Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 16.09.2013, Az.: 1 Ws 547/13
Vertrauen eines Rechtsmittelführers auf Einhalten der normalen Postlaufzeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 16.09.2013
- Aktenzeichen
- 1 Ws 547/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 51378
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2013:0916.1WS547.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 22.08.2013
Rechtsgrundlagen
- § 314 Abs. 1 StPO
- § 319 Abs. 1 StPO
- § 322 StPO
- § 44 StPO
- § 45 StPO
Fundstellen
- NStZ-RR 2014, 6
- NStZ-RR 2014, 5
- NStZ-RR 2014, 113
Amtlicher Leitsatz
Ein Rechtsmittelführer darf davon ausgehen, dass sein Brief den Empfänger innerhalb der von der Post angegebenen normalen Postlaufzeit erreicht; das ist der dem Tag der Aufgabe zur Post folgende Tag.
Denn die "normale" Postlaufzeit bestimmt sich nach den veröffentlichten Angaben der Deutschen Post AG. Auf deren Internetseite heißt es dazu: "Für die Zustellung "gilt die Laufzeitvorgabe E+1 (1 Tag nach Einlieferung)".
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 22. August 2013,
durch den der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 9. Juli 2013 zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen worden ist,
aufgehoben.
Der Angeklagte wird auf seine Kosten in den Stand vor Versäumen der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 9. Juli 2013 wieder eingesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I. Das Amtsgericht Oldenburg hat den Angeklagten am 9. Juli 2013 wegen versuchten Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen verurteilt. Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mittels Einschreiben, welches er am 15. Juli 2013, einem Montag, um 11.16 Uhr in B ... Z .... bei der Post aufgegeben hat, Berufung eingelegt.
Das Schreiben ist bei dem Amtsgericht Oldenburg jedoch erst am 18. Juli 2013 und damit nach Ablauf der am 16. Juli 2013 endenden Berufungseinlegungsfrist eingegangen.
Mit am 25. Juli 2013 bei dem Amtsgericht Oldenburg eingegangenem Schreiben hat der Angeklagte sinngemäß die Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Berufungseinlegungsfrist beantragt und dies damit begründet, dass er etwas Bedenkzeit zur Formulierung seines Anliegens benötigt und sein Schreiben mit Blick auf das Wochenende dann erst am 15. Juli 2013 bei der Post aufgegeben habe. Dort sei ihm aber versichert worden, dass die Sendung am nächsten Tag, also dem 16. Juli 2013, ihr Ziel erreiche. Er habe nicht ahnen können, dass das Schreiben dann erst am 18. Juli 2013 bei dem Amtsgericht Oldenburg eingehe.
Das Landgericht Oldenburg hat durch Beschluss vom 22. August 2013 den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet und die Berufung des Angeklagten wegen verspäteter Einlegung als unzulässig gemäß § 314 Abs. 1, 319 Abs. 1, 322 StPO verworfen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Angeklagten am 24. August 2013 zugestellt worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 28. August 2013, die am 29. August 2013 bei dem Landgericht in Oldenburg eingegangen ist.
II. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig und begründet.
Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumen der Berufungseinlegungsfrist gemäß §§ 44, 45 StPO zu gewähren, da er ohne Verschulden an der Einhaltung der am 16. Juli 2013 ablaufenden Berufungsfrist gehindert war.
Grundsätzlich darf ein Rechtsmittelführer darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die durch die Deutsche Post AG für den Normalfall festgelegt sind. Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung werden ihm nicht als Verschulden zugerechnet (BGH, VIII ZB 42/11, Rn. 7, bei juris). Aktuell gibt die Deutsche Post AG auf ihrer Internetseite unter den "FAQ" zum Einschreiben Folgendes an: "Für die Zustellung des EINSCHREIBEN gilt die Laufzeitvorgabe E+1 (1 Tag nach Einlieferung). Die Deutsche Post AG gewährt allerdings keine Laufzeitgarantie." Zwischen einer Aufgabe am Zustellort oder einer Aufgabe außerhalb des Zustellortes wird dabei nicht unterschieden.
Bei normalem Postlauf durfte der Angeklagte demnach von einer Zustellung seines im nahegelegenen B ... Z .... aufgegebenen Einschreibens am nächsten Tag, mithin am 16. Juli 2013 und also am letzten Tag der Berufungsfrist, ausgehen.
Auf den Umstand, dass die Post keine Laufzeitgarantien übernimmt, kommt es für die vorliegende Verschuldensfrage nicht an, da es sich um eine Haftungsfreizeichnung handelt, aus der sich keine abweichende Bewertung für die maßgebliche Frage herleiten lässt, was der Versender als normale Postlaufzeit erwarten durfte.
Geht die Post demnach selbst von dem Regelfall einer Zustellung einen Tag nach Einlieferung aus, dann sprechen keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für die in der Rechtsprechung verbreitete Gegenmeinung, wonach bei einem Einschreiben von einer längeren Laufzeit, nämlich 2 Tagen, auszugehen sei (so etwa OLG Frankfurt, 3 Ws 1142/10, Rn. 4, bei juris). Die dieser Sichtweise zugrunde liegende Annahme, die besonderen Bearbeitungsschritte bei einem Einschreiben begründeten eine längere Zustelldauer, weshalb der Versender, anders als bei normaler Briefpost, nicht von einem Zugang bereits am Tag nach der Aufgabe ausgehen könne, findet in der von der Post selbst angegebenen Regellaufzeit keinerlei Stütze, zumal bei der heute bei Aufgabe der Sendung EDV-gestützten Erfassung eines Einschreibens keine zusätzlichen Bearbeitungsschritte auf dem Transportwege mehr ersichtlich sind, die solch eine Verzögerung begründen könnten. Allein der Umstand, dass der Empfang der Sendung durch den Empfänger quittiert werden muss, begründet keine längere Postlaufzeit.
Die Auswahl eines Einschreibens als beweiskräftigere Versandart anstelle eines normalen Briefs oder Einwurfeinschreibens kann dem Rechtsmittelführer im Übrigen ohnehin nicht zum Vorwurf gemacht werden, da die abweichende Bewertung eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten bedeuten würde, wobei der Rechtsmittelführer auch berechtigt ist, eine Frist voll auszuschöpfen (so schon Entscheidung des Senats vom 13. April 2011, 1 Ws 172/11, Rn. 7, 8 - bei juris).
Dies zugrunde gelegt durfte der Angeklagte von einem Zugang seiner Berufungsschrift am Dienstag, 16. Juli 2013, ausgehen, nachdem er die Sendung bereits am Montagvormittag (15. Juli 2013) um 11.16 Uhr aufgegeben hatte und der Tag nach Aufgabe damit ein ganz normaler Werktag war, an dem mit Öffnungszeiten des Amtsgerichts Oldenburg während der gewöhnlichen Postzustellzeiten gerechnet werden durfte.
Ob es ihm möglich gewesen wäre, das Schreiben zur Einlegung der Berufung, das auf Freitag, den 12. Juli 2013, datiert, noch an diesem Tag oder zumindest am Samstag, 13. Juli 2013, aufzugeben und dadurch die Frist möglicherweise zu wahren, bleibt außer Betracht, da es bei der Entscheidung über das Verschulden der Fristversäumung nicht um den Vergleich mit einer idealerweise und sicherheitshalber früheren Absendung geht, sondern allein um die Bewertung, ob der Angeklagte am 15. Juli 2013 noch die Versandart des Einschreibens wählen durfte, was hier der Fall war.
Letztlich kommt hinzu, dass hier eine Störung im normalen Zustellbetrieb der Post AG zumindest naheliegend erscheint, weil das Schreiben nicht etwa - was schließlich selbst nach der abweichenden Auffassung dem Regelfall entsprechen soll - am zweiten Tag nach seiner Aufgabe, also am 17. Juli 2013, sondern erst am 18. Juli 2013 bei dem Amtsgericht Oldenburg eingegangen ist. Eine solche Störung im Zustellbetrieb ist aber niemals von dem Rechtsmittelführer zu vertreten.
Der angefochtene Beschluss war daher insgesamt aufzuheben und der Angeklagte in den Stand vor Versäumen der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 9. Juli 2013 wieder einzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 StPO.