Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.09.2013, Az.: 1 Ausl 132/12

Rechtmäßigkeit einer Auslieferung nach Rumänien bei einem dem Ersuchen zugrunde liegenden Abwesenheitsurteil; Anforderungen an ein ordnungsgemäß ergangenes Abwesenheitsurteil als Grundlage einer Auslieferung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
03.09.2013
Aktenzeichen
1 Ausl 132/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 50490
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2013:0903.1AUSL132.12.0A

Fundstelle

  • StraFo 2014, 26-28

Amtlicher Leitsatz

1. Auslieferung zur Strafvollstreckung nach Rumänien im Falle eines Abwesenheitsurteils.

2. Zur Auslegung des § 83 Nr. 3 IRG unter Berücksichtigung von Art. 4a Abs. 1 RB-EuHB in der Fassung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 26.02.2009.

3. Die Rechtslage in Rumänien zur Garantie eines neuen Gerichtsverfahrens gemäß § 83 Nr. 3 IRG.

Redaktioneller Leitsatz

Nur in Ausnahmefällen kann eine Auslieferung angeordnet werden, wenn das dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegende Urteil in Abwesenheit des Angeklagten ergangen ist.

Das Auslieferungsersuchen muss in diesem Fall belegen, dass der Angeklagte entweder ordnungsgemäß zum Termin geladen oder auf andere Weise offiziell in Kenntnis von dem Termin gesetzt wurde und dass er über die Möglichkeit der Verhandlung in Abwesenheit belehrt worden ist.

Bei Vorliegen eines Abwesenheitsurteils muss dem Verfolgten nach der Auslieferung in den ersuchenden Staat ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen, der ihm ein neues Gerichtsverfahren garantiert. Dieser Vorgabe entspricht die rumänische Gesetzeslage zur Zeit nicht, da danach lediglich ein Wiederaufnahmeverfahren nach dem Ermessen des Gerichts besteht.

Tenor:

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Anordnung der Auslieferungshaft zum Zwecke der Auslieferung der Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung wegen der durch Urteil des Gerichtshofs Constanta vom 12. Dezember 2011 (Az.: 4273/118/2011) verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die rumänischen Behörden haben um Festnahme und Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung ersucht.

Die Verfolgte ist durch Strafurteil Nr. 487 des Gerichtshofs Constanta vom 12. Dezember 2011 (Az: 4273/18/2011) wegen Menschenhandels und Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt worden, die noch vollständig zu vollstrecken ist. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass die Verfolgte Anfang Januar 2009 erfolgreich die Mitangeklagte N ..... I .... überredete, A ... F ...... unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland zu locken, wo diese sexuell ausgebeutet werden sollte. Am 15. Januar 2009 traf die Geschädigte in Deutschland ein und wurde von der Verfolgten bis zum 4. Februar 2009 zur Prostitution gezwungen.

Diese Taten sind strafbar nach Art. 12, Alt. 1 des rumänischen Gesetzes Nr. 678/2001 (Straftaten, die den Menschenhandel betreffen) und Art. 329 (Zuhälterei) in Verbindung mit Art. 25 (Anstiftung) des rumänischen Strafgesetzbuches.

Gegen sie besteht wegen dieser Verurteilung ein Europäischer Haftbefehl des Gerichtsamts Constanta vom 14. November 2011 (Nr. 31)

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, gegen die Verfolgte die Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Anordnung der Auslieferungshaft wird abgelehnt.

Der vorliegende Europäische Haftbefehl enthält zwar im Zusammenhang mit dem Strafurteil vom 12. Dezember 2011 die in § 83a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 IRG bezeichneten Angaben, insbesondere die angewendeten gesetzlichen Bestimmungen, die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit und des Tatortes sowie die rechtskräftig verhängte Strafe.

Die Auslieferungsfähigkeit ergibt sich aus den §§ 3, 81 IRG. Hinsichtlich des Menschenhandels ist die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen, weil die Tat einer in Artikel 2 Abs.2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug genommenen Deliktsgruppe - Menschenhandel - zugehörig ist. Die Zuhälterei ist auch nach deutschem Recht strafbar (§ 181a StGB). Die noch zu vollstreckende freiheitsentziehende Sanktion beträgt mindestens vier Monate.

Jedoch steht der Zulässigkeit der Auslieferung das Auslieferungshindernis des § 83 Nr. 3 IRG entgegen, weil die der Urteilsfindung vorausgegangene Hauptverhandlung am 2. Dezember 2011 in Abwesenheit der Verfolgten stattgefunden hat und auch das Urteil in ihrer Abwesenheit ergangen ist. Die Ausnahmen, unter denen ihre Auslieferung gleichwohl zulässig wäre, liegen nicht vor.

Denn danach ist die Auslieferung nur zulässig, wenn der Verfolgte zu dem Termin persönlich geladen oder auf andere Weise von dem Termin, der zu dem Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden war oder wenn der Verfolgte in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens, an dem ein Verteidiger beteiligt war, eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder wenn ihm nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft wird, und auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung eingeräumt wird.

a) Die Verfolgte ist zu der dem Urteil vorausgegangenen Verhandlung am 2. Dezember 2011 nach Mitteilung der rumänischen Behörden nicht persönlich geladen worden. Die schriftliche Ladung zum Termin war an die rumänische Adresse gerichtet, unter der zwar die Eltern der Verfolgten wohnhaft waren, jedoch war die Verfolgte zu diesem Zeitpunkt bereits nach Deutschland ausgereist und hier wohnhaft. Auch die unter einer Anschrift in W ............. übersandte Ladung hat sie mangels eines dort noch bestehenden Wohnsitzes nicht erreicht.

Die Verfolgte ist auch nicht ausreichend auf andere Weise von dem Hauptverhandlungstermin unterrichtet worden. Nach ihren Angaben hat sie durch ein Telefonat mit ihrer Mutter Kenntnis von dem bevorstehenden Termin erhalten und hat zudem veranlasst, dass ihr Bruder zu dem Termin erscheine.

Die in § 83 Nr. 3, 2. Alt. IRG normierte Regelung, nach der auch eine anderweitig erlangte Kenntnis vom Hauptverhandlungstermin ausreicht, verlangt nach ihrem Wortlaut zwar nur, dass ein Verfolgter über einen Hauptverhandlungstermin informiert worden ist, ohne weitere Anforderungen an die Art der Kenntniserlangung und ihren Umfang zu stellen. Jedoch ist bei der Auslegung dieser Bestimmung zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch einen Rahmenbeschluss des Rates vom 26. Februar 2009 (2009/299/JI) den zuvor gefassten Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RB-EuHb) vom 13. Juni 2002 - den die Bundesrepublik durch die Bestimmung des § 83 Nr. 3 IRG in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 83 IRG Rn. 5) - im Hinblick auf die Zulässigkeit der Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen neu gefasst haben. Nach dieser Neuregelung bestimmt Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses nunmehr, dass eine Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen dann nicht verweigert werden kann, wenn aus dem Europäischen Haftbefehl hervorgeht, dass die nicht persönlich zur Verhandlung geladene verfolgte Person

i) ... auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde (...)

und

ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint."

Diese Änderungen gelten zwar für die Bundesrepublik erst ab dem 1. Januar 2014 (vgl. Gleß in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO., RB-EUHb Rn. 16). Jedoch ist dieser unionsrechtliche Standard bereits jetzt bei der Auslegung des Art. 83 Nr. 3 IRG zu berücksichtigen. Mithin kann die Auslieferung bei Abwesenheitsurteilen nicht verweigert werden, wenn die Person nicht nur rechtzeitig offiziell Kenntnis vom Hauptverhandlungstermin hatte, sondern darüber hinaus dahingehend unterrichtet worden ist, dass auch in ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann (Böse in: Grützner/Pöß/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Stand Juli 2012, § 83 Rn. 12). In Ansehung des § 83 Nr. 3 IRG reduziert sich das nach dem RB-EuHB eingeräumte Ermessen nach deutschem Recht auf Null im Sinne einer zwingend der Auslieferung entgegen stehenden Norm.

Die Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Ladung der Verfolgten - woran ausweislich der Einwendungen ihres Rechtsbeistands Zweifel bestehen - rechtzeitig war. Denn weder aus dem Europäischen Haftbefehl noch aus den weiteren von den rumänischen Behörden vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass die Verfolgte sowohl vom Termin als auch von der Möglichkeit, dass in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne, offiziell in Kenntnis gesetzt wurde. Dabei ist schon zweifelhaft, ob die Unterrichtung vom Termin durch Angehörige als offizielles-in-Kenntnis-setzen anzusehen ist. Jedenfalls fehlt es an dem Erfordernis, dass der Verfolgten zudem mitgeteilt worden wäre, dass die Hauptverhandlung auch in ihrer Abwesenheit stattfinden würde.

b) Die Verfolgte hat sich ferner einer persönlichen Ladung nicht durch Flucht entzogen.

Eine Flucht im Sinne von § 83 Nr.3 IRG liegt dann vor, wenn der Verfolgte den die Auslieferung verlangenden Staat in sicherer Kenntnis eines gegen ihn dort bereits geführten Ermittlungsverfahrens verlässt, um sich der Strafverfolgung bewusst zu entziehen (vgl. Hackner: in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO., § 83 IRG Rn.10 m. w. N.). Dies kann vorliegend nicht festgestellt werden. Zwar hat sich die Verfolgte offensichtlich am 8. September 2009 gegenüber den rumänischen Behörden zum Tatvorwurf eingelassen und hatte mithin Kenntnis von dem gegen sie eingeleiteten Verfahren. Ausweislich des gegen sie ergangenen Strafurteils hat die Verfolgte jedoch bereits im Tatzeitraum (Januar bis Februar 2009) in Deutschland gelebt, war dort auch zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung im September 2009 noch sesshaft und lebt weiterhin in der Bundesrepublik. Demnach ist der Aufenthaltswechsel nicht in Kenntnis der gegen sie geführten Ermittlungen, sondern bereits zuvor erfolgt.

c) Schließlich ist nicht gewährleistet, dass der Verfolgten nach ihrer Auslieferung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem die Tatvorwürfe in ihrer Anwesenheit erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft werden, eingeräumt werden wird.

Eine Auslieferung ist nach § 83 Abs. 1 Nr. 3, 3. Alt. IRG nur zulässig, wenn dem Verfolgten im Falle der Auslieferung aufgrund eines Abwesenheitsurteils ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, der die Durchführung eines neuen Gerichtsverfahrens garantiert. (Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, aaO., § 83 IRG Rn.10). Nicht ausreichend ist es, wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens im Ermessen des zuständigen Gerichts liegt (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 4.1.2011, Az. 1 AK 51/10 - nach juris).

Gemessen daran wird die Rechtslage in Rumänien diesen Anforderungen nicht gerecht (OLG Karlsruhe, aaO.; Entscheidung des hiesigen 2. Strafsenats v. 28.6.2010, Az. Ausl A 34/10 m. w. N. - nach juris). Denn nach Art. 522 des rumänischen Strafgesetzbuches kann das Verfahren im Falle der Auslieferung einer in Abwesenheit verurteilten Person auf Antrag des Verfolgten von dem Gericht, das in erster Instanz geurteilt hat, wieder aufgenommen werden. Mithin liegt die Wiederaufnahme des Verfahrens im Ermessen des Gerichts des ersten Rechtszuges.

Eine Zusicherung von rumänischer Seite, dass in dieser Sache ein Wiederaufnahmeantrag der Verfolgten erfolgreich wäre, liegt dem Senat ebenfalls nicht vor. Vielmehr hat der Gerichtshof in Constanta am 8. Februar 2012 der Generalstaatsanwaltschaft auf entsprechende Anfrage mitgeteilt, dass das zuständige Gericht entscheiden wird, ob dem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben ist.

Eine hinreichende Gewissheit, dass die Tatvorwürfe in einer erneuten Verhandlung in Anwesenheit der Verfolgten erneut überprüft werden, besteht demnach insgesamt nicht.

Da die Auslieferung nach alledem unzulässig ist, war der Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls abzulehnen.