Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 17.10.2003, Az.: 7 B 4693/03

Abschiebehindernis; Asylfolgeantrag; freiwillige Ausreise; Kosovo; Roma; Volkszugehörigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.10.2003
Aktenzeichen
7 B 4693/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48205
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 06.02.2004 - AZ: 4 ME 494/03

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO mit Beschluss vom 17.10.2003 zur Entscheidung übertragen hat.

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Der Antrag der Antragsteller

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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in entsprechender Anwendung des BSHG zu gewähren,

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bleibt ohne Erfolg.

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Dabei lässt das Gericht offen, ob der Antrag überhaupt ordnungsgemäß gestellt wurde. Der Antragsgegner bezweifelt, dass die Unterschrift unter der Antragsschrift von der Antragstellerin zu 1.) stammt. Dafür könnte sprechen, dass die Antragstellerin zu 1.) nach den drei Kreuzen auf den Ausweisersatz und auf Vollmachten im Verfahren 12 A 2370/02 zu urteilen, offenbar gar nicht ihren Namen schreiben kann. Daneben weist die Unterschrift eine deutliche Ähnlichkeit mit der Unterschrift ihres Ehemannes auf. Überdies bedürften wohl, wenn denn doch die Antragstellerin selbst unterschrieben haben und wenn nicht das alleinige Sorgerecht bei der Antragstellerin zu 1.) liegen sollte,- die minderjährigen Kinder zu einer ordnungsgemäßen Antragstellung auch die Zustimmung bzw. Genehmigung des Vaters. Letztendlich kommt es darauf aber auch nicht an. Denn der Antrag ist schon aus anderen Gründen abzulehnen.

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Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses dann erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber dem Antragsgegner besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche, in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO näher beschriebene Nachteile zu entstehen drohen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

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Im vorliegenden Fall ist es den Antragstellern nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.

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Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.d.F. der Bekanntmachung vom 05.08.1997 (BGBl. I S. 2022) ist das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte nur dann entsprechend anzuwenden, wenn diese über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 01.06.1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und wenn ihre Ausreise zum einen nicht erfolgen kann und zum anderen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen.

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Die zeitlichen Voraussetzungen der genannten Vorschrift sind unstreitig erfüllt.

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Jedoch bestehen bereits keine Hindernisse, die einer freiwilligen Ausreise der Antragsteller entgegenstehen.

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Nach der aktuellen Auskunftslage zu Jugoslawien bzw. zum Kosovo ist grundsätzlich eine freiwillige Rückkehr von jugoslawischen bzw. serbischen Staatsangehörigen in den Kosovo aus Deutschland - auch auf dem Landweg - möglich. Für die Rückkehr in den Kosovo kann dabei statt gültiger jugoslawischer Pässe oder Passersatzpapiere ein von der zuständigen Ausländerbehörde ausgestellter EU-Laissez-passer verwendet werden (vgl. Erlass des BMI vom 27.03.2000 - A 4 125 610-Jug/5 -). Dieses Ersatzdokument können sich auch die Antragsteller – wenn sie nicht bereits im Besitz eines derartigen Papiers oder gar im Besitz gültiger Reisepässe sein sollten - problemlos ausstellen lassen.

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Die Rückkehr in die Heimat ist für die Antragsteller nicht unzumutbar.

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Die Antragsteller berufen sich darauf, wegen ihrer Zugehörigkeit zum Volk der Roma nicht in das Amselfeld (Kosovo) zurückkehren zu können. Zum Einen ist ihre Volkszugehörigkeit aber nicht eindeutig nachgewiesen, wie zutreffend der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 15.10.2003 ausgeführt hat. Nach dem Schreiben ihres früheren Prozessbevollmächtigten, dem Rechtsanwalt P., vom 21.02.2000 könnte es sich bei den Antragstellern auch um Aschkali handeln. Dafür spricht ebenfalls, dass die Antragstellerin albanisch spricht. Auch ihre Anhörung im Asylverfahren wurde in albanisch durchgeführt. Der Ehemann der Antragsteller zu 1.) und Vater der übrigen Antragsteller gehört dem Volk der „Ägypter“ an.

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Die Antragsteller haben in einem Verfahren nach § 123 VwGO alle entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO. Dies haben sie hinsichtlich ihrer Volkszugehörigkeit nicht getan.

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Davon abgesehen ist es auch für Angehörige des Volkes der Roma zumutbar, in den Kosovo zurückzukehren.

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Zwar geht der 4. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts davon aus, dass auf der Grundlage der Erkenntnisse (beispielhafte Auflistung in dem Beschluss des 4. Senates vom 17.01.2001, 4 M 4422/00.) hinreichende humanitäre Gründe gegeben seien, die für Roma aus dem Kosovo sowohl einer freiwilligen Rückkehr als auch der Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegenstünden. Der Senat legt offenbar einen gegenüber der Entscheidung des 12. Senates zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erweiterten Maßstab an, den er daraus ableitet, dass eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung dieser Regelungen nur ausnahmsweise die Berücksichtigung allgemeiner Gefahren bei der Prüfung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gebiete, wenn der Ausländer in seinem Heimatstaat einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt sei, dass er im Falle einer Abschiebung dort gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Damit sei aber nicht über eine Gefahrenlage im Sinne des § 54 AuslG entschieden. Es spreche Vieles dafür, dass im Kosovo (offenbar in Anknüpfung an die aus der Dokumentation gewonnenen Erkenntnisse) eine Situation vorliege, die eine Regelung im Sinne des § 54 AuslG erfordere. Dies wäre aber nur dann von Bedeutung, wenn der Regelungsgehalt des § 2 AsylbLG (entgegenstehende humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse) dem des § 54 AuslG (kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen ...) in einem Mindestmaß entsprechen würde. Diese Entsprechung ist jedoch nicht zwingend. So steht z.B. nicht jeder humanitäre Grund, der eine Anordnung nach § 54 AuslG rechtfertigt, automatisch auch einer frei- oder unfreiwilligen Ausreise entgegen. Entgegenstehend sind die Gründe erst dann, wenn sie ein derartiges Gewicht erlangen, dass deshalb die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Ein derartiges Gewicht dürfte zwar regelmäßig dann erreicht sein, wenn die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG erfüllt sind. Dies ist hier jedoch nach Auswertung der Rechtsprechung nicht der Fall (s. etwa Nds. OVG, Urt. v. 26.04.2001 –10 L 4015/96 - m.w.N.). Allerdings dürfte es zutreffend sein, dass sich darin (§ 53 Abs. 6 AuslG) einer Ausreise entgegenstehende humanitäre Gründe nicht erschöpfen dürften. Andererseits hat auch nicht die bloße Einschätzung, die in einer weitergeltenden Erlassregelung (s. Erlass des MI vom 12.03.2001, 45.31-12230/1-1(§ 54)1-9) zum Ausdruck kommt, zur Folge, dass die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG als erfüllt zu gelten hätten.

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Nach Überzeugung des Gerichts drohen Angehörigen der Roma im Kosovo keine Nachteile, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten. Ein Bericht über die Lage der Roma im Kosovo (UNHCR v. 11.02.2000, Die Situation der Minderheiten im Kosovo) zeigt zudem auf, dass sich die Situation für die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe verbessert hat, nachdem (UNHCR/OSCE vom 03.11.1999) Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma im Kosovo Diskriminierung, Einschüchterung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Verweigerung des Zugangs zu öffentlichen Dienstleistungen sowie Zerstörung von Häusern und Gewalt ausgesetzt waren, indessen UNMIK und KFOR sich um Schutz bemühen und diesen Schutz auch gewährleisten können, soweit sich die Angehörigen der Roma in bestimmten Gebieten aufhalten, die unter dem besonderen Schutz der KFOR stehen (UNHCR/OSCE zur Situation der ethnischen Minderheiten im Kosovo vom 06.09.1999). Diese Betrachtung wird durch den Bericht des UNHCR vom 11. Februar 2000 bestätigt, wonach Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma in bestimmten Bereichen, die von der KFOR gesichert werden, Übergriffe nicht befürchten müssen. Dies ergibt – bei anderweitiger Bewertung – der Sache nach auch der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. November 1999. Im hier streitigen Zeitraum hatte sich die Lage im Amselfeld für Roma nicht verschlechtert.

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Abgesehen davon gehört der Kosovo nach wie vor staatsrechtlich zu Serbien, so dass den Antragstellern außerhalb des Amselfeldes eine innerstaatliche Alternative zur Verfügung steht. Die entgegenstehende Ansicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts im Urteil vom 13.02.2002 - 4 LB 783/01 - überzeugt nicht, zumal die Antragsteller nicht unmittelbar aus dem Amselfeld nach Deutschland eingereist sind. Sie habe sich vielmehr zuvor ein Jahr in Titograd und Belgrad aufgehalten. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Antragsteller nicht mehr nach dorthin zurückkehren können.

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Der Umstand, dass die Antragsteller beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge einen weiteren Asylfolgeantrag gestellt und gegen die Entscheidung des Bundesamtes Klage erhoben haben, über die noch nicht entschieden wurde (Verfahren 12 A 2370/02 beim VG Hannover), verbietet oder hindert eine freiwillige Ausreise nicht. Aus der Antragstellung bzw. Klageerhebung allein folgt auch nicht, dass ein humanitärer, rechtlicher oder persönlicher Grund oder das öffentliche Interesse Abschiebemaßnahmen oder einer freiwilligen Ausreise entgegensteht (vgl. die ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, etwa Beschluss vom 30.11.2000 – 7 B 5688/00 – und Beschluss vom 21.12.2001 – 7 B 5414/01 -).

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Nach alledem liegen bei den Antragstellern auch keine Abschiebehindernisse iSd § 2 Abs. 1 AsylbLG vor.

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Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat mit Bescheid vom 22.05.2002 festgestellt, dass Abschiebehindernisse nach § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG bei den Antragstellern nicht vorliegen. Das nunmehr irgendwelche Abschiebehindernisse anzunehmen sind, ist nicht ersichtlich. Wie weiter oben bereits dargestellt, würde selbst wenn es sich bei den Antragstellern um Roma handeln würde (was sie jedoch bislang nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben), die Volkszugehörigkeit allein nicht zu einem Abschiebehindernis führen.

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Die den Antragstellern erteilten Duldungen stellen ebenfalls keinen rechtlichen Grund im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG dar. Zwar ist eine Duldung vor der Durchführung einer Abschiebung zu widerrufen. Jedoch liegt dieser verfahrensrechtlichen Vorgabe nicht das Verständnis zugrunde, dass die Duldung selbst ein Abschiebungshindernis darstellt, sondern erschöpft sich ihre Bedeutung darin, dass jeder – materielle - Grund, der zur Duldungserteilung geführt hat, solange er besteht, eine Abschiebung verhindert. Dies lässt sich auch § 56 Abs. 5 AuslG entnehmen. Nur dieser - materielle - Duldungsgrund kann dementsprechend auch unter § 2 Abs. 1 letzter Halbsatz AsylbLG Berücksichtigung finden (auch GK-AsylbLG, a.a.O. Stand Juni 2000, § 2 Rdnr. 29, stellt auf den zugrunde liegenden Duldungsgrund ab). Da eine Duldung gemäß § 55 Abs. 2 und 4 AuslG auch aus tatsächlichen Gründen ausgesprochen werden kann, würden anderenfalls über die Annahme der Duldung als rechtlichem Abschiebungshindernis tatsächliche Gründe den Tatbestand des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllen, obwohl dieser sich bei seiner - abschließenden - Aufzählung auf humanitäre, rechtliche und persönliche Hinderungsgründe beschränkt.

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Die noch anhängige Klage gegen die Abschiebeandrohung im letzten Bescheid des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat keine aufschiebende Wirkung und bildet kein rechtliches Abschiebehindernis. Ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren der Antragsteller insoweit hatte keinen Erfolg (VG Hannover, Beschl. v. 31.03.2002 - 12 A 2370/02 -).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.