Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.05.2007, Az.: 15 U 25/07
Nichtzulassung einer Berufung aufgrund eines Fristversäumnisses wegen Einlegung des Rechtsmittels bei dem unzuständigen Gericht; Anforderungen für das Vertrauen des Rechtsmittelführers in die Weiterleitung des Rechtsmittels von dem nicht zuständigen an das zuständige Gericht; Verschuldenszurechnung an das nicht zuständige Gericht wegen verzögerter Weiterleitung des Berufungsantrags
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.05.2007
- Aktenzeichen
- 15 U 25/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 34290
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2007:0515.15U25.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Osnabrück - 21.12.2006 - AZ: 6 C 5/06
Rechtsgrundlagen
- § 85 Abs. 2 ZPO
- § 233 ZPO
- § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
Fundstellen
- JurBüro 2008, 110-111
- MDR 2007, 1036-1037 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Wird eine Berufung wenige Tage vor Ablauf der Berufungsfrist bei dem wegen Auslandsbezuges unzuständigen Landgericht, das zuvor mit der Sache nie befasst war, eingelegt, so kann der Berufungsführer nicht darauf vertrauen, dort werde die gerichtliche Zuständigkeit umgehend überprüft und die Berufung noch innerhalb der Frist an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet.
In dem Rechtsstreit
hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 15. Mai 2007
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Beklagten vom 23. März 2007 auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das ihm am 22. Dezember 2006 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 21. Dezember 2006 wird auf Kosten des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das am 21. Dezember 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Osnabrück (6c 5/06) wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 8.400 EUR.
Gründe
Die Berufung des Beklagten gegen das am 21. Dezember 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Osnabrück war gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingelegt worden ist. Das Urteil wurde dem Beklagtenvertreter am 22. Dezember 2006 zugestellt; die Berufungsfrist endete somit am 22. Januar 2007. Die Berufung ist aber erst am 12. April 2007 beim Oberlandesgericht Oldenburg und damit verspätet eingegangen.
Die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die versäumte Berufungsfrist nach § 233 ZPO liegen nicht vor, da die Versäumung der Frist allein auf einem dem Beklagten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, der die Bestimmung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG übersehen und die Berufung bei dem unzuständigen Landgericht Osnabrück eingelegt hat.
Der Beklagte kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, die Berufung sei bereits am 17. Januar 2007 und damit fünf Tage vor Ablauf der Berufungsfrist beim - unzuständigen - Landgericht eingegangen und das Landgericht hätte die Rechtsmittelschrift dem zuständigen Oberlandesgericht noch vor Ablauf der Berufungsfrist zuleiten können. Zwar kann das - unzuständige - Gericht unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs der Partei auf ein faires Verfahren verpflichtet sein, von sich aus fristgebundene Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterzuleiten (BVerfG NJW 2001, 1343 [BVerfG 03.01.2001 - 1 BvR 2147/00]). So hat das Bundesverfassungsgericht das Gericht, das im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befasst war, zur Weiterleitung fehlerhaft bei ihm eingereichter Rechtsmittelschriften für verpflichtet erachtet, weil diesem Gericht die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt sei und daher die Ermittlung des richtigen Adressaten keinen besonderen Aufwand verursache (BVerfGE 93, 99, 114 [BVerfG 20.06.1995 - 1 BvR 166/93] f.) [BVerfG 20.06.1995 - 1 BvR 166/93]. Dies kann aber nur dann gelten, wenn das zunächst angegangene Gericht seine Unzuständigkeit auch erkennen musste.
Vorliegend ist die Berufung nicht bei dem erstinstanzlichen Gericht, sondern bei dem bislang mit der Sache nicht befassten Landgericht eingelegt worden. Schon aus diesem Grund kann sich der Beklagte für seine Auffassung nicht auf die von ihm zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützen. Es bedeutete eine Überspannung der Fürsorgepflicht, jedes Gericht für verpflichtet zu halten, bei ihm eingegangene Rechtsmittelschriftsätze umgehend darauf hin zu prüfen, ob möglicherweise die Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist, und sodann alsbald Maßnahmen zur Weiterleitung zu ergreifen (vgl. auch BGH, NJW 1972, 684 ; VersR 1987, 48, 49 [BGH 09.07.1986 - IVa ZB 9/86]; NJW 1987, 440, 441) [BGH 22.10.1986 - VIII ZB 40/86]. Eine Partei kann zudem allenfalls dann auf eine Weiterleitung ihres Schriftsatzes innerhalb der jeweiligen Frist vertrauen, wenn die fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann (vgl. BVerfGE 93, 99, 115) [BVerfG 20.06.1995 - 1 BvR 166/93]. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Berufungsschrift ist am 17. Januar 2007 (Bl. 1 Bd. 2 GA) bei dem Landgericht eingegangen. Wie es dem normalen Geschäftsgang entspricht, sind daraufhin am 19. Januar 2007 (einem Freitag) zunächst durch die Geschäftsstelle die Akten bei dem Amtsgericht angefordert worden. Vor diesem Hintergrund konnte der Beklagte nicht erwarten, dass die Berufungsschrift nebst Akten innerhalb der Berufungsfrist, die am 22. Januar 2007 (Montag) ablief, einem Richter zur Zuständigkeitsprüfung vorgelegt werden würden. Hinzu kommt, dass sich allein aus der Berufungsschrift sowie dem angefochtenen Urteil die Unzuständigkeit des Landgerichts nicht entnehmen ließ, da entscheidend hierfür der Wohnsitz des Klägers zur Zeit der Rechtshängigkeit war.
Für das Landgericht bestand vor Eingang der Sachakten am 26. Januar 2007 daher keine Möglichkeit, seine Unzuständigkeit festzustellen. Darauf, dass das angefochtene Urteil beigefügt war und sich aus dessen Tenor und dem Berufungsschriftsatz für den Kläger eine Anschrift in Großbritannien ergab, kommt es nicht an. § 119 Abs. 1 Nr. 1 b) GVG stellt auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage ab; diese Prüfung war erst nach Vorlage der Sachakten und damit nach Ablauf der Berufungsfrist möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 8.400 EUR.