Amtsgericht Hameln
Beschl. v. 11.03.2004, Az.: 31 F 330/03
Hilfe zum Lebensunterhalt; Kindesunterhalt; Leistungsfähigkeit; Prozesskostenhilfe; Sozialhilfe; sozialstaatliche Unterstützung; Zumutbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- AG Hameln
- Datum
- 11.03.2004
- Aktenzeichen
- 31 F 330/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50492
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 114 ZPO
- § 1601 BGB
- § 1603 Abs 2 BGB
- § 85 Abs 1 Nr 3 BSHG
Tenor:
In der Familiensache ...
wird die Prozesskostenhilfebewilligung für die Klägerin zu 1.) für die Leistungsstufe in vollem Umfang und für den Kläger zu 2) aufgehoben, soweit der Kläger zu 2) Kindesunterhalt für die Zeit von September 2002 – März 2004 in Höhe von mehr als 2.822,00 € und ab April 2004 bis zu dem Monat, in dem die mündliche Verhandlung stattfindet, in Höhe von mehr als 77,00 € verlangt.
Soweit der Kläger zu 2) ab den Monat nach der mündlichen Verhandlung Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages verlangt, bleibt die Prozesskostenhilfebewilligung ebenfalls bestehen.
Gründe
Die Klage der Klägerin zu 1) bietet keinen, die Klage des Klägers zu 2) bietet nur in dem im Tenor genannten Umfang Aussicht auf Erfolg. In diesem Umfang ist die Rechtsverteidigung nicht erheblich.
1. Die Klägerin zu 1) hat einen ihr zustehenden Trennungsunterhaltsanspruch nicht schlüssig dargelegt.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann sie jedenfalls einen Unterhaltsanspruch nach § 1361 BGB nicht auf den Ehevertrag vom 03.12.1992 stützen, da darin nur der nacheheliche Unterhalt nach § 1569 ff. BGB und (Betreuungs-)Unterhaltsansprüche lediglich dem Grunde nach geregelt sowie der maximale Höhe, nicht aber der konkrete Bedarf festgelegt worden sind.
Da weder im Schriftsatz vom 03.12.2003 noch im Schriftsatz vom 22.01.2004 noch im Schriftsatz vom 10.02.2004 der Bedarf der Klägerin zu 1) dargestellt und berechnet worden ist, lässt sich die mittlerweile maßgebliche Klagforderung im Schriftsatz vom 10.02.2004 iHv. 6.987,63 € im einzelnen nicht nachvollziehen, zumal offenbar weder der erhöhte Bedarf des Klägers zu 2) ab Juli 2003 noch die Selbstbehalte des Beklagten berücksichtigt worden sind.
Es ist nicht Aufgabe des Gerichtes, die Berechnung anstelle der Klägerin vorzunehmen oder Vermutungen anzustellen, was die Klägerin wohl gemeint haben könnte.
Nacheheliche Unterhaltsansprüche werden von der Klägerin mit dieser Klage nicht mehr verfolgt.
2. Dagegen ist der Beklagte der Behauptung des Klägers zu 2), zumindest bezüglich der Zahlung des Regelunterhaltes leistungsfähig zu sein, nicht hinreichend entgegengetreten.
Dies liegt in erster Linie daran, dass der Beklagte für den Zeitraum bis zu seinem Umzug in das Sozialtherapeutische Zentrum in Bodenwerder Ende Mai 2003 gar keine Angaben zu seiner Leistungsfähigkeit und für die Zeit danach keinerlei Angaben dazu gemacht hat, warum der Umzug unvermeidlich gewesen ist. Dazu ist er aufgrund seiner aus § 1603 Abs. 2 BGB folgenden (erhöhten) Darlegungslast aber verpflichtet gewesen.
a) Unterhaltsforderungen für die Zeit von September 2002 - Mai 2003
Der Beklagte hat den Vortrag des Klägers zu 2), in diesem Zeitraum entsprechend dem Bescheid vom 16.05.2003 über den Bezug von Arbeitslosenhilfe Einkünfte iHv. mindestens 1.517,90 € erzielt zu haben, nicht bestritten.
Dies zugrundegelegt, ist der Bedarf des Klägers zu 2) der Einkommensgruppe 3 der bis zum 30.06.2003 gültigen Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen. Er beträgt 260,00 €. Abzüglich des anteiligen Kindergeldes wären an sich 231,00 € zu zahlen. Verlangt wird für diesen Zeitraum allerdings nur der Regelunterhalt iHv. 228,00 €. Bei diesem Betrag bleibt der Selbstbehalt des Beklagten von 730,00 € für Arbeitslose gewahrt.
b) Unterhaltsforderung ab Juni 2003
aa) Soweit der Beklagte behauptet, ab Juni 2003 nach dem Umzug in das Sozialtherapeutische Zentrum Bodenwerder leistungsunfähig zu sein, hätte er zusätzlich darlegen müssen, warum diese Maßnahme überhaupt erforderlich und dass keine kostengünstigeren Möglichkeiten vorhanden gewesen ist.
bb) Zu Recht weist der Kläger zu 2) zudem darauf hin, dass der Beklagte unterhaltsrechtlich möglicherweise verpflichtet gewesen ist, eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen, um so unter Umständen zusammen mit Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz seinen Unterhaltspflichten nachkommen zu können. Da der Beklagte nicht dargelegt hat, dass dieser Weg nicht möglich oder unzumutbar gewesen ist, und er der Behauptung des Klägers zu 2), dass bei einem Rentenbezug eine hinreichende Leistungsfähigkeit bestanden hätte, nicht entgegengetreten ist, muss nach derzeitigem Vortrag auch unter diesem Gesichtspunkt von einer fortbestehenden Leistungsfähigkeit für den Regelunterhalt ausgegangen werden.
cc) Eine hinreichende Leistungsfähigkeit für den Regelunterhalt ist darüber hinaus selbst dann zu unterstellen, wenn der Umzug in das Sozialtherapeutische Zentrum oder eine vergleichbare Einrichtung unumgänglich und eine vorzeitige Verrentung nicht möglich gewesen wäre.
In diesem Fall wäre der Beklagte nämlich verpflichtet gewesen, beim Sozialamt einen Antrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BSHG zu stellen, mit der Folge, dass ihm zumindest ein Teil seiner Arbeitslosenhilfe ohne Übergang nach § 104 SGB X anrechnungsfrei verblieben wäre.
Zwar soll den Unterhaltspflichtigen ein Wahlrecht zustehen, ob sie ihr Einkommen zur Deckung der Unterhaltspflichten oder der Kosten für die Heimunterbringung einsetzen wollen (BGH, FamRZ 1990, 849/850). Diese für die Zahlung von Ehegattentrennungsunterhalt entwickelte Rechtsprechung lässt sich jedoch auf die Zahlung von Kindesunterhalt für Minderjährige nicht übertragen.
Während der unterhaltsberechtigte Ehegatte zumindest die Möglichkeit hat, seinen Bedarf durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken, und er dazu unter Umständen nach § 1361 Abs. 2 BGB auch verpflichtet ist, besteht für das minderjährige Kind weder die Möglichkeit noch eine vergleichbare gesetzliche Verpflichtung zur Bedarfsdeckung.
Außerdem hat der Gesetzgeber durch die Regelungen in §§ 1603 Abs. 2 und 1612b BGB gewährleisten wollen, dass der Regel- bzw. Mindestbedarf des minderjährigen Kindes nach Möglichkeit und letztlich vorrangig vor den Bedürfnissen des Unterhaltspflichtigen gesichert werden soll. Auch aufgrund dieser gesetzlichen Wertung teilt das Gericht jedenfalls für den Fall des Minderjährigenunterhaltes nicht die Auffassung des BGH, dass es für den Unterhaltspflichtigen unzumutbar sei, sich selbst in erhöhtem Umfang sozialhilfebedürftig zu machen, da ihn dies in seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG verletzte und das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG angetastet werde (BGH aaO.). Dem minderjährigen Kind stehen die genannten Artikel des Grundgesetzes nämlich ebenfalls zur Seite. Allein schon wegen dessen anders als beim Ehegatten bestehenden völligen Abhängigkeit von seinen Eltern ist es im Rahmen einer Abwägung der beiderseitigen Interessen einem Unterhaltspflichtigen eher zuzumuten, einen Sozialhilfeantrag zu stellen, als dem unterhaltsberechtigtem Kind. Das gilt erst recht, wenn ein solcher Antrag - wie hier - vom Pflichtigen ohnehin gestellt werden muss und es nur um die Frage der Höhe der Sozialhilfeleistungen geht.
Hinzukommt, dass das Kind nicht nur den gesellschaftlichen Makel des Sozialleistungsempfängers tragen müsste, sondern aufgrund der geringeren tatsächlichen Leistungen nach dem UVG oder BSHG und der damit verbundenen Beeinträchtigung der allgemeinen Lebenschancen erheblich bzw. erheblicher als der Unterhaltspflichtige in seiner Allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt werden würde (gegen ein uneingeschränktes Wahlrecht des/der Unterhaltspflichtigen auch BSG, FamRZ 1996, 1404f.).
Dem Hinweis auf § 85 Abs. 1 Nr. 3 BSHG steht unterhaltsrechtlich auch nicht entgegen, dass dieser auf die tatsächlich Zahlung von Unterhalt zum Zeitpunkt der Antragstellung abstellt (so BGH aaO.; anders BSG aaO.), woran es hier fehlt. Folgte man nämlich dieser Auffassung, würde nämlich derjenige, der bereits vor der Sozialhilfebedürftigkeit - wie hier - seiner Unterhaltsverpflichtung gesetzeswidrig nicht nachkommt, gegenüber demjenigen, der rechtstreu seine Verpflichtung erfüllt, ohne ersichtlichen oder rechtfertigenden Grund bevorzugt.
Wäre der Beklagte seiner Verpflichtung nachgekommen und hätte einen Antrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BSHG gestellt, wäre er in jedem Fall leistungsfähig geblieben. Von der Arbeitslosenhilfe iHv. mindestens 1.517,90 € wäre ihm nach § 81 Abs. 1 Nr. 2 BSHG zunächst ein Grundbetrag von 809,63 € und nach Abzug des “Taschengeldes” iHv. 88,20 € noch ein Betrag von 721,43 € anrechnungsfrei verblieben. Davon hätte er ohne weiteres den jeweiligen Regelunterhalt des Klägers zu 2) iHv. 228,00 € bzw. 241,00 € ab Juli 2003 bezahlen können. Die Unterschreitung des üblichen Selbstbehaltes für Arbeitslose in Höhe von 730,00 € steht dem nicht entgegen, da der in diesem Betrag enthaltene Bedarf für Wohnen, Kleidung, Essen etc. bereits durch die Einrichtung abgedeckt wird.
c) Unter Berücksichtigung des Anspruchsüberganges auf das Land Niedersachsen nach § 7 UVG für die erbrachte Leistungen an den Kläger zu 2) ab dem Monat Juni 2003 ergeben sich für die Vergangenheit folgende (restliche) Unterhaltsansprüche:
09.02 - 05.03: | 228,00 € | x 9 = 2.052,00 € |
06.03: | 228,00 € - 151,00 € | x 1 = 77,00 € |
07.03 - 03.04: | 241,00 € - 164,00 € | x 9 = 693,00 € |
Gesamt: | 2.822,00 € |
Entgegen der Ansicht des Beklagten sind diese Ansprüche nicht verwirkt, denn der Beklagte ist zuletzt mit Schreiben vom 14.08.2002 (nicht 16.02.2002!) und damit nur 1 Jahr vor Klageerhebung im August 2003 iSv. § 1613 Abs. 1 BGB zur Auskunftserteilung aufgefordert und jedenfalls in Höhe eines Betrages von 231,00 € in Verzug gesetzt worden.