Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.10.1985, Az.: 1 OVG B 71/85

Verletzung subjektiver Nachbarrechte durch Baugenehmigung für einen Taubenschlag; Zulässigkeit des Baus von Nebenanlagen; Bau von Nebenanlagen in Abhängigkeit mit Eigenart des Baugebiets; Baurechtliches Gebot der Rücksichtnahme

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.10.1985
Aktenzeichen
1 OVG B 71/85
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1985, 14504
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1985:1008.1OVG.B71.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - AZ: 2 D 47/85

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer Baugenehmigung für einen Taubenschlag (Nachbarwiderspruch) - vorläufiger Rechtsschutz -.

Prozessführer

des Tierarztes Dr. ... 11,

Prozessgegner

den Landkreis ...

Sonstige Beteiligte

Taubenhalter ...

In der Verwaltungsrechtssache
hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
am 8. Oktober 1985
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer Lüneburg - vom 19. Juli 1985 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Errichtung eines Taubenschlages anzuordnen, zu Recht abgelehnt. Zwar vermag der Senat noch nicht endgültig abzusehen, ob sich die Genehmigung als rechtmäßig erweisen wird oder nicht. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, die in diesem Verfahren nur möglich ist, spricht jedoch mehr dafür, daß die Genehmigung keine subjektiven Nachbarrechte des Antragstellers verletzt und damit Bestand haben wird. Das Interesse des Beigeladenen, die Genehmigung bis zur Entscheidung in einem möglichen Klageverfahren ausnutzen zu dürfen, ist daher höher zu bewerten als das Interesse des Antragstellers daran, daß der (bereits weitgehend fertiggestellte) Taubenschlag vorerst nicht genutzt wird.

2

Die für den Taubenschlag erteilte Genehmigung verstößt nach dem jetzigen Erkenntnisstand des Senats nicht gegen die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, die als Regelung der Art der baulichen Nutzung nachbarschützenden Charakter hat (Gelzer, Bauplanungsrecht, 4. Aufl., RdNr. 834). Danach gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1, die planungsrechtlich dann zulässig sind, wenn sie dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und seiner Eigenart nicht widersprechen, auch solche für die Kleintierhaltung. Daß der Taubenschlag von seiner Größe her eine untergeordnete Nebenanlage ist und Tauben Kleintiere sind (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urt. v. 26.09.1980 - 6 OVG A 188/78 -, ZfBR 1981, 98 m.w.N.), ist hier nicht zweifelhaft. Der Taubenschlag dient auch dem Nutzungszweck des Grundstücks, auf dem er errichtet worden ist. Dem steht nicht entgegen, daß der Beigeladene auf dem Grundstück selbst nicht wohnt, sondern er das dort stehende Wohnhaus vermietet hat. Für die Zulässigkeit einer untergeordneten Nebenanlage kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, ob sie dem Nutzungszweck des jeweiligen Grundstücksnutzers dient, sondern darauf, daß sie - unabhängig von der Person des jeweiligen Eigentümers oder sonst zur Nutzung Berechtigten - dem Nutzungszweck des Grundstücks dient. Das ist hier der Fall. Das Grundstück des Beigeladenen dient zum Wohnen. Zur Wohnnutzung gehört auch die Kleintierhaltung (und damit die Taubenhaltung), sie ist nach dem Willen des Gesetzgebers Ausfluß des Begriffs des "Wohnens". Gerade um das klarzustellen, hat er den Satz 2 in den § 14 Abs. 1 BauNVO eingefügt (Urt. d. Sen. v. 14.09.1978 - 1 OVG A 183/77 -, Die Gemeinde 1979, 49). Ob die Taubenhaltung auf dem Grundstück des Beigeladenen - wie der Antragsteller meint - deshalb unzulässig ist, weil sie der Eigenart des konkreten Baugebiets widerspricht, kann letztlich nur aufgrund einer Ortsbesichtigung entschieden werden. Denn dafür ist neben der allgemeinen Zweckbestimmung auch auf die konkreten Verhältnisse im einzelnen Baugebiet abzustellen, d.h. es wäre bei der Ortsbesichtigung zu prüfen, ob die Taubenhaltung der Prägung des einzelnen Baugebiets, die es durch seine tatsächliche Entwicklung im Rahmen seiner Zweckbestimmung konkret erhalten hat, nicht widerspricht (OVG Lüneburg, Urt. v. 26.09.1980 - 6 OVG A 188/78 -, a.a.O.). Die Durchführung einer Ortsbesichtigung verbietet sich in diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren jedoch aus zeitlichen Gründen, so daß der Senat die Frage, ob die Taubenhaltung der Eigenart des Baugebiets widerspricht, summarisch nach der Aktenlage beurteilen muß. Danach spricht Überwiegendes dafür, daß die Taubenhaltung hier zulässig ist. Das Baugebiet, in dem die Grundstücke des Antragstellers und des Beigeladenen liegen, ist planungsrechtlich nicht als reines, sondern als allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Mit der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets ist eine Brieftaubenhaltung von 50 Tieren, die der Beigeladene plant, generell vereinbar. Dabei handelt es sich noch um eine typische Hobbytierhaltung, deren erleichterte Zulassung mit der Einfügung des Satzes 2 in den § 14 Abs. 1 BauNVO gerade erreicht werden sollte, wie überhaupt die Kleintierhaltung - wie der Regelung des § 4 Abs. 3 Nr. 6 BauNVO zu entnehmen ist - in einem allgemeinen Wohngebiet nicht von vornherein als wesensfremd angesehen werden kann (vgl. auch d. Urt. d. erkennenden Sen. v. 14.09.1978 und d. Urt. d. 6. Sen. v. 26.09.1980, a.a.O., in denen eine Haltung von 96 bzw. 30 Brieftauben sogar in einem reinen Wohngebiet für zulässig ... gehalten worden ist). Die konkreten Verhältnisse im hier in Frage stehenden allgemeinen Wohngebiet rechtfertigen, soweit sie dem Senat aus den Schriftsätzen der Beteiligten und den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners bekannt sind, keine andere Beurteilung. Zwar mag es ... ein "relativ neues (10 Jahre altes) gehobenes Wohngebiet mit komfortablen Häusern, auf deren innere und äußere ästhetische Ausstattung viel Wert gelegt wurde bzw. wird", sein. Jedoch wird das Gebiet auch dadurch geprägt, daß es sich um ein ehemaliges Waldgebiet handelt und eine Vielzahl ca. 150jähriger Kiefern auf den einzelnen Grundstücken auch auf denen des Antragstellers und des Beigeladenen- noch vorhanden sind, sowie dadurch, daß jenseits der nördlich an die Straße "..." grenzenden bebauten Grundstücke der Außenbereich beginnt und auch dieser Bereich nach der vorliegenden Katasterkarte weitgehend bewaldet ist. Gerade in einem solcherart geprägten Gebiet, in dem sich naturgemäß ohnehin mehr Vögel aufhalten als in anderen Baugebieten, erscheint die vom Beigeladenen geplante Brieftaubenhaltung unbedenklich (OVG Lüneburg, Urt. v. 26.09.1980 - 6 OVG A 188/78 -, a.a.O.).

3

Die Brieftaubenhaltung des Beigeladenen verstößt voraussichtlich auch nicht gegen das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme, das bei der Anwendung von Bebauungsplänen seine Ausprägung in § 15 Abs. 1 BauNVO gefunden hat (BVerwG, Urt. v. 05.08.1983 - 4 C 96.79 -, DVBl 1984, 143). Es ist nicht zu erwarten, daß von ihr Belästigungen oder Störungen ausgehen werden, die für den Antragsteller unzumutbar sind, auch wenn die Entfernung zwischen der Terrasse seines Hauses und dem Taubenschlag nur etwa 12 m beträgt. Dafür, daß die Belästigungen und Störungen die Zumutbarkeitsschwelle nicht überschreiten werden, sprechen folgende Umstände und Erwägungen: Die Zahl der Brieftauben, die in dem Schlag gehalten werden dürfen, ist nach der Baugenehmigung auf 25 Paare beschränkt (vgl. außer den schon erwähnten Urteilen d. erkennenden u. d. 6. Sen. die Urt. d. BayVGH v. 28.04.1983 - Nr. 15 B 80 A. 1417 - BRS 40 Nr. 67, der die Haltung von 80 bis 90 Tauben in einem fast ausschließlich dem Wohnen dienenden Bereich nicht als "rücksichtslos" angesehen hat, und d. VGH Mannheim v. 03.02.1982 - 3 S 2078/81 - BRS 39 Nr. 64, der die Haltung von 50 Brieftauben in einem Gebiet mit dem Charakter eines allgemeinen Wohngebiets mit Elementen eines Dorf- und eines Mischgebiets für zulässig gehalten hat). Die Gefahr, daß der Beigeladene die Zahl von 25 Paaren (ungenehmigt) überschreitet, ist relativ gering, weil für vier Brieftauben bei artgerechter Haltung mindestens 1 qm Bodenfläche zur Verfügung stehen soll, der Schlag mit einer - nach Abzug der Fläche des Vorraums noch verbleibenden - Nutzfläche von 12,38 qm also gerade zur Haltung von 50 Brieftauben ausreicht (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 03.02.1982 - 3 S 2078/81 -, a.a.O.). In Rechnung zu stellen ist ferner das spezifische Verhalten von Brieftauben. Diese verlassen - im Gegensatz zu sog. Feldflüchtern und Wildtauben - grundsätzlich sofort die Umgebung des Schlages und suchen ihn nach der Rückkehr im allgemeinen sofort wieder auf, d.h. sie belästigen die unmittelbare Umgebung des Schlages, was das "Gurren" und die Verkotung betrifft, in relativ geringem Umfang (Urt. d. Sen. v. 14.09.1978, a.a.O.; VGH Mannheim, Urt. v. 03.02.1982 - 3 S 2078/81 -, a.a.O.; OVG Münster, Urt. v. 22.06.1971 - X A 425/69 -, BRS 24 Nr. 37). Zu einer Vermindung der Belästigungen und Störungen trägt weiter die Auflage Nr. 13 zur Baugenehmigung bei, nach der die Tauben in der Mittagszeit (von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr) und an Sonnabenden, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen im Schlag festzusetzen sind, sie also - mit Ausnahme der Fälle, in denen sie von Wettbewerbsflügen zurückkehren - zu diesen Zeiten und an diesen Tagen nicht ein- und ausfliegen dürfen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 03.02.1982 - 3 S 2078/81 -, a.a.O.). Die Belästigungen des Antragstellers durch Fluggeräusche werden sich auch deshalb in Grenzen halten, weil die Tauben nach den Feststellungen des Antragsgegners anläßlich einer Ortsbesichtigung das Grundstück des Beigeladenen nur nach Norden hin verlassen und nur von Norden her einfallen können. Der (Flug-)Weg über das östlich gelegene Grundstück des Antragstellers und die westlich und südlich angrenzenden Nachbargrundstücke soll ihnen durch Gruppen von 10 m bis 13 m hohen Kiefern und 6 m bis 7 m hohen Fichten versperrt sein. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu berücksichtigen, daß sich nicht jedesmal der gesamte Bestand zum Fliegen im Freien aufhält, sondern die Tauben ihre Freiflüge in der Regel in kleineren Gruppen absolvieren, was die Belästigungen durch Fluggeräusche ... mindert (vgl. d. Urt. d. Sen. v. 14.09.1978, a.a.O.). Wenn die Tauben im Schlag sind, gewährleistet die Ausführung der Außenwände (20 mm Stülpschalung, 80 mm Wärmedämmung, 5 mm starke Sperrholztafelverkleidung im Innern), daß der Antragsteller durch das "Gurren" - auch wenn er sich auf seiner Terrasse aufhält - nicht unzumutbar belästigt und gestört wird. Daß die Bewohner der benachbarten Grundstücke keinen Geruchsbelästigungen ausgesetzt werden, hat der Antragsgegner durch die Auflage Nr. 14 zur Baugenehmigung zu erreichen versucht, nach der der Schlag hygienisch einwandfrei zu betreiben ist. Wenn sich insoweit Beanstandungen ergeben, wird er allerdings diese Auflage präzisieren, d.h. dem Beigeladenen die Maßnahmen aufgeben müssen, durch die die Geruchsbelästigungen vermieden werden. Was schließlich die Gesundheitsgefahren angeht, die nach den Angaben des Antragstellers, eines Tierarztes, mit der Taubenhaltung verbunden sein sollen, so vermag der Senat die Richtigkeit dieser Angaben und das Ausmaß einer eventuellen Gefährdung auch dritter Personen aus eigener Sachkenntnis nicht zu beurteilen. Wenn er dennoch nicht der Beschwerde stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers angeordnet hat, dann deshalb, weil der Antragsgegner im Genehmigungsverfahren das Veterinäramt eingeschaltet und dieses für die Erteilung der Baugenehmigung "grünes Licht" gegeben hat. Dafür, daß die Gefährdung dritter Personen durch die Taubenhaltung nicht so akut ist, wie sie vom Antragsteller dargestellt wird, spricht auch das Gutachten eines Professors Dr. F., das in dem dem Urteil des OVG Münster vom 22. Juni 1971 (a.a.O.) zugrundeliegenden Fall eingereicht worden ist. Nach den Ausführungen in diesem Gutachten, die das OVG Münster als "überzeugend" und "sachgerecht" bezeichnet hat, sind fast ausnahmslos die Brieftaubenhalter selbst gesundheitlich gefährdet sowie in geringem Maße die mit den Brieftaubenhaltern in Hausgemeinschaft lebenden und die beim Taubentransport behilflichen Personen. Im übrigen soll eine Infektionsmöglichkeit lediglich bei der Verwendung von Taubeneiern zu Speisen, nicht aber bei Berührung mit Taubenkot bestehen. Zu Recht weist das OVG Münster darauf hin, daß ein Indiz für die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen der Umstand ist, daß die Gesundheitsbehörden gegen die Brieftaubenhaltung bisher nichts unternommen haben.

4

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

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Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG festgesetzt worden.

6

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG festgesetzt worden.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).

Dr. Pietsch
Fries
Gaßmann