Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 10.11.2010, Az.: 1 A 169/09

Berufsausübung; Gefährdung von Patienten; Logopäde; Widerruf; Berufsbezeichnung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
10.11.2010
Aktenzeichen
1 A 169/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 48023
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ungeeignetheit zur Berufsausübung in gesundheitlicher Hinsicht durch Gutachten nachgewiesen; Gefährdung von Patienten nicht notwendig.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Berufserlaubnis.

Sie erhielt am 08.05.1995 die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung Logopädin zu führen, und betrieb in H. eine eigene logopädische Praxis. Mitte März 2009 teilte Dr. Q., Arzt beim Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis H., der Beklagten mit, dass erhebliche Zweifel an der gesundheitliche Eignung und Zuverlässigkeit der Klägerin zur Ausübung ihres Berufs bestünden. Dem lag Folgendes zugrunde:

Am 29.12.2008 und 05.01.2009 erstattete die Klägerin bei der Polizeiinspektion H. Anzeige, weil die Festplatte ihres Computers "ausspioniert" würde. Laut dem im Verwaltungsvorgang der Beklagten enthaltenen Polizeibericht vom 06.01.2009 über die Anzeige vom 05.01.2009 wirkte die Klägerin verwirrt. Ihre Angaben zum Sachverhalt seien so konfus gewesen, dass sie nicht in vernünftiger Form hätten protokolliert werden können. Sie habe im Verlauf des Gesprächs erzählt, als sie vor einiger Zeit mit ihrem Pkw, der über eine Außentemperaturanzeige verfüge, an einer Apotheke vorbeigefahren sei, sei die Temperatur von 6°C auf 3°C abgefallen. Zur gleichen Zeit sei auch die Temperatur auf dem Außenthermometer der Apotheke von 6 °C auf 3°C gesunken. Sie vermute dahinter irgendwelche Machenschaften. Ferner habe sie von einer in R. lebenden Tochter erzählt, die einen Autounfall gehabt habe, bei dem es nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Als sie nach ihrer Berufstätigkeit gefragt worden sei, habe sie erklärt, sie stünde gerade kurz vor dem Durchbruch neuer bahnbrechender Erkenntnisse für die Behandlung von Kindern, die aber noch geheim seien. Vermutlich gebe es Versuche, diese Erkenntnisse auszuspähen. Sie habe einen DIN A4-Ordner mitgeführt, in dem nach ihren Angaben alle Erkenntnisse zusammengefasst seien. Sie sei gebeten worden, ihre Befürchtungen schriftlich zu Hause zusammen zu fassen und der Dienststelle zukommen zu lassen. Sie sei darauf hingewiesen worden, dass ihr psychischer Zustand pathologisch erscheine. Eine Überprüfung ihres E-mail Accounts durch die Polizei anlässlich ihrer Anzeige vom 29.12.2009 verlief negativ hinsichtlich irgendwelcher Fremdeinflüsse (s. Vermerk der Polizeiinspektion H. vom 07.01.2010).

Nach den Angaben einer ehemaligen Mitarbeiterin der Klägerin, S. T., zwang die Klägerin Frau T. am 12.01.2009, selbst schriftlich zu kündigen. Frau T. hat über die Umstände dieser Kündigung ein mehrseitiges Protokoll verfasst, welches im Verwaltungsvorgang der Beklagten enthalten ist (Blatt 19 ff. Vg). Danach begründete die Klägerin die Kündigung mit folgenden Vorwürfen: Frau T. habe Unterlagen aus ihrer Tasche entwendet. Das Angebot von Frau T. die Tasche zu kontrollieren, habe die Klägerin abgelehnt. Sie habe Frau T. ferner vorgeworfen, Interna ausgeplaudert, sich nicht an Absprachen gehalten und Machtspiele betrieben zu haben. Im Übrigen hätte Frau T. wohl schon ein anderes Arbeitsangebot. Die Klägerin habe den Personalausweis von Frau T. verlangt, um ihn für ihre Unterlagen zu kopieren. Als sich der Ausweis wegen des Hologramms des Fotos nicht ohne weiteres habe fotokopieren lassen, habe sie behauptet, Frau T. habe den Ausweis gefälscht. Als es weitere Probleme beim Kopieren einer Meldebescheinigung für Arbeitnehmer gegeben habe, habe die Klägerin in den Raum gestellt, der Kopierer könne manipuliert sein. Sie habe verlangt, dass Frau T. selbst fristlos kündige und gesagt, wer so etwas mache, arbeite hier keinen Tag länger. Sie habe Frau T. vorgeworfen, Notizzettel mit Patientenbeispielen weggenommen und geplant zu haben, die Türschlösser der Praxis austauschen zu lassen. Sie habe ihr einen Notizzettel mit einer Telefonnummer aus U. bzgl. Schlösser austauschen vorgelegt, der eindeutig nicht von ihr geschrieben worden sei. Frau T. habe ihre früheren Bewerbungsunterlagen Seite für Seite mit Orts-, Datums- und Uhrzeitangabe unterschreiben und damit die Übereinstimmung mit dem Original bestätigen müssen. Auch ihre Adresse und ihr Geburtsdatum habe sie bestätigen müssen, da man "so was ja mal eben ändern könne". Sie habe ferner bestätigen müssen, dass sie entgegen getroffener Absprachen die Therapiedauer nicht eingetragen habe. Die Klägerin habe verlangt, dass sie am nächsten Tag Unterlagen über ihre Ausbildung und bisherige Berufstätigkeit in beglaubigter Form vorlege. Zwischendurch habe sie immer wieder gesagt, dass sie ja vielleicht doch noch die Polizei rufen müsse und dass Frau T. gut auf ihre Sachen aufpassen solle, man wisse ja nie, es könne schnell etwas wegkommen. Als Frau T. am 13.01.2009 die gewünschten beglaubigten Unterlagen abgegeben habe, habe sie schriftlich erklären müssen, dass sie die Praxisschlüssel weder vervielfältigt noch an Dritte weitergegeben habe.

Weitere Vorfälle hat Dr. Q. in seinen ebenfalls im Verwaltungsvorgang enthaltenen "Protokollnotizen" festgehalten. Danach erhielt er am 17.02.2009 einen Anruf von Herrn V., Leiter der Frühförderstelle H.. Nach dessen Angaben sei die Klägerin in den letzten Wochen im Kindergarten W., mit dem sie kooperiere, aufgefallen. Bei ihr in Therapie befindliche Kinder würden beim Vorbeigehen an ihrer Praxis Angstzustände bekommen. Nach einer telefonischen Rücksprache mit Frau X., Leiterin des Kindergartens W., vom 17.02.2009 habe Dr. Q. erfahren, dass die Klägerin am 13.02.2009 sehr merkwürdig aufgetreten sei. Sie habe von materialisierten Handys gesprochen und latent aggressive Drohungen gegenüber Mitarbeitern ausgesprochen wie z. B. "wenn ich dir die Mülltüte über den Kopf ziehe, kannst du dir ausrechnen, wie lange das geht". Sie sei nicht gesprächsbereit gewesen, habe ultimativ das Aufräumen ihres Therapiezimmers verlangt und sich Störungen verbeten. Die Situation sei eskaliert und man habe ihr Hausverbot erteilt. In einem nachfolgenden Gespräch zwischen ihr, Pastor Y. und Frau X. in ihren Praxisräumen sei sie dominant und bestimmend aufgetreten. Sie habe versucht, das Gespräch zu leiten nach dem Motto, Angriff ist die beste Verteidigung, sei auf keine Argumente eingegangen, habe robotermäßig agiert, keine Mimik und Emotionen gezeigt. Sie habe ihre Rolle gespielt. Bei der Schuluntersuchung des Jungen Z., der integratives Kindergartenkind im Kindergarten W. sei, habe die Mutter Dr. Q. berichtet, dass sie die logopädische Therapie bei der Klägerin abgebrochen habe, da sich diese anlässlich eines Kooperationsgesprächs im Kindergarten zu ihrem Sohn zunächst nur mit 3 bis 4 Worten geäußert habe und im nachfolgenden Gespräch ihr gegenüber verbal aggressiv aufgetreten sei.

Am 24.02.2009 besuchte Dr. Q. die Klägerin unter dem Vorwand eines Gesprächsbedarfs über das Kind Z. in ihren Praxisräumen. Über das Gespräch fertigte er ein Protokoll (Blatt 35 Vg). Danach traf er sie beim Verabschieden eines älteren Ehepaares an, die Abschiedszeremonie sei betont freundlich und scherzend gewesen. Er habe ihr den wahren Grund seines Besuchs, nämlich die Berichte über ihr auffälliges Verhalten, genannt. Sie habe daraufhin immer wieder versucht, über das Kind Z. zu sprechen. Hierauf sei er nicht eingegangen, er habe ihr deutlich gesagt, dass die vorliegenden Berichte eindeutig als Ausdruck einer psychischen Erkrankung (Psychose) gewertet würden und dass dringender Behandlungsbedarf bestehe. Sie habe sich zunächst abwehrend verhalten und geäußert, dies sei ihre Privatangelegenheit, es gebe freie Arztwahl und niemand könne sie zwingen. Auf die Frage, ob sie sich bedroht oder verfolgt fühle, habe sie nicht geantwortet. Sie habe sich dagegen gewehrt, als krank bezeichnet zu werden. Am Ende des Gesprächs habe sie seine Mobiltelefonnummer verlangt, da sie zu ihm Vertrauen aufgebaut habe und ihn jederzeit erreichen können müsse. Als er dies abgelehnt habe, habe sie angezweifelt, ob er überhaupt ein Arzt des Gesundheitsamtes sei, und um Vorlage seines Dienst- und Personalausweises gebeten. Ihren Wunsch, diese Dokumente zu kopieren und amtlich beglaubigen zu lassen, habe er mit dem augenzwinkernden Hinweis abgelehnt, diese seien sowieso gefälscht. Seinen Versuch, sich erneut mit ihr zu verabreden, habe sie abgelehnt, da sie terminlich nicht in der Lage sei, das Gesundheitsamt aufzusuchen. Während der Verabschiedungssituation sei eine Mutter mit einem etwa 3-jährigen Kind gekommen, die sie überschwänglich begrüßt habe. Vor dem Verlassen des Raumes habe sie angeboten, ihm beim Anziehen behilflich zu sein, sie könne seinen Schal auch für ihn "zuziehen". Sie sei während der gesamten Gesprächssituation relativ kontrolliert geblieben, ihr Blick starr, die emotionale Schwingungsfähigkeit reduziert und das Gesamtverhalten habe nicht adäquat gewirkt. Mit Schreiben vom 02.03.2009 forderte Dr. Q. die Klägerin unter Bezugnahme auf das Gespräch vom 24.02.2009 auf, sich unverzüglich in nervenärztliche Behandlung zu begeben. Dem kam die Klägerin nicht nach.

Auf Veranlassung des Beklagten überprüfte Dr. AA., Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes für die Stadt und den Landkreis H., die Klägerin am 05.05.2009 auf ihre gesundheitliche Eignung und gab eine schriftliche Stellungnahme vom 06.05.2009 (Blatt 62 ff. Vg) ab. Danach hat er der Klägerin nicht nahebringen können, dass ihr Verhalten und Auftreten auffällig seien. Sie habe jedes Argument abgewehrt und an Kleinigkeiten festgehakt. Ihr Verhalten sei mariniert gewesen. Sie habe wiederholt den Verdacht geäußert, dass alles im Rahmen eines Improvisationstheaters inszeniert und irreal sei. Seinen Einwand, dass er diese Äußerung als Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung bewerten müsse, habe sie mit der Bemerkung abgewehrt, "in unseren Berufen müsse man immer etwas verrückt sein". Ansatzpunkte für eine Krankheitseinsicht seien nicht erkennbar gewesen. Er teile die Einschätzung seines Kollegen Dr. Q., dass bei der Klägerin eine psychotische Erkrankung vorliege, deren nosologische (die Krankheitslehre betreffende) Einordnung noch nicht abschließend möglich sei. Es gebe Anhaltspunkte für eine paranoide Symptomatik, die zusammen mit dem marinierten Auftreten an eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis denken ließen, während der relativ gute Rapport und die dem Untersucher sehr nahe rückende Art auf eine manische Symptomatik und somit affektive Psychose hindeuteten. Zweifellos bestehe jedoch Behandlungsbedürftigkeit. Als er die Klägerin auf mögliche Konsequenzen ihres momentanen Handelns hingewiesen habe, habe sie angedeutet, sich rechtlichen - und nicht therapeutischen - Rat zu holen und sich gegen jedwede Einmischung in ihr Leben gewehrt. Aus fachärztlicher Sicht habe sie zurzeit nicht die Fähigkeit, ihre logopädische Praxis verantwortlich zu führen, da sie an einer Psychose erkrankt sei, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch Auswirkungen auf ihre Tätigkeit im Umgang mit ihren (kindlichen) Patienten habe.

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse widerrief der Beklagte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 20.05.2009 gemäß § 3 Abs. 3 des Gesetzes über den Beruf des Logopäden die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung Logopädin zu führen, und ordnete mit Bescheid vom 17.07.2009 die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Er forderte die Klägerin auf, bis spätestens zum 22.06.2009 die Urkunde sowie das Prüfungszeugnis bzw. Ersatzzeugnis (einschließlich aller vorhandenen Kopien) zurückzugeben. Sofern sie dieser Verpflichtung nicht nachkomme, würden die genannten Unterlagen im Wege der Zwangsvollstreckung eingezogen. Nach § 3 Abs. 3 des Gesetzes über den Beruf des Logopäden könne die Erlaubnis widerrufen werden, wenn eine der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes genannten Voraussetzungen nachträglich weggefallen sei. Dies sei bei der Klägerin der Fall, da sie unter Berücksichtigung der bekannt gewordenen Vorfälle und der Stellungnahme von Dr. AA. in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung ihres Berufes ungeeignet sei. Der Widerruf sei auch verhältnismäßig. Ein milderes Mittel komme nicht in Betracht, da der Klägerin jegliche Krankheitseinsicht fehle.

Die Klägerin hat am 22.06.2009 Klage erhoben und am 03.08.2009 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Das erkennende Gericht hat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (1 B 217/09) mit Beschluss vom 24.09.2009 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid wiederhergestellt. Auf die Beschwerde des Beklagten hat das Nds. Oberverwaltungsgericht diese Entscheidung mit Beschluss vom 27.11.2009 (8 ME 196/09) geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass der Klägerin untersagt werde, Kinder logopädisch zu behandeln. Den weitergehenden Antrag hat es abgelehnt.

Das Gericht hat zu den Fragen, ob die Klägerin psychisch erkrankt ist, welche Auswirkungen dies ggf. auf die Ausübung ihres Berufs als Logopädin hat und welche Behandlungsmöglichkeiten es ggfs. gibt, Prof. Dr. AB. von der Universitätsklinik E. mit der Erstellung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Prof. Dr. AB. hat im Rahmen seiner Begutachtung ergänzend ein von der Diplom-Psychologin Dr. phil. AC. erstelltes Testpsychologisches Kurzgutachten vom 08.06.2010 eingeholt. Er kommt in seinem psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachten vom 12.08.2010 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin psychiatrisch erkrankt und ihre Erkrankung diagnostisch am ehestens als anhaltende wahnhafte Störung (ICD-10: F22) einzuordnen sei. Die Erkrankung wirke sich auch auf ihre Berufstätigkeit aus. Wegen der weiteren Einzelheiten des Begutachtungsergebnisses wird auf die beiden genannten Gutachten verwiesen.

Die Klägerin bestreitet, psychisch erkrankt zu sein. Die vom Beklagten angeführten Vorfälle und in Bezug genommenen Stellungnahmen von Dr. Q. und Dr. AA. ließen einen solchen Rückschluss nicht zu. Die von ihrer ehemaligen Mitarbeiterin Frau T. geschilderten Vorfälle seien widersprüchlich und unglaubhaft. Es sei nicht ersichtlich, warum sie nicht in der Lage sein sollte, ihren Beruf fachgerecht auszuüben. Insbesondere ergebe sich aus den von der Beklagten angeführten Vorfällen nicht, inwiefern ihr Verhalten Auswirkungen auf ihre Patienten habe. Dies gelte selbst dann, wenn man unterstelle, dass sie tatsächlich psychisch erkrankt sei. Es habe keine Beanstandungen von Patienten oder deren Eltern an ihrer Arbeit gegeben. Nichts anderes folge aus dem Gutachten von Prof. Dr. AB.. Zwar sei der Gutachter zu der Auffassung gelangt, dass sie an einer anhaltenden wahnhaften Störung leide. Seine Untersuchungen hätten jedoch zugleich ergeben, dass eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis nicht vorliege. Darüber hinaus habe er nicht feststellen können, dass sie ihre Patienten konkret gefährde. Damit stehe fest, dass der Widerruf ihrer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Logopädin rechtswidrig sei. Soweit der Sachverständige meine, aus den ihm übersandten Unterlagen eine Interferenz ihrer psychiatrischen Erkrankung und ihrer beruflichen Tätigkeit entnehmen zu können, interpretiere er lediglich den Inhalt der Akte und setze diesen fälschlicherweise als zutreffend voraus. Er selbst habe insoweit keine Feststellungen getroffen. Der Akteninhalt werde ausdrücklich bestritten.

Der Beklagte hat den Bescheid vom 20.05.2009 in der mündlichen Verhandlung insoweit aufgehoben, als dort von der Klägerin für den Fall der Bestandskraft des Widerrufs auch die Herausgabe ihres Prüfungs- bzw. Ersatzzeugnisses verlangt wird. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20.05.2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid. Nach seiner Auffassung ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten zweifelsfrei, dass die Klägerin an einer psychotischen, behandlungsbedürftigen Erkrankung leide. Ein Widerruf der Berufserlaubnis sei allein deshalb angezeigt, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie aufgrund dessen Patienten gefährde. Bei der Begutachtung sei anhand testpsychologischer Verfahren festgestellt worden, dass bei ihr eine instabile, egozentrische Affektivität vorliege, die sich in missmutigen bis aggressiven Reaktionen Mitmenschen gegenüber äußere. Ihr paranoides Erleben erstrecke sich auch auf ihre berufliche Tätigkeit. Die ohnehin schon schwierige, psychopharmakologische Behandlung ihres Krankheitsbildes, welches bekanntermaßen die Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung erheblich störe und eine ordnungsgemäße Berufsausübung nahezu unmöglich mache, werde durch ihre fehlende Krankheitseinsicht quasi gänzlich ausgeschlossen. Ein milderes Mittel als der Widerruf der Berufserlaubnis komme nicht in Betracht. Das Fachrecht kenne keine dauerhaft eingeschränkte Berufserlaubnis; die vom Nds. Oberverwaltungsgericht ausgesprochene beschränkte Berufserlaubnis sei lediglich vorübergehender Natur gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 20.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Rechtsgrundlage für den Widerruf der Berufserlaubnis ist § 3 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über den Beruf des Logopäden - LogopG - vom 07.05.1980 (BGBl I, S. 529), zuletzt geändert durch Art. 2 G vom 30.09.2008 (BGBl I, S. 1910). Nach § 3 Abs. 3 LogopG kann die nach § 1 Abs. 1 LogopG notwendige Erlaubnis für eine Tätigkeit als Logopäde oder Logopädin widerrufen werden, wenn nachträglich eine der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 3 LogopG weggefallen, mithin der Betreffende in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 LogopG). Dies ist bei der Klägerin der Fall. Das Gericht ist unter Berücksichtigung der im Tatbestand genannten Vorfälle und des Gutachtens von Prof. Dr. AB. davon überzeugt, dass die Klägerin an einer anhaltenden wahnhaften Störung erkrankt und deshalb in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung ihres Berufes ungeeignet ist.

Dass ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin an einem Verfolgungswahn leidet, hat das Gericht bereits in seinem Beschluss vom 24.09.2009 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der Klägerin (1 B 217/09) festgestellt, worauf zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich die im Verwaltungsvorgang des Beklagten festgehaltenen Vorfälle bestritten hat, ist dieses Bestreiten in seiner Pauschalität zu unsubstantiiert, um die Richtigkeit der festgehaltenen Ereignisse in Frage stellen. Dies gilt auch für die Umstände der Kündigung von Frau T.. Hierzu hat sich das Gericht bereits in seinem Beschluss vom 24.09.2009 verhalten. Der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entstandene Verdacht einer psychischen Erkrankung der Klägerin hat sich durch das Gutachten von Prof. Dr. AB. bestätigt. Prof. Dr. AB. ist nachvollziehbar und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin psychiatrisch erkrankt und ihre Erkrankung diagnostisch am ehesten als anhaltende wahnhafte Störung nach ICD-10: F 22 einzuordnen sei (Seite 40 und 41 des Gutachtens). Danach ist eine wahnhafte Störung charakterisiert durch die Entwicklung einer einzelnen Wahnidee oder mehrerer aufeinander bezogener Wahninhalte, die im Allgemeinen sehr lange andauern und manchmal lebenslang bestehen. Die Wahninhalte sind sehr variabel. Oft handelt es sich um einen Verfolgungswahn, einen hypochondrischen Wahn, einen Größenwahn, Querulantenwahn oder Eifersuchtswahn. Weitere psychopathologische Symptome finden sich meist nicht. Es können aber zeitweise depressive Symptome auftreten und sich in einzelnen Fällen olfaktorische (den Geruchssinn betreffende) und taktile (den Tastsinn betreffende) Halluzinationen entwickeln. Die Wahnvorstellungen müssen mindestens seit drei Monaten bestehen, eindeutig auf die Person bezogen und nicht subkulturell bedingt sein. Die Störung beginnt in der Regel im mittleren Alter. Sie darf nicht als organisch, schizophren oder affektiv klassifiziert werden (Seite 40 und 41 des Gutachtens bzw. ICD-10: F 22).

Nach diesem Maßstab ist die Diagnose von Prof. Dr. AB. nicht zu beanstanden. Er gelangt aufgrund einer Zusammenschau der gutachterlichen Befunde und an Hand des Aktenstudiums zu dem Ergebnis, dass sich bei der Klägerin deutliche Hinweise für einen Verfolgungswahn mittlerer Dynamik und mittlerer Systematisierung und von Größenideen fänden (Seite 37 des Gutachtens). So hat die Klägerin auch ihm gegenüber von ihrem Verdacht, beobachtet und verfolgt zu werden, gesprochen. Ihr seien im Jahr 2008 "Merkwürdigkeiten" in ihrer Praxis aufgefallen. Jemand habe dort die Spiele umgeräumt, was sie in ihrer Arbeit erheblich behindert habe. Sie gehe davon aus, dass sich jemand einen Schlüssel beschafft und die Spiele umgestellt habe. Ihre Putzfrau und ihre frühere Mitarbeiterin, die beide über einen Schlüssel verfügt hätten, verdächtige sie dabei nicht. Sie habe den Verdacht, dass sich jemand auch für ihre Privatwohnung Schlüssel besorgt habe. Auch dort seien Dinge verschwunden und später wieder aufgetaucht. Sie habe den Eindruck gehabt, dass Unbekannte während ihrer Abwesenheit in ihrer Wohnung gewesen seien. Sie habe diesen Menschen sogar einen Zettel hingelegt, dass diese gefälligst Staub saugen sollten, wenn sie sich schon in der Wohnung aufhielten. Vor 2008 sei so etwas nie vorgekommen. Sie könne nicht ausschließen, dass ihre Wohnung und ihre Praxisräume überwacht würden. "Es gebe keinen Privatraum mehr". Sie habe Frau T. gezwungen zu kündigen, weil diese ihr geschadet habe, da sie blanko ausgestellte Rezepte gehabt hätte. Kündigungsgrund sei ihre Existenzgefährdung als Arbeitgeberin gewesen. Sie habe Angst gehabt, dass ihre Patienten ebenfalls zu Hause aufgesucht und auch deren Computer ausspioniert würden. Sie habe den Eindruck gehabt, irgendjemand interessiere sich für sie, da auf einmal zwei große Tüten Teelichter in ihrer Wohnung gewesen seien. Auch in E., wo sie seit dem 31.07.2009 lebe, werde sie terrorisiert. Sie wechsle das Schloss aber nicht aus. Sie könne nicht sagen, ob es dieselben Leute wie in H. seien. Ferner habe sie den Eindruck, dass ihre Post abgefangen und gelesen werde, teilweise würde ihre Post auch nicht ankommen. Sie versende ihre Post deshalb mit Einschreiben (Seite 35 und 36 des Gutachtens). Diese Äußerungen belegen neben den bereits im Beschluss vom 24.09.2009 (1 B 217/09) genannten Vorfällen eindeutig und zusätzlich, dass die Klägerin an einem Verfolgungswahn leidet. Darüber hinaus sind bei ihr Größenideen vorhanden, die sich nach der nachvollziehbaren Einschätzung von Prof. Dr. AB. darin zeigen, dass sie auch ihm gegenüber davon gesprochen habe, dass sie kurz vor dem Durchbruch neuer bahnbrechender Erkenntnisse stünde, die aber noch geheim seien und vermutlich auch ausgespäht werden sollten (Seite 34 des Gutachtens). Sie habe eine neue Behandlungsmethode für Kinder entwickelt, die individuell für das Kind gestaltet und teilweise vollständig sprachfrei sei (Seite 36 des Gutachtens). Die Symptome der Klägerin haben ihre Ursache auch nicht in einer organischen Erkrankung. Hiergegen sprechen die laborchemischen Befunde, die klinisch-neurologische und testpsychologische Untersuchung (Seite 41 und Seite 26 ff. des Gutachtens). Symptome einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (z. B. Halluzinationen oder Ich-Störungen) ließen sich laut Gutachten ebenfalls nicht eruieren (Seite 40 des Gutachtens). Die weiteren Merkmale einer anhaltenden wahnhaften Störung - Wahnvorstellungen über mindestens drei Monate und erstmaliges Auftreten im mittleren Alter- liegen bei der am XX.XX.XXXX geborenen Klägerin, die nach ihren Angaben gegenüber Prof. Dr. AB. sich seit 2008 verfolgt fühlt (Seite 35 des Gutachtens), ebenfalls vor.

Das Gericht teilt auch die Bewertung des Gutachters, dass die Klägerin durch ihre wahnhafte Störung in ihrer Berufstätigkeit beeinträchtigt ist (Seite 43 des Gutachtens). Sie ist deshalb im Sinne des § 2 Abs. 1Nr. 3 LogopG in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung ihres Berufs ungeeignet. Entgegen ihrer Behauptung gelangt der Gutachter nicht nur aufgrund der Aktenlage sondern auch aufgrund seines persönlichen Eindrucks von der Klägerin zu diesem Ergebnis. Die Klägerin hat ihm gegenüber angegeben, dadurch, dass jemand die Spiele in ihrer Praxis umgeräumt habe, habe sie sich in ihrer Arbeit erheblich gehindert gefühlt, da sie deshalb Raumgedächtnisstörungen von Patienten nicht mehr habe prüfen können (Seite 17 des Gutachtens). Ihr Verdacht, dass ihre Praxisräume überwacht und von unbekannten Personen während ihrer Abwesenheit aufgesucht würden, sei ein permanenter Stressfaktor gewesen, was dazu geführt habe, dass sie sich bei ihrer Arbeit nicht mehr habe richtig konzentrieren können (Seite 18 des Gutachtens). Auch die Sorge, ihre Überwachung durch Unbekannte könnte ihren Patienten schaden, hat sie in ihrer beruflichen Tätigkeit beeinträchtigt. So hat sie gegenüber dem Gutachter erklärt, wenn sie nicht sicherstellen könne, dass den Patienten nichts passiere, arbeite sie nicht. Sie habe deshalb am 03.07.2009 ihre Praxis aufgegeben, "da sie keine Lust mehr gehabt habe, dass jemand ihre Praxis ausräume" (Seite 19 des Gutachtens). Die psychiatrische Erkrankung der Klägerin hat sich auch insoweit auf ihre Berufstätigkeit ausgewirkt, als auch die Umstände der Kündigung ihrer Mitarbeiterin Frau T. mit ihrem paranoiden Erleben in Verbindung stehen (Seite 43 des Gutachtens). Die weitere Feststellung des Gutachters, das Gefühl überwacht, terrorisiert und ausgespäht zu werden, erzeuge bei der Klägerin innerpsychisch eine Anspannung, Misstrauen und teilweise aggressiv getöntes Verhalten (Seite 43 des Gutachtens), ist nachvollziehbar und durch das Ergebnis der testpsychologischen Untersuchung nach der Rorschach-Psychodiagnostik belegt (Seite 28 des Gutachtens und Seite 7 ff. des Kurzgutachtens). Der Rückschluss, dass sich dieser Zustand negativ auf die Berufstätigkeit der Klägerin auswirkt (Seite 43 des Gutachtens), ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Als problematisch ist auch zu bewerten, dass sie nach ihren Angaben eine neue Behandlungsmethode bei Kindern anwendet. Über diese Behandlungsmethode, die von ihr geheim gehalten wird (s. o.), ist nichts bekannt. Unter Berücksichtigung ihres Krankheitsbildes ist nicht auszuschließen, dass die Behandlungsmethode Kindern schadet. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Klägerin in gesundheitlicher Hinsicht zur weiteren Ausübung ihres Berufs ungeeignet.

Der Beklagte hat beim Widerruf der Berufserlaubnis auch das ihm durch § 3 Abs. 3 LogopG eingeräumte Ermessen in einer nach § 114 VwGO nicht zu beanstandenden Weise ausgeübt. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor. Ein milderes Mittel als der uneingeschränkte Widerruf der Berufserlaubnis kommt nicht in Betracht. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Klägerin keinerlei Krankheitseinsicht zeigt und eine ärztliche Behandlung ablehnt. Dies wiegt besonders schwer, weil eine anhaltende wahnhafte Störung ohnehin schwer zu therapieren ist und durch eine psychotherapeutische Therapie zunächst überhaupt die Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft gefördert werden müssen, da es hieran - wie auch bei der Klägerin - in der Regel fehlt (Seite 42 des Gutachtens). Als milderes Mittel kommt auch nicht die vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 27.11.2009 (8 ME 196/09) ausgesprochene Beschränkung der Berufserlaubnis auf die Behandlung von Jugendlichen ab 15 Jahren und Erwachsenen in Betracht. Dies gilt bereits deshalb, weil das Gesetz über den Beruf des Logopäden dauerhaft nur eine uneingeschränkte Berufserlaubnis kennt. Der Widerruf der Berufserlaubnis der Klägerin stellt auch nicht deshalb einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre nach Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit dar, weil - auch nach Einschätzung von Prof. Dr. AB. - eine konkrete Gefährdung von Patienten durch die Klägerin bisher nicht eingetreten ist und das Gefährdungspotential der Klägerin sich aufgrund der einmaligen gutachterlichen Untersuchung nur unzureichend vorhersagen lasse (Seite 43 des Gutachtens). Dieser Gesichtspunkt war nur bei der Frage von Bedeutung, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Berufserlaubnis rechtlich einwandfrei erfolgt ist. Insoweit wird auf den Beschluss vom 24.09.2009 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren 1 B 217/09 Bezug genommen. Im Klageverfahren kommt es auf eine konkrete Gefährdung von Patienten durch die weitere Berufstätigkeit nicht an.

Die Verpflichtung der Klägerin, dem Beklagten die Urkunde (über die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Logopädin) zurückzugeben, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 52 VwVfG. Ist ein Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder ist seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben, so kann nach dieser Vorschrift die Behörde die aufgrund des Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern (Satz 1). Der Inhaber und, sofern er nicht der Besitzer ist, auch der Besitzer dieser Urkunden oder Sachen sind zu ihrer Herausgabe verpflichtet (Satz 2). Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sein Herausgabeverlangen - entsprechend den Voraussetzungen des § 52 VwVfG - unter dem Vorbehalt der Bestandskraft des Widerrufs steht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.