Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.06.2019, Az.: 2 Ws 158/19
Eintritt von Führungsaufsicht nach Vollstreckung eines ausländischen Urteils in Deutschland
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 25.06.2019
- Aktenzeichen
- 2 Ws 158/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 26879
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 29.04.2019 - AZ: 29 StVK 22/19
Rechtsgrundlagen
- IRG § 48
- IRG §§ 48 ff.
- IRG § 57 Abs. 4
- IRG § 84f
- IRG § 84g
- IRG § 84k
- StGB § 2 Abs. 6
- StGB § 68f
Fundstellen
- StRR 2019, 3
- StV 2020, 31-33
Amtlicher Leitsatz
1. Wird die Strafe aus einem gemäß §§ 84f, 84g IRG bzw. § 48ff. IRG für vollstreckbar erklärten ausländischen Urteil (hier: Portugal) in Deutschland vollständig verbüßt, kann bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 68f StGB Führungsaufsicht eintreten. Es kommt dabei nicht darauf an, ob diese Rechtsfolge auch bei Vollverbüßung im Ausland eingetreten wäre, da sich die Vollstreckung nach deutschem Recht richtet.
2. Der Zeitpunkt der Entscheidung über den Eintritt der Maßregel des § 68f StGB im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB ist der Beschluss der Strafvollstreckungskammer, mit dem das Nichtentfallen der Maßregel festgestellt wird.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 5 des Landgerichts Hannover vom 29.04.2019 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde mit Urteil des Gerichts von Faro/Portugal - Gerichtskammer 2 - vom 15.02.2016 (Az. 424/15.9 PBFAR) nach Maßgabe des Urteils des Berufungsgerichts von Évora/Portugal vom 27.09.2016 (Az. 424/15.9 PBFAR.E1) wegen versuchten Mordes (nach portugiesischem Recht) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Die Vollstreckung aus dem Urteil hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle - mit Zustimmung des Verurteilten - mit Beschluss vom 14.07.2017 für zulässig erklärt. Ausweislich der Beschlussgründe ist die Tat nach deutschem Recht als versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu bewerten. Der Verurteilte hat die Freiheitsstrafe am 30.04.2019 vollständig verbüßt.
Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss, dem Verurteilten am 03.05.2019 zugestellt, den Eintritt der Führungsaufsicht gem. §68f StGB festgestellt, die Dauer der Führungsaufsicht auf vier Jahre festgesetzt, den Verurteilten der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihm gemäß § 68 b StGB mehrere Weisungen erteilt. Mit seiner sofortigen Beschwerde, die am 06.05.2019 bei Gericht einging, wendet sich der Verurteilte gegen den Eintritt bzw. das Nichtentfallen der Führungsaufsicht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Anordnung der Führungsaufsicht ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 StPO zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat § 68f StGB im vorliegenden Fall zu Recht für anwendbar erachtet. Die Voraussetzungen der Norm sind erfüllt.
a. § 68f StGB ist auf die in Deutschland vollstreckte Strafe, die aus dem gemäß §§ 84f, 84g, 48ff. IRG für vollstreckbar erklärten portugiesischen Urteil folgt, anwendbar.
(1) Die Beschwerde wendet ein, dass nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung des portugiesischen Berufungsgerichts geltenden portugiesischen Strafrecht im Falle einer Verurteilung wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren der Eintritt von Führungsaufsicht bei Vollverbüßung nicht möglich wäre, sondern gemäß Art. 177 des portugiesischen Strafvollzugsgesetzes diese Folge erst bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren gesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 2 Abs. 6 StGB sei über Maßregeln der Besserung und Sicherung, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Es sei insoweit auf den Zeitpunkt der Verurteilung abzustellen, daher müsse sich die Frage des Eintritts der Führungsaufsicht nach portugiesischem Recht richten.
(2) Das Beschwerdevorbringen dringt nicht durch.
Die Vollstreckung ausländischer Strafurteile in Deutschland richtet sich im Rahmen des Vollstreckungshilfeverkehrs mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union grundsätzlich nach den §§ 84 ff. IRG sowie gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 1 IRG ergänzend nach den Vorschriften des Vierten Teils (§§ 48-58 IRG) sowie den allgemeinen Vorschriften des ersten und siebten Teils. In Ermangelung einer besonderen Bestimmung in den §§ 84 ff. IRG gilt für die Vollstreckung der Grundsatz des § 57 Abs. 4 IRG, wonach sich die Vollstreckung der (ggf. umgewandelten) Sanktion nach den Vorschriften richtet, die auf eine entsprechende, nach den Vorschriften in der BRD verhängte Sanktion anwendbar wären. Gegenstand der Vollstreckung ist das ausländische Erkenntnis in der Form, die es durch die deutsche Exequaturentscheidung erhalten hat (Ambos/König/Rackow, Rechtshilferecht in Strafsachen, 1. Aufl. 2015, IRG § 57 Rn. 140, beck-online; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 57 IRG Rn. 3).
Schon deswegen kann im Hinblick auf § 2 Abs. 6 StGB nicht angenommen werden, für die weiteren vollstreckungsrechtlichen Entscheidungen käme es auf den Zeitpunkt des Erlasses der ausländischen Entscheidung an, da die deutsche Exequaturentscheidung nach §§ 54, 55 IRG die Vollstreckungsgrundlage bildet und auf den Zeitpunkt ihres Erlasses abzustellen ist.
Mit dem Erlass der vorliegenden Exequaturentscheidung oder - abstrakt - mit dem Erlass eines eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Tat oder eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen Straftaten der in § 181b genannten Art anordnenden Urteils wird aber ohnehin noch keine Entscheidung über den Eintritt von Führungsaufsicht gemäß § 68f StGB getroffen. Diese gesetzliche Folge tritt gemäß § 68f Abs. 1 S. 1 StGB erst mit Vollverbüßung einer solchen Strafe ein, wenn das Gericht nicht das Entfallen des Eintritts der Maßregel gemäß § 68f Abs. 2 StGB anordnet; diese Entscheidung erging am 29.04.2019 unter Geltung des deutschen Rechts
(3) Der Anwendung von § 68f StGB stehen auch keine grundsätzlichen Regelungen im Recht der Vollstreckungshilfe entgegen.
Die Vollstreckung nach dem Recht der in der BRD für eine entsprechende Sanktion geltenden Vorschriften schließt nicht nur die in §§ 84k, 57 Abs. 2 IRG besonders geregelte Möglichkeit der Reststrafenaussetzung nach den Vorschriften des StGB ein, sondern gilt allgemein für die Bestimmungen der §§ 57ff., 67ff. StGB (OLG Köln, Beschluss vom 13. 4. 2012 - 2 Ws 197/12; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 57 IRG Rn. 13).
Bewusste Ausnahmen von dem Prinzip, dass sich die Vollstreckung allein nach dem deutschen Recht zu richten hat, hat der Gesetzgeber in Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (ABl. L 327 vom 5.12.2008, S. 27), gesondert ausgestaltet.
So sieht der mit dem "Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen" vom 17.7.2015 (BGBl. I S. 1349) neu geschaffene §84k Abs. 1 S. 1 und 2 IRG vor, dass - insoweit entsprechend der bereits zuvor geltenden Regelung § 57 Abs. 2 IRG - die Vollstreckung des Restes der freiheitsentziehenden Sanktion zur Bewährung ausgesetzt werden kann und die Vorschriften des Strafgesetzbuchs entsprechend gelten. Darüber hinaus ordnet § 84k Abs. 1 S. 3 IRG an, dass die Entscheidung über eine Aussetzung zur Bewährung bereits zu dem Zeitpunkt zu treffen ist, zu dem die verurteilte Person bei einer fortwährenden Vollstreckung in dem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht einen Anspruch auf Prüfung der Aussetzung zur Bewährung hätte.
Dass es sich insoweit um eine bewusste Ausnahme handelt, belegen die Materialien zum Gesetzentwurf: Über die Regelung in § 84k IRG hinaus sei es nicht Aufgabe der Gerichte, das gesamte ausländische Strafaussetzungsrecht zu vergleichen und gegebenenfalls entsprechend der Praxis im Ausstellungsstaat anzuwenden, wenn dies im Einzelfall für die verurteilte Person günstiger erscheint, zumal die dortige Vollstreckungspraxis im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland auf anderen sozialen, geographischen, ethnischen oder gesellschaftspolitischen Verhältnissen fußen kann. Dies fordert auch nicht das sogenannte Meistbegünstigungsprinzip im Vollstreckungshilfeverkehr. Es beinhaltet kein Recht der verurteilten Person bzw. eine Verpflichtung des Vollstreckungsstaates, diese Person nur deshalb, weil sie aus einem anderen Staat überstellt worden ist, gegenüber allen anderen Strafgefangenen in der Bundesrepublik Deutschland aber auch im Verhältnis zu denen im Ausstellungsstaat besserzustellen, je nachdem ob das innerstaatliche Recht für sie günstiger ist oder das Recht des Ausstellungsstaates. Die Gerichte haben vielmehr grundsätzlich nach einheitlichen rechtlichen Bestimmungen vorzugehen, unabhängig davon, ob der Vollstreckung eine in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat ergangene strafrechtliche Entscheidung zugrunde liegt (Reg-E "Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen", BT-Drs. 18/4347, S. 134).
Den Umstand, dass aufgrund der vollständigen Vollstreckung einer ausländischen Strafe in Deutschland nach § 68f StGB Führungsaufsicht eintreten kann, hat der Gesetzgeber dabei im Blick gehabt. Er führt in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aus, dass solche Fälle nicht von dem (ebenfalls mit dem Gesetzentwurf zu regelnden) "Rahmenbeschluss Bewährungsüberwachung", sondern von dem "Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen" umfasst seien (Reg-E a. a.O., S. 60 unten, S. 61, 1. Absatz a. E.). An der Anwendbarkeit der Norm bestehen daher insgesamt keine Zweifel (so im Ergebnis auch: OLG Köln, Beschluss vom 13. 4. 2012 - 2 Ws 197/12).
b. Die Voraussetzungen des § 68f StGB liegen vor. Nach § 68f Abs. 1 StGB tritt nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Tat Führungsaufsicht ein. Diese Voraussetzungen liegen vor, nachdem der Verurteilte eine Freiheitsstrafe von insgesamt vier Jahren wegen einer vorsätzlichen Tat vollständig verbüßt hat.
c. Das Landgericht hat schließlich rechtsfehlerfrei davon abgesehen, ausnahmsweise den Nichteintritt der Führungsaufsicht anzuordnen. Gemäß § 68f Abs. 2 StGB kann das Gericht anordnen, dass die Maßregel der Führungsaufsicht entfällt, wenn zu erwarten ist, dass die verurteilte Person auch ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird. Die Anordnung nach § 68f Abs. 2 StGB hat Ausnahmecharakter und setzt eine uneingeschränkt positive Sozialprognose voraus (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 68 f Rn. 9). Eine positive Sozialprognose kann dem Verurteilten derzeit nicht gestellt werden. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).