Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 30.09.2004, Az.: 7 A 2552/04
Ausbildung; Ausbildungsgeld; Einkommen; Lebensunterhalt; Weiterbildung; Zweckbestimmung; Zweckidentität
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 30.09.2004
- Aktenzeichen
- 7 A 2552/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50750
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 76 Abs 1 BSHG
- § 77 BSHG
- § 85 Abs 1 Nr 1 BSHG
- § 3 Abs 2 GSiG
- § 102 Abs 1 SGB 3
- § 103 Nr 2 SGB 3
- § 104 Abs 1 Nr 2 SGB 3
- § 98 SGB 3
Tenor:
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger in der Zeit vom 15. Oktober 2002 bis 30. April 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. - ab 01.07.2003 - Leistungen nach dem GSiG in gesetzlicher Höhe ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes zu gewähren. Die entgegenstehenden Bescheide der Samtgemeinde Stadtoldendorf hinsichtlich der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Leistungen nach dem GSiG ab 21.01.2003 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides und der Widerspruchsbescheid vom 21.04.2004 selbst werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung von Ausbildungsgeld als Einkommen.
Vom Beklagten hat er in der Vergangenheit laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, zuletzt bezog er Leistungen nach dem GSiG. Seit dem 15.10.2002 ist er in den „D. eGmbH“ in Holzminden beschäftigt (Eingangsverfahren der Werkstatt).
Mit Bescheid vom 26.11.2002 bewilligte ihm das Arbeitsamt Hameln für die Zeit vom 15.10.2002 bis 14.01.2004 Ausbildungsgeld in Höhe von 57,00 € monatlich, mit Bescheid vom 12.02.2004 dann für die Zeit vom 15.01.2004 bis 15.03.2004 Ausbildungsgeld in Höhe von 67,00 € monatlich.
Mit Bescheid vom 19.12.2002 bewilligte ihm die Samtgemeinde E., die namens und im Auftrag des Beklagten den Sozialhilfefall des Klägers regelt, ihm laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ab Oktober 2002, setzte jedoch das Ausbildungsgeld in voller Höhe als Einkommen an. Auf den Widerspruch des Klägers ersetze die Samtgemeinde diesen Bescheid durch einen neuen Bescheid vom 21.01.2003. Nunmehr setzte sie als Oktober 2002 vom Einkommen des Klägers einen Freibetrag in Höhe von 25,00 € monatlich ab. Entsprechend wurde bei der Gewährung von Leistungen nach dem GSiG verfahren, die der Kläger ab 01.07.2003 erhielt.
Da der Kläger trotz des Bescheides vom 21.01.2003 an seinem Widerspruch festhielt, wies der Beklagte den Widerspruch, soweit nicht abgeholfen war, mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2004 zurück. Dabei führte der Beklagte aus, streitbefangen sei die Anrechnung des Ausbildungsgeldes für die Leistungen nach dem BSHG bzw. zwischenzeitlich nach dem Grundsicherungsgesetz.
Der Kläger hat am 17.05.2004 Klage erhoben.
Er vertritt die Auffassung, dass Ausbildungsgeld sei kein Erwerbseinkommen im Sinne des § 76 Abs. 2a BSHG. Auszubildenden sei aber ein Regelsatzzuschlag im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 entsprechend der Höhe des Absetzungsbetrages bei Erwerbstätigen zuzubilligen. Damit habe ihm das gesamte Ausbildungsgeld zu verbleiben.
Der Kläger beantragte zunächst,
den Bescheid der Samtgemeinde S. vom 19.12.2002 einschließlich der Folgebescheide, zuletzt des Bescheides vom 22.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 21.04.2004 aufzuheben, soweit eine Anrechnung des von dem Kläger erzielten Ausbildungsgeldes erfolgte und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes zu zahlen.
Nachdem mit Beschluss vom 25.08.2004 über die Gewährung von Prozesskostenhilfe entschieden wurde, teilte der Kläger mit, die Klage bleibe im Umfang der Prozesskostenhilfebewilligung aufrecht erhalten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Er tritt der Klage entgegen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 24.08.2004 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
In der Mitteilung im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.09.2004, die Klage bleibe im Umfang der Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufrecht erhalten, ist eine teilweise Klagerücknahme zu sehen. Denn damit wird zum Ausdruck gebracht, dass, soweit Prozesskostenhilfe versagt wurde, die Klage nicht aufrecht erhalten bleibt. Gemäß § 92 Abs. 3 VwGO war das Verfahren entsprechend einzustellen.
Ausdrücklich hat der Kläger in seinem Schriftsatz vom 24.05.2004 nur eine höhere Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht jedoch von Leistungen nach dem GSiG beantragt. Aus seinem Vorbringen im Rahmen der Klage ergibt sich jedoch, dass er daneben höherer GSiG-Leistungen begehrt. Dies wird bereits durch seinen Klageantrag deutlich, in dem auch der Bescheid vom 22.04.2004 genannt wurde. Das Gericht versteht das - noch aufrechterhaltene - Klagebegehren des Klägers nach alledem dahingehend, dass er sich gegen die Anrechnung des Ausbildungsgeldes im Zeitraum vom 15.10.2002 bis einschließlich April 2004 wendet.
Bei laufenden Leistungen der Sozialhilfe wird der zeitliche Prüfungsumgang des Gerichtes grundsätzlich erst mit der letzten Verwaltungsentscheidung, d.h., regelmäßig dem Erlass des Widerspruchsbescheides, begrenzt. Zwischenzeitlich erlassene weitere Hilfebescheide, die jedoch die gleiche angegriffene Regelung enthalten, werden ohne weiteres in das Verfahren einbezogen, ohne dass es insoweit eines erneuten Widerspruches bedarf. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die bisher durch den Widerspruch streitgegenständlichen Regelungen durch ganz andere Regelungen ersetzt werden. Dies ist natürlich erst recht der Fall, wenn nunmehr Hilfe nicht mehr nach dem BSHG, sondern stattdessen Leistungen nach dem GSiG gewährt werden. Von daher hätte es grundsätzlich eines erneuten Widerspruches gegen die Anrechnung von Einkommen bei Leistungen nach dem GSiG bedurft, um den Eintritt der Bestandskraft der entsprechenden GSiG-Bescheide zu verhindern. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte zwar in der Betreffzeile des Widerspruchsbescheide nur die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erwähnt, jedoch in der Begründung deutlich gemacht, dass auch die Anrechnung von Einkommen „zwischenzeitlich nach dem Grundsicherungsgesetz“ streitbefangen ist. Dadurch, dass der Beklagte die Frage der Anrechnung von Einkommen bei den GSiG-Leistungen mit in seine Widerspruchsentscheidung einbezogen hat, hat er - auch soweit es um den Zeitraum von Juli 2004 bis April 2004 geht - den Rechtsweg (neu) eröffnet.
Die nach alledem im aufrechterhaltenen Umfange nunmehr uneingeschränkt zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte hätte das Ausbildungsgeld nicht als Einkommen anrechnen dürfen.
Zwar zählen nach § 76 Abs. 1 BSHG alle Einkünfte in Geld zum Einkommen eines Hilfeempfängers, so dass es unerheblich ist, dass es sich bei dem Ausbildungsgeld nicht um Erwerbseinkommen iSd § 76 Abs. 2a BSHG handelt.
Jedoch steht § 77 BSHG der Anrechnung entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, nur insoweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Das ist bei der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Leistungen nach dem GSiG (für das gem. § 3 Abs. 2 GSiG der § 77 BSHG ebenfalls anzuwenden ist) bezogen auf ein Ausbildungsgeld nach § 104 Abs. 1 Nr. 2 SGB III bei einer Maßnahme im Eingangsverfahren einer Werkstatt für Behinderte der Fall (so auch Brühl, in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 77 Rdnr. 17).
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat zu der Frage, ob Ausbildungsgeld nach dem SGB III und Sozialhilfe für den gleichen Zweck gewährt wird, ausgeführt:
„Nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BSHG kann die Aufbringung von Mitteln unter der Einkommensgrenze verlangt werden, soweit von einem anderen Leistungen für einen besonderen Zweck gewährt werden, für den sonst Sozialhilfe zu gewähren wäre. § 85 Abs. 1 Nr. 1 BSHG setzt somit Zweckidentität der Leistungen voraus, die hier nicht gegeben ist. Das Ausbildungsgeld ist eine Leistung für einen besonderen Zweck (vgl. dazu Krahmer in LPK-BSHG, 5. Aufl. , § 85 RdNr. 3; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 85 RdNr. 8). Nach § 102 Abs. 2 Nr. 2 SGB III werden Leistungen für die Teilnahme an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich in anerkannten Werkstätten für Behinderte erbracht, um die Leistungsfähigkeit oder Erwerbsfähigkeit des Behinderten so weit wie möglich zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen, wenn erwartet werden kann, dass der Behinderte nach Teilnahme an diesen Maßnahmen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 54 des Schwerbehindertengesetzes zu erbringen. Die besondere Zweckbestimmung der Gewährung von Ausbildungsgeld liegt gerade darin, dass es für die Teilnahme des Behinderten an der Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich in einer Werkstatt für Behinderte geleistet wird.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auch für das insoweit vergleichbare Übergangsgeld und das Unterhaltsgeld die konkrete Zweckbestimmung der Sozialleistung in der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme gesehen (BVerwG, Urt. v. 19.12.1995 - 5 C 27.93 -, FEVS 46, 309, 311; BVerwG, Urt. v. 21.7.1994 - 5 C 32.91 -, BVerwGE 96, 246, 249).Ausbildungsgeld wird danach nicht für einen Zweck geleistet, für den sonst Sozialhilfe zu gewähren wäre, denn für die Teilnahme an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich würden keine Leistungen nach dem BSHG gezahlt werden (vgl. Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl., § 85 RdNr. 13; Brühl in ZfF 1999, 105 ff). Das Ausbildungsgeld ist seinem Charakter nach keine Leistung zur Bestreitung des Lebensunterhalts, ihm kommt eher die Funktion einer Arbeitstrainingsprämie ("Belohnung") zu (Lauterbach in Gagel, SGB III - Arbeitsförderung - Kommentar, Stand 2000, § 104 RdNr. 4, § 107 RdNr. 4). So hat das Bundessozialgericht in einer Entscheidung vom 26. September 1990 (- 9b/7 RAr 100/89 -, FEVS 41, 468, 472) auch ausgeführt, dass das Ausbildungsgeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die für den persönlichen Bedarf frei verfügbaren Mittel erhöhen und dadurch die Motivation für Berufsausbildungsmaßnahme fördern solle“ (Urteil vom 22.02.2001 - 12 L 3923/00, FEVS 52, 508; ebenso: Urteil vom 14.03.2001 - 4 L 3636/00 -).
Dem folgt das erkennende Gericht. Nach alledem ist der Zweck, für den das Ausbildungsgeld gewährt wird nicht identisch mit dem Zweck, für den laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Leistungen nach dem GSiG gewährt werden.
Nun bezieht sich die eben zitierte Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zwar auf § 85 Abs. 1 Nr. 1 BSHG. Diese Vorschrift setzt im Gegensatz zu § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG gerade keinen ausdrücklich in einer Vorschrift genannten Zweck voraus. Um § 77 Abs. 1 BSHG anwenden zu können muss demgegenüber die Zweckbestimmung in der Vorschrift ausdrücklich genannt sein. Es fehlt an einer Zweckbestimmung, wenn diese erst im Wege der Auslegung gewonnen werden kann (Fichtner, BSHG 1999, § 77 Rdnr. 2). Der Zweck muss vielmehr in der anderen öffentlich-rechtlichen Vorschrift beschrieben sein (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, § 77 Rdnr. 11).
Einzuräumen ist zwar, dass weder in § 98, noch in den §§ 103 Nr. 2 und 104 SGB III eine Zweckbestimmung für das Ausbildungsgeld enthalten. Bei dem Ausbildungsgeld handelt es sich jedoch - § 103 SGB III - um eine besondere Leistung. Diese besonderen Leistungen werden, wie § 102 Abs. 1 SGB III ausdrücklich vorschreibt, zur Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung erbracht. Dieser in § 102 Abs. 1 SGB III ausdrücklich genannte Zweck ist mit dem Zweck, für den laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird, nicht identisch.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.