Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 23.05.2006, Az.: 1 B 116/06

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
23.05.2006
Aktenzeichen
1 B 116/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44233
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2006:0523.1B116.06.0A

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Leistungen des Rettungsdienstes - hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer - am 23. Mai 2006

beschlossen:

Tenor:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 221,75 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Gebührenbescheide des Antragsgegners vom 14.03.2006 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

2

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebenden Wirkung einer Klage, der - wie hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO - eine solche Wirkung nicht zukommt, anordnen, wenn das private Interesse des Antragstellers, von der belastenden Maßnahme zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt somit nicht in Betracht, wenn dem öffentlichen Interesse der Vorrang einzuräumen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Klage, mit der die vollziehbare Entscheidung angefochten wird, offenbar keine Aussicht auf Erfolg hat. So liegt es hier. Die angefochtenen Gebührenbescheide begegnen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung keinen rechtlichen Bedenken.

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1. Der Antragsgegner fordert zu Recht Kostenersatz für den Einsatz eines Rettungswagens und eines Notarztes, die aus Anlass einer kurzzeitigen Ohnmacht des Antragstellers auf den Notruf eines Dritten hin von der Rettungsleitstelle entsandt wurden.

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a) Maßgeblich sind insoweit die Vorschriften des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - vom 29.01.1992 (Nds. GVBl. S. 21), zuletzt geändert durch Art. 25 des Gesetzes vom 20.11.2001 (Nds. GVBl. S. 701). Zur Abgeltung der durch einen Rettungseinsatz entstehenden Kosten, vereinbart der Träger des Rettungsdienstes - hier also der Antragsgegner (vgl. § Abs. 1 Nr. 2 NRettDG) - nach § 15 Abs. 1 NRettDG mit den Kostenträgern - d. h. den gesetzlichen Krankenkassen und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 3 NRettDG) - auf der Grundlage der betriebswirtschaftlich ermittelten Gesamtkosten (vgl. § 14 NRettDG) privatrechtliche Entgelte für seine Leistungen des Rettungsdienstes. Solange eine solche Vereinbarung nicht zustande kommt, kann ein kommunaler Träger von den Benutzern des Rettungsdienstes gemäß § 16 NRettDG Benutzungsgebühren nach den Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes - NKAG - i. d. F. der Bekanntmachung vom 11.02.1992 (Nds. GVBl. S. 29) zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 15. November 2005 (Nds. GVBl. S. 342) erheben. So liegt es im Falle des Antragstellers, der nicht gesetzlich krankenversichert ist.

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Gemäß § 5 Abs. 1 NKAG erheben die Gemeinden und Landkreise als Gegenleistung für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen, zu denen nach § 1 Abs. 1 NRettDG auch der Rettungsdienst gehört, Benutzungsgebühren, soweit nicht ein privatrechtliches Entgelt gefordert wird. Bei der Bemessung der Gebühren sind - ebenso wie bei den Entgeltvereinbarungen nach § 15 NRettDG - die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ermittelten Kosten der Einrichtung zugrunde zulegen (vgl. § 5 Abs. 2 NKAG). Erhoben werden die Abgaben gemäß § 2 Abs. 1 NKAG auf der Grundlage einer Satzung, hier der Rettungsdienstgebührensatzung - RDGS - des Antragsgegners vom 01.03.2005. Darin ist für eine Notfallrettung unter Einsatz eines Rettungstransportfahrzeugs bis 100 km Entfernung eine Einsatzpauschale i. H. v. 440 EUR (§ 2 Abs. 1 Nr. 2.1 RDGS) und für einen Notarzteinsatz eine Pauschale i. H. v. 447 EUR (§ 2 Abs. 1 Nr. 3.1) vorgesehen.

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b) Die Höhe dieser Gebühr ist nach dem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht zu beanstanden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Vorhaltung eines effektiven Rettungsdienstes, der in der Lage sein muss, schnelle Hilfe zu leisten und der deshalb in der Fläche entsprechend präsent sein muss, hohe Fixkosten entstehen. Dagegen haben die im Einzelfall wegen der unterschiedlichen Entfernungen der Einsatzorte variierenden Kosten für den Fahrzeugeinsatz nur untergeordnete Bedeutung (vgl. VG Düsseldorf, Urt. vom 24.06.1981 - 5 K 1808/80 -, KStZ 1982, 136). Deshalb ist es nach § 5 Abs. 4 NKAG zulässig, für die im Rettungsdienst abzudeckenden Bereitstellungs- und Vorhaltekosten eine Pauschalgebühr zu erheben (vgl. OVG Lüneburg, Urt. vom 07.11.1997 - 7 L 7458/95 -, juris). Substantiierte Zweifel hinsichtlich der Höhe der Einsatzpauschale hat der Antragsteller nicht vorgebracht. Da sie betragsmäßig dem entsprechen, was zwischen dem Antragsgegner und den Kostenträgern vereinbart wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Pauschalen nicht überhöht sind, weil die Kostenträger eine Vereinbarung, die sie zur Tragung unangemessner Kosten verpflichtet hätte, nicht akzeptiert hätten.

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Selbst wenn hinsichtlich der Höhe der Gebühren oder der Notwendigkeit einer weitergehenden Differenzierung substantiierte Bedenken, die sich der Kammer nicht aufdrängen, vorgebracht worden wären, müsste die Klärung der damit verbundenen schwierigen Tatsachen- und Rechtsfragen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Auch das würde dem Antrag aber nicht zum Erfolg verhelfen, weil die dann vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfiele. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsstreit die Anforderung öffentlicher Kosten betrifft und der Gesetzgeber zur Gewährleistung der öffentlichen Aufgabenerfüllung Kostenbescheide für sofort vollziehbar erklärt hat (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Diese Intention, die in § 80 Abs. 4 Satz 2 VwGO zum Ausdruck kommt, wonach eine behördliche Aussetzung bei öffentlichen Abgaben nur dann erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, ist auch bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Da hier ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Bescheide nicht bestehen und der Antragsteller zudem gegenüber seiner privaten Krankenversicherung eine Kostenerstattung geltend machen könnte, wäre sein Interesse an einer Vollzugsaussetzung geringer zu bewerten, als das Interesse des Antragsgegners, bis zur Entscheidung in der Hauptsache über die geforderten Gebühren verfügen zu können.

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2. Die Gebührenbescheide nehmen zu Recht den Antragsteller in Anspruch, obwohl dieser die Leistungen des Antragsgegners nicht angefordert hat und einer Hilfeleistung beim Eintreffen der Helfer möglicherweise nicht mehr bedurfte.

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Gebührenschuldner ist nach § 3 Satz 1 RDGS, wer Einrichtungen des Rettungsdienstes für eine Beförderung bzw. einen Transport in Anspruch nimmt (Benutzer). Grundsätzlich setzt eine solche "Inanspruchnahme" die Willentlichkeit der Benutzung durch den Gebührenschuldner voraus. Ein solcher Wille fehlt bewusstlosen Personen jedoch ebenso, wie etwa betrunkenen hilflosen Personen. Gleichwohl ist der Träger des Rettungsdienstes unter Strafandrohung gesetzlich verpflichtet, bei Bedarf auch ihnen Hilfe zu leisten. Wird der Rettungsdienst in einem solchen Fall von einer dritten Person gerufen, ist deshalb das Merkmal der "Willentlichkeit" als Voraussetzung für das Entstehen der Gebührenschuld entbehrlich (vgl. OVG Münster, Urt. vom 21.06.1983 - 2 A 2212/82 -, KStZ 1984, 12) und wird durch das objektive Interesse des Erkrankten an einer Hilfeleistung ersetzt (vgl. VG Schleswig, Urt. vom 24.11.1997 - 4 A 288/97 -, NordÖR 1998, 264). So lag es auch hier. Nach telefonischer Auskunft der Einsatzleitstelle wurde diese von einer in der Gaststätte tätigen, namentlich nicht bekannten Person um Hilfe gebeten, die angab, in dem Lokal befinde sich eine bewusstlose, nicht ansprechbare Person. Da weitere Informationen über den Gesundheitszustand des Antragsteller zu diesem Zeitpunkt nicht vorlagen und ein Schlaganfall oder eine andere ernsthafte Erkrankung nicht auszuschließen waren, war es sachgerecht, unverzüglich sowohl ein Rettungstransportfahrzeug zu entsenden, das den Antragsteller ggf. in das nächstgelegene Krankenhaus transportieren konnte, als auch einen Notarzt, um eine schnelle ärztliche Versorgung vor Ort sicherzustellen. Denn das sich aus den der Rettungsleitstelle vorliegenden Informationen ergebende Lagebild ist die alleinige Entscheidungsbasis für den Einsatz (vgl. LT-Drs 12/2281 S. 26). Dagegen ist es unerheblich, ob sich die vom Einsatzleiter getroffene Maßnahme auch rückwirkend als notwendig erweist oder nicht (vgl. LG Köln, Urt. vom 10.01.1991 - 1 S 365/90 -, NJW-RR 1991, 989). Soweit der Antragsteller angibt, er sei bereits durch Angehörige der Johanniter Unfallhilfe versorgt worden und deshalb eine Hilfeanforderung bei der Rettungsleitstelle nicht erforderlich gewesen, geht die Kammer im Hinblick auf den getätigten Notruf davon aus, dass die Hilfe rufende Person entweder die Unterstützung nicht bemerkt bzw. bereits vor dem Tätigwerden der Ersthelfer bei der Einsatzleitstelle angerufen hat oder keinen Hinweis der Sanitäter erhielt, dass weitere Hilfe nicht erforderlich sei. Ob in diesem Zusammenhang durch schuldhaftes Verhalten eines Dritten Ansprüche entstanden sind, ist nicht im Verhältnis des Antragstellers zum Antragsgegner zu klären, sondern kann allenfalls Regressansprüche des Antragstellers auslösen, weil dessen Gesundheitszustand objektiver Anlass für die Hilfeanforderung und den Rettungseinsatz war.

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Soweit der Antragsteller einwendet, er sei gegen seinen Willen in das inzwischen angekommene Rettungstransportfahrzeug verbracht und dort untersucht worden, hält das Gericht seine Angaben nicht für zutreffend. Zwar ist es aufgrund seiner Schilderung des Hergangs wahrscheinlich, dass er zunächst eine Untersuchung ablehnte, weil er sie nicht für erforderlich hielt und möglicherweise auch das Entstehen von Kosten vermeiden wollte. Es erscheint der Kammer aber unwahrscheinlich, dass er deshalb bei vollem Bewusstsein mit Gewalt und gegen seinen Willen in das Fahrzeug verbracht und untersucht wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er seinen anfänglichen Widerstand aufgegeben hatte und innere Vorbehalte, die weiterhin vorhanden gewesen sein mögen, nicht in entsprechendes Handeln umsetzte. Letztlich kommt es aber darauf auch nicht an, weil diese Teilhilfeleistungen aufgrund der Pauschalierung ohnehin keine Auswirkungen auf die Höhe der Gebührenschuld hatten. Selbst wenn der Antragsteller nicht im Rettungstransportfahrzeug vom Notarzt untersucht und beraten worden wäre, wären Gebühren in gleicher Höhe entstanden. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Krankentransport, an den die Gebührenpflicht tatbestandlich anknüpft, tatsächlich nicht stattgefunden hat. Denn nach § 2 Abs. 2 UA 3 RDGS gilt die gebührenauslösende Fahrt auch dann als ausgeführt, wenn das Rettungsmittel nicht benutzt oder vor Beginn der Fahrt nicht abbestellt wird. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil mit den von den Benutzern erhobenen Gebühren nicht nur die Kosten der konkreten Einsatzfahrt abgegolten werden sollen, sondern die Kosten für das Vorhalten der gesamten öffentlichen Einrichtung des Rettungsdienstes. Deshalb ist für die Frage, ab welchem Zeitpunkt von einer leistungsbedingten Inanspruchnahme des Rettungsdienstes auszugehen ist, auf den Zeitpunkt des Ausrückens des Rettungsfahrzeugs abzustellen (OVG Schleswig,. Beschl. vom 04.11.1998 - 2 L 41/98 -, LKV 1999, 513).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG und orientiert sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2004, 1327), wobei wegen der Vorläufigkeit der begehrten Entscheidung ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren maßgeblichen Betrages in Ansatz gebracht worden ist.