Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 11.06.1987, Az.: 2 A 83/85
Anspruch auf Erstattung gezahlter Kirchensteuern im Wege des Billigkeitserlasses; Höhe der Kirchensteuererhebung nach dem am Wohnsitz des Steuerpflichtigen gültigen Kirchensteuersatz; Ermächtigung für die Landeskirche oder Diözesen auf Nacherhebung der Kirchensteuer bei Abzug eines niedrigeren Kirchensteuersatz als er am Wohnort des Kirchensteuerpflichtigen gilt; Erlöschen des Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Steuern, wenn er nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres, das auf die Entrichtung folgt, geltend gemacht wurde
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 11.06.1987
- Aktenzeichen
- 2 A 83/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 16053
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:1987:0611.2A83.85.0A
Rechtsgrundlagen
Verfahrensgegenstand
Rückerstattung von Kirchensteuern
Prozessführer
Postfernmeldehandwerker...
Prozessgegner
Evangelisch-Luterhische Landeskirche Hannover - Landeskirchenamt -, Rote Reihe 6, 3000 Hannover 1.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 2. Kammer Stade -
in der Sitzung vom 11. Juni 1987, ohne mündliche Verhandlung
unter Mitwirkung von:
Vorsitzendem Richter am Verwaltungsgericht Dr. von Kunowski,
Richter am Verwaltungsgericht Wagner,
Richterin Dr. Frentz
Ehrenamtlichem Richter ...und ...
für Recht erkannt:
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die teilweise Erstattung in den Jahren 1975 bis 1982 gezahlter Kirchensteuern im Wege des Billigkeitserlasses.
Der Kläger ist ev.-luth. Konfession und gehört der Ev.-luth. Landeskirche Hannover an. Er hat seinen Wohnsitz in Niedersachsen und seine Arbeitsstätte in Bremen. Er ist dort als Fernmeldehandwerker bei der Oberpostdirektion Bremen tätig, die als sein Arbeitgeber von seinem Bruttoverdienst auch die Kirchensteuern nach dem jeweils in Bremen gültigen Kirchensteuersatz - das sind für den hier maßgeblichen Zeitraum jeweils 8 % der Lohnsteuer - abführt. In Niedersachsen beträgt der Kirchensteuersatz 9 % der Lohnsteuer. Das für den Wohnsitz des Klägers zuständige Finanzamt ... legte bei der Erstellung des Lohnsteuer- und Kirchensteuerjahresausgleichsbescheides für die Jahre 1975 bis 1983 jeweils den in Niedersachsen gültigen Kirchensteuersatz von 9 % zugrunde, errechnete auf dieser Grundlage die vom Kläger zu zahlende Kirchensteuer und erhob diese in der entsprechenden Höhe, was zur Nacherhebung von Kirchensteuern in Höhe der Differenz zwischen 8 % und 9 % der vom Kläger zu zahlenden Lohnsteuer führte.
Mit Schreiben vom 7. Februar 1985 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm die in den Jahren 1975 bis 1983 vom Finanzamt ... als Kirchensteuer einbehaltenen Unterschiedsbeträge zwischen 8 % und 9 % der von ihm zu zahlenden Lohnsteuer zu erstatten. Diesem Begehren entsprach die Beklagte für das Jahr 1983 in Höhe von 32,26 DM, lehnte den Antrag im übrigen aber mit Bescheid vom 27. März 1985 mit der Begründung ab, nach § 6 Kirchensteuerrahmengesetz (KStRG) fänden die Vorschriften der Abgabenordnung entsprechende Anwendung, soweit deren Anwendbarkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen sei.
§ 227 AO gehöre zu den entsprechend anwendbaren Vorschriften. Danach könnten Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen ganz oder zum Teil erlassen oder auch bereits entrichtete Beträge erstattet werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Im Rahmen ihres Verwaltungsermessens erstatte die Hannoversche Landeskirche in langjähriger Erlaßpraxis in derartigen Fällen die Kirchensteuern der Steuerbescheide, die nicht früher als im laufenden Jahr der Antragstellung oder im abgelaufenen Jahr ergangen, endgültig und bestandskräftig geworden seien. Ein Abweichen von dieser Regelung würde eine Verletzung des Gleichheitsgebotes bedeuten. - Den hiergegen am 2. April 1985 erhobenen Widerspruch des Klägers vom 30. März 1985 wies die Beklagte mit dem - am 6. Juni 1985 mit Einschreibebrief an den Kläger abgesandten - Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1985 als unbegründet zurück. Zur Begründung wird angeführt, ein Erlaß der erhobenen Kirchensteuer in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen 8 % und 9 % der zu zahlenden Lohnsteuer komme gemäß § 227 AO in Betracht, soweit sachliche oder persönliche Billigkeitsgründe vorlägen. Im Hinblick darauf, daß viele Kirchenglieder "Pendler" seien, die in Bremen oder Hamburg beschäftigt seien, wo ein Kirchensteuerhebesatz von 8 % gelte, nehme die Hannoversche Landeskirche aus besonderen Erwägungen heraus auf Antrag eine Erstattung vor. Ausschlaggebend sei der Umstand, daß für denjenigen Pendler, der einen Lohnsteuerjahresausgleichsantrag stelle oder veranlagt werde, eine Nacherhebung zum Zuge komme, während es für diejenigen, die nicht veranlagt werden und die einen Lohnsteuerjahresausgleich nicht stellen, bei der mit geringerem Hebesatz einbehaltenen Kirchensteuerzahlung verbleibe. Der aufgrund der Gleichbehandlung aus der Verwaltungspraxis erwachsene Anspruch auf Erstattung sei nicht gegeben, wenn der Antrag nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres, das auf die Kirchensteuereinbehaltung folge, gestellt worden sei. Diese Regelung habe in der Hannoverschen Landeskirche gemäß § 152 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (RAO) bestanden und sie sei um der gleichförmigen Fortführung dieser Erstattungen Willen auch nach Inkrafttreten der AO 1977 beibehalten worden. Nach dieser Regelung sei auch im Falle des Klägers entschieden worden.
Daraufhin hat der Kläger am 25. Juni 1985 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27. März 1985 und deren Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Jahre 1975 bis 1982 nacherhobene Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 215,92 DM im Wege des Billigkeitserlasses zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertieft zur Begründung die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und bezieht sich im übrigen hierauf.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Die Klage, über die mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO) ist zulässig, insbesondere rechtzeitig erhoben. Sie ist jedoch unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, was Voraussetzung für den Erfolg der von ihm erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wäre (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 VwGO).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Erlaß der Kirchensteuerbeträge, die für die Veranlagungszeiträume 1975 bis 1982 vom Finanzamt zugunsten der Beklagten in Höhe von 1 % der vom Kläger zu zahlenden Lohnsteuer nacherhoben worden sind.
Auf den Erlaß von Kirchensteuer, über den zu entscheiden den Landeskirchen und Diözesen gemäß § 11 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften (Kirchensteuerrahmengesetz - KiStRG - vom 10. Februar 1972 (Nds. GVBl. S. 109), jetzt 1. d. F. des Gesetzes vom 10. Juli 1986 (Nds. GVBl. S. 281), zusteht, finden die Vorschriften der Abgabenordnung (AO) entsprechende Anwendung, soweit deren Anwendbarkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (§ 6 Abs. 1 KiStRG). § 227 AO gehört zu den entsprechend anwendbaren Vorschriften. Nach § 227 Abs. 1 AO können Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen ganz oder zum Teil erlassen - oder auch bereits entrichtete Beträge erstattet - werden, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Persönliche Billigkeitsgründe, die sich aus der wirtschaftlichen Lage des Steuerschuldners ergeben müssen, sind vom Kläger nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar. Sachliche Billigkeitsgründe hat die Rechtsprechung anerkannt, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers, auf dem in Frage kommenden Steuerrechtsgebiet angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber im Billigkeitsweg zu entscheidende Fragen, hätte er sie geregelt, im Sinne des begehrten Erlasses entschieden haben würde (Bundesfinanzhof, Bundessteuerblatt II 1959, 11 und 1970, 607). Das bedeutet, daß die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem Ergebnis geführt haben muß, das offensichtlich nicht den Intentionen des Gesetzgebers entsprochen hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn § 3 Abs. 1 KiStRG hat gerade bewußt die Regelung getroffen, daß sich die Höhe der Kirchensteuererhebung jeweils nach dem am Wohnsitz des Steuerpflichtigen gültigen Kirchensteuersatz richtet und § 13 Abs. 2 Satz 2 KiStRG enthält ausdrücklich die Ermächtigung für die Landeskirche oder Diözesen dann, wenn die Kirchensteuer nach einem niedrigeren Kirchensteuersatz abgezogen worden ist als er am Wohnort des Kirchensteuerpflichtigen gilt, den Unterschiedsbetrag im Wege der Veranlagung selbst nachzuerheben oder gemäß § 11 KiStRG unter Inanspruchnahme der Finanzämter nacherheben zu lassen. Dies ist beim Kläger geschehen.
Besteht nach dem Gesagten somit kein ausdrücklich geregelter Anspruch auf Erlaß der Kirchensteuer aus Billigkeitserwägungen (so auch VG Stade - Kammern Lüneburg - Urteil vom 21. Juli 1983 - 1 VG A 81/81 -), so kann sich ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der - zu Recht - nacherhobenen Kirchensteuern für die Jahre 1975 bis 1982 nur aus dem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ergeben. Insoweit hat die Beklagte - entsprechend ihrer ständigen Verwaltungspraxis - dem Kläger die für 1983 über den Betrag von 8 % der vom Kläger zu zahlenden Lohnsteuern hinausgehenden, vom Finanzamt ... erhobenen Kirchensteuern erstattet, da der Kläger den Antrag insoweit bis zum Ablauf des Kalenderjahres gestellt hat, das auf die Steuereinbehaltung 1984 folgte. Diese Praxis setzt eine seit Jahrzehnten von der Beklagten gehandhabte Praxis fort, die sich an der Vorschrift des § 152 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung orientierte, wonach der Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Steuern erlischt, wenn er nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres, das auf die Entrichtung folgt, geltend gemacht wurde. Diese Praxis ist auch nicht willkürlich, sondern stellt einen vertretbaren Kompromiß dar zwischen dem Bestreben der Kirchensteuerpflichtigen, die einen Lohnsteuerjahresausgleichsantrag stellen bzw. zur Einkommensteuer veranlagt werden und denen gegenüber Kirchensteuer nacherhoben wurde, im Ergebnis so gestellt zu werden wie diejenigen, die einen solchen Antrag nicht stellen bzw. nicht einkommensteuerpflichtig sind und dem Interesse der Landeskirche, die Kirchensteuern, die nach gesetzlichen Bestimmungen erhoben wurden, behalten zu können. Einen Anspruch darauf, daß die Beklagte ihm darüber hinaus einen weiteren Kirchensteuererlaß gewährt, hat der Kläger nicht. Im Gegenteil, würde die Beklagte den Kläger gegenüber den übrigen Kirchensteuerpflichtigen, die in der gleichen Lage sind wie der Kläger, unberechtigt bevorzugen und damit diesen gegenüber den verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) gesicherten Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen. Im übrigen würde ein solcher Erlaß auch gegen die die Beklagte bindenden eigenen Beschlüsse über den Erlaß von Kirchensteuern verstoßen und auch diesem Grunde rechtswidrig sein.
Im übrigen nimmt die Kammer gemäß Art. 2 § 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit - EntlG - vom 31. März 1978 (BGBl. I S. 446) i.d.F. des Gesetzes vom 4. Juli 1985 (BGBl. I S. 1274) auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug, denen sie folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Möglichkeit, der Berufung gegen dieses Urteil ist ohne besondere Zulassung gegeben, obwohl der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 DM nicht übersteigen würde. Denn das Zulassungserfordernis entfällt, wenn die Berufung - wie hier - wiederkehrende Leistungen für mehr als 1 Jahr betreffen würde (Art. 2 § 4 Abs. 1 EntlG).