Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.07.2008, Az.: 2 Ws 174/08
Berechnung der für einen Längenzuschlag eines Pflichtverteidigers maßgeblichen Hauptverhandlungszeit; Berücksichtigung der Dauer der Unterbrechung einer Hauptverhandlung für eine Mittagspause bei Berechnung der Teilnahmedauer des Verteidigers
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.07.2008
- Aktenzeichen
- 2 Ws 174/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 18750
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:0709.2WS174.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 21.04.2008
Rechtsgrundlagen
- Nr. 4122 VV RVG
- § 243 Abs. 1 S. 1 StPO
Verfahrensgegenstand
Kostenfestsetzung
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bei der Berechnung der für den Längenzuschlag des Pflichtverteidigers maßgeblichen Hauptverhandlungszeit wird die Zeitspanne zwischen dem in der Ladung gerichtlich verfügten Beginn der Hauptverhandlung und dem tatsächlichen Beginn der Dauer der Hauptverhandlung hinzugerechnet, wenn der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt bereits tatsächlich erschienen war.
- 2.
Die Dauer der Unterbrechung für eine Mittagspause ist von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung und damit auch von der Teilnahmedauer des Verteidigers in Abzug zu bringen. Hält sich der Verteidiger im Anschluss an eine vom Vorsitzenden zeitlich bestimmte Pause wieder zur Verfügung des Gerichts, so ist die Zeit bis zum tatsächlichen (Wieder-)Beginn der Hauptverhandlung in den für den Längenzuschlag maßgeblichen Zeitraum einzurechnen.
In der Strafsache
...
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Stade
gegen
den Beschluss der 2. Hilfsstrafkammer des Landgerichts Stade vom 21. April 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht,
den Richter am Oberlandesgericht und
den Richter am Amtsgericht
am 09. Juli 2008
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird verworfen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
In einem noch laufenden erstinstanzlichen Strafverfahren vor der 2. Großen Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Stade nahm Rechtsanwalt B. als bestellter Verteidiger des Angeklagten pp. an dem Hauptverhandlungstermin am 9 Oktober 2007 teil. Der Beginn der Hauptverhandlung war auf 9.30 Uhr terminiert und der Pflichtverteidiger entsprechend geladen worden. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls begann die Hauptverhandlung um 10:15 Uhr und endete um 15:50 Uhr. Grund für den verspäteten Beginn war das verspätete Erscheinen eines Dolmetschers Die Hauptverhandlung wurde neben kürzeren Unterbrechungen um 13:30 Uhr unterbrochen und um 14:50 Uhr fortgesetzt Unmittelbar nach Fortsetzung verkündete der Vorsitzende einen Kammerbeschluss zu einem vor der Unterbrechung gestellten Antrag der Verteidigung bezüglich der Zurverfügungstellung einer DVD.
Mit seinem Antrag auf Festsetzung der Vergütung machte der Pflichtverteidiger u.a. für den genannten Hauptverhandlungstag neben der Terminsgebühr (Nr. 4121, 4120 VV RVG) eine zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 4122 VV RVG (sogenannter Längenzuschlag) in Höhe von 178 EUR zzgl. Mehrwertsteuer, insgesamt also 211,82 EUR, geltend. Der Kostenbeamte des Landgerichts Stade setzte die Gebühren am 15. Januar 2008 im Wesentlichen antragsgemäß fest, setzte jedoch die Gebühr gemäß Nr. 4122 VV RVG u.a. auch für den Verhandlungstag am 9. Oktober 2007 mit der Begründung ab, dass die Mittagspause von der Hauptverhandlungsdauer abzuziehen sei. Gegen diese Entscheidung legte der Pflichtverteidiger Erinnerung mit der Begründung ein, dass von der Strafkammer grundsätzlich Mittagspausen von 60 Minuten angeordnet worden seien. Bei längeren Pausen handele es sich nicht um Mittagspausen, sondern um prozessbedingte Verzögerungen. Er sei jeweils sowohl zum verfügten Hauptverhandlungsbeginn als auch nach der Mittagspause verhandlungsbereit anwesend gewesen. In einem Schreiben des Strafkammervorsitzenden an den Bezirksrevisor vom 12. Februar 2008 wird ausgeführt, dass von Seiten des Gerichts mit allen Verteidigern für jeden Sitzungstag eine Mittagspause von einer Stunde vereinbart worden sei. Dies bestätigte der Kammervorsitzende auch in seiner dienstlichen Äußerung vom 26. Mai 2008. Sofern es darüber hinaus zu Unterbrechungen gekommen sei, handele es sich nicht um verlängerte Mittagspausen. Dies gelte auch für den Sitzungstag am 9. Oktober 2007. Mit dem angefochtenem Beschluss vom 21. April 2008 änderte der Vorsitzende der 2. Hilfsstrafkammer des Landgerichts Stade auf das Rechtsmittel des Verteidigers den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Januar 2008 dahingehend ab, dass der Verteidiger auch für den Verhandlungstag am 9. Oktober 2007 eine Zusatzgebühr nach Nr. 4122 VV RVG erhielt. Der Vorsitzende führte zur Begründung aus, dass am 9. Oktober 2007 zwar eine Pause von mehr als einer Stunde entstanden sei, diese Zeitspanne jedoch nicht für die gesamte Mittagspause, die auch an diesem Tage mit einer Stunde angesetzt worden sei, zur Verfügung gestanden habe. Demgemäß habe die Verhandlungsdauer mehr als fünf Stunden betragen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Bezirksrevisor mit seiner Beschwerde vom 23. April 2008. In seiner Begründung vom 13. Mai 2008 führt er u.a. aus, dass sich die Dauer der Unterbrechung für die Mittagspause nicht aus dem Protokoll ergäbe.
II.
1.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Dem Beschwerdeführer steht für die Sitzung vom 9. Oktober 2007 eine zusätzliche Gebühr gem. Nr. 4122 VV RVG zu. Die Gebühr gem. Nr. 4122 VV RVG entsteht zusätzlich zur Terminsgebühr; wenn der Pflichtverteidiger mehr als 5 und bis zu 8 Stunden an einer Hauptverhandlung in erster Instanz vor dem Schwurgericht teilnimmt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Das RVG enthält keine Regelung, wie die Dauer der Teilnahme an einer Hauptverhandlung zu berechnen ist. Der Gesetzesbegründung zum Sinn der Regelung der Nr. 4122 VV RVG ist zu entnehmen, dass der Pflichtverteidiger bei langen Sitzungen einen festen Zuschlag erhalten soll, um den besonderen Zeitaufwand für seine anwaltliche Tätigkeit angemessen honoriert zu bekommen, sodass er in diesen Fällen nicht ausschließlich auf die Bewilligung einer Pauschgebühr angewiesen ist (vgl. BT-Drucksache 15-1971, S. 224). In der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie der Kommentarliteratur ist dabei streitig, ob für den zu berechnenden Zeitaufwand des Rechtsanwaltes auf den tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache oder auf den in der Ladung bestimmten Sitzungsbeginn abzustellen ist. Ebenso umstritten ist, ob und ggf. inwieweit längere Sitzungsunterbrechungen, insbesondere Mittagspausen, von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung abzuziehen sind. Weitgehende Einigkeit besteht lediglich darin, dass kürzere Unterbrechungen nicht abzusetzen sind.
a)
Teilweise wird vertreten, dass die Wartezeit des Verteidigers zwischen dem ursprünglich in der Ladung bestimmten Sitzungsbeginn und dem nach Aufruf der Sache erfolgten tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung keine Anrechnung finden solle (OLG Saarbrücken. Beschluss v. 20. November 2007 - 1 Ws 221/07 - nach [...]; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 191 f. [OLG Saarbrücken 20.02.2006 - 1 Ws 5/06]). Dafür spreche zunächst der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Zeit der Teilnahme an der Hauptverhandlung abstelle. Auch Sinn und Zweck der Regelung sowie ihre systematische Stellung sprächen für diese Auslegung. Wartezeiten seien im Rahmen der Gesetzessystematik bereits durch die großzügig erhöhte Terminsgebühr erfasst. Nur diese Auffassung sei auch praktikabel, da die tatsächliche Dauer der Hauptverhandlung und die Anwesenheit des Rechtsanwalts während der Hauptverhandlung durch das Sitzungsprotokoll nachgewiesen werden könne. Die Hauptverhandlung beginne nach § 243 Abs. 1 S. 1 StPO mit dem Aufruf der Sache. Nur dieser Zeitpunkt und das jeweilige Ende des Hauptverhandlungstermines würden eingangs in der Sitzungsniederschrift vermerkt werden.
b)
Demgegenüber soll nach anderer Auffassung die Zeitspanne zwischen dem in der Ladung gerichtlich verfügten Beginn der Hauptverhandlung und dem tatsächlichen Beginn der Dauer der Hauptverhandlung hinzugerechnet werden, wenn der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt bereits tatsächlich erschienen war (KG Beschluss vom 25.05.2007 - 1 Ws 36/07 - nach [...]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2006, NStZ-RR 2006, 391; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 31.08.2006, NStZ-RR 2006, 392; OLG Stuttgart, Rechtspfleger 2006, 36 f., vgl. auch bereits den Senatsbeschluss vom 10.07.2007 - 2 Ws 124/07 -). Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Es ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich der Rechtsanwalt ab dem Zeitpunkt, der in der Terminsladung genannt wird, zur Verfügung des Gerichts halten muss und aus diesem Grund an einer anderweitigen Tätigkeit gehindert ist. Dies entspricht der Regelung in der Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG für die Entstehung einer Terminsgebühr, die der Verteidiger schon dann erhält, wenn er zu einem anberaumten Termin zwar erscheint, dieser Termin aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, tatsächlich nicht stattfindet. Auch dann entsteht der Anspruch auf Vergütung allein schon aus dem Umstand, dass sich der Verteidiger für den Termin zur Verfügung gehalten hat. Dieser Grundsatz ist auf die Berechnung der Dauer einer Hauptverhandlung nach Nr. 4122 VV RVG zu übertragen. Ab dem auf der Ladung vermerkten Zeitpunkt kann das Gericht die Sache jederzeit gem. § 243 Abs. 1 StPO aufrufen, der Verteidiger muss sich dafür zur Verfügung halten. Praktischen Problemen begegnet diese Auslegung nicht, da der Ladungszeitpunkt feststeht.
c)
Hinsichtlich des in Rechtsprechung und Literatur ebenfalls streitigen Abzuges von Mittagspausen hat der Senat bereits entschieden, dass die Dauer der Unterbrechung für eine Mittagspause von der Gesamtdauer der Hauptverhandlung und damit auch von der Teilnahmedauer des Verteidigers in Abzug zu bringen ist (s. Beschluss vom 10. Juli 2007, 2 Ws 124/07; vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 12.06.2007, 1 Ws 310/07 - nach [...]; KG Beschluss vom 25.05.2007, a.a.O.). An dieser Auffassung hält er fest. Auch in diesem Zusammenhang kommt es darauf an, ob sich der Verteidiger tatsächlich zur Verfügung des Gerichts hält und aus diesem Grunde an einer anderweitigen Berufsausübung gehindert ist. Beides ist im Rahmen einer Mittags-"Pause" schon begrifflich ausgeschlossen. In dieser Zeit nimmt der Rechtsanwalt gerade nicht tatsächlich an der Hauptverhandlung teil, sodass dieser Zeitraum auch nicht vergütet werden kann.
Der Grundsatz, wonach die tatsächliche Verfügbarkeit des Verteidigers Maßstab für dessen Vergütung zu sein hat, gilt auch für die Berücksichtigung der Mittagspause im Rahmen der Berechnung der Verhandlungsdauer. Hält sich der Verteidiger im Anschluss an eine vom Vorsitzenden zeitlich bestimmte Pause wieder zur Verfügung des Gerichts, so ist die Zeit bis zum tatsächlichen (Wieder-)Beginn der Hauptverhandlung in den von Nr. 4122 VV RVG genannten Zeitraum von "mehr als 5 Stunden" einzurechnen.
So liegt es hier. Der Vorsitzende hat die Mittagspause am Verhandlungstag auf eine Stunde bestimmt. Nach Ablauf dieser Stunde war der Verteidiger zur Fortsetzung der Hauptverhandlung erschienen, wobei diese zwar noch nicht beginnen konnte, der Verteidiger sich dafür aber zur Verfügung zu halten hatte.
2.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze dauerte die Hauptverhandlung am 9. Oktober 2007 5 Stunden und 20 Minuten. Demgemäß sind die Voraussetzungen für die Entstehung der Zusatzgebühr aus Nr. 4122 VV RVG gegeben. Als Nachweis für den Zeitpunkt des Erscheinens zu den vom Gericht festgelegten Zeitpunkten genügt im Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend §§ 104 Abs. 2, 294 ZPO eine anwaltliche Versicherung. Diese kann bereits in einem entsprechenden Kostenfestsetzungsantrag oder einem entsprechenden Beschwerdevorbringen zu sehen sein.
Zur Vermeidung von Unklarheiten empfiehlt der Senat, im Zweifelsfall die tatsächliche Dauer der vom Gericht angeordneten Mittagspausen in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen.
Das Beschwerdeverfahren ist gem. § 56 Abs. 2 S. 2 RVG gebührenfrei. Kosten werden gem. § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht erstattet.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).