Landgericht Göttingen
Beschl. v. 25.08.2005, Az.: 8 KLs 4/04

Belehrung; Einlegung; Fehlentscheidung; Frist; Rechtsmittel; Rechtsmittelbelehrung; Revision; Revisionseinlegung; Unzulässigkeit; Verfahren; Verständigung; Versäumung; Wiederaufnahme; Zulässigkeit; Überprüfung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
25.08.2005
Aktenzeichen
8 KLs 4/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50781
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Der Wiederaufnahmeantrag wird auf Kosten des Verurteilten als unzulässig verworfen.

2. Der Antrag auf Unterbrechung der Vollstreckungshaft wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 05.05.2004 hat das Landgericht Braunschweig, Az. 6 KLs 149/03, den Verurteilten wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in 21 Fällen, Betruges in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in 30 Fällen, Wuchers in 129 Fällen und Steuerhinterziehung in 4 Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 31.10.2002, Az. 38 KLs 200 Js 46685/01, und dem Urteil des Schöffengerichts Hildesheim vom 08.04.2002, Az. 14 Ls 23 Js 30323/01, nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag ein am 05.05.2004, dem siebten Hauptverhandlungstag, abgelegtes Geständnis zugrunde. Im Protokoll heißt es insoweit:

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"Rechtsanwalt E. erklärt für den Angeklagten, dass die Vorwürfe der Anklage vollumfänglich eingeräumt werden.

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Der Angeklagte erklärte, dass dies so zutreffe;

4

die Sach- und Rechtslage wurde erörtert.".

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Dem Geständnis vorausgegangen war eine am 05.05.2004 herbeigeführte Verständigung. Insoweit heißt es auf Seite 3 des Protokolls vom 05.05.2004:

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"Es erfolgte eine Verständigung mit dem Inhalt, dass für den Fall eines glaubhaften Geständnisses des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten unter Einbeziehung der verhängten Freiheitsstrafen der 8. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig vom 31.10.2002 (Az. 38 KLs 200 Js 46685/01) und des Schöffengerichts Hildesheim vom 08.04.2002 (Az. 14 Ls 23 Js 30323/01) nicht überschritten werde.

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Die Beteiligten erklärten, dass sie die Verständigung mittragen werden."

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Nachdem daraufhin erfolgten Geständnis und anschließender Vernehmung des Zeugen F. wurde lt. Protokoll anschließend im allseitigen Einvernehmen auf die Vernehmung sämtlicher Zeugen verzichtet.

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Es erfolgte dann laut Protokoll nach Verkündung des Urteils sowie schriftlicher und mündlicher erteilter Rechtsmittelbelehrung ein Rechtsmittelverzicht seitens des Angeklagten, seines Verteidigers und der Staatsanwaltschaft.

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Bereits mit handschriftlichen Schreiben vom 20.05.2004 an das Landgericht Braunschweig stellte der Verurteilte einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahren gemäß § 359 Abs. 3 StPO und rügte dabei im Wesentlichen, dass die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei und dass er einen Ablehnungsantrag gegen G. gestellt habe. Dieser Wiederaufnahmeantrag wurde von der Kammer mit Beschluss vom 05.07.2004 als unzulässig verworfen (Bd. VI, Bl. 336 ff. d. A.).

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Zu Protokoll der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts Wolfenbüttel hat der Verurteilte am 11.08.2004 einen erneuten Wiederaufnahmeantrag verbunden mit einem Antrag auf Anordnung der Unterbrechung der Vollstreckung gestellt. Dieser wurde zum einen damit begründet, dass auf Grund des Umfangs und der Schwierigkeit der zu verhandelnden Sache die Mitwirkung eines dritten Richters gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG geboten gewesen wäre. Außerdem sei ein von ihm gestellter Antrag auf Ablehnung seines Pflichtverteidigers vor der Hauptverhandlung nicht beschieden worden. Weiter meint er, es sei ohne vorherigen Hinweis zu seinen Lasten gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedener Verfahrensstoff zu seinen Lasten verwertet worden.

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Weiter sei sein gegen die Vorsitzende Richterin gerichteter Ablehnungsantrag vom 01.05.2004, sein gegen den männlichen Schöffen gerichteter Ablehnungsantrag vom 20.04.2004, ein ebenfalls am 20.04.2004 gestellter "Antrag auf Feststellung der Ermittlungsakte im eingestellten Verfahren 400 Js 45071/02", ein am 30.04.2004 gestellter "Beweisantrag auf Akteneinsicht" und ein an diesem Tag ebenfalls gestellter Antrag auf "Beweissicherung" sowie ein weiterer am 05.05.2004 gestellter Beweisantrag "für die neueingebrachte Akte in der Verhandlung vom 04.05.2004 (Korrespondenz mit Zeugen aus Rumänien)" nicht beschieden worden.

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Dieser Wiederaufnahmeantrag wurde mit Schriftsatz seines nunmehrigen Pflichtverteidigers, Rechtsanwalt H., vom 18.07.2005 ergänzt und in dieser Ergänzung als Wiederaufnahmegrund der Widerruf des Geständnisses vom 05.05.2004 angeführt. Weiter wird zu Begründung angeführt, man hätte sämtliche Auslandszeugen vernehmen müssen. Eine Vernehmung des Leiters des Konsulat in Temeschwar /Rumänien würde ergeben, dass die Voraussetzung für die Erteilung der Einreisevisa vorgelegen hätten, eine Vernehmung des Leiters des Finanzamtes in Arat/Rumänien würde ergeben, dass sämtliche Steuern abgeführt worden seien und eine Vernehmung des Leiters des Sozialversicherungsträgers in Arat/Rumänien würde schließlich ergeben, dass für die Mitarbeiter die Sozialabgaben abgeführt wurden.

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II. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist unzulässig, da er unstatthaft ist.

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In § 359 StPO ist geregelt, dass eine Wiederaufnahme nur für Verfahren, die durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen sind, in Betracht kommt. Die §§ 359 ff. StPO dienen der Beseitigung von Fehlentscheidungen und lassen daher in engen Grenzen die Durchbrechung der Rechtskraft zur Lösung des Konflikts zwischen den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit zu (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 47. Auflage, vor § 359 Rn. 1). Daraus ergibt sich, dass die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens als Ausnahmefall stets nur als letztes Mittel (ultima ratio) in Betracht kommt.

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Daran fehlt es, wenn einfachere und effektivere Mittel zur Verfügung stehen, um eine Überprüfung des Urteils darauf, ob es sich um eine Fehlentscheidung handelte, zu ermöglichen. Davon ist auch auszugehen, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Urteil einer Überprüfung mittels der Revision noch zugänglich ist. Der Fall, dass die Frist zur Einlegung der Revision nicht verstrichen ist, muss diesen Erwägungen folgend dem Fall gleich gestellt werden, dass die naheliegende Möglichkeit der Revisionseinlegung verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der entspr. Frist besteht.

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So liegt der Fall hier. Der große Senat des Bundesgerichtshof für Strafsachen hat in seinem Beschluss vom 03.03.2005 (NJW 2005, 1440 ff.) festgestellt, dass ein nach Verständigung, die auch der hier gegenständlichen Verurteilung des Landgerichts Braunschweig vom 05.05.2004, Az. 6 KLs 149/03, zugrunde liegt, erklärter Rechtsmittelverzicht dann unwirksam ist, wenn nicht zuvor eine qualifizierte Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde (BGH a.a.O., insb. Ausführungen unter B. III. 3. b) und c) in NJW 2005, 1446). Zu einer qualifizierten Rechtsmittelbelehrung in dem Sinn gehört, dass der Angeklagte darauf hingewiesen wird, dass er trotz der erfolgten Verständigung nicht gehindert ist, Rechtsmittel einzulegen. Zwar ist dem Protokoll zu entnehmen, dass eine Rechtsmittelbelehrung mündlich und schriftlich erteilt wurde, nicht jedoch, dass die Rechtsmittelbelehrung den vom BGH in seinem Beschluss vom 03.03.2005 aufgestellten Anforderungen genügt. Es erscheint hier naheliegend, dass der Verurteilte, der in der Hauptverhandlung bis zum Zeitpunkt der Verständigung zahlreiche Prozess- und Sachanträge zur Verhinderung einer gegen ihn gerichteten Verurteilung gestellt und auch noch vor dem siebten Hauptverhandlungstag eine 13-seitige handschriftliche Einlassung als Anlage zu Protokoll überreicht hat, in der sämtliche Tatvorwürfe abgestritten wurden, sich nur auf Grund der dann herbeigeführten Verständigung gezwungen sah, einen Rechtsmittelverzicht zu erklären und statt des an sich beabsichtigten Weges der Revisionseinlegung nunmehr versucht, eine Beseitigung des Urteils durch Stellung von Wiederaufnahmeanträgen - der erste Wiederaufnahmeantrag ist vom Verurteilten bereits 15 Tage nach Verkündung des Urteils abgefasst worden - eine Beseitigung des Urteils zu erreichen. Dafür spricht neben den zahlreichen und umfangreichen die Tatvorwürfe bestreitenden Einlassungen des Verurteilten vor dem 05.05.2004 auch der Umstand, dass das Geständnis, so wie es zu Protokoll genommen wurde, nichtssagend, da pauschal ist. Angesichts dieser Umstände besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Ausführungen im Schriftsatz seines nunmehrigen Pflichtverteidigers vom 18.07.2005, dass sich im Laufe des Strafverfahrens das Verhältnis des Verurteilten zu seinem Pflichtverteidiger derart verschlechtert habe, dass der Verurteilte nach Ablehnung seines erneuten Antrags auf Entpflichtung von Herrn Rechtsanwalt I. vom 28.04.2004 und die weiteren angeführten Vorgänge den Verurteilten derartig unter Druck gesetzt hätten, dass er sich zur Abgabe seines Geständnisses gezwungen sah, zutreffen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht fernliegend, dass er allein in Folge dieser Eindrücke und etwaiger weiterer Einwirkungen, die konkret bei Stellung eines Antrags auf Wiederseinsetzung darzulegen und glaubhaft zu machen wären (BGH-NJW 2005, 1446, Ausführungen unter Ziffer B. III. 3. e); BGH in StV 2005, 373), von seinem ursprünglich verfolgten Ziel, eine gegen ihn gerichtete Verurteilung in jedem Fall einer Überprüfung durch das Revisionsgericht zu unterziehen, abgehalten und zur Abgabe der Erklärung des Rechtsmittelverzichts gedrängt wurde.

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III. Der Antrag auf Unterbrechung der Haftvollstreckung gemäß § 360 Abs. 2 StPO war zurückzuweisen. Eine Unterbrechung der Vollstreckung erschien auch nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht angezeigt, da der Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten gemäß § 368 Abs. 1 StPO zu verwerfen war, mithin mangels Erfolgs des Wiederaufnahmeantrags in der Fortsetzung der Vollstreckung keine unbillige Härte gesehen werden konnte.

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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 6 Nr. 1 StPO.

20

Gegen diese Entscheidung ist - nach Maßgabe der anliegenden Rechtsmittelbelehrung - die sofortige Beschwerde gemäß § 372 StPO zulässig.