Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 11.12.2006, Az.: 5 A 228/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 11.12.2006
- Aktenzeichen
- 5 A 228/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44768
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOSNAB:2006:1211.5A228.06.0A
In der Verwaltungsrechtssache
...
gegen
den Landkreis Osnabrück, vertreten durch den Landrat, ...
Streitgegenstand: Ausländerrecht
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 5. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2006 durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Niermann, die Richterin am Verwaltungsgericht Müller, den Richter Sander sowie die ehrenamtlichen Richter Kiesekamp und Krieger
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 7. Juni 2006 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahre 1975 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er war bis zum 30.06.2005 Inhaber einer Agentur der Gothaer Versicherungen. Nach Kündigung dieses Agenturvertrages war er zunächst als Handelsvertreter auf Provisionsbasis tätig. Seit dem 01.05.2006 arbeitet er als sog. Residenzberater im Angestelltenverhältnis.
Der Kläger heiratete in zweiter Ehe am 05.05.2000 die polnische Staatsangehörige F.. Dieser wurde durch den Beklagten zur Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft am 09.05.2000 eine bis zum 07.05.2001 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt, die zunächst bis zum 06.05.2003 befristet und am 16.04.2003 unbefristet verlängert wurde. Aus der ersten Ehe des Klägers ist sein am 09.07.1990 geborener Sohn G. hervorgegangen, für den er Unterhalt leistet. Dieser lebt bei seiner Mutter. Aus der ersten Ehe der Ehefrau des Klägers sind die Kinder H., geboren am 02.07.1988, und I., geboren am 04.08.1986, hervorgegangen. Außerdem ist aus der Ehe des Klägers mit seiner derzeitigen Ehefrau die gemeinsame Tochter J., geboren am 12.02.2001, hervorgegangen.
Um den Nachzug seiner Stiefkinder, deren elterliche Sorge seine Ehefrau innehatte, in die Bundesrepublik zu ermöglichen, gab der Kläger am 15. Juni 2000 eine notariell beglaubigte Verpflichtungserklärung folgenden Inhaltes ab (Bl. 32 Beiakte F):
"Ich verpflichte mich hiermit unwiderruflich, für sämtliche Kosten der Unterkunft, Verpflegung, Bekleidung und Körperpflege, Krankheit, Rückreisekosten und alle weiter anfallenden Kosten der Kinder H. und I. für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland aufzukommen."
Er legte eine Bescheinigung seines Steuerberaters vom 09.06.2000 (Bl. 31 Beiakte F) vor, wonach er in der Lage sei, die Unterhaltsaufwendungen und sonstige Kosten zu zahlen, die durch den Aufenthalt seiner Ehefrau und seiner Stiefkinder entstünden.
Daraufhin reisten seine Stiefkinder am 09.07.2000 mit einem zuvor erteilten Visum zur Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihnen wurde am 14.07.2000 eine zunächst bis zum 07.05.2001 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt (Bl. 42 Beiakte F). Die Aufenthaltserlaubnis des Stiefsohnes des Klägers wurde am 07.05.2001 zunächst bis zum 06.06.2003 (Bl. 44 Beiakte F) und anschließend vom 16.04.2003 bis zum 06.06.2005 (Bl. 46 Beiakte F) verlängert. Der Verlängerungsantrag vom 07.05.2001 (Bl. 43 Beiakte F) wurde vom Stiefvater unterzeichnet. Angaben zu den finanziellen Verhältnissen wurden dabei nicht abgefragt. Der Verlängerungsantrag vom 12.04.2003 (Bl. 45 Beiakte F) wurde vom Stiefsohn selbst unterzeichnet. Es wurde angegeben, dass der Stiefvater den Lebensunterhalt bestreite. Am 11.07.2005 beantragte der Kläger erneut die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis seines Stiefsohnes (Bl. 47 Beiakte F). Dabei gab er als Nebenwohnsitz K. an und hinsichtlich der Einkünfte Unterhaltsleistungen des Stiefvaters, also von ihm selbst. Gleichzeitig legte er eine Schulbescheinigung des L. Berufskollegs für das Schuljahr 2004/2005 und einen Praktikantenvertrag seines Stiefsohnes vor (Bl. 52 ff. Beiakte F).
Dies nahm die Ausländerbehörde des Beklagten zum Anlass, mit Schreiben vom 11.07.2005 (Bl. 51 Beiakte F) beim Fachdienst Jugend anzufragen, ob dort Jugendhilfemittel bewilligt worden seien. Daraufhin teilte der Fachdienst Jugend unter dem 12.07.2005 (Bl. 56 Beiakte F) mit, dass sich der Stiefsohn des Klägers seit dem 12.08.2001 in stationärer Jugendhilfe befinde. Die Kosten betrügen täglich 72,68 €. Der zuständige Sachbearbeiter der Ausländerbehörde des Beklagten übersandte daraufhin am 11.11.2005 eine Kopie der Verpflichtungserklärung des Klägers vom 15.06.2000 an den Fachdienst Jugend (Bl. 56 Beiakte F).
Den Stiefkindern des Klägers wurde mit Schreiben vom 11.07.2005 (Bl. 57 Beiakte F) eine unbefristete Bescheinigung gem. § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU zugeschickt. Dabei wurde als Datum der ersten Anmeldung der 01.07.2000 angegeben.
Bereits mit Bescheid vom 17.07.2001 (Bl. 19 Beiakte H) hatte der Fachdienst Jugend des Beklagten auf Antrag der Ehefrau des Klägers vom 29.04.2001 (Klarsichthülle Beiakte H) für den Stiefsohn Hilfe zur Erziehung gem. § 27 i.V.m. § 34 SGB VIII ab dem 12.08.2001 bewilligt. Diese Hilfe wurde im Rahmen der freien Erziehung durch die CJD Jugenddorf-Christophorusschule A., einem Internat, das auf die Integration Jugendlicher osteuropäischer Herkunft spezialisiert ist, erbracht. Die Bewilligung galt zunächst bis zur Volljährigkeit. Auf Antrag des Stiefsohnes vom 30.06.2004 (Bl. 64 Beiakte H), der am 04.08.2004 volljährig wurde, wurde ihm durch Bescheid des Beklagten vom 21.07.2004 für den Zeitraum nach dem 04.08.2004 Hilfe für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII bewilligt (Blatt 75 Beiakte H). Diese Hilfe wurde durch bestandskräftigen Bescheid vom 15.11.2005 mit Ablauf des 30.11.2005 eingestellt (Blatt 88 Beiakte H).
Die Ehefrau des Klägers wurde zu den Kosten im Rahmen des so genannten Kostenbeitrages in Höhe des Kindergeldes herangezogen; der Kläger selbst wurde zunächst nicht in Anspruch genommen.
Im Zeitraum vom 12.08.2001 bis zum 30.11.2005 wurden durch den Beklagten im Rahmen der Jugendhilfe Leistungen in Höhe von insgesamt 101.292,02 € erbracht, (vgl. Übersicht Bl. 37 ff der Gerichtakte). Mit Schreiben vom 02.12.2005 hörte der Fachdienst Jugend des Beklagten den Kläger hinsichtlich der von ihm beabsichtigten Rückforderung der aufgelaufenen Kosten in Höhe von insgesamt 101.292,02 € an (Bl. 4 Beiakte E). Dagegen wandte der Kläger mit Schreiben vom 09.12.2005 ein, er habe dem zuständigen Sachbearbeiter beim Jugendamt, Herrn M., ausdrücklich mitgeteilt, dass er keine finanziellen Leistungen für eine Unterbringung in einem Internat leisten könne. Im Mai 2001 habe Herr M. die Prüfung eingeleitet, dort sei bekannt gewesen, dass er die Verpflichtungserklärung abgegeben habe. Diese habe schließlich zum Standard bei einer Familienzusammenführung gehört. Außerdem handele es sich bei der Inanspruchnahme von Jugendhilfemitteln um eine Sondersituation. Er habe nicht absehen können, dass die Verpflichtungserklärung auch diese Zahlungen umfasse (Blatt 6 und 7 der Beiakte E). Auf Nachfrage erklärte der zuständige Sozialarbeiter, dass er keine Auskunft zur Übernahme anfallender Kosten während des Aufenthaltes in Deutschland gegeben habe. Ihm seien keine derartigen Gespräche im Gedächtnis geblieben. Allerdings seien die Erstgespräche und die anamnestische Erhebung der Daten zum damaligen Zeitpunkt durch den Anerkennungspraktikanten N. erfolgt. Auch eine Ausreise nach Polen, wie sie vom Kläger als Alternative in der Anhörung geltend gemacht worden sei, sei nach damaligem Kenntnisstand nicht möglich gewesen (Bl. 14 Beiakte E).
Durch Bescheid vom 07.06.2006 (Bl. 15 f Beiakte E) forderte der Beklagte den Kläger auf, die ihm für die in der Zeit vom 12.08.2003 bis zum 30.11.2005 geleistete Hilfe zur Erziehung entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 101.292,00 €zu erstatten. Zur Begründung verwies er auf § 68 Abs. 1 AufenthG. Danach sei jemand, der eine derartige Verpflichtungserklärung abgegeben habe, regelmäßig zur Erstattung heranzuziehen. In seinem Fall läge allerdings ein Ausnahmefall vor, weil regelmäßig nicht davon ausgegangen werden könne, dass man auch zur Erstattung von Jugendhilfeleistungen herangezogen werde. Die deshalb zu treffende Ermessensentscheidung führe aber zur Erstattungspflicht. Der Kläger habe die Verpflichtungserklärung gegenüber einem Notar abgegeben. Es sei daher davon auszugehen, dass er sich vorab selbständig informiert und sich der Konsequenzen einer Verpflichtungserklärung bewusst gewesen sei. Der Wortlaut der Verpflichtungserklärung sei allumfassend und eindeutig. Der Kläger habe selbst geschildert, in der Planungsphase der Jugendhilfe Bedenken in Bezug auf die Finanzierung gehabt zu haben. Es habe deshalb nahe gelegen, gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter das Vorhandensein der entsprechenden Verpflichtungserklärung anzusprechen. Da dies nicht der Fall gewesen sei, habe er nur allgemeine Auskünfte hinsichtlich des Kostenbeitrages vom zuständigen Sachbearbeiter, Herrn M., erhalten. Aus den gesamten Akten des Jugendamtes lasse sich keine Kenntnis über eine bestehende Verpflichtungserklärung entnehmen. Erst am 11.112005 habe die Ausländerbehörde dem Jugendamt eine Kopie der Erklärung übersandt. Auch in den Anträgen auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei die Jugendhilfemaßnahme niemals angesprochen worden. Vielmehr habe der Kläger in Verlängerungsanträgen vom 12.04.2003 und vom 11.07.2005 angegeben, dass der Lebensunterhalt aus seinen Mitteln bestritten worden sei. Wenn korrekte Angaben gemacht worden wären, hätte die Ausländerbehörde unverzüglich das Jugendamt informiert. Dann wäre auch eine zeitnahe Rückforderung möglich gewesen. Der Kläger könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es sei zumindest zweifelhaft, ob das Jugendamt vor Hilfeerbringung tatsächlich über die bestehende Verpflichtungserklärung ausreichend informiert worden sei. Zumindest habe der Kläger sich den Verzicht auf seine Heranziehung nicht schriftlich zusichern lassen, sondern sich lediglich auf die alleinige finanzielle Überprüfung seiner Ehefrau, bei der seine eigene Einkommenssituation unbeachtet geblieben sei, verlassen. Die Rückforderung sei auch zumutbar. Seine finanzielle Belastbarkeit sei als Verpflichteter von der Ausländerbehörde geprüft worden. Anhand der damals vorgelegten Nachweise über seine Einkommenssituation sei festgestellt worden, dass er in der Lage sei, die Unterhaltsaufwendungen und sonstigen Kosten während seines Aufenthalts in Deutschland zu zahlen. Wesentliche Veränderungen der Einkommenssituation seien nicht bekannt. Der Kläger sei tatsächlich in der Lage, die gesamten Jugendhilfekosten, zumindest in monatlichen Teilbeträgen, zurückzuzahlen.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 10. Juli 2006 Klage erhoben. Zur Begründung macht er geltend, die Rückforderung sei grob ermessensfehlerhaft. Ihn habe keine Aufklärungspflicht gegenüber dem Jugendamt getroffen. Antragsteller für die beantragte Jugendhilfe sei nicht er, sondern seine Ehefrau gewesen. Er sei an diesem Verfahren formell nicht beteiligt gewesen. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass zumindest die Ausländerbehörde des Beklagten Kenntnis von der Verpflichtungserklärung gehabt habe. Diese Kenntnis habe sich der Beklagte insgesamt zurechnen lassen müssen. Das Jugendamt habe Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei dem Stiefsohn um einen polnischen Staatsbürger gehandelt habe, dem nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Es hätte damit dem Jugendamt oblegen, Einzelheiten gegenüber der Ausländerbehörde zu erfragen. Bereits bei der Bewilligung der Hilfe sei dem Beklagten bekannt gewesen, dass seine finanziellen Verhältnisse eine Inanspruchnahme nicht zuließen. Denn im Rahmen der Erörterung der Familiensituation sei darauf hingewiesen worden, dass er noch einen unterhaltsberechtigten Sohn habe und auch die Stieftochter und die gemeinsame Tochter J. unterstützen müsse.
Außerdem umfasse die abgegebene Verpflichtungserklärung nur die notwendigen Kosten der Lebensführung sowie Rückreisekosten. Soweit darin angegeben sei, "alle weiteren anfallenden Kosten" würden erstattet, könne sich diese Zusicherung nur auf entsprechende notwendige Kosten einer üblichen Lebensführung beziehen. Eine Entscheidung zur Förderung von Ausbildung und Integration von Jugendlichen durch eine Heimunterbringung stelle jedoch keine vergleichbare Entscheidung über eine staatliche Hilfe dar. Zudem könnten derartige Verpflichtungen auch nur zeitlich begrenzt eingegangen werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 7. Juni 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, der Bescheid sei versehentlich an eine falsche Anschrift geschickt worden, deshalb sei er am 16.06.2006 erneut übersandt worden. Der Kläger sei durch die Abgabe der unwiderruflichen Verpflichtungserklärung verpflichtet gewesen, beim Beklagten im Rahmen der Prüfung der Hilfeleistungen entsprechende Hinweise zu geben. Er habe sich ohne jede zeitliche Beschränkung für die gesamte Dauer des Aufenthaltes von I. verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. Die Tatsache, dass er zurzeit nicht in der Lage sei, diese Kosten zu zahlen, sei insoweit nicht zu berücksichtigen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten war hinsichtlich der im Zeitraum vom 12.08.2001 bis zum 30.06.2005 erbrachten Leistungen aufzuheben, weil der Beklagte bei der Entscheidung über die Rückforderung der Jugendhilfekosten wesentliche Ermessens bzw. Billigkeitserwägungen nicht angestellt hat. Hinsichtlich des verbliebenen Zeitraumes war der Bescheid aufzuheben, weil die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis/EU an den Stiefsohn des Klägers der Rückforderung der geltend gemachten Kosten entgegensteht.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
a) Zeitraum vom 12.08.2001 (Beginn der Heimunterbringung) bis zum 30.04.2004 (am 01.05.2004 Beitritt Polens zur EU)
Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (wortgleich mit dem bis zum 31.12.2004 geltenden § 84 AusIG) hat derjenige, der sich der Ausländerbehörde gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind nach Satz 2 nicht zu erstatten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 24.11.1998-1 C 33/97 -BVerwGE 108, S. 1 ff., DVBI. 1999, S. 537 ff., InfAusIR 1999, S. 182 ff., NVwZ 1999, S. 779 ff.) ist dieser Erstattungsanspruch von der Behörde durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Zur Begründung dieses Anspruchs genügt eine einseitige, vom Verpflichtungsgeber unterzeichnete Willenserklärung gegenüber der Ausländerbehörde. Diese muss nicht befristet sein und sich auch nicht auf einen bestimmten Aufenthaltstitel beziehen. Dabei erstreckt sich die Erstattungspflicht nach der Vorgängerregelung des § 84 Abs. 1 AusIG nur auf rechtmäßig erbrachte Aufwendungen. Bei atypischen Gegebenheiten ist nach Ermessen über die Heranziehung des Verpflichtungsgebers zu entscheiden. Mit der Abgabe einer den Lebensunterhalt deckenden und absichernden Verpflichtungserklärung durch einen Dritten wird erreicht, dass die bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu beachtende so genannte Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt wird. Die öffentliche Hand soll durch den Aufenthalt des Ausländers nicht belastet werden. Dementsprechend kann eine Verpflichtungserklärung nicht gefordert und auch nicht zum Gegenstand einer dem Visum oder einer Aufenthaltserlaubnis beigefügten Bedingung gemacht werden, wenn auch bei mangelnder Sicherung des Lebensunterhaltes ein Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht (vgl. Funke-Kaiser Gemeinschaftskommentar zum AufenthG § 68 Rdn. 4, Hailbronner, AusIR, Stand: Juni 2004, § 84 AusIG Rdn. 8). In solchen Fällen ist von einer Nichtigkeit der entsprechenden Verpflichtungserklärung auszugehen.
Der Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung steht nicht entgegen, dass der Kläger offenbar von der Ausländerbehörde des Beklagten über die Reichweite der von ihm abgegebenen Verpflichtungserklärung nicht belehrt wurde. Dazu hat das Nds. Oberverwaltungsgericht ausgeführt (Urteil vom 20.07.2005 - 7 LB 182/02 - zitiert nach juris):
"Die Verpflichtungserklärung der Klägerin vom 14. Dezember 1994 ist auch nicht deshalb als Grundlage für die Heranziehung hinsichtlich der nach drei Monaten entstandenen Aufwendungen ungeeignet, weil es vor ihrer Entgegennahme an einer umfassenden Information über die mit der Verpflichtungserklärung verbundenen möglichen finanziellen Auswirkungen fehlte (so aber Nds.OVG, Urt v. 27.08.1998 -11 L 492/97 -, NdsRpfl. 1999, 31 (33)).
§ 25 Satz 1 VwVfG, wonach die Behörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen soll, kann nach seinem Wortlaut auf die Erklärung einer Verpflichtung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AusIG ebenso wenig unmittelbar angewendet werden wie Satz 2 dieser Vorschrift, weil die darin erwähnte Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten in der Regel nur auf Verlangen zu erfolgen braucht (HessVGH, Urt. v. 29.08.1997 -10 UE 2030/95 -, InfAusIR 1998, 166 unter Hinweis auf BT-Drucks. 7/910, 49).
Die Bindung staatlicher Stellen an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet eine intensive Hinweis- und Aufklärungspflicht ebenfalls nicht. Soweit sich der 11. Senat des Nds.OVG auf das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (a.a.O.) bezieht, war tragender Gedanke dieser Entscheidung, dass eine Verpflichtungserklärung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 AusIG nur beschränkt auf die Dauer des vorgesehenen Aufenthalts verlangt werden dürfe. Dieser rechtliche Ansatz hat sich jedoch als unzutreffend herausgestellt (vgl. BVerwG a.a.O.).
Eine Hinweis- und Aufklärungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 28 Abs.1 GG). Das Sozialstaatsprinzip verlangt, dass die staatliche Gemeinschaft in der Regel Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu bewältigenden Schicksal entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einzelne Bürger oder bestimmte Gruppen von ihnen getroffen haben (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.11.2000 -1 BvR 2307/94 u.a. -, BVerfGE 102, 254 (298)). Dies trifft hier offensichtlich nicht zu. Vielmehr begehrt die Klägerin, die freiwillig eine Verpflichtung eingegangen ist, dass die daraus entstandene Belastung überwiegend von der Gemeinschaft getragen werden möge, obwohl die zuständigen Behörden das mit der Einreisegenehmigung für Herrn G verbundene Risiko zu Lasten der Gemeinschaft gerade hatten vermeiden wollen (zum Gedanken der Risikoverteilung vgl. BVerwG, a.a.O., S. 20).
Abgesehen davon, dass sich eine Hinweis- und Aufklärungspflicht weder aus dem Gesetz noch aus der Verfassung begründen lässt, wäre sie insbesondere für die Botschaften, aber auch für die Ausländerbehörden in hohem Maße unpraktikabel. Die Botschaften müssten vor Erteilung eines Visums entweder selbst oder über Behörden in Deutschland eine entsprechende Aufklärung veranlassen, die auch noch aktenkundig zu machen wäre (vgl. HessVGH a.a.O.). Da nach der Rechtsprechung des Nds.OVG -11. Senat - und des HessVGH der Verweis auf den Gesetzestext nicht genügen und die Aufklärung umfassend, sachgemäß und konkret sein soll, dürfte den Botschaften, die im Ausland weder die Angaben des sich Verpflichtenden überprüfen noch feststellen können, ob und in welchem Umfang gerade dieser Bürger weitere Aufklärung benötigt, eine von den Antragstellern gewünschte zügige Bearbeitung des Visumantrages unmöglich sein."
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an. Dabei hat sie auch berücksichtigt, dass dem Kläger, der jahrelang als selbständiger Inhaber einer Versicherungsagentur tätig war, bereits aus beruflichen Gründen Fragen, die die Tragweite der Abgabe von rechtsgeschäftlichen Erklärungen betreffen, vertraut waren. Auch bestand für die Ausländerbehörde des Beklagten angesichts der Tatsche, dass der Kläger eine Bescheinigung seines Steuerberaters vorgelegt hatte, wonach er in der Lage sei, sich, seine Ehefrau und seine Stiefkinder zu unterhalten, kein Grund davon auszugehen, dass der Kläger die Tragweite seiner Entscheidung verkannt hätte.
Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen ist die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung so auszulegen, dass sie grundsätzlich auch die Erstattung von Jugendhilfeleistungen als in der Verpflichtungserklärung aufgeführte "alle weiteren Kosten" betrifft, soweit sie für den Lebensunterhalts des Ausländers - hier des Stiefsohnes des Klägers - von dem Beklagten aufgewendet wurden (vgl. Wortlaut § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), mithin die aufgewandten öffentlichen Mittel nach SGB VIII (früher KJHG) Leistungen nach SGB II oder XII gleichkommen (vgl. Ziffer 2.3.1.1 Vorl. Nds. W-AufenthG). Denn erkennbar war Zweck dieser Erklärung, die öffentliche Hand von allen noch durch den Aufenthalt des Stiefsohnes des Klägers anfallenden, den Lebensunterhalt betreffenden Kosten zu befreien.
Allerdings darf der Kläger nur zur Erstattung von Aufwendungen herangezogen werden, die aufgewandt werden mussten und die zu Recht erbracht wurden (Hailbronner, § 84 AusIG, Rdn. 20). Die Rechtmäßigkeit der erbrachten Leistungen dem Grunde und der Höhe nach ist auch dann zu überprüfen, wenn die Leistungen an den Ausländer oder die Ausländerin - wie im vorliegenden Fall - aufgrund mittlerweile bestandskräftiger Bewilligungsbescheide erbracht wurden (BVerwG a.a.O.). Denn diese Bewilligungsbescheide sind vom Erstattungspflichtigen, hier dem Kläger, nicht anfechtbar. Bei den hier in Frage stehenden Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27 ff. SGB VIII und der Hilfe für junge Erwachsene gem. § 41 SGB VIII handelt es sich um gebundene Entscheidungen. Bei einem entsprechenden Antrag des Erziehungsberechtigten und dem Vorliegen der Voraussetzungen ist der Jugendhilfeträger verpflichtet, die entsprechende Leistung zu erbringen (vgl. Wiesner/Mörseberger SGB VIII, § 27 Rdn. 3, § 41, Rn. 1). Die Rechtmäßigkeit der erbrachten Leistungen dem Grunde nach ist nicht zweifelhaft. Dies wird auch vom Kläger selbst nicht behauptet.
Der Beklagte hat der Tatsache, dass der Kläger zur Erstattung von Jugendhilfeleistungen in beträchtlicher Höhe herangezogen werden soll, dadurch Rechnung getragen, dass er nicht einen Regelfall, bei dem grundsätzlich eine Erstattungspflicht besteht, angenommen hat. Er hat das Vorliegen eines atypischen Falles angenommen und eine Ermessensentscheidung getroffen, obwohl anders als in der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation, die die Abgabe von Verpflichtungserklärungen zugunsten bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge betraf, die vom Kläger abgegebene Verpflichtungserklärung ausschließlich die Förderung seiner privaten Interessen bezweckte.
Die Kammer lässt offen, ob ein atypischer Fall im Sinne der o.g. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben ist. Denn zumindest hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid bei der von ihm zu erwägenden Billigkeitsentscheidungen wie Stundungen, Niederschlagung oder (teilweiser) Erlass (vgl. Funke/Kaiser, GK - AufenthG, § 68 Rn. 33f) maßgebliche Umstände nicht gesehen. Diese Umstände hätten bei der Ermessensentscheidung vom Beklagten in seine Erwägungen einbezogen werden müssen.
Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass sich mit der Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen durch den Stiefsohn des Klägers eine wesentliche Änderung der Sachlage ergeben hatte, die in entsprechender Anwendung des § 60 VwVfG zu einer Anpassung des Schuldversprechens oder seiner außerordentlichen Kündigung berechtigte. Eine solche wesentliche Änderung wird angenommen, wenn diese für den Betroffenen nicht vorhersehbar war und er mit ihr billigerweise nicht zu rechnen hatte. Die Realisierung eines bei Abgabe der Verpflichtungserklärung bewusst übernommen oder jedenfalls als Fehler dem Erklärungen zuzurechnenden Risikos reicht allerdings nicht aus (vgl. Funke-Kaiser, § 68 AufenthG Rdnr. 30 m.w.Nachw.). Der Umstand, dass für den Stiefsohn Jugendhilfeleistungen im Rahmen einer Heimunterbringung in Anspruch genommen werden könnten, war für den Kläger bei Abgabe der Verpflichtungserklärung, also noch vor der Einreise der Kinder in das Bundesgebiet, nicht absehbar.
Wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Beantragung der Jugendhilfeleistungen bei der Ausländerbehörde vorgesprochen und um Anpassung bzw. Klarstellung der von ihm abgegebenen Verpflichtungserklärung gebeten hätte, hätte diese ihm ausweislich der zu diesem Zeitpunkt gültigen Erlasse des Nds. Innenministeriums vom 07.12.1998 - 45.21 - 12230/1 -1 (§84) und vom 16.06.1999 - 41.2 - 12235 - 14.11.12 - unter Beachtung dieser den Beklagten bindenden Erlasse nur die damals vorgeschriebenen Vordrucke vorlegen dürfen. Diese Verpflichtungserklärungen umfassten aber nur die Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet werden. Die in der vom Kläger unterzeichneten Verpflichtungserklärung gewählte Formulierung "alle weiteren anfallenden Kosten" findet in den o.a. Erlassen keine Rechtsgrundlage. Jugendhilfeleistungen sind in Ganze als öffentliche Mittel LS. d. § 84 Abs. 1 AusIG ebenfalls nicht erwähnt. Daher sind auch die auf die pädagogischen und therapeutischen Angebote entfallenden Kosten der Heimerziehung gem. § 34 SGB VIII nicht von der Verpflichtungserklärung des Klägers umfasst. Hingegen sind die Unterhaltskosten i.S.d. § 39 Abs. 1 SGB VIII erstattungsfähig.
Der Beklagte ist im angefochtenen Bescheid zudem davon ausgegangen, dass die Verpflichtungserklärung des Klägers als notarielle Erklärung mit vorangegangener Belehrung durch den Notar abgegeben wurde. Der Kläger hat aber - wie sich aus der Urkunde ergibt - allein die Richtigkeit der Unterschrift zur Identitätsfeststellung notariell beglaubigen lassen. Eine Belehrung über die Tragweite der abgegebenen Erklärung durch den beurkundenden Notar ist nicht erfolgt.
Die nachträglich eingetretenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Klägers und die Geburt der gemeinsamen Tochter O. am 12.02.2001 würden allerdings keinen Anlass zur nachträglichen Anpassung der Verpflichtungserklärung geben und wären daher im Rahmen der zu treffenden Billigkeitsentscheidung nicht zu berücksichtigen.
Denn nachträglich eingetretene wirtschaftliche Schwierigkeiten, wie sie - ohne dass dem Beklagten dies offenbar mitgeteilt wurde - durch die Kündigung der selbständigen Versicherungsagentur durch die Gothaer Versicherungen im Sommer des Jahres 2005 entstanden sind, reichen grundsätzlich nicht aus, eine Verpflichtungserklärung nachträglich anzupassen. Zwar muss eine Anpassung in ermessensgerechter Art und Weise wohl erfolgen, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten auf gravierenden und nicht vorhersehbaren Umständen, wie z.B. dem Verlust des Arbeitsplatzes, beruhen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger aber erneut eine Arbeitsstelle gefunden und ist auch weiter, wenn auch nur nebenberuflich, als freier Versicherungsvertreter tätig. Hinzu kommt, dass er seinen Arbeitsplatz erst verloren hat, als die Kosten - jedenfalls soweit sie von dem Beklagten zurückverlangt werden können - bereits entstanden waren. Für eine Anpassung der Verpflichtungserklärung ist dann auch deshalb kein Raum mehr, weil aufgrund des Entstehens des unabhängigen Aufenthaltsrechtes des Stiefsohnes zum Zeitpunkt der Kündigung des Agenturvertrages zum 30.06.2005 lediglich nur noch eine Zahlungsverpflichtung für die Dauer von 9 Tagen, nämlich bis zum 09.07.2005, bestand (dazu nachstehend).
Auch die Geburt der Tochter O. am 12.02.2001 stellt erkennbar keinen unvorhersehbaren, gravierenden Umstand dar, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers nachhaltig beeinträchtigt hat. Denn zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung am 15.06.2000 war die Ehefrau des Klägers bereits schwanger.
Hinsichtlich der Höhe der vom Kläger zu erstattenden Leistungen hat der Beklagte bei den von ihm anzustellenden Erwägungen auch zu berücksichtigen, dass der Kläger durch die Abgabe der Verpflichtungserklärung nach seinem Erklärungshorizont als Unterhaltsverpflichteter für seinen Stiefsohn eintreten wollte. Gem. §§ 92 ff. SGB VIII sind in den Fällen, in denen stationäre Jugendhilfe geleistet wird, die Eltern vom Jugendhilfeträger nur zu Kostenbeiträgen heranzuziehen. Der Beklagte muss deshalb berücksichtigen, dass er in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften, u.a. § 94 SBG VIII den Kläger höchstens zu den Kosten in der Höhe heranziehen kann, die dieser zahlen müsste, wenn er selbst als Unterhaltsverpflichteter im Rahmen eines Kostenbeitrages in Anspruch genommen werden würde.
Allerdings kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass ihm vom zuständigen Sachbearbeiter des Fachbereichs Jugend, Herrn M., erklärt worden sei, nur seine Ehefrau werde im Rahmen eines Kostenbeitrages herangezogen, mit der Folge, dass seine Erstattungspflicht in vollem Umfang entfiele. Denn eine bindende Zusage, einen dahingehenden Verwaltungsakt, nämlich den streitbefangenen Leistungsbescheid, nicht zu erlassen (Zusicherung), bedarf gem. § 38 VwVfG der Schriftform. Eine solche schriftliche Zusicherung liegt nicht vor.
b) Zeitraum vom 01.05.2004 (Beitritt Polens zur EU) bis zum 30.06.2005 (Erlangung eines selbständigen Aufenthaltsrechts des Stiefsohnes des Klägers):
Die Erwerbstätigkeit der Ehefrau des Klägers im Bundesgebiet führt nicht zu einem gänzlichen Wegfall der Ansprüche des Beklagten.
Gem. § 11 Abs. 1 FreizügG/EU findet § 68 AufenthG keine Anwendung auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die nach § 2 Abs. 1 oder Abs. 5 das Recht auf Einreise und Aufenthalt haben.
Die Ehefrau des Klägers ist aber nicht freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmerin LS. des § 2 Abs. 2 Ziff. 1 FreizügG/EU bzw. gem. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 AufenthG/EWG (gültig bis zum 31.12.2004, abgedruckt in Renner, AusIR, 7. Aufl. S. 886 ff.)
Sie wäre gem. § 13 FreizügG/EU trotz der Polen auferlegten Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmerin, wenn sie 12 Monate vor dem Beitritt am 01.05.2004 rechtmäßig beschäftigt war (vgl. Renner, 8. Aufl. § 13 FreizügG/EU, Rdn. 6). Dies ergibt sich aus den Nummern 2 Abs. 2 und Abs. 3 des Anhangs zu Art. 24 der Beitrittsakte (abgedruckt in Renner, AusIR, 8. Aufl., S. 1225, 1226, 2. Abs. oben).
Die Ehefrau des Klägers hat am 16.04.2003, also etwas mehr als einen Monat und ein Jahr vor dem Beitritt Polens zur EU, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, die keine Beschränkungen bei der Erwerbstätigkeit enthielt. Auch eine geringfügige Beschäftigung, wie die Klägerin sie derzeit ausübt, reicht grundsätzlich für das Erreichen der Arbeitnehmereigenschaft aus. Außer Betracht bleiben nur Tätigkeiten mit so geringem Umfang, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Danach ist auch eine sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung vom Arbeitnehmerbegriff umfasst. Unerheblich ist dabei, ob ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen wird oder ob eine Möglichkeit besteht, aufgrund anderer Tätigkeiten ein höheres Einkommen zu erzielen (vgl. Hailbronner, D 5.2, Art. 6 ARB 180 Rdn. 27, Nds. OVG vom 24.04.2001, NVwZ, Beilage 11, 2001, S. 117 ff.).
Die Ehefrau des Klägers hat allerdings ihre Erwerbstätigkeit erst nach dem o.a. entscheidungserheblichen Zeitpunkt, nämlich am 15.09.2004 und damit erst nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union begonnen. Gem. § 13 FreizügG/EU besteht Arbeitnehmerfreizügigkeit dann nur, wenn die Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit gem. § 284 Abs. 1 SGB III genehmigt wurde. Eine solche Genehmigung liegt nicht vor.
Die Ehefrau des Klägers genießt damit keine Freizügigkeit als Wanderarbeitnehmerin.
Aus diesem Grund ergab sich die Freizügigkeit ihres Sohnes als so genannte "sonstige Person" aus der Richtlinie Nr. 90/364/EWG vom 28. Juni 1990 (ABL Nr. 11 180 S. 26, abgedruckt in Renner, AusIR, 7. Aufl. S. 928 ff.), die zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung durch den Kläger noch Anwendung fand.
Gem. Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie gewähren die Mitgliedsstaaten den Angehörigen der Mitgliedsstaaten, denen das Aufenthaltsrecht nicht aufgrund anderer Bestimmungen zuerkannt ist, sowie deren Familienangehörigen unter der Bedingung das Aufenthaltsrecht, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedsstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedsstaats in Anspruch nehmen müssen. Diese Vorgabe wurde durch § 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsverordnung/EU vom 17. Juli 1997 (abgedruckt bei Renner, AusIR, 7. Aufl. S. 893 ff., gültig bis zum 31.12.2004) umgesetzt. Gem. § 8 Abs. 1 dieser Vorschrift müssen diese Personen für die Gewährung der Freizügigkeit über ausreichende Existenzmittel in solcher Höhe verfügen, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen keine Leistungen der Sozialhilfe oder vergleichbarer Landes- oder Bundesgesetze in Anspruch nehmen müssen. Diese Existenzmittel müssen ab dem Zeitpunkt der Einreise für die gesamte Dauer des voraussichtlichen Aufenthalts uneingeschränkt verfügbar sein.
Entsprechendes gilt auch seit dem Inkrafttreten des FreizügG/EU zum 01.01.2005. Denn gem. § 4 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht auf Freizügigkeit nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Ausweislich der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundes Ziff. 4.1 ist eine exakte Vergleichsberechnung des Sozialhilfebedarfs vorzunehmen.
Auch hier hat deshalb der Beklagte in seine Erwägungen mit einzustellen, dass im Rahmen der Jugendhilfe Unterhaltsverpflichtete - wie bereits dargelegt - nur zu den von ihnen ersparten Aufwendungen im Rahmen des sog. Kostenbeitrages gem. § 94 SGB XIII herangezogen werden dürfen.
c) Zeitraum vom 01.07.2005 bis zum 30.11.2005
Der Kläger kann nicht mehr in Anspruch genommen werden, nachdem seinem Stiefsohn nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gem. § 5 Abs. 5 FreizügG/EU eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Denn der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann nur innerhalb der ersten fünf Jahre nach Begründung des ständigen Aufenthaltsrechts festgestellt werden. Nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts ist die Feststellung des Verlustes nur noch aus besonders schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit möglich. In der fehlenden Sicherung des Lebensunterhaltes liegen solche Gründe erkennbar nicht (vgl. Ziff. 5.5.1 der Vorläufigen Anwendungshinweise zu § 5 FreizügigG/EU). Folgerichtig findet gem. § 11 Abs. 1 FreizügG/EU auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die nach § 2 Abs. 1 oder Abs. 5 das Recht auf Einreise und Aufenthalt haben, § 68 AufenthG keine Anwendung.
Damit besteht für eine Inanspruchnahme des Klägers keine Rechtsgrundlage mehr. Die Wirksamkeit einer Verpflichtungserklärung kraft eines der Erklärung immanenten Vorbehaltes endet zudem, wenn dem Ausländer ein neuer - anderer - Aufenthaltstitel erteilt wird und der damit verbundene Aufenthaltszweck nicht mehr demjenigen entspricht, welcher der Verpflichtungserklärung zugrunde lag (vgl. Funke-Kaiser a.a.O. Rdn. 19). Dabei legt die Kammer zugunsten des Klägers zugrunde, dass in der übersandten Freizügigkeitsbescheinigung als Zeitpunkt der Anmeldung der 01.07.2000 angegeben wurde, obwohl der Stiefsohn des Klägers ausweislich des Einreisestempels im Pass am 09.07.2000 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Den durch die Ausstellung der Freizügigkeitsbescheinigung gesetzten Rechtsschein muss der Beklagte gegen sich gelten lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgt gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Frage der Aufklärungspflichten einer Ausländerbehörde bei der Abgabe von Verpflichtungserklärungen gem. § 68 AufenthG hat grundsätzliche Bedeutung, da sie auch vom Nds. OVG unterschiedlich beantwortet wird (vgl. Urteil des 11. Senats vom 27.08.1988 -11 L 492/97 - juris; demgegenüber das Urteil des 7. Senats vom 20.07.2005 - 7 LB 182/02 - juris).