Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.08.1996, Az.: 18 UF 86/96

Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ; Zahlung von nachehelichen Unterhalt ; Klage auf zukünftige Leistungen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.08.1996
Aktenzeichen
18 UF 86/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 23086
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1996:0820.18UF86.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Langen - 07.03.1996 - AZ: 11 F 84/95

Fundstellen

  • FPR 1999, 112-113
  • FamRZ 1997, 1074-1075 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Abänderung eines Unterhaltstitels

Der 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 6. August 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 07.03.1996 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Langen geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

I.

Die Klägerin gewährt der geschiedenen Ehefrau des Beklagten seit 1989 durchgängig Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes in unterschiedlicher Höhe. Die Ehe des Beklagten und seiner Ehefrau wurde durch Urteil vom 16.04.1987 geschieden. Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ... vom 22.12.1988 - ... - wurde der Beklagte u.a. verurteilt, ab 01.10.1988 einen monatlichen Unterhalt von 760 DM zu zahlen. Eine dagegen eingelegte Berufung hat der Beklagte später zurückgenommen. Anspruchsgrundlage war ausweislich der Entscheidungsgründe § 1573 Abs. 2 BGB. Die geschiedene Ehefrau des Beklagten verfügte seinerzeit über ein eigenes Einkommen aus einer geringfügigen Erwerbstätigkeit in Höhe von 384 DM sowie über Einkünfte aus Kapitalvermögen von 83,36 DM.

2

Die Klägerin, auf die die Unterhaltsansprüche übergegangen sind und die den Beklagten davon in Kenntnis gesetzt hat, hat mit der am 11.03.1995 zugestellten Abänderungsklage Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 1.160 DM mit der Begründung begehrt, die gesundheitlichen Beschwerden der geschiedenen Ehefrau hätten sich seit 1990 erheblich verstärkt. Diese sei nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

3

Durch Urteil vom 07.03.1996 hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der die Auffassung vertritt, ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 Nr. 4 BGB, auf den das Amtsgericht seine Entscheidung gestützt habe, scheitere bereits daran, daß ein Einsatzzeitpunkt fehle. Darüber hinaus sei die Ehefrau nach wie vor in der Lage, zumindest einen Teil ihres Unterhaltsbedarfs durch eine Erwerbstätigkeit zu decken.

4

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Ein auf § 1572 Nr. 4 BGB gestützter Unterhaltsanspruch, der über 760 DM hinausgeht, besteht nicht. Im einzelnen gilt folgendes:

5

1.

Die Befugnis des klagenden Landes, Zahlung von Unterhalt für die Zukunft zu verlangen, ergibt sich aus § 91 Abs. 3 Satz 2 BSHG. Danach kann der Träger der Sozialhilfe dann, wenn die Hilfe voraussichtlich auf längere Zeit gewährt werden muß, bis zur Höhe der bisherigen monatlichen Aufwendungen auch auf künftige Leistung klagen. In den Ausspruch des einer solchen Klage stattgebenden Urteils wäre jedoch die Bedingung aufzunehmen, daß künftig Sozialhilfe in Höhe der zugesprochenen Beträge geleistet wird (vgl. dazu: Kunkel, FamRZ 1994, 542, 548, 549, sowie zum alten Recht: BGH, FamRZ 1992, 797 ff.). Hilfe auf längere Zeit leistet ein Träger der Sozialhilfe dann, wenn abzusehen ist, daß der vom Unterhaltspflichtigen einzuklagende Unterhaltsbeitrag hinter dem Sozialhilfebedarf zurückbleibt, aber auch dann, wenn bis zur Realisierung des Unterhalts längere Zeit vergehen wird. Aus der vom klagenden Land überreichten Aufstellung vom 19.06.1996 ergibt sich, daß in jedem Monat des hier streitigen Unterhaltszeitraums (ab 11.03.1995) monatlich mehr als 400 DM an Sozialhilfe erbracht worden sind. Angesichts der bei der früheren Ehefrau des Beklagten vorhandenen erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist davon auszugehen, daß auch in Zukunft - ergänzende - Sozialhilfe gewährt werden wird.

6

Das klagende Land ist auch aktiv legitimiert, im Fall einer behaupteten Erhöhung des Unterhaltsanspruchs infolge einer Veränderung der Verhältnisse die Abänderungsklage nach § 323 ZPO zu erheben (BGH FamRZ 1992, a.a.O.; OLG Zweibrücken FamRZ 1986, 190; Kunkel a.a.O.).

7

2.

Ein Anspruch des klagenden Landes aus übergegangenem Recht besteht aber nur im Umfang des am 22.12.1988 titulierten Betrages von 760 DM.

8

a)

Grundlage des abzuändernden Titels war ausschließlich § 1573 Abs. 2 BGB. Ob seinerzeit und gegebenenfalls in welchem Umfange schon gesundheitliche Beeinträchtigungen bestanden haben, ist unerheblich, weil diese jedenfalls nicht zu einer Erwerbsunfähigkeit geführt haben. Kann aber ein Unterhaltsberechtigter erwerbstätig sein, wenngleich aufgrund seiner körperlichen Gebrechen nicht in allen Bereichen, so ist Anspruchsgrundlage nicht § 1572, sondern § 1573 Abs. 2 BGB (BGH FamRZ 1993, 789 ff.).

9

b)

Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs aus § 1572 Nr. 4 BGB ist, daß seit Rechtskraft der. Scheidung (16.04.1987) bis zum Einsatzzeitpunkt des § 1572 Nr. 4 BGB (krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit) durchgehend ein Anspruch aus § 1573 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB bestanden hat (vgl. zum Einsatzzeitpunkt auch: BGH FamRZ 1988, 926, 929). Zwar ist das Erwerbseinkommen, das die frühere Ehefrau des Beklagten im Zeitpunkt des Erlasses des abzuändernden Urteils in Höhe von monatlich 384 DM erzielt hat, bereits seit dem 01.02.1989 entfallen, dies führt vorliegend jedoch nicht dazu, daß der Beklagte nunmehr den vollen Bedarf decken müßte. Das wäre nur dann der Fall, wenn die frühere Ehefrau des Beklagten nach Beendigung der Teilerwerbstätigkeit, die Grundlage des abzuändernden Titels gewesen ist, ab Februar 1989 einen Anspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB gehabt hätte. Das aber ist - wie noch auszuführen sein wird - von dem insoweit darlegungspflichtigen klagenden Land nicht dargetan worden. Dies bedeutet, daß das klagende Land aus übergegangenem Recht Teilanschlußunterhalt nur in demselben beschränkten Umfang verlangen kann, in dem zuvor ein Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 2 BGB bestanden hat (OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 501,1 502; OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 104 ff. [OLG Karlsruhe 17.12.1992 - 2 UF 195/91]).

10

aa)

Nach dem Bescheid des Versorgungsamtes ... aus dem Jahre 1994 - das genaue Datum ist nicht lesbar, Bl. 19 d.A. - spricht zwar vieles dafür, daß von der früheren Ehefrau des Beklagten ab 05.08.1993 aus gesundheitlichen Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zu erwarten war. Denn in diesem Bescheid ist der Grad der Behinderung auf 70 %, gestützt auf eine Sehbehinderung beiderseits, eine reaktive Depression und Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule festgesetzt worden. Dies würde einen Anspruch auf vollen Unterhalt rechtfertigen, wenn bis zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB bestanden hätte. Das aber hat das klagende Land nicht dargetan. Aus dem vorgelegten Bescheid der Landesversicherungsanstalt ... vom 15.11.1990 (Bl. 14, 15 d.A.) ergibt sich zwar, daß aufgrund einer am 31.08.1990 erfolgten erneuten sozialmedizinischen Untersuchung von einer Erwerbsunfähigkeit ausgegangen wurde. Diese Feststellung führt aber nicht zwangsläufig dazu, daß nunmehr ab diesem Zeitpunkt ein Unterhaltsanspruch auf § 1572 BGB hätte gestützt werden können, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen, die Gegenstand des Bescheides waren, sind andere. Grundsätzlich schließt eine Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Rentenrechts z. B. eine geringfügige Tätigkeit nicht aus. Auch belief sich der Grad der Behinderung seinerzeit nur auf 40 %. Im übrigen ergibt sich aus dem Rentenbescheid weiter (Bl. 15 d.A.), daß aufgrund einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 11.05.1989 davon auszugehen war, daß die frühere Ehefrau des Beklagten seinerzeit alle leichten und mittelschweren Arbeiten ohne Anforderungen an ein gutes Sehvermögen vollschichtig verrichten konnte. Das aber schließt es bereits aus, daß nach Fortfall der Tätigkeit als Packerin zum 31.01.1989 von einer krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit auszugehen war. Auch hat die frühere Ehefrau des Beklagten sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.01.1989 beim Arbeitsamt gemeldet und sich somit selbst für (eingeschränkt) erwerbsfähig gehalten. War aber die frühere Ehefrau des Beklagten grundsätzlich in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, so bestand ein Anspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB nur, wenn sie trotz hinreichender Bemühungen keine neue Arbeitsstelle gefunden hätte. Das aber ist seitens des darlegungspflichtigen klagenden Landes nicht dargetan. Trotz Erörterung im Termin ist nicht vorgetragen worden, aus welchen Gründen die frühere Ehefrau des Beklagten zum 31.01.1989 ihre Arbeit verloren hat. Zu Erwerbsbemühungen ist überhaupt nichts vorgetragen worden. Angesichts der Tatsache, daß eine Erwerbstätigkeit vorher ausgeübt worden war, kann auch nicht festgestellt werden, daß keine realistischen Chancen für eine weitere Erwerbstätigkeit bestanden hätten. Gerade der Umstand, daß sie vorher bei Entfaltung hinreichender Bemühungen eine Erwerbstätigkeit - wenn auch in höchst eingeschränktem Umfang - gefunden hatte, zeigt, daß dieses wohl auch im Jahre 1989 möglich gewesen wäre.

11

Kann somit nicht festgestellt werden, daß die frühere Ehefrau des Beklagten im Zeitpunkt der Ehescheidung bzw. der Ursprungsentscheidung zum Unterhalt bereits teilweise erwerbsunfähig gewesen ist, so greifen die vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung FamRZ 1987, 684, 685 aufgestellten Grundsätze, auf die sich das klagende Land berufen hat, nicht. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall handelte es sich nicht - wie hier - um einen Anspruch auf Anschlußunterhalt, sondern um einen originären Anspruch auf Krankheitsunterhalt für den Zeitpunkt der Scheidung, der auf den vollen angemessenen Unterhalt ging. Hier aber kann - wie bereits ausgeführt - das klagende Land aus übergegangenem Recht nur einen Teilanschlußunterhalt verlangen, und zwar umfangsmäßig nur ergänzend zu einem wie damals erzielten eigenen Einkommen (vgl. dazu auch: Wendl/Staudigl/Pauling, Unterhaltsrecht § 4 Rdnr. 50, 51).

12

3.

Soweit allerdings aufgrund eines zwischenzeitlich gestiegenen Einkommens des Beklagten eine Erhöhung des Bedarfs der früheren Ehefrau eingetreten ist, ist dies bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen. Allerdings läßt die Abänderungsklage nach § 323 ZPO keine freie von der bisherigen Höhe unabhängige Neufestsetzung der Unterhaltsrente zu. Vielmehr ist die Änderung auf die Anpassung an die zwischenzeitlich eingetretenen veränderten Verhältnisse unter Wahrung der Grundlagen der abzuändernden Entscheidung beschränkt. Der Beklagte bezieht nach wie vor ein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit. Ob und in welchem Umfang er daneben Einkünfte aus einer freiberuflichen Tätigkeit - Reinigungsfirma - bezieht, kann dahinstehen, da derartige Einkünfte die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt haben.

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Aus dem vorgelegten Jahreslohnkonto von 1995 ergibt sich ein Jahresnettoeinkommen von 37.522,44 DM, d.h. ein monatliches Einkommen von 3.127 DM. Davon sind 5 % für berufsbedingte Unkosten (= 156 DM) abzuziehen, so daß 2.971 DM verbleiben. Daß hier im Jahre 1995 höhere Fahrtkosten angefallen sind, hat der Beklagte nicht belegt. Die erstinstanzlich vorgelegten Belege (Bl. 49 ff. d.A.) betreffen einen weit zurückliegenden Zeitraum. 3/7 des Einkommens von 2.971 DM ergeben einen Bedarf der früheren Ehefrau des Beklagten von gerundet 1.273 DM. Auf diesen Bedarf muß sich das klagende Land das seinerzeit erzielte und durch die zwischenzeitlich eingetretenen Lohnerhöhungen gesteigerte Einkommen der früheren Ehefrau des Beklagten weiterhin anrechnen lassen. Erhöhten Anschlußunterhalt könnte das klagende Land deshalb nur verlangen, wenn das anzurechnende Einkommen unter (1.273 DM ./. 760 DM =) 513 DM liegen würde. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da dieser Betrag deutlich unter der sog. Geringverdienergrenze liegt. Insoweit ist davon auszugehen, daß die frühere Ehefrau des Beklagten heute in einem Arbeitsverhältnis im Rahmen der Geringverdienergrenze stehen würde.

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III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.