Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.06.2004, Az.: L 4 KR 101/04

Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Behandlung in der Ukraine; Ruhen des Anspruchs auf Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung bei einem Auslandsaufenthalt; Ausnahmeregelung von dem grundsätzlichen Ruhen eines Leistungsanspruches bei Auslandsaufenthalt; Übernahme der Behandlungskosten bei einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Behandlung einer Krankheit im Ausland; Übernahme der Kosten für die Behandlungsmethode des Dr. Kozijavkin auf Grund des nachvollziehbaren Behandlungserfolgs; Fehlen eines vergleichbaren multimodalen Behandlungskonzepts in Deutschland als Grund für die Kostenübernahme

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.06.2004
Aktenzeichen
L 4 KR 101/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 24579
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2004:0616.L4KR101.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 16.01.2001 - AZ: S 8 KR 85/00

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine ärztliche Behandlungsmethode entspricht dann dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn sie nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, also von Ärzten und Wissenschaftlern, befürwortet wird. Von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen muss über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehen. Die Methode Dr Kozijavkin entspricht seit September 1999 dem allgemein anerkannten Stand der medizinischer Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 S. 1 SGB V.

  2. 2.

    Ist die Behandlung nach der Methode Dr. Kozijavkin nur im Ausland möglich, so besteht für den gesetzlich Krankenversicherten ein Anspruch aus Kostenübernahme einer Behandlung in der Ukraine.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 16. Januar 2001 wird geändert, und der Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2000 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin hinsichtlich ihres Antrages auf Kostenerstattung für die Behandlung im Institut Dr Kozijavkin während des Zeitraumes vom 25. Juli bis 8. August 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat der Klägerin 1/6 der außergerichtlichen notwendigen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für Behandlungen nach der Methode Dr Kozijavkin in der Ukraine.

2

Die 1988 geborene Klägerin ist familienversichertes Mitglied der Beklagten. Sie leidet seit ihrer Geburt unter einer cerebralen Bewegungsstörung mit Entwicklungsretardierung.

3

Vom 9. bis 21. August 1993 wurde die Klägerin erstmals im Rehabilitationszentrum des Neurologen und Chirotherapeuten Dr Kozijavkin in der Ukraine behandelt. Das dort praktizierte Therapiekonzept ist darauf ausgerichtet, in intensiven Behandlungszyklen unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeit cerebralparetischer Kinder herbeizuführen. Mit dem am 28. Oktober 1993 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Vater der Klägerin die Erstattung der Behandlungskosten in Höhe von 4.800,00 DM sowie der Unterkunfts- und Reisekosten in Höhe von 3.154,00 DM. Mit Bescheid vom 13. Dezember 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 1994 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Kostenerstattung komme nur dann in Betracht, wenn die Behandlung ausschließlich im Ausland möglich gewesen sei. Es stünden jedoch in Deutschland sowohl therapeutische als auch rehabilitative Einrichtungen für Cerebralparetiker in ausreichendem Maße zur Verfügung. Im Übrigen sei auch der Erfolg der Methode des Dr Kozijavkin ungewiss, da die Wirksamkeit der Therapie nicht methodisch einwandfrei und nachvollziehbar belegt sei.

4

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, die am 13. Mai 1994 beim Sozialgericht (SG) Aurich eingegangen ist.

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Die Klägerin ist in der Folgezeit wiederholt im Institut Dr Kozijavkin behandelt worden. Die Beklagte hat die Kostenübernahme jeweils abgelehnt: Behandlung vom 23. Juli 1994 bis 6. August 1994 (Bescheid vom 23. Juni 1994), vom 9. Juli 1995 bis 23. Juli 1995 (Bescheid vom 20. Februar 1995), vom 29. September 1996 bis 30. Oktober 1996 (Bescheid vom 9. August 1996), vom 29. März 1999 bis 12. April 1999 (Bescheid vom 3. Januar/ vom 3. Februar 1999) und vom 25. Juli 2000 bis 8. August 2000 (Bescheid vom 5. Juli 2000).

6

Mit Urteil vom 16. Januar 2001 hat das SG die Klage gegen sämtliche zuvor genannten Bescheide abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Anspruch der Klägerin auf Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) während der streitigen Zeit geruht habe. Nach § 18 Abs. 1 SGB V könne die Krankenkasse die Kosten einer erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich sei. Durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 16. Juni 1999 sei geklärt, dass diese Voraussetzungen hinsichtlich der Therapie nach Dr Kozijavkin nicht erfüllt seien.

7

Gegen das der Klägerin am 24. Januar 2001 zugestellte Urteil hat diese Berufung eingelegt, die am 26. Februar 2001 (Montag) beim Landessozialgericht (LSG) eingegangen ist. Sie ist der Ansicht, dass ihre Behandlung im Institut Dr. Kozijavkin die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 und 2 SGB V erfülle.

8

Im Termin vom 16. Juni 2004 hat die Klägerin die Klage bis auf die Behandlung vom 25. Juli bis 8. August 2000 zurückgenommen.

9

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 16. Januar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2000 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin hinsichtlich ihres Antrages auf Kostenerstattung für die Behandlung im Institut Dr Kozijavkin während des Zeitraumes vom 25. Juli bis 8. August 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

10

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

12

Der Senat hat unter dem ursprünglichen Aktenzeichen dieses Verfahrens vor dem LSG Niedersachsen-Bremen L 4 KR 46/01 das Gutachten des Chefarztes der Städtischen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Braunschweig und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin eV Prof Dr C. vom 8. April 2002, das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Manuelle Therapie eV in Hamm Dr D. vom 24. Mai 2002 und das Gutachten des Ärztlichen Direktors des Kinderzentrums München und Vorstand des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof Dr Dr von E. vom 6. August 2002 jeweils nebst Anlagen eingeholt.

13

Es haben weiterhin zahlreiche von der Klägerin überreichte Unterlagen und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten der ersten und zweiten Instanz vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich noch die Behandlung der Klägerin im Institut Dr. Kozijavkin vom 25. Juli bis 8. August 2000. Hinsichtlich der übrigen Behandlungen hat die Klägerin die Klage im Termin vom 16. Juni 2004 zurückgenommen.

15

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

16

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Neubescheidung hinsichtlich ihrer Behandlung im Institut Dr. Kozijavkin vom 25. Juli bis 8. August 2000 zu.

17

Ein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung ergibt sich nicht aus zwischenstaatlichem Recht. Denn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine bestehen keine Vereinbarungen über die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen.

18

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit Europäischem Gemeinschaftsrecht ruht ein Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung, solange sich ein Versicherter im Ausland aufhält, das nicht zum Vertragsgebiet der Europäischen Union (EU) gehört. Die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat der EU. Ansprüche einer Versicherten nach dem SGB V während eines Aufenthaltes in der Ukraine ruhen daher grundsätzlich.

19

Hiervon besteht im Falle der Klägerin jedoch eine Ausnahme. Denn in § 18 SGB V hat der Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung von dem grundsätzlichen Ruhen eines Leistungsanspruches bei Auslandsaufenthalt vorgesehen. Im Falle der Klägerin liegen diese Voraussetzungen vor. Sie hat nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V einen Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte für die Behandlung in der Zeit vom 25. Juli bis 8. August 2000.

20

Die Frage, ob die Methode Dr Kozijavkin die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfüllt, war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14. Februar 2001 (B 1 KR 29/00 R in SozR 3-2500 § 18 Nr. 6) entschieden, dass die Behandlungsmethode Dr Kozijavkin bis einschließlich August 1999 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V entsprochen hat. Nach Ansicht des BSG war die Methode bis zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich nicht anerkannt. Das Therapiekonzept von Dr Kozijavkin sei in den seinerzeit verfügbaren Äußerungen deutscher Wissenschaftler und sozialpädiatrischer Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt worden. Das könne sich jedoch geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept Dr Kozijavkin und die mit dieser Methode erzielten Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September 1999 einem Fachpublikum vorgestellt und veröffentlicht worden seien. Damit ist höchstrichterlich entschieden, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für Behandlungen bei Dr Kozijavkin bis August 1999 nicht erfüllt sind.

21

Der Klägerin steht aber ein Anspruch auf Neubescheidung nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für die Behandlung vom 25. Juli bis 8. August 2000 zu.

22

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung im Ausland ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Krankenkasse darüber hinaus weitere Kosten für den Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder teilweise übernehmen (§ 18 Abs. 2 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG entspricht eine Behandlungsmethode dann dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn sie nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, also von Ärzten und Wissenschaftlern, befürwortet wird. Von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen muss über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehen (BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, a.a.O.). Dem schließt sich der erkennende Senat grundsätzlich an.

23

Die Methode Dr Kozijavkin entspricht ab September 1999 dem allgemein anerkannten Stand der medizinischer Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

24

Aufgrund des Gutachtens des Ärztlichen Direktors im Kinderzentrum München und Vorstands des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof Dr Dr F. vom 6. August 2002 und des Gutachtens des Chefarztes der Klinik für Manuelle Therapie eV in Hamm G. vom 22. April 2002 hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Behandlungsmethode Dr Kozijavkin von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, insbesondere von Ärzten und Krankengymnasten, befürwortet wird. Der gegenteiligen Ansicht im Gutachten des Chefarztes der Städtischen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Braunschweig und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin eV Prof Dr C. vom 8. April 2002 vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

25

Die Therapie Dr Kozijavkin ist eine Methode zur Behandlung der ICP. Die Folgen dieser Erkrankung können gravierend und progredient sein, z.B. spastische Lähmungen, pathologische Mitbewegung, Synergien, Intelligenzminderung, Verzögerung der Sprachentwicklung, Seh- und Sensibilitätsstörungen (Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl. 2002, S. 1813 f.) Wie der Sachverständige Prof Dr Dr F. in seinem Gutachten überzeugend dargestellt hat, fehlen eindeutige Kenntnisse zur Grundproblematik, insbesondere zu den Ursachen der ICP. Es wird angenommen - so der Sachverständige -, dass die ICP durch eine Schädigung der kindlichen Entwicklung in einer sehr frühen Phase (vor allem intrauterin) verursacht wird. Während bislang angenommen wurde, dass ausschließlich das Gehirn der Ort der Schädigung ist, richtet sich das Interesse zunehmend auf das Rückenmark, weil z.B. Mikrozirkulationsstörungen, Sauerstoffunterversorgung, Azidose nicht nur das Zentralnervensystem, sondern auch das Rückenmark schädigen können.

26

Da die Ursachen der ICP nicht eindeutig bekannt sind, ist eine Behandlung der Patienten mit ICP schwierig. In der Vergangenheit wurden vor allem Krankengymnastik nach Vojta und nach Bobath sowie Ergotherapie angewandt. Inzwischen ist neben der Konduktiven Förderung nach Petö auch die Methode Dr Kozijavkin hinzugekommen, wie der Sach-verständige Prof Dr Dr F. ausführt. Für keine der genannten Methoden liegen nach den Bekundungen des Sachverständigen Langzeit- oder Effektivitätsstudien vor. Gleichwohl sind die Krankengymnastik nach Vojta und nach Bobath sowie die Ergotherapie in der Fachwelt seit langem allgemein anerkannt. Sie werden auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt.

27

Die Methode Dr Kozijavkin beruht auf einem multimodalen Behandlungskonzept. Therapieelemente sind nach Prof Dr Dr F. vor allem: die Manualtherapie mit der Wirbelsäulen-Deblockierung (im Gegensatz zur Rotation der klassischen Manualtherapie nicht nach ventral vorn, sondern in der Rotation nach dorsal über den obersten Punkt des vorderen knöchernen Beckenhöhepunktes); die Gelenktherapie mit dem Ziel der Lockerung von Versteifungen und Verkürzungen durch Fibrilieren; die Reflextherapie zur Aufhebung von Muskelverhärtungen und Versteifungen, zur besseren Durchblutung etc.; die Krankengymnastik für die Entwicklung eines eigenen Modus von Körperkontrolle und Fortbewegung; die Massage mit dem Ziel der Verbesserung von Muskel(ver)spannungen; die Musiktherapie zur Koordination und Synchronität der eigenen Bewegung etc. und die Bienenwachstherapie.

28

Aufgrund der Beweiserhebung hat der erkennende Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Methode Dr Kozijavkin inzwischen von der Mehrheit der Fachleute befürwortet wird, weil sie für die Behandlung der Folgen der ICP zweckmäßig und wirksam ist.

29

Die Akzeptanz der Methode Dr Kozijavkin in der Fachwelt, bei Ärzten und Ärztinnen sowie bei Krankengymnasten und Krankengymnastinnen ist kontinuierlich gestiegen. Sie nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu. Das haben die Sachverständigen Prof Dr Dr F. und G. übereinstimmend, überzeugend und glaubhaft bekundet. Grund für die Akzeptanz sind die deutlichen Behandlungserfolge der Methode, die bei einem Großteil der Patienten zu verzeichnen sind. Mit der Therapie Dr Kozijavkin und den positiven Ergebnissen ist - so Prof Dr Dr F. - endlich Bewegung in die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ICP gekommen. Prof Dr Dr F. stützt seine Bekundung auf eigene Erhebungsdaten. Der Sachverständige G. verweist für die Akzeptanz der Methode Dr Kozijavkin bzw. der manualtherapeutisch-reflektorischen Behandlung bei ICP auf Kongresse in Deutschland und in der Schweiz, auf Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin und auf eine Studie der Klinik für Manuelle Therapie, Hamm, in Zusammenarbeit mit der Universität Münster. Beide Sachverständigen befürworten in ihren Gutachten das Behandlungskonzept Dr Kozijavkin auch persönlich, weil sie festgestellt haben, dass zahlreiche Patienten nach der Behandlung bei Dr Kozijavkin erstmals in der Lage waren, aus dem Rollstuhl aufzustehen, sich mit den Beinen fortzubewegen, die Hände zu öffnen, sich sogar selbst zu versorgen. Der Senat misst der Akzeptanz der Methode Dr Kozijavkin gerade durch diese beiden Sachverständigen, Prof Dr Dr F. und G., hohes Gewicht bei. Denn beide Sachverständige sind Chefärzte renommierter großer Kliniken für die Behandlung cerebralgeschädigter Kinder und Jugendlicher. Sie sind angesehene, führende Fachleute auf dem Gebiet der Behandlung der ICP, Prof Dr Dr F. in seiner Funktion als Ärztlicher Direktor im Kinderzentrum München und als Vorstand des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München und Dr D. als Chefarzt der Klinik für Manuelle Therapie eV in Hamm.

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Die überwiegende Akzeptanz der Methode Dr Kozijavkin in der Fachwelt ist für den Senat uneingeschränkt nachvollziehbar und plausibel. Das Behandlungsteam Dr Kozijavkin hat eine Analyse seiner Behandlungsdaten erstellt, die 12.265 Kinder und Jugendliche mit ICP erfasst. Der Sachverständige Prof Dr D F. hat hierzu im Einzelnen Stellung genommen. Er betont, dass die Behandlungsdaten-Analyse die Wirksamkeit der Methode Dr Kozijavkin nicht nur erkennbar macht, sondern sie auch glaubhaft darstellt. Zu den Angaben im Einzelnen führt Prof Dr Dr F. aus, dass bei 94 % der untersuchten 10.793 Patienten von einer Verringerung des spastischen Muskeltonus berichtet wird. Die Veränderung der Beweglichkeit der Großgelenke verbesserte sich aktiv bei 91 % und passiv bei 84 % der behandelten Patienten. 75 % der Patienten (von 12.265) gelang es, eine Kopfkontrolle zu erlernen, 62 % lernten das Sitzen, 41 % zu stehen, 28 % zu krabbeln und 19 % das freie Laufen. Bei 87 % der Patienten verbesserte sich die Handöffnung. Hinsichtlich der Wirkungsdauer dieser Effekte konnte bei 47 % der hierzu befragten 7.722 Patienten (von insgesamt 12.265) eine andauernde Verbesserung der erreichten motorischen Fortschritte festgestellt werden. Bei 45 % trat eine Verbesserung der Funktion zu einzelnen motorischen Fähigkeiten ein. Bei allen untersuchten Kindern kam es außerdem zu einem gewissen Anstieg des Intelligenzquotienten.

31

Wie Prof Dr Dr F. überzeugend betont, werden durch diese langjährigen ärztlichen Erfahrungen die deutlichen Behandlungserfolge der Methode Dr Kozijavkin eindrucksvoll belegt. Die guten Behandlungserfolge sind um so höher zu bewerten, als es sich bei den Patienten zumeist um schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche handelt, für die überhaupt nur wenige nachhaltige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Durch die Methode Dr Kozijavkin wird die Entwicklung bei einer großen Zahl dieser Patienten entscheidend positiv beeinflusst. Viele der Patienten können - so Prof Dr Dr F. - durch die Methode Dr Kozijavkin zum ersten Mal elementare menschliche Grundfähigkeiten erlernen, wie z.B. das Kopfheben, das Greifen, das Stehen, das Gehen (s.o.). Damit eröffnen sich für diese Patienten neue und gute Perspektiven. Sie erhalten die Chance auf eine bessere und würdigere Gestaltung ihres Lebens. Zugleich wird damit die Solidargemeinschaft der Versicherten entlastet, weil viele der Patienten in geringerem Umfang als vorher auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen sind.

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Für die Feststellung des Senats, dass die Methode nach Dr Kozijavkin inzwischen dem medizinischen Standard entspricht, ist es unerheblich, dass der Sachverständige Prof. Dr C. meint, die Gruppe der Neuropädiater befürworte die Methode nicht. Denn Prof Dr C. stützt sein kurzes Gutachten auf eine Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie ("Behandlung motorischer Störungen mit manueller Therapie" in der Monatsschrift Kinderheilkunde 1999, 696 ff.). In dieser Stellungnahme jedoch hat sich die Gesellschaft für Neuropädiatrie zur allgemeinen Akzeptanz der Methode Dr Kozijavkin nicht geäußert. Die Stellungnahme gibt zunächst die positiven Behandlungserfolge der Methode Dr Kozijavkin wieder. Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse äußert die Stellungnahme nicht, sondern lehnt die Methode Dr Kozijavkin lediglich deshalb ab, weil die Evaluation der von Dr Kozijavkin vorgelegten Behandlungsergebnisse jeglichen statistisch-wissenschaftlichen Standards entbehre. Allein dieser Umstand besagt jedoch nichts über die allgemeine Akzeptanz der Behandlungsmethode. Die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode kann nicht nur durch Studien, sondern auch durch Expertenwissen oder klinische Erfahrung belegt werden. Wäre das nicht der Fall, so müsste in der gesetzlichen Krankenversicherung auch auf eine Anwendung der Methoden nach Vojta und Bobath sowie der Ergotherapie verzichtet werden, weil auch für sie keine entsprechenden Studien vorliegen.

33

Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V liegen schließlich auch insoweit vor, als die Behandlung mit der Methode Dr Kozijavkin nur im Ausland möglich ist. Das folgt aus der Aussage des Sachverständigen Prof Dr Dr F ... Er hat überzeugend ausgeführt, dass in Deutschland kein multimodales Behandlungskonzept besteht, das mit der Methode Dr Kozijavkin in vollem Umfange vergleichbar ist. Zwar bietet das Kinderzentrum München teilmodale Behandlungsblöcke für die ICP an. Sie umfassen jedoch andere Techniken als die Methode Dr Kozijavkin.

34

Ähnliches gilt für andere Behandlungszentren in Deutschland. Der Sachverständige Dr D. weist darauf hin, dass in seiner Klinik für Manuelle Therapie in Hamm zwar ein ähnliches, doch nicht in vollem Umfang gleiches Konzept angewendet wird wie bei Dr Kozijavkin. Hinzu kommt nach der Bekundung von Dr D., dass diese alternativen Behandlungsmöglichkeiten im Bundesgebiet nur spärlich vorhanden sind. Allein in seiner Klinik bestehen Wartezeiten von mehr als einem Jahr, so dass er seine Patienten immer wieder auf die Behandlungsmöglichkeit bei Dr Kozijavkin verweist, um keine wichtigen Zeiträume in der Entwicklung der Kinder verstreichen zu lassen.

35

Der Tatbestand des § 18 Abs.1 Satz 1 SGB V ist somit erfüllt. Die Rechtsfolge einer Kostenübernahme steht nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V im Ermessen der Beklagten, wie der Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V "kann" belegt. Die Beklagte war daher zur Neubescheidung des Antrages der Klägerin auf Übernahme der Behandlungs- und Begleitkosten (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V) für die Behandlung der Klägerin bei Dr Kozijavkin im Juli/August 2000 zu verurteilen.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

37

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).