Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.02.2023, Az.: 5 K 168/19
Seeschiff; Umschlaggesellschaft; Vermietung; Zur Steuerpflicht mittelbarer Leistungen für die Seeschifffahrt
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 02.02.2023
- Aktenzeichen
- 5 K 168/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 15642
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2023:0202.5K168.19.00
Rechtsgrundlagen
- UStDV § 13 Abs. 1
- UStDV § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 4
- UStDV § 18 Satz 1
- UStDV § 18 Satz 2
Fundstelle
- IWB 2023, 432
Amtlicher Leitsatz
Die Vermietung von Maschinen an einen Unternehmer, der damit steuerfrei Seeschiffe löscht, ist nicht nach § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG steuerfrei, wenn mit den Maschinen auch andere Arbeiten ausgeführt werden können. Auf die Erfüllung der Voraussetzungen der § 8 Abs. 3 UStG, § 18, § 13 UStDV kommt es daneben nicht an.
[Tatbestand]
Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres während des Klageverfahrens verstorbenen Ehemanns (M) begehrt die Behandlung der Vermietung von [Spezialfahrzeugen] an eine Hafenumschlaggesellschaft als steuerfreien Umsatz für die Seeschifffahrt. Gegenstand des Verfahrens ist der während des Klageverfahrens geänderte Umsatzsteuerbescheid für 2011 vom ....
M war im Streitjahr alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der zum Verfahren beigeladenen M GmbH (GmbH). Er hatte der GmbH ein Grundstück in ... und [Geräte und Maschinen] verpachtet. Zwischen M und der GmbH bestand eine umsatzsteuerliche Organschaft mit M als Organträger.
Die GmbH unterhielt seit langer Zeit eine Geschäftsbeziehung zu der X. Diese Gesellschaft erbringt am Seehafen Y Leistungen unter anderem im Zusammenhang mit dem Umschlag, der Lagerung und der Verarbeitung [von Gütern].
Im Rahmen der langjährigen Zusammenarbeit des M und der GmbH mit der X standen aufgrund einer entsprechenden mündlichen Vereinbarung mehrere [Spezialfahrzeuge] der GmbH betriebsbereit auf dem abgeschlossenen Hafengelände in Y und wurden von der X nach Bedarf zum Löschen von Seeschiffen, aber vereinzelt auch für Arbeiten in Lagerhallen oder beim Entladen von Lkws eingesetzt. Die Bedienung der [Spezialfahrzeuge] erfolgte durch Personal, das der X durch eine Personalleasinggesellschaft überlassen worden war. Das Entgelt der GmbH für die Überlassung der [Spezialfahrzeuge] wurde nach Einsatzstunden bemessen.
Sofern die ... der GmbH zum Entladen von Seeschiffen eingesetzt wurden, erhielt die GmbH am Vortag des jeweiligen Einsatzes telefonisch einen Anruf von der X, um die Betriebsbereitschaft der ... jeweils sicherstellen zu können. Nach Durchführung der Arbeiten erhielt sie von der X jeweils einen Stundenzettel, auf dem unter anderem der Name des gelöschten Seeschiffs und die von der X in Anspruch genommenen Betriebsstunden angegeben waren. Auf der Grundlage dieser Angaben erstellte die GmbH der X jeweils Rechnungen für die Inanspruchnahme der .... Darin war keine Umsatzsteuer ausgewiesen, vielmehr enthielten die Rechnungen den Hinweis, es handele sich um steuerfreie Umsätze für die Seeschifffahrt (§ 4 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz -UStG-).
M berechnete die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten. In seiner am ... beim Beklagten eingegangenen Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr erklärte M neben anderen Besteuerungsgrundlagen steuerfreie Umsätze mit Vorsteuerabzug von ... Euro. Der Beklagte verarbeitete die nicht zustimmungsbedürftige Erklärung ohne Abweichung.
Der Beklagte führte ab ... bei M eine Betriebsprüfung für die Jahre ... durch. Die Prüferin gelangte zu der Auffassung, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung lägen nicht vor.
Mit erweiterter Prüfungsanordnung vom ... erweiterte der Beklagte die Prüfung daraufhin um die Umsatzsteuer für 2011. Den hiergegen gerichteten, mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung verbundenen Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom ... als unbegründet zurück, ohne zuvor erkennbar über den Aussetzungsantrag zu entscheiden. Eine gegen die erweiterte Prüfungsanordnung gerichtete Klage nahm M am ... zurück. Zwei Tage darauf vereinbarten seine Prozessbevollmächtigte und die Prüferin telefonisch den Umfang der von M für 2011 vorzulegenden Unterlagen.
Mit E-Mail vom ... teilte M der Prüferin mit, von den für 2011 als steuerfrei behandelten Umsätzen entfiele ein Teilbetrag von ... Euro auf die Leistungen der GmbH an die X. Für die darüber hinaus als steuerfrei erklärten Umsätze legte M der Prüferin die Ausgangsrechnungen der GmbH vor.
In dem Bericht über die Betriebsprüfung vom ... vertrat die Prüferin die Auffassung, die Leistungen der GmbH an die X seien steuerbar und steuerpflichtig. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 UStG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG sei davon abhängig, dass die Umsätze unmittelbar an den Betreiber eines Seeschiffes oder an die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger bewirkt werde. Auf Umsätze der vorhergehenden Stufe sei sie nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs nicht anwendbar.
Für das Streitjahr 2011 sei die Umsatzsteuer um 19 % des von M als steuerfrei behandelten Betrages von ... Euro, mithin um ... Euro höher festzusetzen. Auch für die Folgejahre seien die vom ihm als steuerfrei behandelten Leistungen der GmbH an die X der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Weitere Feststellungen zur Umsatzsteuer traf die Prüferin nicht.
Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Prüferin an und erließ unter dem ... geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Prüfungsjahre. Die Umsatzsteuer für 2011 wurde auf ... Euro heraufgesetzt.
Den hiergegen gerichteten Einspruch begründete M damit, nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Januar 2014 (IV D 3 - S 7155/0:002, BStBl I, 2014,154) werde die Leistung unmittelbar an den Betreiber eines Seeschiffes oder an die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ausdrücklich nur für Umsätze verlangt, die ab dem Tag nach der Veröffentlichung dieses Schreibens im Bundessteuerblatt Teil I ausgeführt würden. Zudem sei die nachfolgende Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs wieder zu der früheren Sichtweise zurückgekehrt, nach der auch eine Vorstufenbefreiung zulässig sei. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2017 habe das BMF daraufhin den Umsatzsteuer-Anwendungserlass in Abschnitt 8.1 Abs. 1 um die Sätze 4 ff. ergänzt. Die Leistungen der GmbH an die X seien im Kontext von Laden und Löschen von Seefracht zu sehen.
Die Verwendung der [Spezialfahrzeuge] für ein Seeschiff habe jeweils im Vorhinein festgestanden. Es habe regelmäßige Kontrollen durch Monteure gegeben, bei denen auch der Betriebsstundenstand verprobt worden sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom ...wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe 2006 klargestellt, dass die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 UStG davon abhängig sei, dass die Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes oder an die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger bewirkt würden. Sie erstrecke sich nicht auf die Umsätze auf den vorhergehenden Stufen, auch wenn die Leistungen letztlich den begünstigten Betreibern zugutegekommen sei. Durch die Änderung des Abschnitts 145 Abs. 1 UStR 2008 sei die Rechtsprechung des EuGH in die Verwaltungsauffassung übernommen worden. Somit habe bereits seit 2008 die Steuerbefreiung für Umsätze für die Seeschifffahrt nur dann gegolten, wenn Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes oder an die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger bewirkt worden seien. Die von M benannte Ergänzung im Einleitungssatz von Abschnitt 8.1 Abs. 7 UStAE 2013/2014 habe insoweit nur klarstellenden Charakter. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits 2001 entschieden, dass nur unmittelbar an Betreiber der Seeschifffahrt erbrachte Leistungen unter die Steuerbefreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG fallen könnten.
Im Jahr 2017 habe der EuGH seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass auch eine Vorstufenbefreiung wieder zulässig sei. Das BMF habe darauf mit Schreiben vom 6. Oktober 2017 (BStBl I 2017, 1349) reagiert. Danach könne die Vermietung [eines Spezialfahrzeuges] mit der - wie hier - die Entladung von zum Beispiel [Schüttgut] auf Schiffen erfolge, dem Grunde nach als Vorstufenumsatz umsatzsteuerfrei sein. Voraussetzung für die Steuerbefreiung sei jedoch der gelungene Nachweis der endgültigen Verwendung für den Bedarf eines Seeschiffes im Zeitpunkt der Leistung, hier also im jeweiligen Zeitpunkt der konkreten Beanspruchung der [Spezialfahrzeuge] durch die X. Die endgültige Zweckbestimmung der Leistung müsse bereits aufgrund der Befolgung der steuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (Beleg- und Buchnachweis) sowie der Befolgung der Aufbewahrungspflichten und nicht erst durch besondere Kontroll- und Überwachungsmechanismen nachvollziehbar sein. Daran fehle es im Streitfall, da sich die endgültige Verwendung der [Spezialfahrzeuge] jeweils nur aus einer telefonischen Anforderung ergäbe. Die nachträgliche konkrete Abrechnung nach Stunden und Schiffen könne diesen Mangel nicht heilen.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage begehrte M weiterhin die Behandlung der Vermietung von ... an die X als steuerfrei. Es sei mittlerweile zwischen den Beteiligten unstrittig, dass es sich grundsätzlich um Umsätze im Sinne der § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG handele. Strittig sei lediglich der Nachweis der Verwendung. Nach Auffassung des ursprünglichen Klägers waren die in der Verfügung des Landesamtes für Steuern Niedersachsen vom 19. November 2018 (S-7155 - 83 - St 185, UR 2019, 316) unter Ziffer 4. genannten Voraussetzungen für den Nachweis im Streitfall erfüllt. Danach sei es nicht erforderlich, dass bereits im Zeitpunkt der Leistung ein Belegnachweis über das Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung vorliege.
Zur weiteren Begründung seiner Klage hatte M eine E-Mail eines der Geschäftsführer der X ... vom ... vorgelegt, auf dessen Inhalt der Senat Bezug nimmt. Darin hatte der Geschäftsführer unter anderem mitgeteilt, nach Beendigung des Einsatzes habe die X der GmbH die Betriebsstunden und den Einsatzbereich (Schiff oder Lager) schriftlich mitgeteilt.
M hatte hierzu vorgetragen, vor der Nutzung der [Spezialfahrzeuge] zur Löschung eines Schiffes habe immer sichergestellt sein müssen, dass funktionstüchtige Raupen zur Verfügung gestanden hätten, um die Ausführung der Leistung nicht zu gefährden. Daher sei in allen Fällen ein Anruf der X erfolgt. Dabei sei immer auch mitgeteilt worden, welches Seeschiff entladen werden solle.
Als Beispiel zu diesen Ausführungen hatte M die Kopie der Rechnung der GmbH an die X Nr. ... vom ... über ... Stunden "[Einsatz von Spezialfahrzeugen]" sowie eine tabellarische Übersicht der ... über die Löschung des Schiffs "..." in der Zeit vom ... 2011 ohne Stundenangaben und eine handschriftlich ausgefüllte Tabelle mit Angaben zum Lieferant "M", zum gelöschten Schiff "..." und zur Gesamtzahl von ... "..." vorgelegt. Weitere Angaben betreffen .... Der Senat nimmt auf den Inhalt der vorgelegten Unterlagen Bezug. ...
In einer ersten mündlichen Verhandlung am ... hatte sich die damalige Prozessbevollmächtigte für den M ausdrücklich auf das ihm günstigere Unionsrecht zur Organschaft berufen. Der Beklagte hatte in der mündlichen Verhandlung zugesagt, den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 2011 vom ... in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... zugunsten der Klägerin dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf die im Streit stehenden Leistungen nicht mehr mit 19 v.H. des Rechnungsbetrages berechnet, sondern lediglich aus den Rechnungsbeträgen als Bruttobeträgen herausgerechnet werde. Nach Vertagung der Sache hat der Senat auf Antrag des Beklagten die GmbH beigeladen.
Unter dem ... erging gegenüber der Klägerin ein geänderter Umsatzsteuerbescheid für 2011, in dem die Umsatzsteuer entsprechend der Ankündigung des Beklagten auf ... Euro herabgesetzt wurde.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer für 2011 unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides für 2011 vom ... in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ..., beide in der Gestalt des Änderungsbescheides vom ..., dahingehend zu ändern, dass Umsatzerlöse in Höhe von ... Euro, die bislang als Bruttoentgelt und steuerpflichtig behandelt worden sind, nunmehr als nicht steuerpflichtig zu belassen und die Umsatzsteuer entsprechend herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Zeitpunkt der jeweiligen Leistung der GmbH habe sich für diese die Verwendung des [Spezialfahrzeuges] nur aus einer telefonischen Anforderung ergeben. Bei dieser handele es sich nicht um einen Bestandteil der steuerlichen Buchführung und Aufzeichnungen. Die Klägerin habe daher nicht dargetan, dass die GmbH den zur Gewähr der Steuerbefreiung erforderlichen Nachweis der Verwendung geführt habe.
Dem Senat haben zur Prüfung 8 Bände Steuerakten des Beklagten vorgelegen.
Nachdem der ursprüngliche Kläger verstorben ist, wird das Verfahren von ... als Alleinerbin fortgeführt. Durch Beschluss vom ... hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren C-141/20 (Vorabentscheidungsersuchen des XI. Senats des Bundesfinanzhofs vom 11. Dezember 2019 XI R 16/18) und C-279/20 (Vorabentscheidungsersuchen des V. Senats des Bundesfinanzhofs vom 7. Mai 2020 V R 40/19) ausgesetzt. Nach Veröffentlichung der EuGH-Urteile in diesen Verfahren am 1. Dezember 2022 ist das hier anhängige Verfahren fortgesetzt worden.
Zur mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2023 hat die Klägerin die bislang dem Gericht nicht vorgelegten Rechnungsunterlagen der GmbH für die von ihr als steuerfrei behandelten Leistungen an die X vorgelegt Die Vertreterin des Beklagten hat eine Durchschrift des Schriftsatzes nebst Anlagen erhalten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der ungeachtet der Aussetzung des Klageverfahrens wirksam gewordene geänderte Umsatzsteuerbescheid vom 15. März 2022, der gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat die im Streit stehenden Leistungen zu Recht als umsatzsteuerpflichtig behandelt.
1. Zu Recht hat der Beklagte den Kläger aufgrund der zwischen ihm und der GmbH bestehenden umsatzsteuerlichen Organschaft als Organträger und damit gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 und 3 UStG als Teil von dessen Unternehmen behandelt. Dabei bedarf es nach den Gesamtumständen des Streitfalls keiner näheren Darlegung, dass die hierfür erforderliche finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der GmbH in das Unternehmen des Klägers im Streitjahr gegeben war.
Der Behandlung des Klägers als Steuerschuldner für die Umsätze der GmbH steht auch nicht entgegen, dass die Umsatzsteuersenate des BFH Zweifel an der Vereinbarkeit des § 2 Abs. 2 UStG mit der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie haben und deshalb dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt haben (EuGH-Verfahren C-141/20, C-269/20). Der Europäische Gerichtshof hat in diesen Verfahren entschieden, dass die Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
2. Zu Recht hat der Beklagte die Überlassung der [Spezialfahrzeuge] an die X durch die GmbH als steuerpflichtig behandelt.
a) Nach § 4 Nr. 2 UStG sind die in § 8 UStG näher bezeichneten Umsätze für die Seeschifffahrt und die Luftfahrt steuerfrei.
aa) § 8 Abs. 1 UStG bestimmt, dass zu den nach § 4 Nr. 2 UStG steuerfreien Umsätzen für die Seeschifffahrt folgende Leistungen zählen:
1. die Lieferungen, Umbauten, Instandsetzungen, Wartungen, Vercharterungen und Vermietungen von Wasserfahrzeugen für die Seeschifffahrt, die dem Erwerb durch die Seeschifffahrt oder der Rettung Schiffbrüchiger zu dienen bestimmt sind (aus Positionen 8901 und 8902 00, aus Unterposition 8903 92 10, aus Position 8904 00 und aus Unterposition 8906 90 10 des Zolltarifs);
2. die Lieferungen, Instandsetzungen, Wartungen und Vermietungen von Gegenständen, die zur Ausrüstung der in Nummer 1 bezeichneten Wasserfahrzeuge bestimmt sind;
3. die Lieferungen von Gegenständen, die zur Versorgung der in Nummer 1 bezeichneten Wasserfahrzeuge bestimmt sind. Nicht befreit sind die Lieferungen von Bordproviant zur Versorgung von Wasserfahrzeugen der Küstenfischerei;
4. die Lieferungen von Gegenständen, die zur Versorgung von Kriegsschiffen (Unterposition 8906 10 00 des Zolltarifs) auf Fahrten bestimmt sind, bei denen ein Hafen oder ein Ankerplatz im Ausland und außerhalb des Küstengebiets im Sinne des Zollrechts angelaufen werden soll;
5. andere als die in den Nummern 1 und 2 bezeichneten sonstigen Leistungen, die für den unmittelbaren Bedarf der in Nummer 1 bezeichneten Wasserfahrzeuge, einschließlich ihrer Ausrüstungsgegenstände und ihrer Ladungen, bestimmt sind.
bb) Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die vorstehend bezeichneten Voraussetzungen vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das BMF kann nach Satz 2 der Vorschrift mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat.
Von dieser Befugnis hat das BMF in § 18 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) Gebrauch gemacht und bestimmt, dass bei Umsätzen für die Seeschifffahrt und für die Luftfahrt (§ 8 des Gesetzes) § 13 Abs. 1 und 2 Nr. 1 bis 4 UStDV entsprechend anzuwenden ist. Zusätzlich soll der Unternehmer aufzeichnen, für welchen Zweck der Gegenstand der Lieferung oder die sonstige Leistung bestimmt ist.
cc) Nach § 13 Abs. 1 UStDV hat der Unternehmer bei Ausfuhrlieferungen und Lohnveredelungen an Gegenständen der Ausfuhr (§§ 6 und 7 des Gesetzes) im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen der Steuerbefreiung buchmäßig nachzuweisen. Die Voraussetzungen müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein. Der Unternehmer hat hierzu nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 UStDV regelmäßig Folgendes aufzuzeichnen:
1. Die Menge des Gegenstands der Lieferung oder die Art und den Umfang der Lohnveredelung sowie die handelsübliche Bezeichnung einschließlich der Fahrzeug-Identifikationsnummer bei Fahrzeugen im Sinne des § 1b Absatz 2 des Gesetzes,
2. den Namen und die Anschrift des Abnehmers oder Auftraggebers,
3. den Tag der Lieferung oder der Lohnveredelung,
4. das vereinbarte Entgelt oder bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten das vereinnahmte Entgelt und den Tag der Vereinnahmung,
b) Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbefreiung für die Seeschifffahrt nach § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 UStG ist Artikel 148 Buchst. a bis d MwStSystRL. Danach befreien die Mitgliedstaaten folgende Vorumsätze in der Seeschifffahrt von der Steuer:
a) die Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen, die auf hoher See im entgeltlichen Passagierverkehr, zur Ausübung einer Handelstätigkeit, für gewerbliche Zwecke oder zur Fischerei sowie als Bergungs- oder Rettungsschiffe auf See oder zur Küstenfischerei eingesetzt sind, wobei im letztgenannten Fall die Lieferungen von Bordverpflegung ausgenommen sind;
b) die Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Kriegsschiffen im Sinne des Codes der Kombinierten Nomenklatur (KN) 8906?10?00, die ihr Gebiet verlassen, um einen Hafen oder Ankerplatz außerhalb des Mitgliedstaats anzulaufen;
c) Lieferung, Umbau, Reparatur, Wartung, Vercharterung und Vermietung der unter Buchstabe a genannten Schiffe, sowie Lieferung, Vermietung, Reparatur und Wartung von Gegenständen, die in diese Schiffe eingebaut sind - einschließlich der Ausrüstung für die Fischerei -, oder die ihrem Betrieb dienen;
d) Dienstleistungen, die nicht unter Buchstabe c fallen und die unmittelbar für den Bedarf der unter Buchstabe a genannten Schiffe und ihrer Ladung erbracht werden;
Die unionsrechtliche Ermächtigung zu der Regelung des § 8 Abs. 3 UStG folgt aus Art. 131 MwStSystRL.
c) Die Rechtsprechung des EuGH und des BFH hat sich schon mehrfach mit den Voraussetzungen für die Steuerbefreiung von Vorleistungen für die Seeschifffahrt befasst.
aa) Der BFH hat mit Urteil vom 6. Dezember 2001 V R 23/01 (BStBl. II 2002, 257) entschieden, dass Leistungen der Lotsenbeförderung an die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung nicht die Voraussetzungen des § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG erfüllen, weil sie nicht unmittelbar an die Betreiber der Seeschifffahrt erbracht wurden.
bb) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 14. September 2006 zur Rechtssache Elmeka (C-181/04 bis C-183/04, UR 2007, 268) der Klägerin, die als Frachtführerin Kraftstofftransporte zu Seeschiffen durchführte, die Steuerbefreiung nach der Vorgängervorschrift von Art. 148 MwStSystRL, dem Art. 15 Nr. 8 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, mit der Begründung versagt, wie bei Lieferungen könne auch bei Dienstleistungen die Steuerbefreiung nur für solche Dienstleistungen gewährt werden, die dem Reeder unmittelbar erbracht würden. Die Erstreckung der Befreiung auf die der endgültigen Dienstleistung an den Betreiber der Schiffe vorausgehenden Handelsstufen würde von den Mitgliedstaaten nämlich verlangen, dass sie Kontroll- und Überwachungsmechanismen einführten, um sich der endgültigen Bestimmung der unter Steuerbefreiung gelieferten Gegenstände zu vergewissern. Diese Mechanismen würden für die Mitgliedstaaten und für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer Zwänge schaffen, die mit einer "korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen" im Sinne von Artikel 15 Satz 1 der Sechsten Richtlinie unvereinbar wären.
cc) Mit seinem Urteil vom 4. Mai 2017 zur Rechtssache A (C-33/16, BStBl. II, 2017, 1027) hatte der EuGH den Fall einer Steuerpflichtigen zu beurteilen, die im Rahmen einer Auftragskette und unter Einsatz von Subunternehmern auf hoher See Schiffe be- und entlud und diese Leistungen je nach den Umständen des Einzelfalls ihrer Muttergesellschaft, dem Inhaber der Waren, dem Befrachter, dem Beförderungsunternehmen oder dem Reeder in Rechnung stellte. Der EuGH gewährte der Klägerin die Steuerbefreiung nach Art. 148 MwStSystRL. Während in den Verfahren C-181/04 bis C-183/04 aufgrund der besonderen Umstände jenes Falles die Umgehung der Steuerbefreiungsvorschriften möglich gewesen sei, hänge es im Urteilsfall ausschließlich von der Art des zu beladenden oder entladenden Schiffs ab, ob diese Dienstleistungen die Anwendungsvoraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllten. Somit könne die Bestimmung, zu der diese Dienstleistungen verwendet werden, als gewiss gelten, sobald die Modalitäten ihrer Erbringung vereinbart seien. In einem solchen Fall müsse die Steuerbefreiung auch auf einer vorherigen Handelsstufe gelten.
d) Die Finanzverwaltung hat ihre Auffassung von den Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG infolge der Rechtsprechung des EuGH mehrfach geändert. Nach Abschnitt 145 Abs. 1 UStR war die Steuerbefreiung ursprünglich nicht davon abhängig, dass die Umsätze unmittelbar an Unternehmer der Seeschifffahrt erbracht wurde. Sie konnte sich auch auf Umsätze auf den vorherigen Stufen erstrecken. Nach der Entscheidung des EuGH vom 14. September 2006 (C-181/04 bis C-183/04, UR 2007, 268) änderte das Bundesministerium der Finanzen Abschnitt 145 Abs. 1 UStR 2008 dahin, dass die Steuerbefreiung nur für Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes gelte. Aufgrund des EuGH-Urteils vom 4. Mai 2017 (C-33/16, BStBl II. 2017, 1027) wurde dies - nunmehr in Abschn. 8.1 Abs. 1 UStAE - dahin gefasst, dass die Steuerbefreiung grundsätzlich davon abhängig ist, dass die Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes bewirkt werden. Die Steuerbefreiung kann sich danach nicht auf Umsätze auf den vorhergehenden Stufen erstrecken, wenn im Zeitpunkt dieser Leistungen deren endgültige Verwendung für den Bedarf eines konkreten, eindeutig identifizierbaren Seeschiffes ihrem Wesen nach nicht feststeht; steht jedoch im Zeitpunkt der Leistung deren endgültige Verwendung für den Bedarf eines solchen Seeschiffes fest und ist die endgültige Zweckbestimmung der Leistung bereits aufgrund der Befolgung der steuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (Beleg- und Buchnachweis) sowie der Befolgung der Aufbewahrungspflichten und nicht erst durch besondere Kontroll- und Überwachungsmechanismen nachvollziehbar, kann sich die Steuerbefreiung danach auch auf vorhergehende Stufen erstrecken. Dies gelte insbesondere auch für Be- und Entladeleistungen.
e) Im Streitfall sind die dem M zuzurechnenden Leistungen der GmbH an die X unter Berücksichtigung der zu diesen Vorschriften ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nach Artikel 148 Buchst. a bis d MwStSystRL, § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG steuerfrei. Der Steuerbefreiung steht zwar nicht bereits entgegen, dass die GmbH ihre Leistung nicht unmittelbar an ein Unternehmen der Seeschifffahrt erbracht hat. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen auch mittelbar der Seeschifffahrt dienende Leistungen steuerfrei sein können, liegen aber im Streitfall nicht vor.
aa) Die GmbH hat andere Leistungen an die X erbracht als diese ihrerseits gegenüber den Seeschiffen. Nach den Feststellungen des Senats hat die X durch von Arbeitnehmerverleihunternehmen bereitgestelltes Personal und unter Einsatz der von der GmbH gemieteten [Spezialfahrzeuge] eine Vielzahl einzelner Löschleistungen erbracht, durch die landwirtschaftliche Produkte aus Schiffen in Hafensilos oder unmittelbar zum Abtransport aus dem Seehafen umgeladen wurden. Demgegenüber hat die GmbH reine Vermietungsleistungen erbracht, indem sie der X ihre [Spezialfahrzeuge] zur Nutzung überlassen hat. Diesen Leistungen fehlt die Nämlichkeit mit den Leistungen der X. Insoweit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von denjenigen, die den vorstehend wiedergegebenen Urteilsfällen zugrunde lagen, in denen die zu beurteilenden Leistungen jeweils unmittelbar von Nutzen für die Seeschifffahrt waren und in denen lediglich das vertragliche Leistungsverhältnis nicht unmittelbar zwischen dem Leistenden und dem jeweiligen Reeder bestand.
bb) Zwar schließt das Fehlen dieser Nämlichkeit die Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschrift nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zwingend aus (Landesamt für Steuern Niedersachsen vom 12. Dezember 2019 S 7155-83-St 186, UR 2020, 312, Tz. 3.2.). In einem Fall wie dem Streitfall überdehnt aber diese Auffassung nach Ansicht des erkennenden Senats die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere diejenige des EuGH. Der Streitfall unterscheidet sich insofern von dem der EuGH-Entscheidung vom 4. Mai 2017 C-33/16 (BStBl II, 2017, 1027 [BFH 31.05.2017 - XI R 2/14]) zugrundeliegenden Urteilsfall, als in jenem Urteilsfall die zu beurteilende Leistung tatsächlich diejenige war, die unmittelbar dem Betreiber des Seeschiffs zugutekam. Lediglich die Abrechnung der Leistung erfolgte nicht unmittelbar durch die Klägerin des Urteilsfalls gegenüber dem Betreiber des Seeschiffs, sondern auf dem Umweg über eine Rechnungskette. Für einen solchen Fall hat der EuGH Maßnahmen des nationalen Gesetzgebers für entbehrlich gehalten, die sicherstellen, dass die Steuerbefreiung nicht missbraucht wird. Nur weil es im Urteilsfall nicht anders sein konnte als dass die Leistung der dortigen Klägerin letztlich dem Betreiber des Seeschiffs zugutekam, hat es der EuGH ausnahmsweise für angemessen gehalten, trotz der fehlenden Unmittelbarkeit der Leistungsbeziehung auch der dortigen Klägerin die Steuerbefreiung zu gewähren.
Dagegen hat die im Streitfall von der GmbH erbrachte und dem M zuzurechnende Leistung lediglich die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die X - unter Inanspruchnahme noch anderer Leistungen anderer Steuerpflichtiger - ihrerseits die steuerfreien Löscharbeiten unmittelbar gegenüber den Betreibern der Seeschiffe erbringen konnte. Die von der GmbH an die X erbrachten Leistungen konnten aber auch anders eingesetzt werden, wie die Klägerin selbst eingeräumt hat. Danach konnte die X die [Spezialfahrzeuge] der GmbH auch für eigene Zwecke oder für steuerpflichtige Leistungen an Dritte verwenden. Dies lag bereits im Wesen der Leistung der GmbH und hing deshalb nicht - wie im Urteilsfall des EuGH - ausschließlich von der Art des zu beladenden oder entladenden Schiffs ab. Angesichts dessen kann es offenbleiben, ob es sich bei den vorstehend wiedergegebenen Vorschriften über den Buch- und Belegnachweis der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung, insbesondere bei § 18 Satz 2 UStDV, um die vom EuGH in seinem Urteil vom 14. September 2006 C-181/04 bis C-183/04 (UR 2007, 268) beschriebenen Kontroll- und Überwachungsmechanismen handelt und - wenn ja - ob der M diese im Streitfall beachtet hat. Denn bereits das Erfordernis solcher besonderen Mechanismen schließt die Steuerbefreiung aus. Die im Streit stehenden Leistungen sind danach steuerpflichtig.
2. Der Beklagte war auch verfahrensrechtlich zum Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids befugt, da der geänderte Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand und der Ablauf der Festsetzungsfrist durch die begonnene Außenprüfung gehemmt war. Die Außenprüfung für das Streitjahr 2011 war Teil der bereits ... 2016, mithin vor Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist begonnenen Außenprüfung. Diese Außenprüfung wurde auch nicht im Sinne von § 171 Abs. 4 Satz 2 AO unmittelbar nach ihrem Beginn aus vom Beklagten zu vertretenen Gründen unterbrochen. Dabei kann offenbleiben, ob die Prüfung für das Streitjahr 2011 wegen der Klage gegen die Erweiterung der Prüfungsanordnung vom Beklagten unterbrochen worden ist. Da die Prüfung für die ursprünglichen Prüfungsjahre ... mit den entsprechenden Feststellungen zur Steuerpflicht der entsprechenden Leistungen in den Jahren ... bereits inhaltlich abgeschlossen war, als die Klage gegen die Erweiterung der Prüfung anhängig wurde, durfte der Kläger nicht mehr auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung hoffen (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 2017 I R 76/15, BStBl II 2017, 1159).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Zulassung der Revision erfolgt nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, um dem Bundesfinanzhof Gelegenheit zu geben, zu klären, ob die Verwaltungsanweisungen zu § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG im Einklang mit dem geltenden Gesetzesrecht stehen.