Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 05.10.1994, Az.: 1 U 15/94

Erfordernis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Bewusstseinsstörung und einem Unfall für den Ausschluss einer Versicherungsleistung; Anforderungen an das Merkmal der Bewusstseinsstörung bei Verkehrsteilnehmern

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
05.10.1994
Aktenzeichen
1 U 15/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 17545
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1994:1005.1U15.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 25.03.1994 - AZ: 5 O 397/93

Verfahrensgegenstand

Leistung aus einer Unfall-Zusatzversicherung

Prozessführer

... Lebensversicherung AG,
vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Dr. Gerd-W. Imeyer,

Prozessgegner

Frau G., ...

In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung
vom 8. September 1994
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 25. März 1994 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Beklagten: 31.358,80 DM.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht gerechtfertigt. Das Landgericht hat im Ergebnis mit zutreffenden Erwägungen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Versicherungssumme aus der Unfall-Zusatzversicherung in Höhe von 31.358,80 DM verurteilt.

3

Maßgebend für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts sind die Besonderen Bedingungen für die Unfall-Zusatzversicherung (BB/UZV), und zwar insbesondere § 3 Abs. 2 d. Danach sind von der Versicherung u.a. ausgeschlossen "Unfälle infolge von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen, und zwar auch dann, wenn sie durch Trunkenheit verursacht worden sind". Diese Formulierung deckt sich inhaltlich mit den entsprechenden Ausschlußtatbeständen in § 3 AUB a.F. und § 2 AUB 1988. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß zwischen der Bewußtseinsstörung und dem Unfall ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß, weil die Bedingungen von Unfällen sprechen, die der Versicherte "infolge" einer Bewußtseinsstörung erleidet (BGH VersR 1986, 803, 804). Dabei ist ausreichend, daß die Bewußtseinsstörung jedenfalls für den Unfall mitursächlich geworden ist (BGH a.a.O.; OLG Frankfurt VersR 1981, 52, 53).

4

Bei dem Merkmal der Bewußtseinsstörung richten sich die Anforderungen bei Verkehrsteilnehmern nach ihrer Art der Teilnahme am Straßenverkehr. Sie sind besonders hoch bei einem Kraftfahrer, geringer bei einem Fußgänger und am geringsten bei dem Mitfahrer in einem Kraftwagen (BGH NJW 1976, 801; VersR 1982, 463, 464). Anerkannt ist, daß bei einem Kraftfahrer eine Bewußtseinsstörung dann vorliegt, wenn seine Blutalkoholkonzentration höher als 1,3 %o ist, wobei allerdings auch bei einem geringeren Wert die Ausfallerscheinungen für das Vorliegen einer Bewußtseinsstörung und für deren Unfallursächlichkeit sprechen können (BGH VersR 1972, 292). Bezüglich des Mitfahrers in einem Kraftwagen gilt, daß von einer Bewußtseinsstörung erst dann gesprochen werden kann, wenn er "infolge des Alkoholgenusses schlechthin außerstande ist, die ihm drohende Gefahr zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten". Bei normaler Alkoholverträglichkeit wird ein solcher Fall erst mit einer Blutalkoholkonzentration von wenigstens 2,0 %o angenommen (BGH NJW 1976, 801). Ein geringerer Grad kann allerdings dann zum Versicherungsausschluß fuhren, wenn der Geschädigte nach der Lebenssituation von vornherein mit einer Gefährdung der Art rechnen mußte, daß er von einem angetrunkenen Fahrer mitgenommen wird, wie es etwa bei einer Zechtour der Fall ist (BGH a.a.O.).

5

Werden die vorstehend genannten Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen, so ergibt sich folgende rechtliche Beurteilung:

6

Der Senat geht davon aus, daß der zugrundeliegende Verkehrsunfall auf die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Fahrzeughalters und Fahrers S. zurückzuführen ist, wobei dahinstehen mag, ob man zur Tatzeit einen Blutalkoholwert von 1,29 %o - wie das Amtsgericht Neumünster in dem Strafverfahren - oder mehr annimmt. Für das Vorliegen eines alkoholbedingten Fahrfehlers spricht eindeutig, daß der PKW auf dem völlig geraden Straßenstück einer 6 m breiten Landstraße ohne erkennbaren Grund von der Fahrbahn abgekommen ist und sich dort überschlagen hat. Insoweit kommt der Beweis des ersten Anscheins der Beklagten zugute (BGH VersR 1972, 292; NJW 1976, 801).

7

Die entscheidende Frage ist, ob eine Bewußtseinsstörung bei dem Mitfahrer G. für dessen Tod mitursächlich geworden ist. Die ihm erst einige Zeit nach dem Unfall entnommene Blutprobe (Unfall zwischen 2.30 Uhr und 4.00 Uhr, Blutentnahme 6.25 Uhr) ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,02 %o. Ob von diesem Wert ohne weiteres ausgegangen werden kann, ist zwischen den Parteien streitig, weil derartige Meßergebnisse bei Leichenblut nur verwertbar sind, wenn fäulnisbedingte Veränderungen ausgeschlossen werden können und zudem das Blut möglichst weit ab von Magen und Darm entnommen wird (hierzu BGH VersR 1988, 691).

8

Indessen bedarf diese Überlegung letztlich keiner Vertiefung, weil auch ein geringerer Alkoholisierungsgrad als 2 %o zum Versicherungsausschluß fuhrt, wenn der Geschädigte "nach der Lebenssituation von vornherein mit einer Gefährdung der Art rechnen mußte, daß er von einem angetrunkenen Fahrer mitgenommen wird" (BGH NJW 1976, 801).

9

Das Landgericht ist in diesem Zusammenhang mit Recht der Frage nachgegangen, ob G. - unterstellt, er wäre nicht so stark angetrunken gewesen - zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hätte, daß S. zu viel Alkohol getrunken hatte, um noch sicher fahren zu können und deshalb auch nicht zu ihm in das Fahrzeug gestiegen wäre. Insoweit geht es um die Kausalität, die sowohl bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,0 %o als auch bei einem geringeren Wert gegeben sein muß, um den Ausschlußtatbestand zu erfüllen. Dabei kann es nach Sinn und Wortlaut der Bedingungen für die Unfall-Zusatzversicherung nicht auf die normative Wertung ankommen, ob der Geschädigte sich in das Fahrzeug hätte hineinsetzen dürfen, sondern allein auf die unter Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten zu beantwortende Frage, ob er mitgefahren wäre. Dafür, daß er dies nicht getan hätte, ist die sich auf den Ausschlußtatbestand berufende Beklagte als Versicherer darlegungs- und beweispflichtig (Wussow, AUB, Rdn. 7 ff zu § 2).

10

Zwar hat sie vorgetragen, G. habe gewußt, daß S. erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen habe. Konkrete Anhaltspunkte, aus denen G. jedoch unmittelbar auf dessen Fahruntüchtigkeit hätte schließen müssen, hat die Beklagte aber nicht dargelegt. Sie hat sich wohl auf das Zeugnis von vier Zeugen berufen, die über das Trinkverhalten S. Auskunft geben sollen. Selbst wenn sie dies könnten, wäre damit noch nicht bewiesen, daß G. das Trinkverhalten S. bewußt zur Kenntnis genommen hat und ihm dadurch Zweifel an dessen Fahrtüchtigkeit erwachsen wären. Aus dem Umstand, daß S. erst später in die Diskothek gekommen ist, läßt sich nicht zwingend der Rückschluß ziehen, daß er bereits anderenorts Alkohol zu sich genommen hatte. Es entspricht im übrigen allgemeiner Erfahrung, daß auch starke Trunkenheit nicht für jeden erkennbar sein muß und daß bei einer Blutalkoholkonzentration, wie sie bei S. festgestellt wurde, nicht so eindeutige Ausfallerscheinungen vorliegen müssen, daß ein unbefangener Beobachter schon daran die Fahruntüchtigkeit erkennt.

11

Der Hinweis der Beklagten auf das vom Landgericht erwähnte Urteil des OLG Frankfurt (Vers 1981, 52, 53) geht insofern fehl, als sich der Geschädigte dort nicht in der Lage eines bloßen Mitfahrers befand, der nur zu entscheiden braucht, ob er sich in ein fremdes Auto setzen will, sondern als Eigentümer und Halter des betreffenden Fahrzeuges sich zunächst darüber Gewißheit verschaffen mußte, ob er einem anderen das Steuer seines Wagens anvertrauen sollte (a.a.O. Seite 53). So stellte sich die Situation in dem vorliegenden Fall aber gerade nicht dar. G. hatte tatsächlich nur darüber zu befinden, ob er als Mitfahrer in einen fremden Wagen einstieg oder nicht. Daß er hiervon bei Kenntnis der Alkoholisierung des Fahrers Abstand genommen hätte, ist jedoch von der Beklagten nicht in dem erforderlichen Umfang dargelegt und unter Beweis gestellt worden. Sie ist dazu auch nicht in der Lage, wie in der Senatsverhandlung deutlich geworden ist. Das Rechtsmittel konnte daher keinen Erfolg haben.

12

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 546 Abs. 2 Satz 1, 710 Nr. 8, 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwer der Beklagten: 31.358,80 DM.