Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.06.2004, Az.: L 4 KR 45/01
Pulsierende Signaltherapie als eine nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse in Bezug auf die Behandlung einer Gonarthrose oder einer Retropatellararthrose entsprechende Theraphie im Jahre 2000; Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine unaufschiebbare Leistung im Falle der vorherigen Nichterbringung einer erforderlichen Leistung durch eine Krankenkasse; Voraussetzungen und Umfang eines Anspruchs auf Krankenbehandlung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.06.2004
- Aktenzeichen
- L 4 KR 45/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 34966
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2004:0616.L4KR45.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - AZ: S 8 KR 28/00
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V
- 12 Abs. 1 SGB V
- § 13 Abs. 3 SGB V
- § 27 Abs. 1 SGB V
Fundstellen
- NZS 2004, 481 (amtl. Leitsatz)
- SGb 2005, 235-236 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Die pulsierende Signaltherapie entsprach im Jahre 2000 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse in Bezug auf die Behandlung einer Gonarthrose oder einer Retropatellararthrose.
In dem Rechtsstreit
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
ohne mündliche Verhandlung
am 16. Juni 2004
in Celle
durch
die Richterin Schimelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
den Richter Schreck und
den Richter Wolff sowie
die ehrenamtlichen Richter Tofahrn und Roth
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für eine so genannte pulsierende Signaltherapie (PST).
Der Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Er leidet unter einer schweren Gon- und Retropatellararthrose beidseits. Er wurde am 27. Oktober und 8. Dezember 1999 am Knie operiert und beantragte bei der Beklagten im Januar 2000 die Kostenerstattung für neun ambulant durchgeführte Behandlungen mit PST. Dem Antrag fügte er u.a. zwei Operationsberichte bei. Darin wird u.a. eine PST für ratsam gehalten. Eine ärztliche Verordnung lag der Beklagten nicht vor.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2000 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Die Therapie sei in den Richtlinien des Bundesausschusses über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als nicht anerkannte Methode aufgenommen. Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle bei der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. März 2000).
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, die am 10. April 2000 beim Sozialgericht (SG) Aurich eingegangen ist. Er fügte die Rechnung vom 19. Januar 2000 der Arthro-Klinik in Wilhelmshaven über einen Betrag von DM 2.600,-- (1.329,35 EUR) bei. Die neun Behandlungen fanden in der Zeit vom 10. bis zum 19. Januar 2000 statt. Mit Urteil vom 16. Januar 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht in Betracht komme. Die Behandlung mit der PST gehöre nicht zu den von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldeten Leistungen. Das ergebe sich aus § 135 SGB V i.V.m. den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Gem. Anlage B, Ziffer 24, zu den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V vom 10. Dezember 1999 (Bundesanzeiger Nr. 56, Seite 4602 vom 21. März 2000) gehöre die PST nicht zu den Methoden, die als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürften.
Gegen das dem Kläger am 24. Januar 2001 zugestellte Urteil hat dieser Berufung eingelegt, die am 26. Februar 2001 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingegangen ist. Der Kläger ist der Ansicht, dass nach der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für den Versicherten keine normativen Wirkungen entfalten könnten. Die PST sei dem Kläger vom behandelnden Arzt empfohlen worden und habe zu einer merklichen Linderung seiner Beschwerden geführt.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 16. Januar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Arthro-Klinik in Höhe von 2.600,-- DM (1.329,35 EUR) zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren eine Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie eV vom 19. November 2003 eingeholt. Darin führt der Sekretär des Gesellschaft, Dr. C., aus, dass es sich bei der pulsierenden Signaltherapie Anfang des Jahres 2000 nicht um eine Methode gehandelt habe, die dem medizinischen Standard entsprochen habe. Dr D. hat seiner Auskunft eine Veröffentlichung von Schmidt-Rohlfing/Silny/Niethard "Pulsierende Elektromagnetische Felder in der Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen der Bewegungsorgane - eine Übersicht und Metaanalyse" in der Zeitschrift für Orthopädie und ihre Grenzgebiete 2000, 377 ff, beigefügt.
Weiterhin hat der Senat die Auskunft der Arthro-Klinik vom 19. März 2004 eingeholt.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des SG Aurich vom 16. Januar 2001 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten sind im Ergebnis zutreffend. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber der Beklagten gemäß § 13 Abs. 3 SGB V.
§ 13 Abs. 3 SGB V in der hier anzuwendenden alten Fassung bestimmt: Konnte eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alternative 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (Gesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I, S 2266). Nach allgemeiner Ansicht tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung. Er besteht daher nur, soweit die Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von der gesetzlichen Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen sind.
Anhaltspunkte für eine Notfallbehandlung liegen nicht vor, sodass § 13 Abs. 3 Alternative 1 SGB V von vornherein ausscheidet.
Entgegen der Ansicht des Klägers liegen aber auch die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 Alternative 2 SGB V nicht vor.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Satz 1). Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V i.d.F. des Gesetzes vom 22. Dezember 1999, BGBl I, S 2626). Anspruch auf Krankenbehandlung besteht jedoch nur, wenn die Maßnahme dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) und dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) entspricht.
Krankheit i.S. der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V) ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein regelwidriger Zustand liegt dann vor, wenn der Körper- oder Geisteszustand vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger unter einer schweren Gon- und Retropatellararthrose beidseits litt. Aus diesem Grund fand am 27. Oktober 1999 sowie am 8. Dezember 1999 jeweils eine Arthroskopie des linken bzw. des rechten Kniegelenkes mit Abrasionsarthroplastik des Gleitlagers statt. Am 27. Oktober 1999 wurde am linken Knie eine Teilsynovektomie, eine Knorpelglättung, eine Exophyten-Abtragung und eine Gelenklavage durchgenommen. Am 8. Dezember 1999 erfolgte am rechten Knie eine Entfernung von freien Gelenkkörpern, Abtragung von kleineren Osteophyten, eine Innenmeniskus-Teilresektion sowie eine Plicaresektion. In beiden Operationsberichten wurde eine PST-Behandlung empfohlen bzw. erwähnt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Anspruch des Klägers bereits an einer fehlenden ärztlichen Verordnung scheitert. Denn ein Anspruch auf Behandlung mit der PST entfällt schon deshalb, weil die PST im Jahr 2000 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprach.
Die Frage, ob eine Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, ist mit normsetzender Wirkung für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V zu entscheiden. Der Senat vermag sich der gegenteiligen Auffassung der Beklagten und des SG, die sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stützen, nicht anzuschließen. Der erkennende Senat verweist insoweit insbesondere auf sein Urteil vom 23. Februar 2000 - L 4 KR 130/98 (in NZS 2001, 32 ff) und auf das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 1 BvR 347/98, das die verfassungsrechtliche Legitimation der Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gegenüber den Versicherten gemäß § 92 SGB V betrifft.
Im Ergebnis jedoch ist der Ansicht des SG und der Beklagten zuzustimmen. Die PST war Anfang 2000 keine Behandlung, die dem allgemein anerkannten medizinischen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach.
Diese Feststellung ergibt sich aus der überzeugenden Auskunft des Dr D. von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie eV vom 19. November 2003, der sich der Senat anschließt. Dr. Holfelder betont, dass es sich bei der PST zurzeit der Behandlung des Klägers Anfang des Jahres 2000 nicht um eine Methode gehandelt hat, die dem medizinischen Standard entsprach.
Diese Schlussfolgerung wird belegt durch die Abhandlung über die "Pulsierenden elektromagnetischen Felder in der Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen der Bewegungsorgane - eine Übersicht und Metaanalyse" von Schmidt-Rohlfing/Silny/Niethard in der Zeitschrift für Orthopädie und Grenzgebiete 2000, 377 ff. Zwar werden - so Schmidt-Rohlfing/Silny/Niethard - pulsierende elektromagnetische Felder zunehmend häufiger therapeutisch eingesetzt. Die Autoren belegen in ihrer Übersichtsarbeit jedoch, dass die PST bislang wissenschaftlich nicht ausreichend evaluiert ist.
Die Übersichtsarbeit von Schmidt-Rohlfing/Silny/Niethard bezog wichtige experimentelle Studien ein. Insgesamt lagen 37 klinische Studien vor, die 3379 Patienten betrafen. Es zeigte sich, dass nur ein geringer Teil der Studien als prospektive Studien mit Kontrollgruppen durchgeführt worden war. Die Ergebnisse waren bei den unterschiedlichen orthopädischen Krankheitsbildern nicht eindeutig und zum Teil widersprüchlich. Unter Berücksichtigung der bislang bekannten physikalisch-physiologischen Grundlagen blieben viele Aspekte der Therapie offen. Die Analyse der bisherigen klinischen Studien über den Einsatz von pulsierenden elektromagnetischen Feldern in der Behandlung orthopädischer Erkrankungen ergab daher kein gesichertes wissenschaftliches Ergebnis. Überzeugend kommen Schmidt-Rohlfing/Silny/Niethard daher zu der Schlussfolgerung, dass der Einsatz von pulsierenden elektromagnetischen Feldern bei orthopädischen Krankheitsbildern Anfang 2000 nicht gesichert gewesen ist.
Dem entspricht es, dass im Frühjahr 2000 weder eine Leitlinie noch eine sonstige Empfehlung einer medizinischen Fachgesellschaft zur PST vorlag.
Der Kläger hat demzufolge keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich, sodass die Berufung zurückgewiesen werden muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Schreck
Wolff