Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.09.1980, Az.: 6 A 39/79

Voraussetzung der Einordnung eines Ortsteiles zum Innenbereich; Qualifizierung einer Ortsdurchfahrt als Teil einer Kreisstraße; Erteilung einer Baugenehmigung nach dem Gleichheitsgrundsatz; Erteilung eines auf die grundsätzliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Wohnhauses beschränkten Bauvorbescheides

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.09.1980
Aktenzeichen
6 A 39/79
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1980, 12492
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1980:0904.6A39.79.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - AZ: 3 A 790/77

Verfahrensgegenstand

Baurecht Straßenrecht

Bauvorbescheid Ortsdurchfahrt

Erteilung eines Bauvorbescheides.

Prozessführer

des Arbeiters ...

Prozessgegner

den Landkreis ...

Sonstige Beteiligte

1. Bezirksregierung ...,

2. Gemeinde ...

3. Straßenbauamt ... 5, ...

Amtlicher Leitsatz

Eine Bauvoranfrage kann auf die grundsätzliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens unter Ausschluß der Frage, ob die Erschließung rechtlich gesichert ist, beschränkt werden.

Eine insgesamt nur einseitig bebaute Kreisstraße ist keine Ortsdurchfahrt.

In der Verwaltungsrechtssache
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 3. und 4. September 1980 in Scharrel und Lingen
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Taegen,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Czerwonka und Dr. Lemmel sowie
die ehrenamtlichen Richter Wätjen und Weber am 4. September 1980 in Lingen
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 3. Kammer Oldenburg - vom 1. Februar 1979 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

I.

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides für ein Wohnhaus.

2

Der Kläger und seine Ehefrau sind Eigentümer eines aus den Flurstücken 613/31 und 29/9 der Flur 5 der Gemarkung ... in der Gemeinde ... bestehenden unbebauten, zur Zeit gärtnerisch genutzten Grundstücks. Das Grundstück grenzt mit seiner etwa 80 m langen Front an die Nordseite der ... (Kreisstraße 299), die die Ortsteile ... verbindet. Auf der Nordseite der Straße stehen auf Grundstücken, die durchweg etwa so groß wie das Grundstück des Klägers sind, regelmäßig kleine Wohnhäuser, teilweise mit Nebengebäuden. Die überwiegende Mehrzahl dieser Grundstücke bietet an der Straße Platz für ein bis zwei weitere Häuser. Einige wenige dieser Grundstücke sind in der Vergangenheit geteilt und mit einem zweiten Wohnhaus bebaut worden; hierfür hat der Beklagte bis 1973 Baugenehmigungen erteilt. Auf zwei insgesamt knapp 200 m breiten Waldparzellen befinden sich keine baulichen Anlagen. Die Südseite der Straße ist kilometerweit unbebaut.

3

In dem im Sommer 1980 in Kraft getretenen Flächennutzungsplan der beigeladenen Gemeinde ist das Grundstück des Klägers und der gesamte übrige Bereich an der Elisabethfehner Straße als Fläche für die Landwirtschaft, die beiden Waldparzellen als Fläche für die Forstwirtschaft dargestellt.

4

Den Antrag des Klägers vom 23. März 1977 auf Erteilung eines Bauvorbescheides für ein Wohnhaus auf dem genannten Grundstück lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1977 ab, weil das Grundstück im Außenbereich liege und durch das Vorhaben des Klägers die natürliche Eigenart der Landschaft oder ihre Aufgabe als Erholungsgebiet beeinträchtigt werde und das geplante Vorhaben die Entstehung, Verfestigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lasse. Den Widerspruch des Klägers wies der Präsident des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Oldenburg mit Bescheid vom 23. November 1977 als unbegründet zurück.

5

Mit der Klage hat der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 1977 und den Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Oldenburg vom 23. November 1977 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger durch Bauvorbescheid zu bescheinigen, daß das aus den Flurstücken 613/31 und 29/9 der Flur 5 in der Gemarkung ... bestehende Grundstück mit einem Wohnhaus bebaubar sei.

6

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Das beigeladene Straßenbauamt ... sprach sich ebenfalls gegen das Vorhaben des Klägers aus, weil die zu schaffende Zufahrt den Verkehrswert der freien Strecke der Kreisstraße beeinträchtigen würde.

8

Mit Urteil vom 1. Februar 1979 wies das Verwaltungsgericht Oldenburg - 3. Kammer Oldenburg - die Klage ab. Es beurteilte das Vorhaben nach § 35 BBauG. Als nicht nach § 35 Abs. 1 BBauG priviligiertes Vorhaben beeinträchtige es öffentliche Belange, weil es die Verfestigung der als Splittersiedlung zu wertenden vorhandenen Bebauung befürchten lasse. Dem Vorhaben ständen ferner Belange des Straßenverkehrs entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

9

Mit der Berufung macht der Kläger geltend; Es sei schon fraglich, ob das Vorhaben nicht nach § 34 BBauG beurteilt werden müsse. Die ... ziehe sich in einer Länge von 2,8 km zwischen den Orten ... und ... hin. Entlang der rechten Straßenseite befänden sich 48 Wohnhäuser, die jeweils einen Abstand von 50 bis 100 m aufwiesen. Diese zeilenartige Bebauung sei typisch für die in diesem Gebiet vorhandenen Fehnkolonien. Sie sei Ausdruck der organischen Siedlungstruktur der Fehne. Auch die Gemeinde ... habe die Auffassung vertreten, daß das Gebiet auf der Nordseite der Straße ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil sei. Aber auch nach § 35 BBauG sei sein Vorhaben zulässig. Von einer Verfestigung ... der Splittersiedlung könne nicht mehr gesprochen werden, wenn eine Streubebauung im Außenbereich sich als die herkömmliche Siedlungsform darstelle. Durch Zulassung weiterer Vorhaben würde es nicht zu Spannungen kommen, sondern es würde lediglich unmittelbar zur Straße hin eine dichtere Bebauung auftreten. Dies sei nicht zu mißbilligen. Durch die Ablehnung des Bauvorbescheides werde der Gleichheitsgrundsatz verletzt. Denn der Beklagte habe sich durch seine bis 1973 ausgeübte Genehmigungspraxis gebunden.

10

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klagantrag zu erkennen, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, einen auf die grundsätzliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Wohnhauses beschränkten Bauvorbescheid unter Ausschluß der Frage, ob die Erschließung rechtlich gesichert ist, zu erteilen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, daß seit 1973 an der ... Straße keine Baugenehmigungen mehr erteilt worden seien, nachdem man die bisherige Genehmigungspraxis als rechtswidrig erkannt gehabt habe.

13

Die Beigeladenen sprechen sich ebenfalls gegen das Vorhaben des Klägers aus, ohne eigene Anträge zu stellen.

14

Der Senat hat die Örtlichkeit besichtigt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 3. September 1980 verwiesen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und den der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der beigeladenen Bezirksregierung Bezug genommen.

Gründe

16

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Auf die Erteilung des beantragten Bauvorbescheides hat der Kläger keinen Rechtsanspruch, weil das von ihm geplante Wohnhaus nicht dem öffentlichen Baurecht entspricht (§ 74 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 75 Abs. 1 NBauO). Die Klage muß mit ihrem allgemein auf die Erteilung des Bauvorbescheides für ein Wohnhaus gerichteten Hauptantrag aus bauplanungs- und aus straßenrechtlichen Gründen erfolglos bleiben. Bauplanungsrechtliche Versagungsgründe greifen auch gegenüber dem eingeschränkten Hilfsantrag durch.

17

1.

Das Vorhaben des Klägers ist bauplanungsrechtlich nach § 35 BBauG zu beurteilen. Denn sein Grundstück liegt im Außenbereich (§ 19 Abs. 1 Nr. 3 BBauG 1979), nämlich außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches eines Bebauungsplanes und auch nicht innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BBauG). Die Annahme eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils scheitert daran, daß die an der ... vorhandene Bebauung jedenfalls keinen Ortsteil im Sinne des § 34 BBauG bildet. Ortsteil im Sinne des Bauplanungsrechtes ist ein Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde nur dann, wenn er nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 - BVerwG IV C 31.66 -, BVerwGE 31, 22 [26]). Zwar hat der Bebauungskomplex nördlich der ... Straße von der Zahl der vorhandenen Häuser her eine gewisse Bedeutung. Er ist aber nicht Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur. Insoweit kommt es darauf an, ob der Bebauungskomplex - im Gegensatz zur unerwünschten Splittersiedlung - fortentwicklungswürdig ist (Weyreuther, Bauen im Außenbereich, 1979, S. 339, mit weiteren Nachweisen). Daran fehlt es bei einer bandartigen oder einzeiligen Bebauung, wenn sie nicht auf die Funktion und den Nutzungszweck der Bebauung zurückgeht und darin ihre Rechtfertigung findet, wie möglicherweise die Bebauung eines Seeufers (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.11.1968 - BVerwG IV C 47/68 -, Buchholz 406.11 § 19 BBauG Nr. 20 S. 41 [46]), oder wenn sie - organisch gewachsen - der herkömmlichen Siedlungsform entspricht oder - selbst wenn sie von einer typischen Siedlungsstruktur abweicht - Inhalt einer planerischen Festsetzung sein könnte (BVerwG, Beschl. v. 25.05.1976 - BVerwG IV B 185.75 -, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 56). Die einseitige Bebauung an der ... Straße widerspricht diesen Anforderungen an eine organische Siedlungsstruktur. In ihrer Funktion und ihrem Nutzungszweck findet sie keine Rechtfertigung. Denn es fehlt an einer besonderen Beziehung zwischen der Nutzung der bebauten Grundstücke zu Wohnzwecken und der sie umgebenen Landschaft. Auch der herkömmlichen Siedlungstruktur entspricht die Bebauung nicht. Straßendörfer sind zwar im Oldenburger Raum nichts Ungewöhnliches. Sie haben jedoch - insbesondere die vom Kläger erwähnten Fehndörfer - ihre Wurzel in einer bodenbezogenen Nutzung; als herkömmliche Siedlungsform dienten sie landwirtschaftlichen Betrieben oder Nebenerwerbsbetrieben, nicht jedoch - wie an der ... Straße - einer mehr oder weniger ausschließlichen Wohnbebauung (OVG Lüneburg, Urt. v. 31.05.1979 - VI OVG A 47/77 -, Nds. Rechtspflege 1980, 57 f). Allein dem Wohnen dienende Straßendörfer sind deshalb auch insoweit nicht fortentwicklungswürdig (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 13.11.1973 - BVerwG IV B 81.73 -, BRS Bd. 27 Nr. 72). Eine mehrere Kilometer lange einzeilige Bebauung könnte schließlich auch nicht in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, weil sie heutigen planungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen würde. Denn eine angemessene Befriedigung der legitimen Bedürfnisse der Bewohner derartiger Bebauungskomplexe ist, wenn überhaupt, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich. Tatsächlich fehlen der Bebauung an der ... Straße sämtliche Einrichtungen zur Deckung des lebensnotwendigen täglichen Bedarfs. Die Häuser an der ... Straße bilden deshalb keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil, sondern sind eine Splittersiedlung.

18

Demgemäß könnte das vom Kläger geplante Wohnhaus, da eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 BBauG nicht vorliegt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und der Kläger im Berufungsverfahren auch nicht geltend gemacht hat, nur gemäß § 35 Abs. 2 BBauG zugelassen werden, wenn durch seine Ausführung oder öffentliche Belange nicht beeinträchtigt würden. Das ist jedoch der Fall.

19

Zum einen würde das geplante Wohnhaus des Klägers die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen (§ 35 Abs. 3 BBauG 1976/79). Durch den Bau des Hauses würde die bestehende Splittersiedlung an der ... Straße zwar nicht räumlich ausgedehnt werden. Der von ihr in Anspruch genommene räumliche Bereich würde aber aufgefüllt werden; hierin liegt eine Verfestigung (BVerwG, Urt. v. 03.06.1977 - BVerwG IV C 37.75 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 136 = BBauR Bd. 3 S. 180 [183]). Diese Verfestigung ist auch "zu befürchten" und unerwünscht, weil in ihr ein Vorgang der Zersiedlung zu sehen wäre. Denn die Zulassung des Wohnhauses des Klägers würde eine weitreichende Vorbildwirkung besitzen (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 185). Wie die Ortsbesichtigung durch den Senat ergeben hat, könnten auf den meisten Grundstücken nördlich der ... Straße zwischen den bereits vorhandenen Häusern weitere Wohnhäuser errichtet werden, wie dies auf einigen Grundstücken aufgrund der vom Beklagten bis 1973 erteilten Baugenehmigungen auch bereits geschehen ist. Sogar auf dem Grundstück des Klägers selbst ließe sich ohne weiteres noch ein zweites Haus bauen. Mit dem vom Kläger geplanten Wohnhaus würde deshalb nicht etwa nur zulässigerweise eine Lücke innerhalb einer Splittersiedlung "maßvoll aufgefüllt" (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 31.05.1979 - VI OVG A 68/78). Vielmehr müßte bei einer Zulassung dieses Hauses hingenommen werden, daß auch die übrigen Lücken innerhalb der Splitter Siedlung an der ... Straße geschlossen werden. Das würde bedeuten, daß sich die Zahl der vorhandenen fast fünfzig Wohnhäuser ungefähr verdoppeln würde. Eine solche Entwicklung wäre städebaulich unerwünscht.

20

Zum anderen widerspricht das Vorhaben des Klägers auch den Darstellungen des Flächennutzungsplanes der beigeladenen Gemeinde. In ihm ist das Grundstück des Klägers als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Mit dieser Darstellung ist die Zulassung eines nicht gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBauG 1976/79 privilegierten Wohnhauses unvereinbar. Der Flächennutzungsplan ist auch nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die örtlichen Gegebenheiten von vornherein den planerischen Vorstellungen entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03.1967 - BVerwG IV C 205.65 -, BVerwGE 26, 287[BVerwG 15.03.1967 - IV C 205/65] [293]). Denn die Grundstücke beiderseits der ... Straße und insbesondere auch das Grundstück des Klägers sind noch durch das sie umgebende landwirtschaftlich genutzte Gelände geprägt. Das unbebaute Grundstück des Klägers hat ... mit einer Breite von 80 m eine solche Größe, daß sich die im Flächennutzungsplan vorgegebene Nutzungsart trotz der - teilweisen - Bebauung der Nachbargrundstücke verwirklichen läßt.

21

2.

Dem Hauptantrag des Klägers, den Beklagten zur Erteilung eines (uneingeschränkten) Bauvorbescheides für ein Wohnhaus zu verpflichten, kann ferner aus straßenrechtlichen Gründen nicht entsprochen werden.

22

Im Hinblick auf den Hauptantrag ist nicht nur die bauplanungsrechtliche, sondern auch die straßenrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des Klägers Gegenstand dieses Verfahrens. Der Kläger will mit seinem Hauptantrag eine Klärung der Frage erreichen, ob sein Grundstück überhaupt mit einem Wohnhaus bebaubar ist. Diese Frage erfordert hier auch eine straßenrechtliche Prüfung. Denn auch um diese Frage streiten die Prozeßbeteiligten. Demgemäß hat das Verwaltungsgericht das Straßenbauamt beigeladen und seine Entscheidung zu Recht auch auf straßenrechtliche Gesichtspunkte gestützt.

23

In straßenrechtlicher Hinsicht ist das Vorhaben des Klägers gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Nds. Straßengesetzes - NStrG - in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung des Nds. Straßengesetzes vom 29. Juli 1980 (Nds. GVBl S. 283) nicht genehmigungsfähig. Auf dieses - am 31. Juli 1980 in Kraft getretene (vgl. Art. V Abs. 1, a.a.O.) - Änderungsgesetz, nicht auf die frühere Fassung kommt es an, weil die begehrte Genehmigung nur erteilt werden kann, wenn das Vorhaben des Klägers im Zeitpunkt ihrer Erteilung mit dem öffentlichen Recht übereinstimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03.1967, a.a.O. S. 288; Urt. v. 04.04.1975 - BVerwG IV C 55.74 -, NJW 1975, 2038).

24

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NStrG in der Fassung vom 29.07.1980 dürfen außerhalb der Ortsdurchfahrten längs der Kreisstraßen bauliche Anlagen, die über Zufahrten unmittelbar oder mittelbar angeschlossen werden sollen, nicht errichtet werden. Diese Vorschrift ist hier anwendbar. Denn die ... Straße ist eine Kreisstraße. Und der Abschnitt dieser Kreisstraße vor dem Grundstück des Klägers ist auch keine Ortsdurchfahrt im Sinne des Straßenrechtes. Dabei kommt es auf die nach § 4 Abs. 2 NStrG vorgenommene Festsetzung der Grenzen der Ortsdurchfahrt nicht an; für die Zulässigkeit baulicher Anlagen an Straßen ist allein der materielle Begriff der Ortsdurchfahrt ausschlaggebend (vgl. BVerwG, Beschl. v. 04.01.1967 - BVerwG IV B 132.65 -, DVBl 1967, 291 [292], zu §§ 5, 9 FStrG). Eine Ortsdurchfahrt ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 NStrG 1980 der Teil einer Landes- oder Kreisstraße, der innerhalb der geschlossenen Ortslage liegt und auch zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmt ist. Geschlossene Ortslage ist der Teil des Gemeindebezirks, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 a.a.O.). Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht (§ 4 Abs. 1 Satz 3 a.a.O.). Die Definition der Ortsdurchfahrt stellt demgemäß auf zwei Merkmale ab, nämlich auf den Verlauf der Straße in einer zusammenhängenden Bebauung und auf ihre Erschließungsfunktion für die angrenzenden Grundstücke (so auch die Begründung zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Nds. Straßengesetzes, Nds. Landtag, Drucks. 9/892, S. 33).

25

Im vorliegenden Fall steht der Annahme eines Bebauungszusammenhanges im Sinne des Straßenrechtes schon entgegen, daß die Kreisstraße 299 kilometerweit nur einzeilig bebaut ist. Zwar mögen die Häuser auf der Nordseite der Straße in bauplanungsrechtlicher Hinsicht noch einen Bebauungszusammenhang bilden. Der Begriff der zusammenhängenden Bebauung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG 1980 (und im Sinne des gleichlautenden § 5 Abs. 4 Satz 2 FStrG) ist aber mit dem des Bebauungszusammenhanges im Sinne der §§ 19 und 34 BBauG nicht voll identisch (Weyreuther, a.a.O., S. 269; Zinkahn, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, § 19 RdNr. 14; Schrödter, BBauG, 4. Aufl. 1980, § 19 RdNr. 3). Eine Deckungsgleichheit der Begriffe besteht nur im Regelfall. Denn der baurechtliche und der straßenrechtliche Begriff der zusammenhängenden Bebauung haben unterschiedliche Aufgaben. Während der baurechtliche Begriff ausschließlich für die Frage der Bebaubarkeit eines Grundstücks von Bedeutung ist, dient der straßenrechtliche Begriff unmittelbar nur als Grundlage für die Festsetzung der Ortsdurchfahrt durch die Behörde (so auch Schrödter, a.a.O.) und damit der Bestimmung des Trägers der Straßenbaulast. Dieser Unterschied wird bei einer nur einseitig bebauten Straße wesentlich. Denn während aus baurechtlicher Sicht ein Bebauungszusammenhang unbedenklich bejaht werden kann, ist dies im Hinblick auf die Straßenbaulastträgerschaft nicht möglich. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG 1980 (und nach § 5 Abs. 4 Satz 3 FStrG) wird der Zusammenhang zwar durch einseitige Bebauung nicht unterbrochen. Aus dem Wort "unterbrochen" ist jedoch zu entnehmen, daß eine einseitige Bebauung an sich keine zusammenhängende Bebauung im Sinne des Straßenrechtes und damit auch keine geschlossene Ortslage darstellt, zumal eine insgesamt nur einseitig bebaute Straße auch nicht "innerhalb" einer geschlossenen Ortslage, sondern neben ihr verläuft. In straßenrechtlicher Hinsicht liegt deshalb zwar eine zusammenhängende Bebauung noch vor, wenn die Straße teilweise nur einseitig bebaut ist, nicht jedoch, wenn sich die Bebauung insgesamt nur auf einer Straßenseite befindet (so zu Recht Nr. 2 Abs. 1 Nr. 1 c der Ortsdurchfahrtenrichtlinien [VkBl 1976, 219]).

26

Auch an der zweiten Voraussetzung für die Annahme einer Ortsdurchfahrt, daß nämlich die Kreisstraße zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmt ist, fehlt es. Zur Erschließung bestimmt ist eine Straße nur, wenn das Vorhandensein der Straße den anliegenden Grundstücken die Qualität der (verkehrlichen) Erschließung vermittelt, also ihretwegen eine von der Erschließung abhängige Nutzung der anliegenden Grundstücke sowohl tatsächlich als auch rechtlich zulässig ist (BVerwG, Urt. v. 04.04.1975, a.a.O.; Urt. v. 22.08.1975 - BVerwG IV C 58.72 -, BauR 1975, 408 [409]). In tatsächlicher Hinsicht ist dies hier zwar unproblematisch; denn auch die bebauten Nachbargrundstücke werden durch die Kreisstraße 299 erschlossen. Die Erschließung ist aber rechtlich nicht zulässig. Die rechtliche Zulässigkeit der Erschließung folgt nämlich entweder aus den Festsetzungen eines Bebauungsplanes oder aus der Lage der Straße in einem nach § 34 BBauG zu beurteilenden Gebiet (Begründung zur Novelle des Niedersächsischen Straßengesetzes, a.a.O., S. 33, unter Bezugnahme auf BVerwG, a.a.O.). Da das Grundstück des Klägers aber weder im Gebiet eines Bebauungsplanes noch, wie oben ausgeführt worden ist, in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne von § 34 BBauG liegt, ist die ... Straße nicht zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmt.

27

Demgemäß wäre das Vorhaben des Klägers in straßenrechtlicher Hinsicht nur dann zulässig, wenn die Straßenbaubehörde gemäß § 24 Abs. 7 NStrG 1980 eine Ausnahme zugelassen hätte. Einen derartigen Dispens hat der Kläger jedoch bisher nicht erhalten. Da es sich bei dieser Ausnahmegenehmigung um einen selbständigen Verwaltungsakt handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.05.1963 - BVerwG I C 151.59 -, BVerwGE 16, 301 [303]), für dessen Erlaß nicht die Baugenehmigungsbehörde, sondern die Straßenbaubehörde zuständig ist, kann er ihn auch im vorliegenden Verfahren nicht erstreiten.

28

Aus der straßenrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens des Klägers folgt zugleich, daß auch die Erschließung nicht gesichert ist. Denn das Grundstück könnte nur über eine Zufahrt zur ... Straße an das öffentliche Wegenetz angeschlossen werden.

29

3.

Aus der bis 1973 geübten Praxis des Beklagten, Baugenehmigungen für Wohnhäuser an der ... Straße zu erteilen, kann der Kläger keine Rechte für sich herleiten. Denn mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) läßt sich ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht begründen (BVerwG, Urt. v. 28.04.1964 - BVerwG I C 64.62 -, BVerwGE 18, 242 [246]; Urt. v. 03.06.1977 - BVerwG IV C 29.77 -, Buchholz 406.11 § 35 Nr. 137 = BBauR Band 3 S. 187 [190], mit weiteren Nachweisen). Die bis 1973 erteilten Baugenehmigungen hatten, wie der Beklagte inzwischen zutreffend erkannt hat, nicht erteilt werden dürfen. Der Gleichheitssatz zwingt die Baugenehmigungsbehörde aber nicht, mit Rücksicht auf ihre frühere Praxis weiterhin (rechtswidrige) Baugenehmigungen zu erteilen; denn die Verwaltung ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden (BVerwC, a.a.O.).

30

4.

Auch mit seinem Hilfsantrag muß der Kläger erfolglos bleiben.

31

Dieser Antrag, mit dem der Kläger begehrt, den Beklagten zur Erteilung eines auf die grundsätzliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Wohnhauses beschränkten Bauvorbescheides unter Ausschluß der Frage, ob die Erschließung rechtlich gesichert ist, zu verpflichten, ist allerdings zulässig. Dies wäre unproblematisch, wenn mit ihm nur die straßenrechtlichen Fragen ausgeklammert würden. Denn nach § 74 Abs. 1 Satz 2 NBauO kann Gegenstand einer Bauvoranfrage auch die Frage sein, ob und inwieweit ein Grundstück nach städtebaulichem Planungsrecht bebaubar ist. Eine Bauvoranfrage nach § 74 Abs. 1 Satz 2 NBauO kann der Kläger aber sinnvollerweise nicht stellen. Denn Inhalt eines Bauvorbescheides nach § 74 Abs. 1 Satz 2 NBauO, der dem bundesrechtlichen Begriff der "Bebauungsgenehmigung" entspricht, ist die Feststellung der bodenrechtlichen Zulässigkeit eines bestimmten Vorhabens, d.h. die Feststellung der Zulässigkeit nach dem bundesrechtlichen oder auf das Bundesrecht zurückgehenden Planungsrecht (BVerwG, Urt. v. 23.05.1975 - BVerwG IV C 28.75 -, BVerwGE 48, 242 [245]). Dieses Bebauungsrecht ist jedoch nur gegeben, wenn auch die Erschließung gesichert ist (vgl. Gelzer, Bauplanungsrecht, 3. Aufl. 1979, RdNr. 498). Zwar ist das Straßenrecht kein Bestandteil des Bebauungsrechtes. Das Fehlen einer notwendigen straßenrechtlichen Genehmigung hat aber mittelbar Auswirkungen auf die Bebaubarkeit eines Grundstücks; denn ohne die von einer Genehmigung nach § 24 Abs. 7 NStrG 1980 abhängige Zufahrt zu einer öffentlichen Straße fehlt es, wenn - wie hier - keine andere Zufahrt vorhanden ist, auch an der ausreichenden Erschließung (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.1978 - BVerwG 4 C 75.76 -, BauR 1979, 122 [123], zur Beeinträchtigung von Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes im Sinne von § 35 Abs. 3 BBauG beim Fehlen einer nach Landschaftsschutzrecht erforderlichen Genehmigung). Eine abschließende Beurteilung, ob ein Grundstück nach städtebaulichem Planungsrecht bebaubar ist, ist demgemäß erst möglich, wenn die straßenrechtliche Frage geklärt ist.

32

Der Kläger kann jedoch eine Bauvoranfrage nach § 74 Abs. 1 Satz 1 NBauO stellen. Nach dieser Vorschrift kann durch Bauvorbescheid über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden können, entschieden werden. Dieser Wortlaut des § 74 Abs. 1 Satz 1 NBauO schließt es grundsätzlich nicht aus, daß auch einzelne Fragen des Bauvorbescheides nach § 74 Abs. 1 Satz 2 NBauO (der "Bebauungsgenehmigung") durch eine Bauvoranfrage geklärt werden können. Allerdings wird im Regelfall für eine auf einzelne Fragen der Bebaubarkeit eines Grundstücks nach städtebaulichem Planungsrecht beschränkte Bauvoranfrage kein Rechtsschutzbedürftnis bestehen. Anders ist es jedoch, wenn - wie hier - nur ein Bereich ausgeklammert wird, der maßgeblich der Beurteilung durch eine andere Behörde - hier des Straßenbauamtes - unterliegt. Hier muß es, schon aus verfahrensökonomischen Gründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.1970 - BVerwG IV C 48.67 -, DÖV 1970, 388 [389f]), möglich sein, daß der Bauherr die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens unter Ausschluß der Frage, ob die Erschließung auch rechtlich gesichert ist, durch einen Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheides klären läßt und gleichzeitig die ausgeklammerte Frage durch einen Antrag auf Erteilung eines Dispenses bei der Straßenbaubehörde klärt. Erst wenn feststeht, daß das Vorhaben "in nicht durch (Ausnahme-)Genehmigung zu behebender Weise" (BVerwG, Urt. v. 20.10.1978, a.a.O.) straßenrechtlich unzulässig ist, wird die Beschränkung der Bauvoranfrage unzulässig. Da im vorliegenden Fall offen ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Erteilung eines Dispenses hat, weil die Straßenbaubehörde - mangels eines entsprechenden Antrages - noch keine förmliche Entscheidung getroffen hat, ist die Beschränkung des Hilfsantrages zulässig.

33

Auch der Hilfsantrag ist jedoch unbegründet, weil der dem Hauptantrag entgegenstehende Versagungsgrund der Beeinträchtigung öffentlicher Belange (§ 35 Abs. 2 und 3 BBauG) auch gegenüber dem Hilfsantrag durchgreift.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO.

35

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe der §§ 132 Abs. 2, 137 VwGO gegeben ist.

Streitwertbeschluss:

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000,00 DM (i.W.: zehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Taegen
Czerwonka Richter am Oberverwaltungsgericht
Dr. Lemmel Richter am Oberverwaltungsgericht