Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 15.12.2003, Az.: 12 B 5670/03

Öffentlich bekannt gemachte Erklärung zu einem Europäischen Vogelschutzgebiet hinsichtlich des Gebiets "V40 Diepholzer Moorniederung"; Unverträglichkeit einer konkret geplanten landwirtschaftlichen Nutzungsart mit dem Schutzzweck bzw. den Erhaltungszielen eines Europäischen Vogelschutzgebietes

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.12.2003
Aktenzeichen
12 B 5670/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 34483
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2003:1215.12B5670.03.0A

Fundstelle

  • NuR 2004, 267-269 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer naturschutzrechtlichen Verfügung - Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover -12. Kammer -
am 15. Dezember 2003
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller, ein Landwirt, wendet sich gegen eine naturschutzrechtliche Anordnung des Antragsgegners. Der Antragsteller ist Eigentümer der in der Gemarkung X., Flur 2, gelegenen Grundstücke Flurstücke X. (0,86 ha) und X. (1,5195 ha). Am 01.04.2002 pachtete er von der Beigeladenen zur landwirtschaftlichen Nutzung von dem südlich der X. gelegenen Flurstück X. eine Fläche von 23,2141 ha und das sich östlich an das Flurstück X. anschließende Flurstück X. mit einer Größe von 8,2482 ha hinzu. Er beabsichtigt, diese Flächen nach einer im Rahmen der Agrarförderung 2002 und 2003 erfolgten "Konjunkturellen Stilllegung" für die Anlage von Sonderkulturen, insbesondere die Anpflanzung von Heidelbeeren, zu nutzen. Zu diesem Zweck pflügte er eine ca. 7,5 ha große an die X. angrenzende Fläche des Flurstücks X. sowie die Grünlandflächen der Flurstücke X., X. und X..

2

Am 08. und 09.09.2003 setzte die Bezirksregierung Hannover den Antragsteller und die Beigeladene mündlich und schriftlich davon in Kenntnis, dass die Anlage von Sonderkulturen verboten sei, weil die Flächen innerhalb der Grenzen eines Europäischen Vogelschutzgebietes und eines geplanten Naturschutzgebietes lägen. Nachdem die Bezirksregierung Hannover bei einem Ortstermin am 12.09.2003 festgestellt hatte, dass die Tiefpflugarbeiten fortgeführt und das Grünland des südöstlichen Teils des Flurstücks X. zur Vorbereitung weiterer Pflugarbeiten gefräst worden waren, wurde mündlich die sofortige Einstellung der Arbeiten angeordnet.

3

Mit Bescheid vom 12.09.2003 untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - die Anlage von Sonderkulturen sowie einen Umbruch, der über eine Bearbeitungstiefe von 20 cm hinausgeht, mit der Begründung, dass diese Vorhaben bzw. Maßnahmen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Europäischen Vogelschutzgebietes V40 Diepholzer Moorniederung, Teilgebiet Uchter Moor, in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen werde. Der Antragsteller hat hiergegen unter dem 09.10.2003 Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.

4

Mit einem weiteren - hier streitbefangenen - Bescheid vom 08.10.2003 gab der Antragsgegner dem Antragsteller auf, die von ihm zum Zwecke der Anlage von Heidelbeerkulturen umgebrochenen und tiefgepflügten Grünlandflächen im Bereich des Vogelschutzgebietes (Flurstücke X., X. und X., X., Gemarkung X.) für die Wiederherstellung von Grünland vorzubereiten und hierzu die vorgenannten Flächen umgehend, spätestens jedoch bis zum 31.10.2003, einzuplanieren und über Winter liegen zu lassen. Zum Einplanieren seien die umgebrochenen Flächen nach vorherigem Grubbern oder Fräsen zu walzen. Zugleich ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung an und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 EUR an.

5

Zur Begründung gab er an: Die mit der Anlage von Sonderkulturen einhergehenden Strukturveränderungen führten - u.a. auch durch den Verlust des Grünlandes - zu einer erheblichen Beeinträchtigung maßgeblicher Bestandteile des Vogelschutzgebietes, da damit für eine Vielzahl bestandsbedrohter, für das Vogelschutzgebiet maßgeblicher wertbestimmender Vogelarten (wie z.B. Großer Brachvogel, Raubwürger, Neuntöter, Rotschenkel, Sumpfohreule, Goldregenpfeifer, Ziegenmelker, Kornweihe, Bekassine, Schwarzkehlchen u.a.) ein Verlust an Lebensraum einherginge. Diese Verschlechterungssituation für die Vögel stehe zentral der Zielsetzung und den rechtlichen Verpflichtungen der Europäischen Vogelschutzrichtlinie bzw. des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes (NNatG) entgegen. Um die Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes zu verfolgen und aufrechtzuerhalten, seien daher alle Maßnahmen zu ergreifen, die zumindest annäherungsweise die Wiederherstellung des Hochmoorgrünlandes als Lebensraum für die wertbestimmenden und bedrohten Vogelarten dieses Gebietes gewährleisten könnten. Durch die Tiefpflugmaßnahmen bis zu einer Tiefe von ca. 50 cm und die damit einhergehende Zerstörung der gewachsenen Torfschichten sei eine sehr raue, lockere und vergrößerte Oberfläche entstanden, was eine Austrocknung des Torfes und eine Veränderung des Wasserhaushaltes zur Folge habe. Durch die bevorstehenden Bodenfröste bestehe bei Belassung des derzeitigen Zustandes die Gefahr des Auffrierens der umgebrochenen Torfschichten, was zu einer für Grünlandnutzung abträglichen Torfstrukturveränderung mit einhergehender verminderter oder gar fehlender Trittfestigkeit führen könnte. Durch das geforderte sofortige Einplanieren der umgebrochenen Flächen könne ein weiteres Austrocknen des Moorbodens eingeschränkt werden, wodurch die Chance auf eine erfolgreiche Wiederherstellung von trittfestem Grünland und damit auch die Wiederherstellung des für die wertbestimmenden Vogelarten benötigten Lebensraums erhöht werde. Der zum Zwecke der Anlage von Heidelbeerkulturen durchgeführte tiefe Grünlandumbruch sei nicht genehmigungsfähig.

6

Der Antragsteller hat hiergegen am 16.10.2003 Widerspruch und am 29.10.2003 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Zu dessen Begründung macht er im wesentlichen Folgendes geltend:

7

Dem Antragsteller werde im Hinblick auf die Flurstücke X. und X. etwas rechtlich Unmögliches aufgegeben, weil diese im Eigentum der Beigeladenen stünden. Diese erwarte von dem Antragsteller die Fortsetzung der angestammten intensiven landwirtschaftlichen Nutzung und sie widerspreche jedweder Änderung der konkreten landwirtschaftlichen Bestimmung der Pachtflächen. Die Voraussetzungen des von dem Antragsgegner als Rechtsgrundlage herangezogenen § 34b Abs. 5 NNatG seien nicht erfüllt. Bislang habe der Antragsgegner weder nachgewiesen, dass es sich um ein Gebiet handele, das die Landesregierung gemäß § 34b Abs. 1 NNatG zu einem Europäischen Vogelschutzgebiet erklärt hat, noch sei ein Gebiet nach § 10 Abs. 6 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) bekannt gemacht worden. Für das Entstehen eines Europäischen Vogelschutzgebietes reiche es nicht aus, dass das Gebiet der Kommission der Gemeinschaft benannt worden sei. Der Antragsgegner habe im Übrigen noch nicht belegt, dass die betroffenen Flurstücke insgesamt in einem Vogelschutzgebiet V40 gelegen seien. Unabhängig davon sei die Anlage einer Heidelbeerkultur keine Maßnahme, die ein etwa bestehendes Vogelschutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnte. Mit ihr seien langfristig weit weniger Eingriffe in die Bodenstruktur und den Naturhaushalt verbunden als mit dem Anbau angestammter Markt- und Futterfrüchte. Gegenüber der angestammten intensiven konventionellen jährlichen Landbearbeitung sei die Anpflanzung von Heidelbeeren eine extensive Nutzung, die wegen des sehr geringen Pflanzenschutzmittel- und Düngerbedarfs dem Landschafts- und Naturschutz, vor allem auch dem Grundwasserschutz, zugute komme. Eine Auswilderung der Heidelbeeren (Verbreitung des Samens durch Vogelfraß) entfalle, weil ausschließlich Sorten angebaut würden, die sich nicht durch eigenen Samen vermehren könnten. Schließlich handele es sich bei den streitbefangenen Flächen nicht um Moorflächen. Diese endeten vielmehr südlich davon an dem in Ostwestrichtung verlaufenden Vorfluter.

8

Der Antragsteller hat zur Vertiefung seines Vorbringens ein Gutachten des Landwirtschaftlichen Sachverständigen X. vom 12.11.2003 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass die streitbefangenen Grünlandflächen im Rahmen der Agrarförderung wie Acker behandelt und auch als Acker hätten genutzt werden können und die Kulturheidelbeeren ausgesprochen unweitverträglich seien.

9

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 16.10.2003 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 08.10.2003 wiederherzustellen.

10

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

11

Er verteidigt die angefochtene Verfügung und bezieht sich hinsichtlich der Frage der erheblichen Beeinträchtigungen durch die Anlage von Sonderkulturen auf eine Stellungnahme des Nds. Landesamtes für Ökologie vom 12.09.2003 und seines Amtes für Wasserwirtschaft und Naturschutz vom 03.12.2003. Dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers sei mit Schreiben vom 28.10.2003 mitgeteilt worden, wann die Landesregierung das betreffende Gebiet zum Europäischen Vogelschutzgebiet erklärt habe und diese Erklärung bekannt gemacht worden sei. Die angefochtene Verfügung beziehe sich nur auf Flächen innerhalb der Grenzen des Europäischen Vogelschutzgebietes und solle eine ca. 1,77 ha große Teilfläche des Flurstücks X. nicht mit umfassen.

12

Der Antragsgegner hat unter dem 01.12.2003 eine Duldungsverfügung gegen die Beigeladene erlassen und diese für sofort vollziehbar erklärt.

13

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, aber mit Schreiben vom 20.11.2003 die landwirtschaftliche Nutzung der Grünland- und Ackerflächen bis zu deren Verpachtung beschrieben.

14

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

15

Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

16

Die Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Überprüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung (mehr). Daher geht die Abwägung der widerstreitenden Interessen zugunsten des vom Antragsgegner verfolgten Interesses, vollendete Tatsachen zulasten des Vogelschutzes zu vermeiden, aus.

17

Die hier (nur) streitbefangene Verfügung des Antragsgegners vom 08.10.2003 ist auf die §§ 63 und 34 b Abs. 5 NNatG (i.V.m. § 11 NGefAG) gestützt. Nach § 63 Satz 2 NNatG kann die Naturschutzbehörde bei einer rechtswidrigen Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung der Natur oder Landschaft auch die Wiederherstellung des bisherigen Zustandes anordnen. Die gesetzliche Ermächtigung umfasst damit auch Maßnahmen zur Vorbereitung dieses Ziels. Rechtswidrig sind der Umbruch und das Tiefpflügen von zuvor brach liegenden Grünlandflächen, wenn diese Maßnahmen durch § 34 b Abs. 5 Satz 1 NNatG verboten sind. Nach dieser Vorschrift sind bis zur Unterschutzstellung in einem Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung und in einem Europäischen Vogelschutzgebiet - wenn das Gebiet nach § 10 Abs. 6 BNatSchG bekannt gemacht worden ist - Vorhaben, Maßnahmen, Veränderungen oder Störungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen können, verboten. Diese Voraussetzungen sind nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung hier gegeben.

18

Die streitbefangenen umgebrochenen und tiefgepflügten Grünlandflächen liegen mit Ausnahme eines ca. 1,77 ha großen Teilstücks des Flurstücks X. innerhalb eines "Europäischen Vogelschutzgebietes". Nach der Legaldefinition in § 34 a Abs. 2 NNatG handelt es sich dabei um Gebiete, die durch Gesetz oder durch die Landesregierung unter Bezug auf Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02.04.1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (in der jeweils geltenden Fassung) zu Europäischen Vogelschutzgebieten erklärt worden sind. Hinsichtlich des Gebiets "V40 Diepholzer Moorniederung" liegt zwar keine gesetzliche Regelung, aber eine durch Beschluss der Landesregierung vom 12.06.2001 erfolgte und vom Nds. Umweltministerium öffentlich bekannt gemachte Erklärung zu einem Europäischen Vogelschutzgebiet vor (vgl. Nr. 1 d. Bek. d. MU v. 23.07.2002, Nds.MBI. 2002, 717), aus der sich auch die Gebietsabgrenzung ergibt (vgl. Anlage 1 zu Nr. 1 d. Bek. d. MU, a.a.O..). Unklarheiten hinsichtlich der räumlichen Reichweite der angefochtenen Verfügung, die sich aus der nicht vollständigen Übereinstimmung der Grenzen des Vogelschutzgebietes und des geplanten Naturschutzgebietes "lichter Moor" im Bereich des Flurstücks X. ergeben könnten, hat der Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren mit seinem Schriftsatz vom 01.12.2003 und den beigefügten Karten beseitigt, so dass es insoweit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zugunsten des Antragstellers nicht bedarf.

19

Das Europäische Vogelschutzgebiet "V40 Diepholzer Moorniederung" ist auch gemäß § 10 Abs. 6 BNatSchG bekannt gemacht worden. Dies ist durch das Bundesministerium für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit unter dem 02.05.2003 im Bundesanzeiger Nr. 106a/2003 S. 27 geschehen (" Diepholzer Moorgebiet", SPA 3418-401). Das Teilgebiet "Uchter Moor" ist zwar nicht unter den im Einzelnen in Spalte 3 als "betroffenes Schutzgebiet" aufgeführten Natur- und Landschaftsschutzgebieten (NSG bzw. LSG) benannt. Da § 34 b Abs. 5 NNatG aber gerade den Fall erfasst, dass eine förmliche Unterschutzstellung nach § 34 b Abs. 2 NNatG noch nicht erfolgt ist ("bis zur Unterschutzstellung"), reicht es nach Auffassung der Kammer aus, dass sich das Gebiet ("Diepholzer Moorniederung") als "Europäisches Vogelschutzgebiet" aus der Bekanntmachung nach § 10 Abs. 6 BNatSchG ergibt (Spalte 1). Denn bei der Vorschrift handelt es sich um eine Art Veränderungssperre (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drs 14/3657 S. 21; ferner OVG Schleswig, Beschl. v. 26.04.2002 -1 L 162/01 -, NordÖR 2003, 317 zu § 19 b Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG a.F.). Sie soll gewährleisten, dass bis zur endgültigen Unterschutzstellung der Charakter des Gebietes nicht erheblich beeinträchtigt wird (LT-Drs. 14/3657 S. 21).

20

Das Verbot des § 34 b Abs. 5 Satz 1 NNatG erfasst Vorhaben, Maßnahmen, Veränderungen oder Störungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des Europäischen Vogelschutzgebietes in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen können. Danach reicht für die Gewährleistung des Sicherungszwecks bereits die Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebietes aus.

21

Der Antragsteller wird sich voraussichtlich gegen die angefochtene Verfügung nicht mit Erfolg auf die sog. Landwirtschaftklauseln (§§ 1 Abs. 3, 7 Abs. 2 NNatG) berufen können. Zum einen hat die Kammer in diesem Verfahren die Wirksam- und Vollziehbarkeit der Grundverfügung vom 12.09.2003 zu beachten, die dem Antragsteller die Anlage von Sonderkulturen und den über eine Bearbeitungstiefe von 20 cm hinausgehenden Umbruch untersagt. Zum anderen - und unabhängig davon - handelt es sich bei der geplanten Anlage von Sonderkulturen nicht um eine Fortführung der bisherigen Grünlandbewirtschaftung oder eine Rückumwandlung von Brachflächen für die Wiederaufnahme der bisherigen landwirtschaftlichen Bodennutzung, sondern den Umbruch von Grünland zum Zwecke der Nutzungsänderung. Im Hinblick auf die vom Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung (NLfB) unter dem 11.09.2003 (an die Bezirksregierung Hannover) und 26.09.2003 (an den Antragsgegner) dargelegten Auswirkungen eines tiefen Grünlandumbruchs auf Moorböden und die vom Niedersächsischen Landesamt für Ökologie (NLÖ) unter dem 12.09.2003 (an die Bezirksregierung Hannover) dargelegten Folgen für die wertbestimmenden Vogelarten des Gebietes V40 geht die Kammer für das vorläufige Rechtsschutzverfahren von der Unverträglichkeit der konkret geplanten Nutzungsart mit dem Schutzzweck bzw. den Erhaltungszielen aus. Die Änderung der Nutzungsart landwirtschaftlich genutzter Flächen im Rahmen einer landwirtschaftlichen Bodennutzung stellt nach § 7 Abs. 2 Satz 2 NNatG nur "in der Regel" keinen Eingriff im Sinne des Gesetzes dar. Zu den Grundsätzen der "guten fachlichen Praxis" in der Landwirtschaft gehört es nach § 5 Abs. 4 Spiegelstrich 5 BNatSchG, "auf Moorstandorten" den Grünlandumbruch zu unterlassen.

22

Das Erhaltungsziel des Europäischen Vogelschutzgebietes V 40 besteht im Wesentlichen darin, für die in der Anlage 2 der Bek. d. MU v. 23.07.2002 (a.a.O..) aufgelisteten wertbestimmenden Vogelarten einen günstigen Erhaltungszustand zu erhalten oder - falls erforderlich - wiederherzustellen (Nr. 1.1). Zu den wertbestimmenden Vogelarten nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/409/EWG gehören im Gebiet V40 Diepholzer Moorniederung der Goldregenpfeifer, die Sumpfohreule, der Ziegenmelker und die Kornweihe; zu den wertbestimmenden Zugvogelarten nach Art. 4 Abs. 2 der EG-Vogelschutzrichtlinie die Krickente, der Baumfalke, die Bekassine, der Große Brachvogel, der Rotschenkel, das Schwarzkehlchen und der Raubwürger (vgl. Nds. MBI. 2002, 720). Die Diepholzer Moorniederung ist nach der Stellungnahme des NLÖ vom 12.09.2003 eines der letzten Brutgebiete des Goldregenpfeifers in Mitteleuropa und zudem in Mäusejahren der wichtigste Brutplatz für den Raubwürger und die Sumpfohreule im niedersächsischen Binnenland. In der Stellungnahme wird weiter ausgeführt, dass die im Uchter Moor vorkommenden Goldregenpfeifer das umliegende Grünland zur Nahrungssuche nutzen, wobei eine Vegetationshöhe von ca. 15 cm nicht überschritten werden soll. Diese Grenze ist nach der Äußerung des Amtes für Wasserwirtschaft und Naturschutz des Antragsgegners vom 03.12.2003 erforderlich, weil der Goldregenpfeifer eine weite Sicht vor natürlichen Feinden (sog. Prädatoren) benötigt. Bei der Anlage von hoch aufwachsenden Sonderkulturen ist dies nicht gewährleistet. Ein zu tiefer Umbruch, der die Trittfestigkeit beeinträchtigt, kann nach der Stellungnahme des NLÖ (a.a.O..) zudem in der Folge zur Verbuschung führen. Beides birgt die Gefahr von Lebensraumverlusten für die vorgenannten wertbestimmenden Vogelarten (NLÖv. 12.09.2003).

23

Nach der Stellungnahme des NLfB vom 11.09.2003 (an die Bezirksregierung Hannover) ist auch aus Bodenschutzgründen ein 50 cm tiefer Grünlandumbruch auf Moorböden abzulehnen, weil dadurch der oxidative Torfverlust beschleunigt wird. Die Auswertung von zwei Photos des Antragsgegners durch das NLfB hat ergeben, dass durch den Umbruch Weißtorfe an die Oberfläche gepflügt worden sind (NLfB v. 26.09.2003 an den Antragsteller). Zwar kann die umgebrochene Fläche nach Ansicht des NLfB ohne Bearbeitung in den Winter gehen. Damit die Torfe möglichst feucht bleiben, wird aber ein Einplanieren der Fläche mittels Grubber bzw. Fräse mit anschließenden Walzen als vorteilhaft angesehen (NLfB v. 26.09.2003, a.a.O..).

24

Gegen die Geeignetheit der durch den Bescheid vom 08.10.2003 angeordneten vorbereitenden Maßnahmen zur letztlich angestrebten Wiederherstellung des Grünlandes bestehen danach keine Bedenken. Substantiierte Zweifel in dieser Richtung hat der Antragsteller auch nicht geäußert. Soweit er eine erhebliche Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes durch die Anlage von Heidelbeerkulturen wegen des geringen Pflanzenschutzmitteleinsatzes und Düngerbedarfs bestreitet, wird er im Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich nicht durchdringen können, weil die zu diesem Zweck umgenutzten Flächen den wertbestimmenden Vogelarten wie etwa dem Goldregenpfeifer dauerhaft nicht mehr als Brut- oder Nahrungshabitat zur Verfügung stehen (NLÖ v. 12.09.2003). Auf die von dem Landwirtschaftlichen Sachverständigen X. in seinem Gutachten vom 12.11.2003 betonte allgemeine Umweltverträglichkeit von Kulturheidelbeeren und den Aufenthalt von Niederwild - überwiegend Hasen - in den Kulturen kommt es wegen der speziellen omithologischen Erhaltungsziele nicht an.

25

Soweit der Antragsteller weiter geltend macht, dass die Beeinträchtigung nicht erheblich wäre, weil es sich bei den streitbefangenen tiefgepflügten Grünlandflächen nicht um Moor handele, dieses vielmehr an dem in Ostwestrichtung verlaufenden Vorfluter ende, ist zwar zutreffend, dass sich die Veränderungssperre nach § 34 b Abs. 5 Satz 1 NNatG nur auf die für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteile des Vogelschutzgebietes bezieht. Das NLÖ hat jedoch - für die Kammer nachvollziehbar - ausgeführt (Stellungnahme v. 12.09.2003), dass das umliegende Grünland für die im Uchter Moor vorkommenden Goldregenpfeifer zur Nahrungssuche genutzt wird und es nicht nur um die Erhaltung der Hochmoore, sondern auch des Feuchtgrünlandes als Brutplatz geht. Hinsichtlich des Flurstücks X. führt der von dem Antragsteller eingeschaltete Landwirtschaftliche Sachverständige im Übrigen selbst aus, dass es sich um anmoorige Böden auf Torf handelt und standortbedingte Binsen vorkommen. Er weist ferner darauf hin, dass Kulturheidelbeeren anmoorige Böden benötigten (Gutachten v. 12.11.2003, S. 3 u. 6).

26

Einen Anspruch auf Einräumung der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen, hat weder der Eigentümer noch - von ihm abgeleitet -der Pächter. Den von dem Antragsteller geltend gemachten Bedenken gegen die Durchführbarkeit der angefochtenen Maßnahmen gegen den Willen des Verpächters hat der Antragsgegner durch den Erlass einer sofort vollziehbaren Duldungsverfügung zwischenzeitlich Rechnung getragen.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

28

Der Beigeladenen konnten nach § 154 Abs. 3 VwGO keine Kosten auferlegt werden, da sie keinen Antrag gestellt hat. Aus diesem Grunde entspricht es aber auch nicht der Billigkeit, etwaige außergerichtliche Kosten, die ihr entstanden sind, gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären.

29

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dr. Wagner
Schulz-Wenzel
Gonschior