eröffnet und bestehende Wege unterstützt werden (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 17).
Ferner möchte Italien laut dem Nationalen Integrationsplan eine vollständige Umsetzung der Übereinkunft zwischen der Zentralregierung und den Regionen zur Gesundheit von Migranten aus dem Jahre 2012 erreichen, wobei der Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst verbessert werden soll. Es soll eine Überwachung auf nationaler und regionaler Ebene erfolgen, ob die Vereinbarung aus dem Jahre 2012 umgesetzt wird, indem die Planung der Gesundheitsversorgung auf lokaler Ebene evaluiert wird. Im Übrigen ist geplant, die Organisationen und das Angebot im Bereich der Gesundheitsversorgung zu stärken, indem spezifische Wege für jede Krankheit aufgezeigt werden, besonders auch für psychiatrische Fälle und PTBS. Die Zahl kostenloser Dienste soll angepasst und Präventionsprogramme mit Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen und für die Gesundheit von Mutter und Kind sollen gestärkt werden (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 25).
Des Weiteren will Italien Anreize für Sprachkurse schaffen, die außerhalb der Unterbringungseinrichtungen angeboten werden. Zu diesem Zweck sollen Sprachkurse mit Lehrern zur Verfügung gestellt werden, die spezialisiert sind und interaktive und experimentelle Methoden nutzen (Nationaler Integrationsplan, „FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 22). Ziel ist es, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um Zugang zu sekundärer und höherer Bildung zu ermöglichen und die Anerkennung vorheriger Kompetenzen und Abschlüsse zu garantieren (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 23).“
Nach diesen Ausführungen, denen das Gericht folgt, droht Dublin-Rückkehren im Hinblick auf die Unterkunftssituation zwar nicht generell eine Art. 3 EMRK verletzende Behandlung. Jedoch folgt aus diesen Erkenntnissen auch nicht, dass eine Unterbringung von Familien mit Kindern, an die erhöhte Anforderungen zu stellen sind, entsprechend ihrem besonderen Schutzbedürfnis gewährleistet ist. Vielmehr besteht danach auch die Möglichkeit, dass Familien mit Kindern nach ihrer Rückkehr unter ihren Anforderungen nicht genügenden Bedingungen untergebracht werden oder sogar (zumindest zunächst) obdachlos werden (vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urt. v. 22.02.2019 - 1a K 4879/18.A -, juris Rn. 44; anders: VG Hamburg, Beschl. v. 04.03.2019 - 9 AE 5844/18 -, juris Rn. 23). Soweit die Lage der Familien in diesen Fällen auf einer grundsätzlich keine systemische Schwachstelle darstellenden Sanktionierung (etwa wegen des ungenehmigten Verlassens Italiens) beruht, ist bei Minderjährigen - wie oben bereits ausgeführt - zu beachten, dass ihre besonders verwundbare Lage schwerer wiegt, als die Tatsache, dass sie Ausländer mit unrechtmäßigem Aufenthalt sind (vgl. EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 99). Dies muss auch gelten, wenn sie bzw. ihre Eltern mit ihnen ihren bisherigen Aufenthaltsort ohne Genehmigung verlassen haben.
Zwar haben die italienischen Behörden als Reaktion auf die Entscheidung des EGMR vom 4. November 2014 (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 07.01.2019 - 13 A 888/18.A -, juris Rn. 14) am 8. Juni 2015 eine allgemeine Garantieerklärung für die Berücksichtigung der Belange von Familien mit minderjährigen Kindern abgegeben, für die danach 161 Plätze in SPRAR Einrichtungen vorgesehen sind, der mitunter entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 07.01.2019 - 13 A 888/18.A -, juris Rn. 18; vormals als ausreichend erachtet etwa: VG Stade, Beschl. v. 26.10.2018 - 1 B 2047/18 -, juris Rn. 15 ff.). Diese ist jedoch nach summarischer Beurteilung und Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in Italien nicht (mehr) ausreichend. Denn die für Familien mit Kindern vorgesehenen Plätze wurden in der Folgezeit bis zum Juli 2018 auf lediglich mehr 79 Plätze reduziert (vgl. die „Circular Letter“ v. 15.02.2016 und 12.10.2016, abrufbar unter https://www.asylumlawdatabase.eu/en/content/circular-letter-italian-ministry-interior-all-dublin-units, und Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Staatendokumentation Italien, v. 26.02.2019, S. 23 (im Folgenden: Staatendokumentation Februar 2019)) und, viel schwerwiegender, nach dem am 5. Oktober 2018 in Kraft getretenen „Decreto Legge“ des italienischen Innenministers Matteo Salvini ist eine Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kinder in diesen SPRAR Einrichtungen gerade nicht mehr vorgesehen (vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urt. v. 22.02.2019 - 1a K 4879/18.A -, juris Rn. 61 ff.; VG Magdeburg, Beschl. v. 09.11.2018 - 2 B 589/18 -, juris Rn. 16). Nach dem Dekret werden in SPRAR- bzw. nunmehr sog. SIPROIMI Einrichtungen als sekundäre Aufnahmeeinrichtungen nur noch anerkannte Schutzsuchende und unbegleitete Minderjährige untergebracht und Maßnahmen zur Integration sollen auch nur diesen Gruppen zur Verfügung stehen (Staatendokumentation Februar 2019, S. 7). Andere Schutzsuchende, die nicht unter die Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen und der anerkannten Schutzberechtigten fallen, sollen in großen, staatlich verwalteten Auffangzentren untergebracht werden (https://www.sueddeutsche.de/politik/italien-hart-aber-fraglich-1.4144303; https://www.welt.de/politik/ausland/article181649304/Neues-Sicherheitsdekret-Italien-verschaerft-sein-Asylrecht.html; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 21.12.2018 - 10 LB 201/18 -, juris Rn. 40). Zur Schaffung dieser Zentren sollen die CAS und CARA Einrichtungen durch Erstaufnahmeeinrichtungen ersetzt werden, in denen weiterhin auch die Dublin-Rückkehrer untergebracht werden sollen (Staatendokumentation Februar 2019, S. 6). Dabei sollen Vulnerabilität und Familieneinheit berücksichtigt und Kernleistungen nicht gekürzt oder gestrichen werden (Staatendokumentation Februar 2019, S. 7). Auch sollen besondere Plätze für Familien oder Alleinreisende mit Kindern vorgesehen werden (Staatendokumentation Februar 2019, S. 7). Derzeit werden Familien mit minderjährigen Kindern bereits nicht mehr in den SPRAR bzw. SIPROIMI Einrichtungen untergebracht, sondern in den CAS Einrichtungen (Staatendokumentation Februar 2019, S. 10).
Soweit bereits vor Inkrafttreten des Dekrets der weit überwiegende Teil der Schutzsuchenden in den Erstaufnahme- und Notfalleinrichtungen (wie den CAS) untergebracht war, deren Aufnahmebedingungen grundsätzlich keine Rechtsverletzung nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC begründeten, ist hingegen nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet, dass in diesen Aufnahmezentren auch die an die Unterbringung von Minderjährigen zu stellenden erhöhten Mindestanforderungen gewährleistet sind. Die italienische Regierung selbst hatte im Verfahren vor dem EGMR noch erklärt, dass Familien mit Kindern als besonders verwundbar angesehen und deshalb normalerweise gerade in SPRAR Einrichtungen untergebracht würden (EGMR, Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127 ff. Rn. 121). Dass sich die Verhältnisse in den CAS Einrichtungen zwischenzeitlich bereits in einer solchen Weise verbessert hätten, dass auch eine Unterbringung von Familien mit Kindern entsprechend ihrer erhöhten Bedürfnisse möglich wäre, ist nicht ersichtlich.
Zwar haben die italienischen Behörden am 8. Januar 2019 mit einem neuen Rundbrief (vgl. die Anlage der Antwort des Bundesamtes an das VG Magdeburg von Februar 2019 zum Az. 6 A 9/19) insoweit erklärt, dass die Zentren für Dublin-Rückkehrer zur Unterbringung aller möglichen Schutzsuchenden geeignet seien, so dass der Schutz der Grundrechte, insbesondere die Einheit der Familie und der Schutz von Minderjährigen sichergestellt sei (Staatendokumentation Februar 2019, S. 9; Antwort des Bundesamtes an das VG Magdeburg von Februar 2019 zum Az. 6 A 9/19). Jedoch liegen dem Gericht keine Erkenntnisse darüber vor, ab wann diese aus den CAS und CARA gebildeten Erstaufnahmeeinrichtungen mit den entsprechenden Unterbringungsbedingungen, in denen Familien mit Kindern auch tatsächlich unmittelbar nach ihrer Rückkehr untergebracht werden, vorhanden sein werden, zumal vor einer Umsetzung der beabsichtigten Veränderungen bei der Unterbringung wohl zunächst noch Ausschreibungen durch die Präfekturen zu erfolgen haben (vgl. Staatendokumentation Februar 2019, S. 6). Daher bestehen derzeit durchgreifende Zweifel, ob die mit dem neuen Rundbrief vom 8. Januar 2019 erklärten Garantien bereits tatsächlich gewährleistet sind, so dass vor einer Abschiebung von Familien mit minderjährigen Kindern aktuell grundsätzlich (noch) eine individuelle Zusicherung eingeholt werden muss.
Angesichts der - bereits oben ausgeführten - besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern, steht dem nicht entgegen, dass der italienische Staat auf die Situation von schutzsuchenden Familien mit minderjährigen Kindern nicht mit Gleichgültigkeit reagiert, sondern diese nach dem neuerlichen Rundbrief vom 8. Januar 2019 weiter im Blick hat. Denn bei der Rücküberstellung von minderjährigen Kindern muss grundsätzlich eine ihren besonderen Mindestbedürfnissen gerecht werdende Unterbringung tatsächlich sichergestellt sein und nicht nur künftig in Aussicht stehen. Soweit die Antragsgegnerin anführt, dass das Bundesministerium des Innern dem Vorschlag des Bundesamtes zugestimmt habe, Übernahmeersuchen für Familien mit Kindern unter drei Jahren an Italien wieder aufzunehmen, hat sie nicht mitgeteilt, welche aktuellen Erkenntnisse über deren dortige Unterbringung dem Vorschlag des Bundesamtes zugrunde liegen.
Nach alledem bedarf es vor einer Abschiebungsanordnung von Familien mit minderjährigen Kindern, wie bei der Antragstellerin und ihrem fünfjährigen Sohn, einer Zusicherung der italienischen Behörden gegenüber der Beklagten, dass die Schutzsuchenden bei ihrer Ankunft in Italien (auch aktuell) in Einrichtungen und unter Bedingungen untergebracht werden, die dem Alter der Kinder entsprechen und dass die Familieneinheit gewahrt wird (vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urt. v. 22.02.2019 - 1a K 4879/18.A -, juris Rn. 36 ff.; VG Magdeburg, Beschl. v. 09.11.2018 - 2 B 589/18 -, juris Rn. 8). Eine solche liegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.