Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 08.12.2008, Az.: 7 A 320/07

Anforderungen an ein Abschiebungshindernis eines Ausländers bei Bestehen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit; Konkrete Gefahr von Leib, Leben oder Freiheit durch die Verschlechterung der medizinischen Versorgung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers in den Heimatstaat

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.12.2008
Aktenzeichen
7 A 320/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 30142
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2008:1208.7A320.07.0A

Verfahrensgegenstand

Asyl, § 60 AufenthG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand eines Betroffenen wegen der Rückkehr in sein Heimatland wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Die Gefahr ist konkret, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers in den Heimatstaat einträte, weil die dort zur Behandlung seiner Leiden zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unzureichend sind, er anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte oder trotz an sich grundsätzlich vorhandener Medikamente und ärztlicher Behandlung der Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht somit auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist.

  2. 2.

    Bei einem schwer HIV-erkrankten Ausländer aus Burundi begründet die eklatant schlechte Therapie-Versorgungslage von 23% in seinem Heimatland mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erwartung, alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland eine lebensbedrohende Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erleiden. Dieser Umstand stellt ein Abschiebungshindernis i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG dar.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2008
durch
den Richter Dr. Adam als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin zu 1.) ein Abschiebungshinderniss gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Burundi vorliegt.

Der Bescheid der Beklagten vom 11.10.2007 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerinnen zu ¾ und die Beklagte zu ¼. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d

1

Nach Klagerücknahme der Klägerin zur 2.) und teilweiser Klagerücknahme der Klägerin zu 1.) begehrt diese lediglich noch die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen.

2

Die Klägerinnen sind nach Aktenlage burundische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1.) ist die Mutter der E. geborenen Klägerin zu 2.). Am 26.12.2006 reisten sie mit dem Flugzeug über Amsterdam in die Bundesrepublik ein und beantragten am 08.02.2007 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung gab die Klägerin zu 1.) bei ihrer Anhörung am 12.07.2007 gegenüber der Beklagten an, ihr Ehemann sei von der burundischen Polizei verdächtigt worden, mit der Rebellenorganisation FNL (Forces Nationales de Liberation) zusammenzuarbeiten, was nicht den Tatsachen entsprochen habe. Im April 2004 habe die Polizei ihren Ehemann verhaftet und in ein Gefängnis in Bujumbura gebracht. Ihrem Ehemann sei schließlich die Flucht aus dem Gefängnis gelungen. Dieser habe sich dann nach Harare in Simbabwe begeben. Schließlich sei die Polizei zu ihr - der Klägerin zu 1.) - gekommen und habe sie nach dem Verbleib des Ehemannes gefragt und sie verprügelt. Wegen der dabei erlittenen Verletzungen sei sie in ein Krankenhaus gekommen, wo es zu der Frühgeburt der Klägerin zu 2.) gekommen sei. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus seien sie zunächst ebenfalls nach Harare geflohen. Die Klägerinnen erhielten zusammen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1.) bei der deutschen Botschaft in Harare am 28.11.2006 ein Schengen-Visum, welches sie zur Ausreise nach Deutschland nutzten. Die Klägerin zu 1.) erkrankte an Tuberkulose. Sie befand sich vom 14.02.2007 bis zum 07.06.2007 durchgehend in stationärer Behandlung im Fachkrankenhaus Diekholzen. Die behandelnde Ärztin empfahl in ihrem vorläufigen Entlassungsbericht vom 07.06.2007 eine INH-Mono Therapie zunächst für weitere drei Monate. Auch die Klägerin zu 2.) befand sich vorsorglich drei Monate in Quarantäne und wurde mit INH-Mono behandelt.

3

Mit Bescheid vom 11.10.2007 - zugestellt am 12.10.2007 - lehnte die Beklagte die Asylanträge der Klägerinnen als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht gegeben seien. Zugleich forderte sie die Klägerinnen unter Androhung der Abschiebung in ihren Herkunftsstaat auf, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche zu verlassen. Das geschilderte Verfolgungsschicksal sei nicht glaubhaft. Ferner könne ein Abschiebungshindernis nicht angenommen werden, da keine aussagekräftigen ärztlichen Atteste vorgelegt worden seien. Insbesondere verfüge auch der Ehemann der Klägerin zu 1. über eine hoch qualifizierte Ausbildung. Es sei anzunehmen, dass dieser in Burundi die für die Behandlung der Klägerin zu 1.) notwendigen Medikamente bezahlen könne.

4

Am 18.10.2007 haben die Klägerinnen hiergegen Klage erhoben. Auf die zugleich beantragte Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Gericht mit Beschluss vom 30.10.2007 (7 B 321/07) wegen des im Hinblick auf die Tuberkulose möglichen Vorliegens eines Abschiebungshindernisses die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem Bescheid vom 11.10.2007 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet.

5

Die Klägerin zu 1.) trägt nunmehr vor, es bestehe für sie ein Abschiebungshindernis, weil bei ihr mittlerweile der HI-Virus festgestellt worden sei. Sie verweist auf die Stellungnahme des Herrn Dr. F. vom 13.11.2008. Daraus ergebe sich, dass sie - die Klägerin zu 1.) - weiterhin eine antiretrovirale Therapie mit den Medikamenten Kaletra sowie Combivir benötige. Ferner sei eine Eisensubstitution mit Ferro Sanol erforderlich. Der behandelnde Arzt gehe davon aus, dass die HIV-Infektion bereits seit längerem bestehe und die Lungentuberkulose hierdurch erst ermöglicht worden sei. Die HIV-Infektion befinde sich im Stadium C 2. Wenn eine AIDS definierende Erkrankung - hier die Tuberkulose - vorliege, so spreche man von dem Vollbild der Erkrankung. Die Klägerin bezieht sich zudem ergänzend auf ein weiteres ärztliches Attest des Herrn Dr. F. vom 17.11.2008. Darin werde erklärt, im Falle des Absetzens der antiretroviralen Therapie sei mit schweren gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Eine Reaktivierung der Tuberkulose sei möglich, aber auch das Auftreten anderer opportunistischer Infektionen wie auch Neoplasien. Für sie - die Klägerin zu 1.) - bestehe im Falle der Rückkehr nach Burundi eine ganz erhebliche und konkrete Gefahr für ihre Gesundheit und ihr Leben. Zwar habe das Gesundheitsministerium Burundis eine Initiative gestartet, um die Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit HIV/Aids zu verbessern. Nach einer aktuellen ausführlichen Studie der WHO, UNAIDS und UNICEF vom 29.07.2008 (im Folgenden: WHO-Studie) erhalten in Burundi tatsächlich aber nur 23% der Bedürftigen die notwendige antiretrovirale Behandlung. Nach Schätzungen der in Burundi tätigen Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) erhalten etwa 44% der Bedürftigen die notwendige antiretrovirale Behandlung.

6

Die Klägerin zu 2.) hat mit Schriftsatz vom 26.11.2008 ihre Klage zurückgenommen. Nachdem die Klägerin zu 1.) die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigte und der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 25.11.2008 ebenfalls zurückgenommen hat, beantragt sie nun,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2007 zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG festzustellen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung nimmt sie auf den angegriffenen Bescheid Bezug und hält insbesondere Abschiebungshindernisse weiterhin für nicht gegeben. Sie verweist auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 25.06.2007. Danach habe ein seit Jahren in Burundi tätiger deutscher Arzt gegenüber der deutschen Botschaft vor Ort bestätigt, dass HIV-Infektionen in Burundi behandelbar und die entsprechenden Medikamente verfügbar seien. Die Kosten für die Behandlung seien mit 30 USD pro Monat einzuschätzen. Bei Mittellosigkeit der Patienten sei eine kostenfreie Behandlung bei etwa 90% der Patienten gewährleistet. Die restlichen 10% würden von verschiedenen Hilfsorganisationen getragen. Die von der Klägerin zu 1). angeführten Versorgungszahlen von lediglich 23% bzw. 44% der Bedürftigen seien widersprüchlich. Zudem sei zu erwarten, dass der ausreisepflichtige Ehemann der Klägerin zu 1.) für sie sorgen werde und insoweit der Zugang zu der notwendigen antiretroviralen Therapie gesichert sei. Der Ehemann sei nach seinen eigenen Angaben ein PC-Experte mit entsprechender Berufserfahrung.

9

Darauf entgegnet die Klägerin zu 1.): Aufgrund der langjährigen Tätigkeit und Erfahrung der WHO in Zusammenarbeit mit UNAIDS und UNICEF gehe sie davon aus, dass die Mitarbeiter dieser Organisationen über eine intensive Fachkenntnis verfügen und das Zahlenmaterial zuverlässig sei. Aber selbst bei Annahme der Schätzungen der GTZ bedeute dies, dass 56% aller Bedürftigen keine notwendige antiretrovirale Therapie erhalten. Zudem sei auch die von der Beklagten angeführte Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 25.06.2007 wenig konkret. Es sei offen, wo der befragte deutsche Arzt in Burundi tätig gewesen sei und woher er seine Erkenntnisse habe. Zudem sei auch nicht sicher, ob die Medikamente Kaletra und Combivir überhaupt in Burundi erhältlich seien. Die notwendige ununterbrochene Behandlung sei nicht sichergestellt. Die Infrastruktur sowie die Versorgung in Burundi seien trotz aller Bemühungen nach dem Bürgerkrieg immer noch sehr schlecht. Ein weiteres Problem sei die Korruption, die den Zugang zu notwenigen medizinischen Behandlungen ebenfalls beeinträchtige. Burundi liege immer noch wirtschaftlich am Boden, so dass es insbesondere für ihren Ehemann schwierig sei, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Sie - die Klägerin habe zudem am 10.04.2008 eine weitere Tochter geboren. Ausweislich des Schreibens des behandelnden Arztes Dr. F. vom 03.11.2008 sei es bei dem Kleinkind zu einem erheblichen Anstieg der HIV-RNA-Viruslast gekommen. Eine antiretrovirale Therapie sei begonnen worden. Es seien engmaschige Kontrollen notwendig. Ohne diese Kontrollen und die Anpassung der Medikamentdosis nach den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen bestehe kaum eine Überlebenschance. Es sei unwahrscheinlich, dass ihr Ehemann angesichts der allgemeinen Lage Burundis die medizinische Versorgung für sie - die Klägerin zu 1.- und ihre jüngste Tochter sichern könne.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

12

Im Übrigen ist die zulässige Klage der Klägerin zu 1.) begründet. Sie hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Hinblick auf die HIV-Erkrankung das Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für Burundi feststellt.

13

Die Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG sind gegeben. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben liegt vor, wenn sich der Gesundheitszustand eines Betroffenen wegen der Rückkehr in sein Heimatland wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Die Gefahr ist konkret, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers in den Heimatstaat einträte, weil die dort zur Behandlung seiner Leiden zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unzureichend sind, er anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte oder trotz an sich grundsätzlich vorhandener Medikamente und ärztlicher Behandlung der Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht somit auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl. 2003, 463, [...]).

14

Hinsichtlich der Klägerin zu 1.) ist eine erhebliche konkrete Gefahr für ihre Gesundheit und ihr Leben gegeben. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Klägerin zu 1.) die nur teilweise vorhandene medizinische Versorgung tatsächlich nicht erhält. Zudem befindet sich die Erkrankung der Klägerin bereits in einem fortgeschrittenem Stadium (C2). Im Falle des Ausbleibens der notwendigen medizinischen Behandlung droht konkret eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes.

15

Der erkennende Richter folgt hinsichtlich der Einschätzung der medizinischen Versorgungslage der WHO-Studie vom 29.07.2008. Diese basiert auf umfangreichem Zahlenmaterial und ist nachvollziehbar. Sie beleuchtet auf 18 Seiten die Gesamtproblematik von HIV und AIDS in Burundi. Zudem wird erklärt, wie die zu Grunde gelegten Zahlen ermittelt wurden (S. 5 und 11 der WHO-Studie). Auf Seite 12 wird dargestellt, dass im Jahr 2007 insgesamt geschätzte 47.000 Personen eine antiretrovirale Therapie benötigten ("Estimated number of people needing antiretroviral therapy"). Weiter wird dort ausgeführt, dass für das Jahr 2007 lediglich 23% der Bedürftigen eine antiretrovirale Therapie erhielten ("Estimated antiretroviral therapy coverage"). Es wird auch deutlich, dass seit 2004 die Zahl der Bedürftigen kontinuierlich leicht gesunken ist, wobei gleichzeitig mehr erkrankte Personen eine Therapie erhielten. So lag im Jahr 2004 der prozentuale Anteil der erkrankten Personen, die tatsächlich eine entsprechende Therapie erhielten, nur bei 6%. Grund für die geschilderte Verbesserung mag ein ab 2004 von der Regierung Burundis initiiertes Gesundheitsprogramm sein. Ziel des Programms ist es, der Bevölkerung nahezu kostenfrei die nötigen Medikamente zur Verfügung zu stellen. Auf der Basis der vorliegenden Zahlen ergibt sich seit 2004 lediglich eine Verbesserung der Versorgungsrate auf sehr niedrigem Niveau. Die WHO-Studie vom 29.07.2008 ist zum einen aktuelleren Datums als die Auskunft des Auswärtigen Amtes und sie stützt sich zum anderen auf eine wesentlich breitere Datenbasis. Dagegen beschränkt sich die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25.06.2007 im Wesentlichen auf die Angabe, die HIV-Infektion sei in Burundi behandelbar und bei Mittellosigkeit der Patienten erhielten etwa 90% der Patienten eine kostenfreie Behandlung. Weitere Erklärungen und Ausführungen fehlen schlicht. Aufgrund der langjährigen Erfahrungen der internationalen Organisationen WHO, UNAIDS sowie UNICEF kann die erforderliche Beurteilungskompetenz hinsichtlich der Lage in Burundi angenommen werden. Die in der Studie enthaltenen Daten wurden über mehrere Jahre (seit 2004) gesammelt und ausgewertet. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes scheint hingegen auf der Beurteilung lediglich eines einzelnen Arztes zu basieren. Es ist nicht ersichtlich, woraus dieser seine Kenntnisse bezieht und weshalb seine Angaben gegenüber der WHO-Studie aussagekräftiger sein sollten. Aus diesen Gründen ist die WHO-Studie gegenüber der Auskunft des Auswärtigen Amtes aber auch gegenüber den Schätzungen der GTZ - die ebenfalls einen sehr schlechten Versorgungsstand beschreiben - vorzugswürdig.

16

Ausgehend von einer Versorgungsrate in der Größenordnung von 23% aller Bedürftigen kann unterstellt werden, dass die Klägerin zu 1.) nach dem derzeitigen Status ihrer HIV-Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine lebensbedrohenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes erleiden wird. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass gerade die Klägerin zu 1.) als schwer kranke Rückkehrerin nach vier Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik zu dem Kreis derjenigen Personen gehören wird, dem eine adäquate medizinische Versorgung zu Teil wird. Die Versorgungsrate von 23% belegt eine eklatant schlechte Versorgungslage.

17

Für den Fall des Ausbleibens der medizinischen Versorgung hat Herr Dr. F. in seinem Attest vom 13.11.2008 eine Prognose abgegeben: Es ist bei der Klägerin zu 1.) mit schweren gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Eine Reaktivierung der Tuberkulose ist möglich, aber auch das Auftreten anderer opportunistischer Infektionen wie auch Neoplasien (Tumore). Die HIV-Infektion der Klägerin befindet sich nach dem zuletzt vorgelegten ärztlichen Attest vom 13.11.2008 bereits in dem Stadium C2 der internationalen Klassifikation. Ausgehend von der Unterteilung der HIV-Erkrankung nach der anerkannten internationalen CDC-Klassifikation in drei klinische Kategorien - A, B, C - und einer zusätzlichen Einteilung in drei Laborkategorien - 1, 2, 3 -, befindet sich die HIV- Erkrankung der Klägerin in einem fortgeschrittenen Stadium: Die klinische Kategorie A bezeichnet das asymptomatische Stadium der HIV-Infektion. Das symptomfreie Stadium kann Monate bis viele Jahre dauern. Bei einer HIV-Infektion der klinischen Kategorie B fehlt es noch an den die AIDS-Erkrankung definierenden Erkrankungen, gleichwohl können in diesem Stadium sog. assoziierte Erkrankungen, d.h. Erkrankungen, die auf eine Störung der zellulären Immunität hinweisen, auftreten. Hingegen ist die klinische Kategorie C auf Grund des schweren Immundefekts von den AIDS-definierenden Erkrankungen, von lebensbedrohenden opportunistischen Infektionen und malignen Erkrankungen gekennzeichnet. Die Laborkategorien (1, 2 oder 3) werden nach der Anzahl der T-Helferzellen, den sog. CD4- Zellen oder CD4-Lymphozyten, im Blut eingeteilt. Sie geben Auskunft über das Maß der Zerstörung des Immunsystems, wobei im Stadium 1 von einem wünschenswerten Normalzustand und im Stadium 3 von einem schweren Immundefekt auszugehen ist. (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, HIV- Erkrankung; Robert Koch-Institut, Merkblatt für Ärzte - HIV/AIDS -, Stand: 27.01.2006 - http://www.rki.de; vgl. auch VG Aachen, Urt. v. 10.06.2008 - 2 K 1286/06.A - [...]).

18

Nach Überzeugung des erkennenden Richters kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Ehemann der Klägerin zu 1.) die notwendige medizinische Versorgung für die Klägerin zu 1.) und deren jüngste - ebenfalls HIV-positive - Tochter sichern kann. Es dürfte aufgrund der immer noch desolaten politischen und wirtschaftlichen Lage (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes im Internet, Stand März 2006 und November 2008) sehr schwierig für den Ehemann der Klägerin zu 1.) sein, trotz seiner guten Ausbildung eine Arbeit zu finden. Die jahrelangen internen Spannungen und blutigen Auseinandersetzungen seit 1993 und ein zeitweises Wirtschaftsembargo haben dazu geführt, dass Burundi eines der ärmsten Länder der Welt ist (Platz 167. von 177. im UN-Human Development Index 2007/08). Etwa zwei Drittel der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, 80-90% der Bevölkerung muss mit weniger als einem US-Dollar pro Woche auskommen. Burundi wurde von dem rasanten Anstieg der Lebensmittel- und Treibstoffpreise erheblich betroffen. Die Inflation hat zu einer weiteren Verschlechterung der Einkommensverhältnisse der Bevölkerung geführt. Hunger, Aids und armutsbedingte Krankheiten wie Tuberkulose sind weit verbreitet. Die Wiedereingliederung von etwa einer Million Vertriebenen und Flüchtlinge in ein schon jetzt überbevölkertes Land stellt das Land vor enorme Herausforderungen. Die Landknappheit aufgrund von Überbevölkerung stellt eines der Hauptprobleme dar. Etwa 90% der Bevölkerung lebt traditionell von Ackerbau und Viehzucht sowie in den Städten vom informellen Sektor. 70% der Agrarproduktion wird von Frauen erbracht. Der Privatsektor kann sich wegen bürokratischer und politischer Hemmnisse sowie infolge Korruption nur schwer entwickeln (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes zur Wirtschaftspolitik, Stand: November 2008). Der Ehemann der Klägerin zu 1.) dürfte mit der medizinischen Versorgung der Klägerin zu 1.) und der am 10.04.2008 geborenen Tochter angesichts dieser Lage überfordert sein. Es ist darüber hinaus problematisch, allein auf den Ehemann als "Versorger" abzustellen, denn dieser könnte als "Versorger" ausfallen oder sich möglicherweise auch der schwierigen familiären Situation entziehen wollen. Die Klägerin zu 1.) ist angesichts ihres schlechten Gesundheitszustandes ebenfalls außer Stande, selbst die finanziellen Mittel für die medizinische Versorgung zu erwirtschaften. In der mündlichen Verhandlung am 08.12.2008 hat die Klägerin zu 1.) erklärt, sie müsse starke Medikamente nehmen und leide auch unter Durchfall und nehme ab. Sie habe wegen ihres Gesundheitszustandes nicht genug Kraft um zu arbeiten. Das Gericht sieht keinen Anlass, dies in Frage zu stellen. Die Ausführungen der Klägerin zu 1.) waren nachvollziehbar und angesichts des fortgeschrittenen Stadiums ihrer Erkrankung auch glaubhaft.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

20

Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur statthaft, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen worden ist.

Dr. Adam