Landgericht Oldenburg
Urt. v. 01.12.2023, Az.: 2 O 2383/15

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
01.12.2023
Aktenzeichen
2 O 2383/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 56594
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Rechtsstreit
XXXXXX XXXXXX, XX XXX XXXXX X, XXXXX XXXXXX
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen XXX XXXXXXX, XXXXXXXXXX, XXX XXXXXXX, XXXXX XXXXXX XXXXX, XXXXX XXXXXXXXXXX
Geschäftszeichen: XXXXXXXX, XXXXXXXXXXXXXX X
gegen
1. XX XXXX XX vertr. d. d. Vorstand, XXXXXXXXXXXXXXXXXXX X, XXXXX XXXXXXXX
2. XXXXXXXXXXXXXXX XXXX vertr.d.d. GF XXXXXX XXXXX XX XXXXX XXXXXXX, XXXXXXXXXXXXX X, XXXXX XXXXXXXXXXXXXXXXXX
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte zu 1.:
Rechtsanwälte XXX Rechtsanwälte XXXXX X XXXXXXX, XXXXXXXXXXXXXXXX XX, XXXXX XXXXXX
Geschäftszeichen: XXXXXXXXXXXXX
Prozessbevollmächtigte zu 2.:
Rechtsanwälte XXX XXXXX, XXXXXXXXX XX, XXXXX XXXXXXXX
Geschäftszeichen: XXXXXXXXXXXXX
hat das Landgericht Oldenburg - 2. Zivilkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht XXX XXXXXXX als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 03.02.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 150.000,- Euro zu zahlen.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu 50 % zu ersetzen, der auf dem streitgegenständlichen Unfall vom 27. April 2012 auf dem Abstellgleis am Ende des XXXXXXXXXX in XXXXXXXXXXX beruht.

  3. 3.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  4. 4.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

  5. 5.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld für Verletzungen, die er auf einem Eisenbahnwaggon durch Stromüberschlag von der Oberleitung erlitten hat.

Am 27. April 2012 begab sich der damals 13 Jahre alte Kläger zusammen mit seinem Freund, dem Zeugen XXXXXXX, zu den Bahngleisen am Ende des XXXXXXXXXX in XXXXXXXXXXX. Die Gleisanlagen sind über ein unbefestigtes, sandiges Gelände erreichbar, das teilweise mit Gras und Büschen bewachsen ist und direkt an den XXXXXXXXX - eine Sackgasse - anschließt. Dieses Gelände steht im Eigentum der Stadt XXXXXXXXXXX und grenzt an den Bahndamm mit der eigentlichen Schienentrasse, auf der sich mehrere Abstellgleise sowie die Gleise der Hauptbahnstrecke zwischen XXXXXX und XXXXXXXXX befinden an. Die Gleise sind durch Oberleitungen elektrifiziert. Inhaberin der Eisenbahnanlage ist die Beklagte zu 1), die das Schienennetz betreibt und die Trassennutzung auch anderen Eisenbahnunternehmen zur Nutzung überlässt.

Zum Zeitpunkt des Unfalls befand sich auf dem zweiten Abstellgleis in Fahrtrichtung XXXXXXXXX eine Diesellok mit mehreren Tankwaggons, die am Vortag von der Beklagten zu 2) für einen Gütertransport genutzt worden waren. Der Kläger kletterte auf einen der abgestellten Tankwaggons, der die Aufschrift "XXXXXX" trug und im vorderen Bereich in kleiner Schrift unter anderem mit der Adresse und Telefonnummer der Firma XXXXXX versehen war. Dieser Kesselwagen hatte eine fest montierte Leiter, die es ermöglichte, von außen auf das Wagendach zu steigen. Bei dem Versuch, auf dem Waggon einen Deckel zu öffnen, geriet der Kläger aus ungeklärten Gründen an oder zumindest in die Nähe der über dem Waggon befindlichen Oberleitung, erlitt einen Stromschlag und fiel auf das Waggondach. Durch den Stromschlag wurde seine linke Hand vom Unterarm abgetrennt. Eine weitere Stromeintrittsstelle befand sich im Bereich des Kopfes beziehungsweise der Schulter und Austrittsstellen im Bereich der Füße.

Der Kläger erlitt bei dem Unfall schwere Brandverletzungen und wurde mit einem Rettungshubschrauber in die Medizinische Hochschule XXXXXXXX geflogen, wo sein linker Arm und die beiden Unterschenkel amputiert werden mussten.

Mit Schreiben vom 7. März 2016 erkundigten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers bei dem Eisenbahn-Bundesamt, wer Waggons mit der Aufschrift "XXXXXX" befördere. Das Eisenbahn-Bundesamt antwortete unter dem 10. März 2016, dass die gewünschte Information dort nicht vorliege. Weitere Anfragen im März und April 2016 an die Streitverkündete XXX XXXXXXXXXX XXXX blieben unbeantwortet. Auf eine Erkundigung bei der Beklagten zu 1) im Mai 2019 antwortete diese, dass der Betreiber des Güterwaggons nicht mehr ermittelt werden könne. Erst im Laufe des streitgegenständlichen Verfahrens teilte die Beklagte zu 1) mit Schriftsätzen vom 1. August 2019 und 30. September 2019 mit, dass die Beklagte zu 2) Betreiberin des in Rede stehenden Waggons war. Dadurch erhielt auch der Kläger Kenntnis von der Beteiligung der Beklagten zu 2).

Der Kläger behauptet, zum Zeitpunkt des Unfalls sei der Zugang zu den Bahngleisen vom XXXXXXXXX aus ohne jegliche Absperrung möglich gewesen, so dass auch der Rettungswagen bis zu den Bahngleisen habe heranfahren können. Es habe sich dort lediglich ein völlig veralteter, kaum zu erkennender Zaun befunden, dessen Draht überwiegend auf dem Boden gelegen habe und vom Sand verdeckt gewesen sei. Der Bahndamm sei so für jedermann leicht zu erreichen und der Tankwaggon leicht zu erklettern gewesen. Darüber hinaus sei zum Zeitpunkt des Unfalls weder am Zaun noch auf dem Gelände bis zum Abstellgleis ein Verbots- oder Warnschild angebracht gewesen. Ebenso wenig hätten sich auf dem Bahndamm, den Strommasten oder an den Waggons Warnschilder befunden. Es habe keinerlei Hinweis gegeben, dass das Betreten der Gleisanlagen oder der Waggons verboten sei. Auch vor den mit der Oberleitung verbundenen Gefahren eines Stromschlags sei an keiner Stelle gewarnt worden. Insbesondere sei der vom Kläger erklommene und von der Beklagten zu 2) betriebene Waggon nicht am Ende der Leiter links mit drei Piktogrammen versehen gewesen, die vor einem tödlichen Stromschlag gewarnt hätten. Das von der Beklagten zu 2) mit Schriftsatz vom 4. Februar 2020 als Anlage SV5 vorgelegte Lichtbild zeige auch nicht den Waggon, auf dem sich der Unfall ereignet habe.

Der Kläger behauptet weiter, dass sich im XXXXXXXXX XX - und damit in unmittelbarer Nähe zum Unfallort - die XXXXXXXXXXXXX Jugendhilfestiftung befinde. Dabei handele es sich um eine Clearing- und Inobhutnahmestelle, in der insgesamt 10 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 18 Jahren vollstationär untergebracht seien. Schon vor dem Unfall hätten die dort untergebrachten Kinder regelmäßig auf dem Gelände vor den Bahnschienen gespielt. Dennoch habe die Beklagte zu 1) erst nach dem Unglück einen Zaun aufstellen lassen und entsprechende Piktogramme mit Warnhinweisen an den Pfeilern für die Oberleitungen angebracht. Wären der Zaun und die entsprechenden Warnschilder am Unfalltag schon aufgestellt gewesen, so behauptet der Kläger, hätte er den Waggon nicht bestiegen. Ihm sei bewusst gewesen, dass man beim Erklettern des Waggons abrutschen oder abstürzen könne. Weder ihm noch dem Zeugen XXXXXXX seien jedoch die Gefährlichkeit der Oberleitung beziehungsweise die mit dem Erklettern verbundene Gefahr schwerster oder gar tödlicher Verletzungen bekannt gewesen. Er habe zum Unfallzeitpunkt noch nicht die erforderliche Einsichtsfähigkeit besessen, um die vom Strom in den Oberleitungen ausgehende Gefahr überhaupt erkennen und einschätzen zu können.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte zu 1) hafte als Betreiberin des Schienennetzes nach dem Haftpflichtgesetz für den von ihm erlittenen Schaden. Insbesondere sei sie als Betriebsunternehmerin im Sinne der Vorschriften anzusehen, da sie nicht nur den Fahrweg zur Verfügung stelle, sondern durch die Bedienung von Weichen, Signalen, Melde- und Sicherheitseinrichtungen einen selbstständigen Teil des Bahnbetriebs aktiv beeinflusse und damit die hiervon ausgehenden Gefahren abzuwenden oder zu verringern verpflichtet sei. Bei dem vorübergehenden Abstellen eines Waggons auf einem Abstellgleis handele es sich zudem um einen Vorgang im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Schienenbahn, gerade wenn das Abstellen unterhalb einer stromführenden Oberleitung erfolge, denn auch in diesem Fall gehe von stillstehenden Fahrzeugen eine Gefahr aus. Darüber hinaus meint der Kläger, die Beklagte zu 1) habe ihre Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt, indem sie weder auf dem Gelände, noch an den Strommasten oder am Waggon selbst Warnschilder oder piktografische Darstellungen aufgestellt habe. Ebenso habe sie versäumt, zumindest den Bereich der Strommasten und Oberleitungen mit Zäunen abzusichern, was aufgrund der konkreten Umstände erforderlich gewesen sei. Denn aufgrund der Nähe des Bahngeländes zum Wohngebiet - insbesondere zu der nahegelegenen Einrichtung für Kinder und Jugendliche - und der zum Spielen einladenden Beschaffenheit des Geländes, habe die Beklagte zu 1) mit spielenden Kindern auf dem Bahngelände und auch mit einem Besteigen der Waggons durch Kinder oder Jugendliche rechnen müssen. Der abgestellte Waggon habe, unter anderem aufgrund der fest angebrachten Leiter, ebenfalls einen besonderen Anreiz zum Spielen geboten. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zu 1) vor den Gefahren durch stromführende Oberleitungen warnen müssen.

Des Weiteren ist der Kläger der Ansicht, auch die Beklagte zu 2) habe als Betreiberin des betreffenden Waggons Verkehrssicherungspflichten verletzt, da dieser nicht mit den erforderlichen Warnhinweisen versehen gewesen sei. Selbst wenn es sich um einen Waggon eines französischen Halters gehandelt haben sollte, was der Kläger bestreitet, befreie eine Zulassung des Waggons in Frankreich die Beklagte zu 2) nicht von einer Verantwortlichkeit, denn sie müsse trotzdem sicherstellen, dass die von ihr geführten Wagen ordnungsgemäß mit Warnschildern ausgestattet seien.

Ein etwaiges eigenes Verschulden, so meint der Kläger, sei aufgrund der besonderen Anreize des Bahngeländes und der fehlenden Warnschilder im Rahmen der Haftung nicht oder höchstens zu einem Drittel zu berücksichtigen. Er hält nach alledem - selbst bei Anrechnung eines eigenen Mitverschuldens - ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 EUR für angemessen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass keine Verjährung seiner Ansprüche eingetreten sei. Im Hinblick auf die Beklagte zu 1). habe sein Antrag auf Prozesskostenhilfe vom 23. September 2015 die Verjährung gehemmt, da seine Mutter das alleinige Sorgerecht besessen habe und demnach den Antrag allein habe unterzeichnen können. Im Hinblick auf die Beklagte zu 2) behauptet der Kläger, er habe erst im Verlaufe des streitgegenständlichen Verfahrens - und zwar durch die mit Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 1. August 2019 überreichten Anlagen und den weiteren Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 30. September 2019 - Kenntnis davon erlangen können, dass Betreiberin des in Rede stehenden Waggons die Beklagte zu 2) sei. Selbst aus den Ermittlungsakten der Polizei habe sich kein Hinweis darauf ergeben, wer den Waggon betrieben habe. Nur die Eisenbahnunternehmen selbst hätten Verzeichnisse, aus denen Daten wie Halter, Eigentümer und Einsatz der Waggons hervorgehe.

Unter dem 2. September 2019 hat der Kläger zunächst gegen die Beklagte zu 1) und die Streitverkündete XXX XXXXXXXXXX XXXX Klage erhoben, die Klage mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2019 auf die jetzige Beklagte zu 2) erweitert und schließlich mit Schriftsatz vom 29. Juni 2020 gegen die XXX XXXXXXXXXX XXXX zurückgenommen. Diese stimmte der Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 13. Juli 2020 zu.

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,

  2. 2.

    Festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu 75 % zu ersetzen, der aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 27. April 2012 in XXXXXXXXXXX, XXXXXXXXX/Güterbahnhof/Abstellgleis beruht.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, am oberen linken Ende der Leiter des vom Kläger erklommenen Waggons seien drei handtellergroße, farbige Piktogramme angebracht gewesen, die auf die Gefahr eines tödlichen Stromschlags von der Oberleitung hingewiesen hätten und vom Fuß der Leiter aus deutlich zu erkennen gewesen seien. Die Inhaberin des Waggons, die Firma XXXXXX, habe sämtliche ihrer Waggons mit entsprechenden Warnhinweisen auf der linken Seite der Leiter versehen. Zudem habe sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf dem Grundstück zwischen dem Ende des XXXXXXXXX und den Eisenbahnanlagen ein Maschendrahtzaun befunden, der zwar teilweise niedergetreten gewesen sei, aber deutlich gemacht habe, dass der Zutritt zum Gelände verboten sei. Ergänzend behauptet die Beklagte zu 2), dass es sich bei dem auf dem von ihr als Anlage SV5 vorgelegten Foto vom 27. September 2013 um den vom Kläger erklommenen Kesselwagen handele. Der Waggon habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls im gleichen Zustand wie auf dem Foto befunden und sei dementsprechend ordnungsgemäß mit dem gängigen Warnschild ausgestattet gewesen. Das dort erkennbare gelbe Warnschild mit einem Blitz-Symbol links oben neben der Aufstiegshilfe sei auf den vom Kläger eingereichten Bildern und Videoaufnahmen von der Leiter verdeckt gewesen. Im Übrigen handele es sich bei dem vom Kläger erklommenen Waggon um ein in Frankreich zugelassenes Fahrzeug eines französischen Fahrzeughalters. Die Zulassung werde von einer französischen Behörde verwaltet und die Beklagten hätten keinen Einfluss auf die Beschilderung oder sonstige Gestaltung der Wagen gehabt. Sie meint, aufgrund der hoheitlichen Zulassung sei der ordnungsgemäße Zustand des Fahrzeugs ohnehin festgestellt.

Darüber hinaus behaupten die Beklagten die mehr als 5 m hohe Böschung, auf der die Gleise verliefen, und der vorhandene Zaun hätten auch Kindern und Jugendlichen deutlich gemacht, dass ein Betreten oder Spielen im Bereich der Gleisanlagen nicht erlaubt sei. Aufgrund der hohen Böschung sei es auch nicht ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, die Gleisanlagen zu betreten und von dort auf die untere Plattform des Waggons zu gelangen. Vor dem Unfall habe der Zeuge XXXXXXX noch versucht, den Kläger vom Besteigen des Waggons abzuhalten und ihn ausdrücklich auf die Gefährlichkeit seines Vorhabens hingewiesen. Der Kläger habe jedoch nur entgegnet, er passe schon auf, und sei weitergeklettert. Auf dem Kesselwagen habe er sich geduckt bewegt, weil ihm die Gefahr der Oberleitung bewusst gewesen sei. Beide Kinder hätten vor dem Unfall eine schulische Informationsveranstaltung zu den Gefahren von Bahnanlagen besucht. Zudem sei der Kläger wiederholt durch seine Mutter darauf hingewiesen worden, dass ein Betreten der Eisenbahnanlagen und Gleise verboten und mit Gefahren auch durch die Oberleitungen verbunden sei. Der Kläger habe die diese Gefahren erkannt und sich - sämtliche Warnungen ignorierend - bewusst darüber hinweggesetzt. Dabei sei ihm auch das Risiko schwerster Verletzungen und gegebenenfalls des Todes bekannt gewesen. Selbst bei Vorhandensein weiterer Warnschilder hätte er nicht von seinem Vorhaben abgesehen. Der Kläger habe, als er den Stromschlag erlitten habe, die Oberleitung entweder berührt oder sei weniger als 5 cm von ihr entfernt gewesen.

Die Beklagte zu 1) ist der Auffassung, sie habe sich nicht pflichtwidrig verhalten, insbesondere sei sie nicht verpflichtet gewesen, das Bahngelände gegen das Betreten von Unbefugten zu sichern. Eine flächendeckende Einfriedung sämtlicher Gleisanlagen sei schon aus praktischen Gründen weder möglich noch zumutbar. Sie, die Beklagte zu 1), treffe im Übrigen keine Verantwortlichkeit für die Anbringung von Warnhinweisen an den Waggons der Beklagten zu 2. Sie sei nicht Betreiberin des Güterwaggons gewesen und damit weder verpflichtet gewesen, dort Schilder anzubringen, noch müsse sie sich eine etwaige schuldhafte Pflichtverletzung der Betreiberin zurechnen lassen. Die Beklagte zu 2) trägt ergänzend vor, dass eine Verantwortlichkeit für fehlende Warnhinweise am Waggon bereits mangels Einflussmöglichkeit auf die konkrete Gestaltung des ausländischen Waggons ausscheide. Beide Beklagte sind ferner der Ansicht, dass auch eine Gefährdungshaftung aus dem Haftpflichtgesetz nicht in Betracht komme, insbesondere, weil sich der Unfall nicht bei dem Betrieb einer Schienenbahnanlage ereignet habe, sondern nach dem ordnungsgemäßen Abstellen des Waggons. Zudem habe der Kläger den erlittenen Schaden in besonders leichtfertiger Weise selbst herbeigeführt, weshalb eine Haftung der Beklagten schon wegen weit überwiegenden Mitverschuldens entfalle. In jedem Fall fehle es an der erforderlichen Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung durch Unterlassen, da ein pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens nicht verhindert hätte.

Die Beklagten erheben schließlich die Einrede der Verjährung. Die Beklagte zu 1) meint, dass die Bekanntgabe des Antrags auf Prozesskostenhilfe vom 23. September 2015 mangels ordnungsgemäßer Antragstellung die Verjährung nicht gehemmt habe. Sie behauptet, dass die Antragstellung durch beide Eltern gemeinschaftlich hätte erfolgen müssen. Die Beklagte zu 2) behauptet, der Kläger habe noch im Jahr 2012 sämtliche in den Betrieb des betreffenden Waggons involvierte Unternehmen ermitteln können und müssen. Entsprechende Hinweise hätten sich sowohl aus der Ermittlungsakte als auch aus den vom Kläger selbst vorgelegten Videoaufnahmen ergeben, auf welchen die prägnanten Farben und Aufschriften der Lok beziehungsweise der Waggons zu erkennen gewesen seien. Darüber hätte auch die Beklagte zu 2) innerhalb von Minuten durch eine Internetrecherche identifiziert werden können. Da auf den vorliegenden Videoaufzeichnungen die Adresse und Telefonnummer der Firma XXXXXX zu erkennen sei, was insofern unstreitig ist, habe ein Anruf oder eine schriftliche Anfrage bei XXXXXX genügt, um das Unternehmen herauszufinden, das den betreffenden Waggon bewegt habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat den Kläger informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen XXXXXX, XXXX, XXXXXX, XXXXXXXXXX, XXXXXXX, XXXXX, XXXXX, XXXXXXXXX, XXXXXXX, XXXXXX und XXXXX. Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich der Anhörung und des Ergebnisses der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2020 (Bl. 1 ff. Bd. III d. A.), im Übrigen auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. (XX) Medientechnik XXX XXXXX vom 29. Juli 2022 (Sonderband Gutachten) und das Protokoll seiner ergänzenden Anhörung vom 3. Februar 2023 (Bl. 29 ff. Bd. III d. A.) Bezug genommen.

Die Ermittlungsakte 650 AR 30801/12 der Staatsanwaltschaft Oldenburg war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere im Hinblick auf den Feststellungsantrag zu 2.

Ein gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliches Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines absoluten Rechtsguts ist bereits zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten (vgl. BGH, Urteil vom 07. Mai 2019 - II ZR 278/16, juris, Rn. 31). Dies kann nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 09. Januar 2007 - VI ZR 133/06, juris, Rn. 5). Vorliegend ist wegen der schwerwiegenden und dauerhaft fortbestehenden Beeinträchtigung des Klägers nach dem Verlust beider Unterschenkel und des linken Arms mit weiteren Behandlungen zur Verbesserung der Beweglich- und Belastungsfähigkeit und einem hierauf beruhenden materiellen und immateriellen Schaden zumindest zu rechnen.

II.

Die Klage ist auch im tenorierten Umfang begründet.

Der Kläger hat gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 1/2 - in Höhe von 150.000 Euro. Des Weiteren hat er einen Anspruch auf Ersatz künftiger materieller und noch nicht vorhersehbarer immaterieller Unfallschäden ebenfalls unter Berücksichtigung seines hälftigen Mitverschuldens.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 1) ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB sowie §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 4, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz zu. Die Beklagte zu 1) haftet jedoch wegen Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 1 BGB, § 4 Haftpflichtgesetz lediglich nach einer Quote von 50 %.

a) Der Kläger hat gegen die Beklagte zunächst einen Anspruch aus § 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB. Die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass durch ein Verhalten des Beklagten ein geschütztes Rechtsgut des Klägers rechtswidrig und schuldhaft verletzt wurde und er hierdurch einen Schaden erlitten hat. Der Beklagten zu 1) fällt eine schuldhafte Verletzung einer ihr gegenüber dem Kläger obliegenden Verkehrssicherungspflicht zur Last, die zu einer Verletzung geführt hat.

aa) Für die Beklagte zu 1) bestand jedenfalls auf dem in ihrem Eigentum stehenden Gelände des Bahndamms und den Schienentrassen eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber Personen und insbesondere gegenüber spielenden Kindern. Sie betreibt als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (vgl. Bl. 46 Bd. I d.A.) unstreitig das Schienennetz der Deutschen Bahn und ist dementsprechend zur Sicherung der Gleisanlagen und zur Abwehr der von den elektrischen Oberleitungen ausgehenden Gefahren verpflichtet.

(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Es sind die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2023 - VI ZR 19/22, Rn. 13, juris, m.w.N.; BGH, Urteil vom 19. Januar 2021 - VI ZR 194/18, juris, Rn. 8 f). Zwar kann ein Verkehrssicherungspflichtiger je nach dem Maß, in welchem eine Gefahr sich offensichtlich aufdrängt, darauf vertrauen, dass sich andere Personen - darunter auch Kinder und Jugendliche - dieser Gefahr aus ihrem natürlichen Angstgefühl nicht bewusst aussetzen. Bei Minderjährigen gilt der Vertrauensgrundsatz jedoch nur eingeschränkt, so dass ihre verminderten Kompetenzen durch entsprechend gesteigerte Sorgfaltspflichten der anderen Seite zu kompensieren sind. Zum einen ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Kinder weniger als Erwachsene zur selbstständigen Gefahrsteuerung im Eigeninteresse befähigt sind. Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass Kinder dazu neigen, sich aus Übermut oder Leichtsinn selbst in Gefahrenlagen zu bringen, die jeder Erwachsene vermeiden würde. Anders als sonst muss der Verkehrssicherungspflichtige darauf reagieren und Maßnahmen ergreifen, die Kinder wirksam daran hindern, sich selbst ganz bewusst schwersten Gefahren auszusetzen (vgl. MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 488). Dabei ist auch von Bedeutung, inwieweit die Gefahrenquelle offensichtlich ist. Insofern umfasst die Verkehrssicherungspflicht zum Schutz spielender Kinder in aller Regel auf solche Gefahren, die ihnen verborgen bleiben oder denen sie aus anderen Gründen nicht ausweichen können (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, juris, Rn. 13, m.w.N.).

(2) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die Beklagte mit Blick auf die elektrischen Oberleitungen über der Schienentrasse gehalten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder - etwa durch geeignete piktographische Darstellungen oder aussagekräftige stationäre Warntafeln im Bereich der Abstellgleise oder an den Strommasten - darauf hinzuweisen, dass von den räumlich mit den Waggons nicht zusammenhängenden Oberleitungen die Gefahr eines Stromschlags ausgeht, und zwar auch dann, wenn diese nicht direkt berührt werden. Gerade wenn die unter den Oberleitungen abgestellten Waggons, wie hier, durch fest angebrachten Leitern eine Aufstiegshilfe enthalten, die spielende Kinder zum Erklettern des Waggons verlocken kann, muss ihnen deutlich gemacht werden, dass sie sich bei Erreichen des Dachs in die Nähe der Oberleitung und damit in unmittelbare Lebensgefahr begeben (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995, aaO, Rn. 13, 15; OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998 - 7 U 173/97, juris, Rn. 33; BeckOGK/Ballhausen, 1.6.2023, HPflG § 12 Rn. 75). Denn Kinder oder Jugendliche verfügen - selbst wenn sie körperlich zum Erklettern von auf den Gleisen abgestellten Waggons in der Lage sind - in der Regel nicht über eine derartige Lebenserfahrung und ein solches technisches Grundwissen, dass sie die von der unter Hochspannung stehenden Oberleitung ausgehenden Gefahren kennen und richtig einschätzen können (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995, aaO, Rn. 13, 15, wonach selbst ein im Bereich einer Steigleiter des Waggons angebrachter Blitzpfeil für Kinder nicht als Warnung vor der Gefahr eines elektrischen Schlags ausreicht).

(3) Vor diesem Hintergrund ist, entgegen der Ansicht der Beklagten zu 1), unerheblich, ob der Kläger zum Betreten der Bahnanlage und des Tankwaggons nicht berechtigt war und etwa gegen Vorschriften der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) verstoßen hat. Selbst wenn grundsätzlich gegenüber Personen, die sich unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben, keine Verkehrssicherungspflicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 1987 - VI ZR 114/86, juris, Rn. 12; Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Aufl., § 823, Rn. 47; BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 823 Rn. 419), gilt dieser Grundsatz im Verhältnis zu Kindern nur mit erheblichen Einschränkungen. Diesen gegenüber besteht vielmehr regelmäßig eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht mit Rücksicht auf ihre Unerfahrenheit, ihren Bewegungsdrang und Spieltrieb (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - I-9 U 135/13, NJOZ 2014, 1224 ff.). Kinder sind vor den Folgen ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen, unabhängig davon, ob sie sich befugterweise in einen Gefahrenbereich begeben oder bewusst Vorschriften missachten. Denn Kinder vermögen, anders als Erwachsene, nur in beschränktem Ausmaß Gefahren zu erkennen und sich selbst zu schützen (vgl. BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 823 Rn. 423). Daher darf sich ein Grundstückseigentümer und erst recht der Betreiber einer gefährlichen Anlage nicht darauf verlassen, dass sich Kinder nicht unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben, wenn dieser besonderen Anreiz für den kindlichen Spieltrieb bietet und die damit verbundenen Gefahren für ein Kind nicht ohne weiteres erkennbar sind. Bei einer derartigen Gefahrenlage hat er auf Dauer angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Kinder vor den Folgen ihrer Unbesonnenheit und Unerfahrenheit zu schützen, wenn ihm bekannt ist oder sein muss, dass sie das Grundstück zum Spielen benutzen, und die Gefahr besteht, dass sie sich an den dort befindlichen gefährlichen Gegenständen zu schaffen machen und dabei Schaden erleiden können (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2021 - VI ZR 194/18, juris, Rn. 11, m.w.N.; BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, juris, Rn. 9; OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998 - 7 U 173/97, juris, Rn. 33). Gerade Güterwaggons auf einem Abstellgleis bieten für Kinder und Jugendliche im damaligen Alter des Klägers einen besonderen Anreiz, sie näher zu erkunden und sie zu diesem Zweck zu besteigen, auch mit Rücksicht auf die Faszination, welche die Eisenbahn sowohl als Verkehrsmittel, aber auch als Spielzeug allgemein ausübt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 07. November 1991 - 9 U 45/91, NZV 1993, 111). Die Verkehrssicherungspflicht trifft namentlich auch die Beklagte zu 1) hinsichtlich der Gefahren, die auf ihren Gleisgrundstücken von elektrischen Oberleitungen ausgehen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998, aaO, Rn. 33), und zwar auch dann, wenn im Einzelfall ein nicht in ihrem Eigentum stehender Waggon auf dem Abstellgleis abgestellt ist.

(4) Im vorliegenden Fall war der in den Unfall involvierte, unter den Oberleitungen abgestellte Waggon mit einer fest angebrachten Leiter versehen, die für Kinder und Jugendliche einen besonderen Anreiz zum Erklettern des Waggons bot und dazu führte, dass der Waggon besonders leicht bis zum Dach zu besteigen war. Da derartige Aufstiegshilfen an Güterwaggons nicht unüblich sind, musste die Beklagte zu 1) auch mit einem Abstellen eines mit Steigleiter versehenen Waggons unter ihren stromführenden Oberleitungen rechnen, so dass hinsichtlich der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht unerheblich ist, ob der konkrete Waggon in ihrem Eigentum stand oder nicht.

Darüber hinaus legten die örtlichen Gegebenheiten den Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen im unmittelbaren Bereich des Abstellgleises bzw. der Unfallörtlichkeit nahe, so dass die Beklagte zu 1) mit einem Betreten des Gleisgeländes und dem Besteigen eines dort abgestellten Güterwagens hätte rechnen und geeignete Vorkehrungen hiergegen hätte treffen müssen. Die Schienentrasse grenzte unstreitig an ein Wohngebiet und war über ein mit Gras und Büschen bewachsenes, unbefestigtes Gelände erreichbar, das unmittelbar an eine Sackgasse anschloss und bereits für sich Anreiz für Kinder zum Spielen und Toben bot. Wie auf den in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen Videoaufzeichnungen und Lichtbildern der Polizeiinspektion Delmenhorst vom Unfalltag sowie auf den vom Kläger vorgelegten Fotos von der Unfallstelle (Blatt 12 ff., 86 ff. Bd. I, Blatt 10 ff. Bd. II d. A.) zu sehen ist, lagen die Schienen zwar etwas erhöht auf einem Wall, waren jedoch aufgrund des seichten Anstieg und des festen Grasbewuchses unproblematisch zu erreichen. Dass, wie die Beklagten behaupten, erhebliche Höhenunterschiede zu überwinden gewesen seien, um auf den Bahndamm zu gelangen, ergibt sich aus den Lichtbildern und Aufzeichnungen nicht.

Des Weiteren steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich zum Unfallzeitpunkt in unmittelbarer Nähe zum Unfallort eine Jugendhilfestiftung befand, in der Jugendliche für unterschiedlich lange Zeiträume vollstationär untergebracht waren, und dass sich diese bereits vor dem Unfall regelmäßig auf dem Gelände vor den Bahnschienen aufhielten.

In diesem Zusammenhang hat die Zeugin XXXXXXXXXX glaubhaft und lebensnah bestätigt, dass sich im XXXXXXXXX XX eine Jugendhilfestiftung befindet deren Geschäftsführerin sie ist und erläutert, dass es sich um eine Inobhutnahmestelle für 10 bis 12 Jugendliche handele, die dort manchmal nur kurz, manchmal aber auch für 3 bis 4 Jahre untergebracht seien. Beim Einzug bekämen die Jugendlichen Unterlagen und Regeln mitgeteilt, wobei sie insbesondere darauf hingewiesen würden, nicht auf das Bahngelände zu gehen. Es habe sogar die Anweisung an alle Mitarbeiter gegeben, dass Jugendliche bei längerem Aufenthalt auf dem Bahngelände unter Zuhilfenahme der Polizei abgeholt werden müssten, denn es habe sich dort unter anderem ein Turm mit außenliegenden Steigeisen befunden, die brüchig und deswegen sehr gefährlich gewesen seien. Sie bzw. ihre Mitarbeiter mussten trotz der Hinweise immer wieder spielende Jugendliche von dem Gelände abholen, da das Gelände sehr spannend für diese gewesen sei. Dies sei im Zeitraum des Unfalls und auch zum Zeitpunkt der Vernehmung noch so gewesen, wobei das Gelände nun besser gesichert sei; mittlerweile sei ein Zaun entstanden. Zum Unfallzeitpunkt habe sich zwar auch ein Zaun an der Grenze zum Gelände der Einrichtung gefunden, der aber so abgängig und mit derart großen Löchern versehen gewesen sei, dass sie selbst dort hindurchgepasst habe. Weiter hat die Zeugin XXXXXXXXXX berichtet, dass es abgesehen von den spielenden Jugendlichen auch ein- bis zweimal im Jahr Fälle mit suizidgefährdeten Jugendlichen gegeben habe, die zum Bahndamm gelaufen seien.

Ihre Angaben stimmen zudem überein mit den ebenfalls glaubhaften Aussagen der Zeugen XXXXXX und XXXX, die in ihrer Vernehmung bestätigt haben, dass sich regelmäßig Jugendliche auf dem Grundstück vor dem Bahndamm aufgehalten hätten. Der Zeuge XXXXXX hat insofern bekundet, das Gelände sei frei zugänglich gewesen und er habe immer wieder Personen mit Hunden und auch Jugendliche von dort auf den XXXXXXXXX kommen sehen. Der Zeuge XXXX der direkt gegenüber dem Jugendhilfeheim gewohnt hat und mit seinem Frettchen auf dem Gelände vor den Schienentrassen spazieren gegangen ist, bestätigte, dass sich auch Jugendliche dort aufgehalten und gespielt hätten. Den Bahndamm selbst habe er nicht betreten, aber es seien viele Personen am Bahndamm entlang Richtung Innenstadt gelaufen oder gefahren. Tatsächlich habe es sich um eine Art Schleichweg handelt. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussagen zu zweifeln. Die Angaben der Zeugen XXXXXX und XXXX waren in sich schlüssig und widerspruchsfrei.

Schließlich hat auch der Zeuge XXXXX in seiner Vernehmung glaubhaft bekundet, dass in unmittelbarer Nähe zum Unfallort eine Jugendschutzstelle gewesen sei. Unter Bezugnahme auf die Liegenschaftskarte vom 23. Februar 2015 (Blatt 11a Bd. I d.A.) hat er angegeben, auf dem Flurstück 59/15 - gemeint sein dürfte 59/5 - befinde sich die Jugendschutzstelle sowie dahinter ein alter Lokschuppen und andere leerstehende Räumlichkeiten. Dies sei regelmäßiger Spielort für Kinder und Jugendliche gewesen. Immer wieder habe er in seiner Tätigkeit als Polizeihauptkommissar damit zu tun gehabt. Ob er konkret auch mit Einsätzen spielender Kinder auf dem Bahndamm befasst gewesen sei, konnte der Zeuge indes nicht mehr erinnern. Insofern waren auch die Aussagen der Zeugen XXXXXXX und XXXXX hinsichtlich der Frage, ob es am Unfallort bereits Einsätze wegen spielender Kinder am Bahndamm oder auf dem Bahngelände gab, unergiebig. Auf diesen Umstand kommt es jedoch im Ergebnis nicht an. Es steht jedenfalls zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich bereits vor dem Unfall regelmäßig Kinder und Jugendliche, unter anderem aus der angrenzenden Jugendhilfestiftung, auf dem Gelände vor den Bahnschienen aufhielten und dort spielten.

Unter Berücksichtigung des Ergebnisses der vorstehend geschilderten Zeugenaussagen musste die Beklagte zu 1) insbesondere mit Blick auf die direkt angrenzende Wohnbebauung und die naheliegende Jugendhilfeeinrichtung damit rechnen, dass Kinder und Jugendliche auf dem Gelände vor den Gleisanlagen spielen, von dort den Bahndamm betreten und die auf den Schienen abgestellte Waggons besteigen würden, so dass sie in die Nähe der Oberleitung geraten. Dies gilt umso mehr, da sich nach der glaubhaften Aussage des Zeugen XXXX direkt am Bahndamm entlang ein Schleichweg zur Innenstadt gebildet hatte, so dass davon auszugehen ist, dass dieser Bereich von vielen Personen frequentiert wurde und somit einem breiten Publikum - darunter auch Kindern und Jugendlichen - bekannt war.

(5) Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zu 1) geeignete Sicherungsvorkehrungen treffen müssen, um andere Personen vor den von den Oberleitungen ausgehenden Gefahren zu schützen. Selbst wenn nicht verlangt werden kann, alle nur erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um das Betreten ihrer Gleisanlagen durch Unbefugte, insbesondere durch Kinder und Jugendliche, zu unterbinden, war sie jedenfalls unter den hier gegebenen besonderen, sich aus der Örtlichkeit und der Beschaffenheit des Waggons ergebenden gefahrerhöhenden Umständen gehalten, gezielte Warnhinweise durch piktographische Darstellungen oder Warntafeln aufzustellen, welche unmissverständlich klarmachen, dass die Gefahr eines tödlichen Stromschlags von der Oberleitung ausgeht. Die Verkehrssicherungspflicht erfordert es, mit der Warnung die Gefahrenquelle möglichst so genau darzustellen, dass Kinder und Jugendliche erkennen, auf welche Gefahr sie sich einstellen müssen und durch welches Verhalten sie sie vermeiden können. Deshalb muss auf die Lebensgefahr hingewiesen werden, die beim Erklettern des dazu verführenden Waggons schon von der Annäherung an die Oberleitung ausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, Rn. 16, juris).

Dabei kann sich die Beklagte zu 1) auch nicht darauf berufen, dass sie keinen Einfluss auf die konkrete Gestaltung von Warnhinweisen an dem betreffenden, nicht in ihrem Eigentum stehenden Tankwaggon gehabt habe, da sie ihrer Verkehrssicherungspflicht durch deutliche Hinweise in dem in ihrem Eigentum stehen Bereich des Bahndamms, der Abstellgleise und Strommasten hätte nachkommen können, etwa durch Anbringung eines Schildes "Hochspannung, Lebensgefahr!" oder eines Piktogramms, das gerade vor den von der Oberleitung ausgehenden Gefahren warnt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30).

bb) Die ihr nach den obigen Ausführungen obliegende Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte zu 1) verletzt.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich zum Zeitpunkt des Unfalls keine Warn- oder Hinweisschilder im Bereich des Bahndamms befunden haben, die vor den mit der Oberleitung verbundenen Gefahren eines Stromschlags gewarnt haben.

(1) Die in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen Videosequenzen sowie Fotos der Polizeiinspektion XXXXXXXXXXX zeigen im dort abgebildeten Unfallbereich keinerlei Warn- oder Hinweisschilder, und zwar weder an den Strommasten, noch auf dem Bahndamm bzw. vor der Böschung zur Schienentrasse. Gleiches gilt für die vom Kläger mit Prozesskostenhilfeantrag vom 23. September 2015 (Blatt 12 ff. Bd. I d. A.) sowie mit Schriftsätzen vom 19. Januar 2016 (Blatt 86 ff. Bd. I d. A.) und 17. Juni 2019 (Blatt 10 ff Bd. II d. A.) vorgelegten Lichtbilder. Die mit klägerischem Schriftsatz vom 17. Juni 2019 vorgelegte Videoaufzeichnung der Firma XXXXXXXXXXX (Blatt 7 Bd. II d. A.) ist mit der in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Videosequenz der Polizeiinspektion XXXXXXXXXXX identisch.

Ein Hinweis darauf, dass das Betreten der Gleisanlagen und insbesondere das Erklettern der Waggons mit Gefahren verbunden ist, kann auf sämtlichen Bildern und Videoaufzeichnungen vom Unfallort nicht erkannt werden. Insbesondere sind keine Schilder oder Warntafeln zu sehen, die auf die mit der Oberleitung verbundenen Gefahren eines Stromschlags hinweisen. Diese Aufnahmen erfassen immerhin einen längeren Abschnitt des Bahndamms. Soweit auf den mit klägerischem Schriftsatz vom 19. November 2015 als Anlage 4 vorgelegten Lichtbildern Warnhinweise an den Pfeilern für die Oberleitungen erkennbar sind (Blatt 70 f. Bd. I d. A.), wurden diese nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers erst nach dem Unfall angebracht.

(2) Darüber hinaus hat die Zeugin Bremer angegeben, dass sie einige Zeit nach dem Unfall, im Jahr 2013, als freie Mitarbeiterin des Klägervertreters die Unfallstelle begutachtet und auch zu diesem Zeitpunkt noch keine Warnschilder oder Absperrung auf dem Gelände wahrgenommen habe. An den Masten am Bahndamm habe sie ebenfalls keine Schilder gesehen, worauf sie extra geachtet habe. Die Angaben der Zeugin sind glaubhaft und nachvollziehbar. Ihre Aussage war authentisch und lebensnah. Die Zeugin konnte auf Rückfrage den Zeitraum ihrer Begutachtung der Unfallstelle noch konkret eingrenzen, da sie im Jahr 2014 nicht mehr als freie Mitarbeiterin beim Klägervertreter tätig gewesen sei. Die Angaben der Zeugin XXXXXX sprechen ebenfalls dafür, dass sich zum Zeitpunkt des Unfalls noch keine Warnschilder vor oder auf dem Bahndamm befunden haben, die auf die mit der Oberleitung verbundenen Gefahren eines Stromschlags hingewiesen haben.

(3) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Zeugin XXXXXXXXXX bekundet hat, auf dem Gelände am Ende des Winterwegs, hinter dem Gebäude der Jugendeinrichtung am XXXXXXXXX XX, habe sich ein altes Gebäude befunden und an diesem habe ein Warnschild mit der Aufschrift "Betreten verboten" gehangen. Unter Vorhalt des als Anlage zu Protokoll genommenen Ausdrucks von Google Maps vom 13. November 2018 hat die Zeugin näher erläutert, dass es sich dabei um ein Gebäude außerhalb des Bildbereichs handele, das sich noch rechtsseitig der Jugendeinrichtung am XXXXXXXXX XX befinde. Damit ist ein Bezug dieses Schildes zu den Schienentrassen bereits aufgrund der Entfernung zum Bahndamm nicht ersichtlich, abgesehen davon, dass es überhaupt nicht vor den von den Oberleitungen ausgehenden Gefahren warnte, sondern lediglich ein Betreten untersagte. Da das Schild nach den Angaben der Zeugin am Gebäude angebracht war, dürfte er vielmehr den Zugang zu diesem selbst untersagt haben.

(4) Angaben zu Warnschildern am Bahndamm selbst konnte die Zeugin XXXXXXXXXX nicht machen. Ebenso wenig konnten sich die Zeugen XXXXXXXXX, XXXXXXX, XXXXX, XXXXX, XXXXXXX, XXXXXX und XXXX an Schilder am Unfallort, insbesondere an den Waggons oder an Bahndamm, erinnern. Ihre Aussagen waren insofern unergiebig. Hierauf kommt es indes nicht mehr an, da das Gericht nach Inaugenscheinnahme der vorstehend aufgeführten Videosequenzen und Lichtbilder in Zusammenschau mit der glaubhaften Aussage der Zeugin XXXXXX von einem Fehlen entsprechender Warnschilder überzeugt ist.

cc) Gleichwohl war die Beklagte zu 1) im Rahmen der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten nicht gehalten, den Bahndamm so einzufrieden und abzusperren, dass insbesondere Kindern und Jugendlichen der Zutritt zu den Schienentrassen unmöglich gemacht wird. Insofern kann dahinstehen, ob, wie der Kläger behauptet, auf dem Gelände vor dem Bahndamm lediglich ein völlig veralteter und heruntergetretener Zaun stand, dessen Draht überwiegend vom Sand verdeckt war.

Eine Verpflichtung der Beklagten zu 1), Unbefugte von ihren Gleisanlagen durch Zäune oder Absperrungen fernzuhalten, besteht grundsätzlich nicht. Die Einfriedung sämtlicher Schienentrassen erscheint bereits aus praktischen Gründen nicht zumutbar. Eine entsprechende Pflicht wird daher von der obergerichtlichen Rechtsprechung allgemein und insbesondere auch für elektrifizierte Anlagen verneint (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30; OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998 - 7 U 173/97, juris, Rn. 35; OLG Karlsruhe, Urteil vom 07. November 1991 - 9 U 45/91, NZV 1993, 111; s.a. Filthaut/Piontek/Kayser/Kayser, 10. Aufl. 2019, HPflG, § 12, Rn. 58; Kunz/Kramer, Eisenbahnrecht, HPflG § 12, Rn. 50; BeckOGK/Ballhausen, 1.6.2023, HPflG § 12 Rn. 75; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 488). Der Bahnbetrieb ist generell nicht mit Risiken und Gefahren behaftet, die wegen ihrer schweren Erkennbarkeit eine Einfriedung erforderlich machen. Dementsprechend sieht auch die Eisenbahnbetriebsordnung eine allgemeine Einzäunungspflicht nicht vor (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94 NZV 1996, 30). Dass im hier zu entscheidenden Fall außergewöhnliche Umstände gegeben waren, die eine andere Beurteilung erforderlich machen, vermag das Gericht auch mit Blick auf die angrenzende Wohnbebauung und die naheliegende Jugendeinrichtung nicht zu erkennen. Eine Wohnbebauung in der Nähe von Schienentrassen ist nicht unüblich. Zudem realisiert sich die gerade von den elektrischen Oberleitungen ausgehende Gefahr erst, wenn durch Erklettern von Masten oder Waggons eine gewisse Nähe zu den Stromleitungen hergestellt wird. Diese Gefahr macht aussagekräftige Warnungen vor der Gefahrenquelle erforderlich und zumutbar, nicht aber eine Einzäunung des gesamten Bahngeländes. Das gilt auch für eine mögliche Schädigung von Kindern (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.06.1995, aaO; OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998, aaO).

dd) Aufgrund der Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zu 1) ist es zu einer erheblichen Gesundheitsbeschädigung des Klägers gekommen. Unstreitig erlitt der Kläger bei dem Unfall schwere Brandverletzungen, infolge derer sein linker Arm und die beiden Unterschenkel amputiert werden mussten.

Der Verstoß der Beklagten zu 1) gegen die Verkehrssicherungspflicht ist für den Unfall des Klägers auch ursächlich geworden. Die Gefahr, der mit einem deutlichen Warnhinweis auf die stromführenden Oberleitungen begegnet werden soll, nämlich, dass Kinder bei Annäherung an die Leitung einen lebensbedrohlichen Stromschlag erleiden, hat sich im Falle des Klägers gerade verwirklicht. Das Unterlassen hinreichender Maßnahmen zur Sicherung dieser Gefahr ist für den Schaden kausal, da pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - VI ZR 63/11, BGHZ 192, 298-305, zitiert nach juris, Rn. 10).

Nach der zuvor dargestellten obergerichtlichen Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Fällen kann zwar von den für den Betrieb der Eisenbahnanlage Verantwortlichen im Hinblick auf ihre zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht nicht verlangt werden, sämtliche Gleisanlagen einzuzäunen oder sonst jede erdenkliche Maßnahme zu ergreifen, um eine lebensgefährliche Annäherung an die stromführenden Oberleitungen von vorneherein zu unterbinden (s.o. unter Ziff. II. 1. a) cc)). Allerdings sind zumindest vorbeugende Maßnahmen in Form von eindrücklichen Hinweisen an den Waggons oder im Bereich der Gleise, die deutlich vor den gerade von der Oberleitung ausgehenden Gefahren warnen und auch für Kinder der regelmäßig betroffenen Altersgruppe verständlich sind, zu treffen (vgl. insb. BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, Rn. 13, 15, juris; s.o. unter Ziff. II. 1. a) aa)). Damit geht die obergerichtliche Rechtsprechung ganz offensichtlich davon aus, dass derartige ausdrückliche Warnhinweise auch von Kindern und Jugendlichen grundsätzlich beachtet und befolgt werden, und zwar trotz der kindlichen bzw. jugendtypischen Eigenheiten wie Unbekümmertheit, Übermut oder Mangel an Disziplin. Andernfalls wären entsprechende Anforderungen an die Pflichten der Betreiber von Bahnanlagen, die die Rechtsprechung gerade im Verhältnis zu Kindern aufstellt, von vorneherein überflüssig.

Verkehrssicherungspflichten sind nicht auf die Gefahren beschränkt, die Kinder und Jugendliche nicht erkennen können, sondern erstrecken sich auch auf diejenigen Gefahren, bei denen Verbote oder Warnungen typischerweise in den Wind geschlagen werden. Gerade der besonderen Gefährdung der Kinder, die auch durch deren Leichtsinn bedingt ist, soll mit den Verkehrspflichten Rechnung getragen werden (vgl. BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 823 Rn. 423).

In diesem Zusammenhang sind die Beklagten dem Vortrag des Klägers, auch er hätte den Waggon nicht bestiegen, wenn ein Zaun bzw. entsprechende Warnschilder aufgestellt gewesen wären, nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Der Kläger wäre durch Warnschilder im Bereich der Gleisanlagen auf die Gefahren durch die Stromleitungen aufmerksam gemacht worden. Die pauschale Behauptung, er hätte selbst bei Vorhandensein (weiterer) Warnschilder nicht von seinem Vorhaben abgesehen, entbehrt jeder Grundlage und erfolgt ins Blaue hinein. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich über eine eindeutige, den von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben entsprechende Warnung hinweggesetzt und damit leichtsinnig sein Leben aufs Spiel gesetzt hätte, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Mit dem weiteren Vortrag, der Kläger hätte jedes Schild missachtet, weil er sich selbst von den Warnungen des Zeugen XXXXXXX und der Zeugin XXXXXX nicht von seinem Vorhaben habe abbringen lassen, behauptet die Beklagte letztlich, der Kläger habe die von den Oberleitungen ausgehenden Gefahren - aufgrund der Warnungen - gekannt und sich bewusst darüber hinweggesetzt. Allerdings steht diese im Rahmen eines etwaigen Mitverschuldens relevante und von den Beklagten zu beweisende Behauptung, wie sogleich dargelegt werden wird (s. unter Ziff. II. 1. d) cc) (2)), nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gerade nicht fest. Im Hinblick auf den Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und dem Unfallereignis ist jedenfalls als unstreitig anzusehen, dass der Kläger einen eindrücklichen Warnhinweis zum Anlass genommen hätte, von einem Erklettern des Güterwaggons abzusehen, somit ein pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte.

ee) Die Beklagte zu 1) hat die ihr für die Gleisanlagen und den Bahndamm obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft, zumindest fahrlässig i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB verletzt, da sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Wie bereits unter II. 1. a) aa) eingehend dargelegt, hätte sie bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt aufgrund der örtlichen Gegebenheiten auch damit rechnen müssen, dass Kinder und Jugendliche den Bahndamm betreten und die auf den Abstellgleisen befindlichen Waggons hinaufsteigen, so dass sie geeignete Sicherungsvorkehrungen hätte treffen müssen, um diese vor den von den Oberleitungen ausgehenden Gefahren zu schützen. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht des Betreibers einer elektrifizierten Bahnanlage gelten im Übrigen seit mehr als 25 Jahren (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, a.a.O.), so dass der Beklagten zu 1) ihre schuldhafte Untätigkeit auch insofern anzulasten ist. Im Zeitpunkt des Unfalls war für sie erkennbar, dass sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen ist.

b) Die Beklagte zu 1) haftet dem Kläger darüber hinaus als Bahnunternehmerin gemäß §§ 1 Abs. 1, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, da der Kläger beim Betrieb einer Schienenbahn verletzt wurde. Gemäß § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

aa) Der tragische Unfall des Klägers ereignete sich insbesondere bei dem Betrieb einer Schienenbahn.

Die stromführenden Oberleitungen in Verbindung mit der Gleisanlage gehören zum Betrieb der von der Beklagten zu 1 unterhaltenen Schienenbahn. Unter "Betrieb" im Sinne des § 1 Haftpflichtgesetz ist zwar nicht der gesamte Bereich des Bahnunternehmens zu verstehen. Die mit dem Betrieb einer Bahn verbundenen besonderen Gefahren, die hier eine verschuldensunabhängige Haftung des Bahnunternehmers begründen, verwirklichen sich typischerweise im verkehrlichen (bahntechnischen) Teil des Bahnunternehmens, vornehmlich bei den Beförderungen und den sie unmittelbar vorbereitenden und abschließenden Vorgängen, wozu insbesondere das Ein- und Aussteigen und das Rangieren gehören. Gerade hier begünstigen die Eigentümlichkeiten des Bahnverkehrs erfahrungsgemäß das Entstehen von Unfällen, weshalb sich die besondere Bahnhaftung auf Unfälle beschränkt, die diesen Vorgängen zuzurechnen sind (vgl. statt vieler: BGH, Urteil vom 15. Januar 1963 - VI ZR 75/62, NJW 1963, 711; BGH, Urteil vom 5. März 1963 - VI ZR 15/62, NJW 1963, 1107; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 67, m.w.N.).

Erforderlich ist insofern zunächst ein innerer, kausaler Zusammenhang des Unfalls mit einer bestimmten Betriebshandlung oder -einrichtung, wobei es genügt, dass diese eine der mitwirkenden Ursachen war (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 68). Bei einem Stromschlag durch die elektrischen Oberleitungen als Teil der Bahninfrastruktur ist dies der Fall.

Ein Betriebsunfall der Bahn erfordert zudem, dass auch ein äußerer - also ein näherer örtlicher und zeitlicher - Zusammenhang zwischen einem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung der Eisenbahn besteht. Hierzu zählen auch die der Vorbereitung und der Abwicklung der Beförderung dienenden Vorgänge, sofern ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einer dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahr besteht (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1963 - VI ZR 15/62, aaO; BGH, Urteil vom 1. Juni 1976 - VI ZR 224/74, Rn. 6, juris; BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 63; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 68). Es genügt, dass die Betriebskraft zum Zweck der Beförderung wirksam sein sollte oder wirksam war; dass zum Unfallzeitpunkt eine Beförderung stattfindet, ist nicht erforderlich (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 74, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund gehört zu dem Betrieb einer Schienenbahn auch das Abstellen vorübergehend nicht benötigter Waggons auf einem Abstellgleis unter stromführenden Leitungen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30). Anders als etwa bei einer Stilllegung einer Bahnstrecke, bei der die Beförderungsvorgänge örtlich ruhen und damit die typischen Eisenbahngefahren schlechthin ausgeschaltet sind (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1963 - VI ZR 75/62, NJW 1963, 711 (712)) ist das Abstellen eines Waggons auf den Abstellgleisen in der Regel vorübergehender Art und dient der Bereithaltung desselben für den baldigen Wiedereinsatz. Etwas Anderes wird vorliegend von den Beklagten auch nicht geltend gemacht. Vielmehr ergibt sich auch aus dem Bericht des Störfallmanagers vom 27. April 2012 (Anlage B4, Bl. 29 f. Bd. II d.A.) sowie der vorliegenden Rechnung für die Trassennutzung nebst Leistungsnachweis für April (Anlagen B5 und B6, Bl. 31 ff. Bd. II d.A.), dass der Güterzug 81678 mit dem vom Kläger erkletterten Waggon noch am Vortag für die Beklagte zu 2) Fracht von XXXXXXXXXXX nach XXXXXXXXXXX transportiert hatte. Das nur vorübergehende Abstellen eines Waggons auf dem Abstellgleis steht damit örtlich - da sich der Vorgang auf dem Gelände der Eisenbahn abspielt - und zeitlich - da er sich auf eine frühere oder spätere Verwendung im Betrieb bezieht - im äußeren Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb (vgl. auch BGH, Urteil vom 1. Juni 1976 - VI ZR 224/74, Rn. 7, juris). Diese Maßnahme ist eng mit der Organisation und Abwicklung der Beförderung verbunden und dient damit der Beförderungstätigkeit der Bahn.

Vor allem aber sind bei einem Abstellen unter stromführenden Leitungen die mit dem Betrieb einer Bahn verbundenen Gefahren gerade nicht ausgeschaltet. Die Stromversorgung dient der Beförderung der Bahn und ihre Anlagen, namentlich die Oberleitungen, bilden durchweg eine für den Bahnverkehr typische Gefahr, solange sie unter Strom stehen (Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 113). Daher können auch Stromunfälle, die sich nachts oder in sonstigen Zeiten der Betriebsruhe ereignen, zum Betrieb der Schienenbahn zählen (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 74). Gerade das Abstellen von Waggons unter stromführenden Oberleitungen bringt erhebliche, dem Bahnbetrieb eigentümliche Gefahren mit sich, die sich in der Vergangenheit bereits mehrfach darin realisiert haben, dass Kinder bzw. Jugendliche auf abgestellte Güterwaggons geklettert sind, wo sie entweder durch direkte Berührung mit der Oberleitung oder aber durch einen überspringenden elektrischen Funken schwerste Verletzungen erlitten haben oder zu Tode gekommen sind. Die Bedeutung dieser Gefahr zeigt sich nicht nur darin, dass sie sich immer wieder in vergleichbaren Unfällen verwirklicht, sondern auch in den regelmäßig schweren und nicht selten auch tödlichen Folgen für die Betroffenen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30).

Im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Unglücksfällen ist daher ein Zusammenhang mit dem Betrieb einer Schiebenbahn und damit eine Haftung der Bahnbetreiberin aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Haftpflichtgesetz auch im vorliegenden Fall zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, Rn. 19, juris; OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995, aaO; OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998 - 7 U 173/97, juris, Rn. 30,), wobei seit Einführung des § 6 Abs. 2 Haftpflichtgesetz auch der Ersatz des immateriellen Schadens geschuldet ist.

bb) Die Beklagte zu 1) ist auch Betriebsunternehmerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz, weil die Bahnanlage in ihrem Eigentum steht und sie diese betreibt.

Betriebsunternehmer im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige, der die Bahn für eigene Rechnung benutzt und wem die Verfügung über den Betrieb zusteht, ohne Rücksicht darauf, ob die Bahnanlagen oder die Betriebsmittel im Eigentum des Betreffenden stehen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1953 - VI ZR 24/52, NJW 1953, 1102; BGH, Urteil vom 14. Februar 1963 - II ZR 19/61, VersR 1963, 745 (747); BGH, Urteil vom 23. April 1985 - VI ZR 154/83, juris, Rn. 18; BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - VI ZR 69/03, BGHZ 158, 130-142, zitiert nach juris, Rn. 12; BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 70; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 32, 35). Die Bahn auf eigene Rechnung betreibt derjenige, dem die Einnahmen und Ausgaben zufallen, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Betriebs zum Vor- oder Nachteil gereicht (vgl. BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 71; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 33, jeweils m.w.N.). Die Verfügungsgewalt ist regelmäßig darin zu sehen, dass der Bahnunternehmer über die Bahnstrecke nebst Zubehör die Herrschaft besitzt, über die Fahrzeuge und das Fahrpersonal verfügen und die notwendigen Anweisungen für den Verkehr erteilen kann und die Fahrpläne festsetzt (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 1985, aaO, Rn. 20; BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 72; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 36). Dabei genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wenn lediglich die Herrschaft über einen Teil des Betriebes besteht, soweit das Merkmal des Betreibens auf eigene Rechnung erfüllt ist. Entscheidend ist dann jedoch, dass gerade durch die Einwirkungsmöglichkeiten und -verpflichtungen hinsichtlich dieses Teils des Betriebes die Möglichkeit bestand, die ausgehenden Gefahren abzuwenden oder zu verringern (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 aaO, Rn. 12, m.w.N.). Diese Bewertung hat seit der Trennung von Eisenbahninfrastruktur und Fahrbetrieb an Bedeutung gewonnen. Mit dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) vom 27. Dezember 1993 wurden diese beiden Teilbereiche rechtlich getrennt, dauerhaft verselbstständigt und ein dualistischer Eisenbahnbegriff eingeführt. Seitdem wird gemäß § 2 Abs. 1 AEG differenziert zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen als öffentlichen Einrichtungen oder privatrechtlich organisierten Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsdienste erbringen - d.h. die Beförderung von Personen oder Gütern auf einer Eisenbahninfrastruktur vornehmen (§ 2 Abs. 3 AEG) - und Eisenbahninfrastrukturunternehmen als öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die eine Eisenbahninfrastruktur betreiben.

Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin und Betreiberin der Gleisanlagen am Ende des XXXXXXXXXXX in XXXXXXXXXXX als Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Die Eisenbahninfrastruktur umfasst nach § 2 Abs. 6 AEG die Betriebsanlagen der Eisenbahnen einschließlich der Bahnstromfernleitungen. Entsprechend der gesetzlich definierten Aufgaben und wie sich aus der vorliegenden Rechnung "Trassennutzung April 2012" vom 4. Mai 2012 (Anlage B5, Bl. 31 Bd. II d. A.) ergibt, unterhält und vermarktet die Beklagte zu 1) für eigene Rechnung das in ihrer Verfügungsgewalt stehende Schienennetz an Eisenbahnverkehrsunternehmen und nimmt insofern nicht nur Einfluss auf die Fahrpläne bzw. wickelt den Netzbetrieb ab, sondern gewährt auch die mit der Unterhaltung und Nutzung der Schienentrassen verbundene Dienstleistungen, insbesondere das Bedienen von Weichen, Signalen und Schranken (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004, aaO, Rn. 16). Damit betreibt sie - neben den Eisenbahnverkehrsunternehmen - auch selbstständig einen Teil der Eisenbahn (vgl. BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1, Rn. 76, m.w.N.). Daraus ergibt sich ihre Eigenschaft als Betriebsunternehmerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz, denn sie schafft für den Bahnverkehr unabdingbare Voraussetzungen, stellt insbesondere die Energieversorgung zur Verfügung und beeinflusst aktiv den Bahnverkehr. Hinsichtlich ihres Teils des Bahnbetriebes besteht auch die Möglichkeit und Verpflichtung der Beklagten zu 1, die hiervon ausgehenden Gefahren abzuwenden oder zu verringern.

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Ersatzpflicht vorliegend auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 Haftpflichtgesetz ausgeschlossen, weil der Unfall durch höhere Gewalt verursacht worden wäre. Unter höherer Gewalt versteht die höchstrichterliche Rechtsprechung ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004 - III ZR 108/03, juris, Rn. 12, m.w.N..; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 364/51, NJW 1953, 184; BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 83, m.w.N.). Das Merkmal der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, mit dem diejenigen Risiken von der Haftung ausgeschlossen werden sollen, die bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dem gefährlichen Unternehmen, sondern allein dem Drittereignis zugerechnet werden können (BGH, Urteil vom 22. April 2004, aaO, Rn. 12; OLG Hamm, Urteil vom 06. Oktober 2003 - 6 U 102/03, juris, Rn. 9). So können unbefugte Eingriffe Dritter in den Bahnverkehr (wie etwa Attentate) oder auch bewusst selbstschädigende Handlungen der verletzen Person (wie das Springen vor einen fahrenden Zug in suizidaler Absicht) einen solchen außergewöhnlichen und unabwendbaren Eingriff von außen darstellen und den Haftungsausschluss gemäß § 1 Abs. 2 HPflG begründen (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 163, 168, m.w.N.). In diesen Fällen verwirklicht sich ein Risiko, das mit dem eigentlichen Betrieb einer Bahn nicht in Zusammenhang steht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 6. Oktober 2003, aaO, Rn. 9). Dies gilt aber gerade nicht, wenn Kinder oder nicht bzw. gemindert zurechnungsfähige Personen durch den Bahnbetrieb geschädigt werden. Hier realisiert sich in der Regel ein typisches Bahnrisiko, da diese Personen die Gefährlichkeit des Bahnbetriebs nicht oder nicht in genügendem Maß erkennen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 7. Juni 1988 - 9 U 182/87, VersR 1990, 913; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 169). Überdies ist es als nicht ganz außergewöhnlich anzusehen, dass insbesondere Kinder auf abgestellte Waggons klettern und zu nah an Oberleitungen geraten. Solche Fälle sind, wie bereits dargestellt, mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen. Selbst wenn sie nicht allein wegen ihrer Häufigkeit als typische Gefährdung durch den Betrieb anzusehen sind, liegt diese Art der Gefährdung innerhalb des Kreises derjenigen Gefahren, die dem Betrieb einer Eisenbahn eigen sind, so dass das Betriebsunternehmen hier unter Anwendung von größtmöglicher Sorgfalt - in den Grenzen der Zumutbarkeit - Vorsorge zu treffen hat (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 1976 - VI ZR 224/74, Rn. 11 ff, juris).

c) Schließlich haftet die Beklagten zu 1) als Inhaberin einer elektrischen Anlage gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz, da der Kläger unstreitig durch die Wirkungen von Elektrizität verletzt worden ist, die von den stromführenden Oberleitungen und damit einer Stromleitungsanlage ausging, deren Inhaberin die Beklagte zu 1) war (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30; BeckOGK/Ballhausen, 1.9.2023, HPflG § 2 Rn. 15).

d) Der Kläger muss sich auf seine Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB bzw. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz jedoch ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB, § 4 Haftpflichtgesetz anrechnen lassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten wiegt sein Verursachungsbeitrag aber nicht so schwer, dass eine Haftung der Beklagten völlig entfällt. Vielmehr hält das Gericht im Ergebnis eine Anspruchsminderung in Höhe von 50 % für gerechtfertigt.

aa) Vor der im Rahmen der § 254 Abs. 1 BGB, § 4 Haftpflichtgesetz vorzunehmenden Abwägung der von den Parteien gesetzten Verursachungsbeiträge ist bezüglich des minderjährigen Klägers zunächst darauf abzustellen, ob er im Zeitpunkt des Unfalls nach seinen intellektuellen Fähigkeiten in der Lage war, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen. Denn bei Jugendlichen im Alter von sieben bis 18 Jahren ist zwischen ihrer Zurechnungsfähigkeit, die sich nach § 828 Abs. 2 und 3 BGB beurteilt, und ihrem Verschulden nach § 276 BGB zu differenzieren (vgl. BGH Urteil vom 23. Oktober 1952 - III ZR 273/51, VersR 1953, 28; BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 828 Rn. 6). Die Regelungen des § 828 BGB gelten nicht nur im Rahmen der Haftungsbegründung gemäß §§ 823 ff. BGB, sondern spiegelbildlich auch im Rahmen der Prüfung des Mitverschuldens gemäß § 254 ZPO, und zwar auch dann, wenn das Mitverschulden - etwa über § 4 Haftpflichtgesetz - gegen eine Verantwortlichkeit aus Gefährdungshaftung abzuwägen ist (vgl. BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 828 Rn. 6; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 3).

Nach § 828 Abs. 2, 3 BGB sind Kinder und Jugendliche ab dem zehnten Lebensjahr für einen Schaden, den sie bei einem Unfall mit einer Schienenbahn einem anderen zufügen, nur dann nicht verantwortlich, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis ihrer Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Diese Vorschrift knüpft die Zurechnungsfähigkeit ausschließlich an die Einsichtsfähigkeit, ohne zu berücksichtigen, ob das Kind bzw. der Jugendliche auch in der Lage ist, seiner Einsicht entsprechend zu handeln. Das Vorliegen der individuellen Steuerungsfähigkeit ist mithin für die Zurechnungsfähigkeit nicht von Bedeutung. Eine generelle Minderung der Steuerungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen wird jedoch im Rahmen des Verschuldens bei der Bemessung des Sorgfaltsstandards berücksichtigt (vgl. MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 10 f.). Denn fahrlässiges Handeln setzt nicht nur die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Gefährlichkeit einer Handlung voraus, sondern auch die Fähigkeit, sich entsprechend zu verhalten (vgl. BGH Urteil vom 23. Dezember 1953 - VI ZR 166/52, BeckRS 1953, 31197657; BGH, Urteil vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03, BGHZ 161, 180-188, zitiert nach juris, Rn. 18).

Die Darlegungs- und Beweislast für die zur Anwendung des § 254 BGB führenden Umstände trägt grundsätzlich der Schädiger, mithin die Beklagte. Anders ist dies bei der spiegelbildlichen Anwendung des § 828 BGB im Rahmen der Mitverschuldensprüfung: Hier hat nach dem Wortlaut von § 828 Abs. 3 BGB der Minderjährige das (zu einem Wegfall der Verantwortlichkeit führende) Fehlen der Einsichtsfähigkeit darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - III ZR 329/14, BGHZ 206, 195-203, zitiert nach juris, Rn. 15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. August 2013 - I-1 U 68/12, juris, Rn. 72; OLG Celle, Urteil vom 19. Mai 2021 - 14 U 129/20, juris, Rn. 15; BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 828 Rn. 17; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 14). Ab dem Alter von sieben Jahren - bzw. im Anwendungsbereich von § 828 Abs. 2 BGB ab dem Alter von zehn Jahren - wird das Vorliegen der Einsichtsfähigkeit vom Gesetz widerleglich vermutet (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82, juris, Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. August 2013 - I-1 U 68/12, juris, Rn. 72). Die sodann zu prüfenden Voraussetzungen eines Sorgfaltspflichtverstoßes hat wiederum der Schädiger darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH Urteil vom 23. Dezember 1953 - VI ZR 166/52, BeckRS 1953, 31197657; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 14).

bb) Vorliegend besaß der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls die erforderliche Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 828 Abs. 2, 3 BGB.

Die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne dieser Vorschrift BGB besitzt derjenige, der die geistige Entwicklung erreicht hat, die ihn generell das Unrecht seiner Handlungen und damit zugleich die Verpflichtung erkennen lässt, in irgendeiner Weise für die Folgen seines Tuns einstehen zu müssen (vgl. BGH; Urteil vom 23. Dezember 1953, aaO; BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82, juris, Rn. 9; BeckOK BGB/Spindler, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 828 Rn. 7; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 11). Auf die individuelle Fähigkeit, sich dieser Einsicht entsprechend zu verhalten, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82, juris, Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. August 2013 - I-1 U 68/12, juris, Rn. 72). Der Jugendliche muss lediglich ein allgemeines Verständnis dafür haben, dass sein Verhalten generell Gefahren herbeiführen kann; einer besonderen Vorstellung von der Art seiner Verantwortlichkeit, der mit dem konkreten Verhalten verbundenen Gefährlichkeit oder gar dem drohenden Schaden braucht es nicht (vgl. BGH Urteil vom 23. Dezember 1953; aaO; BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82, juris, Rn. 9; BeckOK BGB/Spindler, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 828 Rn. 7, m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 11).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe besaß der zum Zeitpunkt des Unfalls 13 Jahre alte Kläger die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht, als der den Tankwaggon erkletterte und einen Stromschlag durch die Oberleitung erlitt. Die in § 828 Abs. 3 BGB niedergelegte gesetzliche Vermutung hat er nicht widerlegt.

Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass er zum Unfallzeitpunkt die vom Strom in den Oberleitungen ausgehende Gefahr aufgrund seines Wissens und seiner altersentsprechenden Reife nicht habe erkennen und einschätzen können. Er habe zu diesem Zeitpunkt nicht die hierfür erforderliche Einsichtsfähigkeit besessen. Dass er aber grundsätzlich nicht in der Lage gewesen wäre, die sich aus dem Erklettern eines Waggons resultierenden Gefahren wahrzunehmen sowie das Unrecht seines Verhaltens und eine mögliche daraus resultierende Verantwortlichkeit zu erkennen, hat er selbst nicht behauptet. Vielmehr trägt er in anderem Zusammenhang vor, ihm sei bewusst gewesen, dass man beim Erklettern des Waggons abrutschen oder abstürzen könne, doch die Gefährlichkeit der Oberleitung bzw. die mit dem Erklettern verbundene Gefahr schwerster oder gar tödlicher Verletzungen seien ihm nicht bekannt gewesen. Folglich war ihm bekannt, dass sein Vorhaben grundsätzlich gefährlich werden könnte. Ob der Kläger darüber hinaus die mit seinem Verhalten verbundene konkrete Gefahr eines Stromschlags durch die Oberleitung erkannt hat oder hätte erkennen können, ist für die Beurteilung einer Sorgfaltspflichtverletzung von Bedeutung, nicht aber für die Frage der Einsichtsfähigkeit.

Selbst wenn der Vortrag des Klägers dahingehend verstanden werden soll, dass ihm die Einsichtsfähigkeit gefehlt habe, sind konkrete Anhaltspunkten dafür, dass er im Zeitpunkt des Unfalls nach seinen intellektuellen Fähigkeiten grundsätzlich nicht in der Lage gewesen wäre, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen, weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Der Kläger besuchte die seiner Altersstufe entsprechende Klasse einer Hauptschule, was gegen eine nicht altersgerechte Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten spricht. Darüber hinaus hat die Zeugin XXXXXX in ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung am 17. Januar 2020 glaubhaft angegeben, dass sie ihren Sohn für reif genug gehalten habe, am Wochenende bis spätestens 21:30 Uhr unterwegs zu sein. Am Unfalltag habe sie nicht gewusst, was er mache. Sie habe ihn aber stets telefonisch erreichen können. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers ihn bis spät abends unbeaufsichtigt und ohne Kenntnis des Aufenthaltsortes hätte ausgehen lassen, wenn für sie Anhaltspunkte vorgelegen hätten, dass er sich in gefährliche Situationen begeben würde. Vielmehr sprechen ihre Angaben dafür, dass sie ihren Sohn für grundsätzlich verantwortungsbewusst und zuverlässig hielt, was mit einer altersentsprechenden geistigen Reife eines 13-jährigen einhergeht.

cc) Der Kläger hat darüber hinaus zumindest sorgfaltswidrig gehandelt und muss sich ein mitwirkendes Eigenverschulden vorwerfen lassen, wenngleich dieses nicht als besonders schwer und als grob fahrlässig einzustufen wäre, so dass die Haftung der Beklagten dahinter zurücktreten müsste. Als seinerzeit 13-jähriger hätte er jedoch erkennen können und müssen, dass das Erklettern eines unter Oberleitungen abgestellten Waggons mit erheblichen Gefahren, insbesondere der Gefahr eines lebensbedrohlichen Stromschlags, verbunden sein würde, weshalb von ihm zu erwarten war, dass er von dem Vorhaben Abstand nimmt.

(1) Bei der Prüfung des Verschuldens des Klägers sind zunächst die nach § 276 BGB üblichen Maßstäbe heranzuziehen, insbesondere die Erkenntnis der konkreten Gefährlichkeit der Handlung oder deren sorgfaltswidrige Verkennung sowie die Zumutbarkeit eines zur Abwendung der Gefahr gebotenen Verhaltens in der konkreten Situation, wobei nicht die Maßstäbe für Erwachsene maßgeblich sind, sondern Fähigkeiten eines normal entwickelten Kindes der entsprechenden Altersgruppe den Ausgangspunkt bilden (vgl. BGH Urteil vom 23. Dezember 1953 - VI ZR 166/52, VersR 1953, 28; BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82, juris, Rn.12; BGH, Urteil vom 30. November 2004 - VI ZR 335/03, BGHZ 161, 180-188, zitiert nach juris, Rn. 18; OLG Hamm, Urteil vom 07. Juni 1988 - 9 U 182/87, juris; OLG Celle, Urteil vom 19. Mai 2021 - 14 U 129/20, juris, Rn. 16, 20 f.; OLG Nürnberg, Urteil vom 28. April 2006 - 5 U 130/06, juris, Rn. 24). Die kindlichen bzw. jugendtypischen Eigenheiten, insbesondere die jungen Menschen wesenseigene Impulsivität, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, aber auch Unbekümmertheit, Spieltrieb, Forschungs- und Erprobungsdrang, der Mangel an Disziplin und die Neigung zu Affektreaktionen sind zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1984, aaO, Rn.12; OLG Celle, Urteil vom 19. Mai 2021, aaO, Rn. 21; BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 828 Rn. 12; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 828 Rn. 10). Ein vorheriger Hinweis etwa der Eltern auf bestimmte Gefahren kann wiederum die Sorgfaltsanforderungen des Kindes erhöhen (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 28. April 2006 - 5 U 130/06, juris, Rn. 26).

(2) Dass der Kläger beim Erklettern des Wagens die von der Oberleitung ausgehende Gefahr und das Risiko schwerster bis sogar tödlicher Verletzungen tatsächlich kannte und sich bewusst darüber hinwegsetzte, haben die insofern darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht nachzuweisen vermocht. Insbesondere steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest, dass der Kläger auf die von den stromführenden Oberleitungen ausgehenden Gefahren hingewiesen worden war und insofern über besondere, die Sorgfaltsanforderungen erhöhende Kenntnisse verfügte.

(a) Das Gericht ist nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht mit dem nach § 286 ZPO erforderlichen Grad der Gewissheit davon überzeugt, dass der Zeuge XXXXXXX den Kläger noch kurz vor dem Unfall auf die Gefahr eines Stromschlags durch die Oberleitung hinwies und versuchte, ihn vom Besteigen des Waggons abzuhalten, woraufhin der Kläger sinngemäß äußerte, er passe schon auf.

Vorliegend bleiben nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme grundlegende Zweifel hinsichtlich der von den Beklagten behaupteten Warnung des Klägers durch den Zeugen XXXXXXX. Für eine solche Warnung spricht zwar die - glaubhafte - Aussage der Zeugin XXXXXXXXX, die in ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2020 bekundet hat, sie habe den Zeugen XXXXXXX am Unfalltag nach Hause gebracht, wobei dieser vor oder während der Rückfahrt berichtet habe, er habe den Kläger beim Aufstieg auf den Waggon noch gewarnt, dass das sehr gefährlich sei. Der Kläger habe geantwortet, er passe schon auf. Dies findet auch Niederschlag in den Ermittlungsberichten des POK XXXXX vom 27. April 2012 (Bl. 12 f. der beigezogenen Ermittlungsakte 650 AR 30801/12) und des PK XXXXX vom 3. Mai 2012 (Bl. 7 f. d.A. 650 AR 30801/12), wonach der Zeuge XXXXXXX am Unfalltag sinngemäß geäußert habe, er habe den Kläger vor dem Unfall gewarnt. Damit ist die entsprechende Behauptung der Beklagten aber keineswegs nachgewiesen. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass die Aussage der Zeugin XXXXXXXXX und die in den Ermittlungsberichten niedergelegten Wahrnehmungen der Polizeibeamten zutreffen, steht damit lediglich fest, dass der Zeuge XXXXXXX am Unfalltag entsprechende Angaben getätigt hat - kurz nachdem er mit ansehen musste, wie sein Freund einen Stromschlag erlitt, regungslos auf dem Waggondach liegen blieb und später mit dem Rettungshubschrauber abtransportiert wurde. Dass er den Kläger aber tatsächlich kurz vor dem Unfall auf die Gefährlichkeit seines Vorhabens hingewiesen und ihn davon abzuhalten versucht hat, ließ sich aus den folgenden Gründen nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen:

Der Zeuge XXXXXXX selbst hat in seiner Vernehmung angegeben, er könne sich nicht daran erinnern, den Kläger am Unfalltag vor dem Strom "da oben" gewarnt zu haben. Auch nachdem das Gericht ihm den entsprechenden Auszug aus den Ermittlungsberichten vorhielt, konnte der Zeuge eine solche Warnung nicht erinnern. Damit hat er zwar nicht explizit verneint, den Kläger vor dem Aufstieg auf den Wagen gewarnt zu haben. Der Zeuge hat aber weiter angegeben, er habe nur gewusst, dass es "bei dem Zug oben Strom" gebe, aber nicht, dass es "so viel" sei. Dies lässt eher darauf schließen, dass der Zeuge XXXXXXX die von der Oberleitung ausgehende Gefahr selbst nicht richtig einschätzte, und spricht gegen eine ausdrückliche Warnung seines Freundes vor eben dieser Gefahr eines Stromschlags. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge in seiner Vernehmung weiter ausgeführt, er sei davon ausgegangen, dass man die Leitung berühren müsse, um einen Stromschlag zu bekommen, und habe nicht gewusst, dass der Funke überspringen könne.

Das Gericht verkennt nicht, dass der Unfall des Klägers zum Zeitpunkt der Vernehmung des Zeugen in der mündlichen Verhandlung fast 8 Jahre zurücklag und der Zeuge bereits aus diesem Grund eine entsprechende Warnung vergessen haben könnte. Gegen eine Warnung durch den Zeugen XXXXXXX spricht jedoch auch, dass dieser in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, der Kläger sei damals sein bester Freund gewesen und er hätte ihn niemals auf den Waggon steigen lassen, wenn er gewusst hätte, wie gefährlich das sei. Auf den Ermittlungsbericht und seine Angaben am Unfalltag angesprochen, hat der Zeuge zudem bekundet, keine Erinnerung an ein Gespräch mit Polizisten zu haben und nicht einmal zu wissen, wie er am Unfalltag nach Hause gekommen sei. Auf Nachfrage, ob er denn damals den Beamten die Wahrheit gesagt habe, hat der Zeuge angegeben, dass dies möglichweise nicht der Fall sei.

Vor diesem Hintergrund ist das Gericht nicht hinreichend von der Wahrhaftigkeit der am Unfalltag getätigten Angaben des Zeugen XXXXXXX überzeugt. Es erscheint nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ebenso wahrscheinlich, dass er in dieser extremen Ausnahmesituation unter Schock stehend sowie aus der Angst vor negativen Konsequenzen für ihn selbst schlicht behauptet hat, den Kläger noch gewarnt zu haben. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge XXXXX in seiner Vernehmung berichtet, dass der Zeuge XXXXXXX am Unfalltag sehr aufgeregt gewesen sei, geweint habe und auch zusammengebrochen sei. Der Zeuge XXXXXXX selbst hatte in der mündlichen Verhandlung keine Erinnerung an seinen Zustand nach dem Unfall, hat jedoch bekundet, seit dem Unfall nur einmal Kontakt zu seinem ehemals besten Freund gehabt zu haben, weil er die psychische Belastung, ihn so zu sehen, nicht ertragen habe. Dies stützt die Annahme, dass der Zeuge sich unmittelbar nach Erleben des schrecklichen Vorfalls in einer extremen psychischen Ausnahmesituation befunden hat und nicht vernehmungsfähig war. Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Äußerungen des Zeugen XXXXXXX am Unfalltag nicht im Rahmen einer förmlichen Vernehmung (und nach Hinweis auf die Wahrheitspflicht), sondern womöglich "nebenbei" während der Autofahrt nach Hause erfolgt sind. Demgegenüber waren die Angaben des Zeugen XXXXXXX in seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung glaubhaft. Der Zeuge war ersichtlich um eine wahrheitsgemäße Aussage bemüht und auch nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig.

Nach alledem hat das Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme durchgreifende Zweifel daran, dass der Zeuge XXXXXXX den Kläger kurz vor dem Unfall auf die Gefährlichkeit seines Vorhabens hinwies und versuchte, ihn vom Besteigen des Waggons abzuhalten. Erst Recht lässt sich nicht feststellen, dass der Zeuge den Kläger konkret vor den Gefahren eines Stromschlags durch die Oberleitung gewarnt hat. Diese Zweifel gehen zu Lasten der insofern beweisbelasteten Beklagten.

(b) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme ebenso wenig fest, dass der Kläger vor dem Unfall - zusammen mit dem Zeugen XXXXXXX - an einer schulischen Veranstaltung zu den Gefahren der Bahn teilgenommen hat.

Der Kläger selbst hat in seiner persönlichen Anhörung angegeben, er könne sich nicht an eine solche schulische Veranstaltung nicht erinnern. Auch der Zeuge XXXXXXX hatte keine Erinnerung an eine schulische Veranstaltung zu den Gefahren im Zusammenhang mit Zügen und Oberleitungen. Soweit die Zeugin XXXXXXXXX angegeben hat, der Zeugen XXXXXXX habe am Unfalltag auf dem Weg nach Hause eine Veranstaltung in der Schule erwähnt, in der über die Bahn und die besonderen Gefahren, insbesondere mit Strom, gesprochen worden sei, kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Das Gericht hat aus den oben eingehend dargelegten Gründen Zweifel dahingehend, dass die damaligen Angaben des Zeugen XXXXXXX gegenüber der Zeugin XXXXXXXXX der Wahrheit entsprachen. Auch insofern erscheint nicht fernliegend, dass der Zeuge im Zustand des Schocks und aus Angst vor negativen Konsequenzen falsche Angaben gemacht oder schlicht Dinge verwechselt hat. So hat er in seiner Vernehmung geäußert, es sei möglich, dass er damals den Polizisten nicht die Wahrheit gesagt habe. Zudem hat er zum damaligen Zeitpunkt weder nähere Angaben dazu gemacht, wann die Veranstaltung stattgefunden hat, noch explizit gesagt, dass auch der Kläger daran teilgenommen hat. Die Zeugin XXXXXXXXX hat in ihrer Vernehmung lediglich bekundet, sie habe die Äußerung des Zeugen XXXXXXX am Unfalltag so verstanden, dass sowohl er als auch der Kläger bei einer solchen Informationsveranstaltung gewesen sei. Bereits vor diesem Hintergrund hat sich die von den Beklagten aufgestellte Behauptung nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht bestätigt.

Der Zeuge PK XXXXX konnte sich in seiner Vernehmung an eine entsprechende Aussage des Zeugen XXXXXXX am Unfalltag nicht erinnern und verwies insofern auf seinen Ermittlungsbericht vom 3. Mai 2012 (Bl. 7 f. d. A. 650 AR 30801/12), in welchem eine schulische Informationsveranstaltung nicht erwähnt ist. Die Angaben der Zeugin XXXXXX waren in diesem Zusammenhang ebenfalls unergiebig. In ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung konnte sie eine Informationsveranstaltung zum Bahnverkehr in der Schule ihres Sohnes nicht erinnern. Ergänzend hat sie angegeben, dass sie zur damaligen Zeit häufig mit ihrem Sohn über die Schule gesprochen und auch mit der Lehrerin in Kontakt gestanden habe, weshalb sie, so die Zeugin, von einer gesonderten Veranstaltung zu Informationen über die Bahn erfahren hätte und sich auch heute noch daran erinnern könnte. Dies erscheint angesichts des Umstands, dass ihr Sohn durch einen Unfall im Zusammenhang mit dem Bahnverkehr lebensgefährliche Verletzungen erlitten hat und mit dauerhaften gravierenden Einschränkungen leben muss, nachvollziehbar und spricht ebenfalls gegen die Teilnahme an einer derartigen Veranstaltung.

(c) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht des Weiteren nicht davon überzeugt, dass der Kläger wiederholt durch seine Mutter darauf hingewiesen worden war, dass ein Betreten der Eisenbahnanlagen und Gleise verboten und mit Gefahren auch durch die Oberleitungen verbunden sei. Diese Behauptung der Beklagten hat die Zeugin XXXXXX gerade nicht bestätigt. Vielmehr hat sie angegeben, dass Gefahren im Zusammenhang mit der Eisenbahn oder der Oberleitung nie Thema zwischen ihr und ihrem Sohn gewesen seien. Es habe hierfür auch keinen Anlass gegeben. Ihr Wohnort sei etwa 4 km vom Unfallort entfernt und sie habe keinen Bezug zu diesem Gelände gehabt. In der Nähe ihrer damaligen Wohnung, etwa 50 m vom Haus entfernt, habe es zwar eine Bahnstrecke gegeben, die aber nach ihrem Eindruck gar nicht befahren gewesen sei und auch keine Oberleitung gehabt habe. Die Aussage der Zeugin war nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Das Gericht hat auch nach ihrem Eindruck in der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin bewusst falsche Angaben gemacht haben könnte.

(d) Soweit die Beklagten schließlich behaupten, der Kläger habe sich unmittelbar vor dem Unfall auf dem Kesselwagen geduckt bewegt, weil ihm die Gefahr der Oberleitung bewusst gewesen sei, steht auch dieser Umstand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest. Der Kläger selbst konnte sich in seiner persönlichen Anhörung an die Geschehnisse nicht erinnern. Auch der Zeuge XXXXXXX hat die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt. Er hat insofern angegeben, der Kläger habe ihm etwas auf dem Waggon zeigen wollen und sei hinaufgegangen. Er selbst habe sich auf das Gleis gesetzt und plötzlich habe es geknallt und gefunkt. An weitere Einzelheiten konnte sich der Zeuge nicht erinnern. Der Zeuge PK XXXXX hat in seiner Vernehmung zwar bekundet, dass der Zeuge XXXXXXX ihm am Unfalltag geschildert habe, wie der Kläger auf den Waggon geklettert sei, um den Deckel zu öffnen, dabei abgerutscht sei und sich aufgerichtet habe. Diese Äußerung findet sich auch im Ermittlungsbericht des PK XXXXX vom 3. Mai 2012 (Bl. 7 f. d. A. 650 AR 30801/12). Selbst wenn dies so zutreffen sollte, lässt sich daraus aber nicht schließen, dass sich der Kläger durchgehend geduckt auf dem Waggon bewegte. Ebenso ist möglich, dass er sich lediglich herabbeugte, um den Deckel zu öffnen.

Das Unfallgeschehen ist in seinen Einzelheiten nicht mehr verlässlich rekonstruierbar. Wie weit die Oberleitungen vom Dach des Waggons entfernt waren, ist bei der Unfallaufnahme nicht ermittelt worden. Ebenso finden sich keine Anhaltspunkte für die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Oberleitung entweder berührt oder sei weniger als 5 cm von ihr entfernt gewesen, als er den Stromschlag erlitten habe. Ob der Kläger mit der Hand an die Oberleitung gekommen oder "nur" durch das Aufrichten zu nah an diese geraten ist, lässt sich auch nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht aufklären. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge XXXXXXX hatten keine Erinnerung an den genauen Ablauf der Geschehnisse vor dem Stromschlag. Nach Sachlage kann nur davon ausgegangen werden, dass der Kläger unbedacht in eine solche Nähe zur Oberleitung geraten ist, dass ein Stromüberschlag erfolgen konnte. Dies geht - ebenso wie die nicht feststehenden Warnungen - zu Lasten der Beklagten, die für den Einwand des Mitverschuldens die Darlegungs- und Beweislast trägt.

(e) Damit steht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Kläger die mit dem Erklettern des Tankwaggons und den darüber befindlichen Oberleitungen verbundenen erheblichen Gefahren kannte.

(3) Der Kläger hätte aber bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unter Zugrundelegung des Kenntnis- und Entwicklungsstandes eines durchschnittlichen Jugendlichen aus der gleichen Altersgruppe die mit seinem Vorhaben verbundenen Gefahren erkennen und sich gemäß dieser Erkenntnis verhalten können. Er war zum Zeitpunkt des Unfalls mit 13 Jahren nach seinen intellektuellen Fähigkeiten grundsätzlich in der Lage, die von der elektrischen Oberleitung ausgehende Gefahr zu erkennen, und diese Erkenntnis hätte ihn bei besonnenem Handeln auch davon abhalten müssen, auf den Waggon zu klettern bzw. sich in die Nähe der Oberleitung zu begeben. Allerdings hält das Gericht eine grobe Fahrlässigkeit, also ein leichtsinniges, die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzendes Verhalten, bei dem schon einfachste und ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und das auch in subjektiver Hinsicht schlechthin unentschuldbar erscheint (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30; OLG Hamm, Urteil vom 07.06.1988 - 9 U 182/87, VersR 1990, 913) nicht für gegeben.

Zu berücksichtigen ist bei der Beurteilung des Grades seines Mitverschuldens, dass der Kläger - unstreitig - über eine fest am Waggon angebrachte Leiter bis auf das Dach des Tankwaggons hinaufkletterte und auf dem Dach so nahe an die Oberleitung kam, dass ein Stromschlag ausgelöst wurde. Dieses Verhalten mag zwar in objektiver und auch in subjektiver Hinsicht als fahrlässig angesehen werden, ist aber auch unter Berücksichtigung des Alters des Klägers nicht als so besonders schwerwiegend einzustufen mit der Folge, dass dahinter jegliche Einstandspflicht der Beklagten - sowohl unter dem Aspekt einer schuldhaften Verletzung der Verkehrssicherungspflicht als auch unter dem Aspekt der auf der reinen Betriebsgefahr beruhenden Gefährdungshaftung - zurückzutreten hätte.

Es ist typischer Ausdruck der bei Kindern und Jugendlichen vorliegenden Unbekümmertheit und Impulsivität, dass sie Gefahren nicht richtig einschätzen oder trotz erkannter Gefahr unbesonnen und unvorsichtig handeln. In bestimmten Entwicklungsphasen kann es sogar sein, dass Gefahren gerade deshalb, weil sie als solche erkannt werden, die kindliche Abenteuerlust in besonderer Weise herausfordern (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998 - 7 U 173/97, Rn. 49, juris). Dies gilt im Zusammenhang mit Stromschlägen durch Oberleitungen vor allem dann, wenn das Dach des abgestellten Güterwaggons durch eine am Waggon fest angebrachte Leiter besonders leicht erstiegen werden konnte, wodurch Jugendliche besonders leicht zu einer Fehleinschätzung der bestehenden Gefahr und zu einem Hinwegsetzen über die mit dem Erklettern verbundenen Schwierigkeiten verführt werden können. Bei einer Bahnoberleitung über einem Abstellgleis liegt zudem der Gedanke nicht völlig fern, dass sie abgeschaltet ist, wenn wie hier kein Rangierbetrieb stattfindet (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30 (31)). Die unstreitige Tatsache, dass der Zeuge XXXXXXX nicht mit dem Kläger auf den Waggon kletterte, ist für den Grad des Mitverschuldens ohne Aussagekraft, zumal nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden konnte, ob dieser den Kläger zuvor gewarnt hatte.

(4) Eine Abwägung der Verursachungsbeiträge bei Berücksichtigung aller Umstände im Sinne des § 254 BGB führt zu einer Mithaftung des Klägers in Höhe von 1/2. Auf Seiten der Beklagten zu 1) war neben der dem Grunde nach bereits hohen Betriebsgefahr der elektrischen Bahnanlage die ihr vorzuwerfende schuldhafte Verkehrspflichtverletzung zu berücksichtigen. Dagegen ist auch das dem Kläger vorzuwerfende Eigenverschulden von nicht unerheblichem Gewicht.

Ein hälftiges Mitverschulden steht auch im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. So hat etwa das Oberlandesgericht Köln in einem ähnlich gelagerten Fall kein die Einstandspflicht der Beklagten ausschließendes, sondern lediglich ein hälftiges Mitverschulden des zwölfjährigen Kindes angenommen, obwohl im dort zu entscheidenden Fall lediglich eine Gefährdungshaftung der Beklagten nach dem Haftpflichtgesetz vorlag und somit auf Seiten der Beklagten nur die erhebliche Betriebsgefahr und kein Verschulden zu berücksichtigen waren (vgl. OLG Köln, Urteil vom 27. August 1998 - 7 U 173/97, juris). Das Oberlandesgericht Hamm hat bei einer Verletzung eines vierzehnjährigen Jungen durch einen Stromschlag aus einer Oberleitung unter Hinweis auf die erhebliche Gefahr derartiger Anlagen eine quotenmäßige Haftung des lediglich nach § 1 Haftpflichtgesetz haftenden Bahnbetriebsunternehmers von 1/3 angenommen, wobei der Zugang zu dem Waggon dort nicht durch eine fest angebrachte Leiter erleichtert war (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30, NZV 1996, 30). Das Oberlandesgericht Karlsruhe schließlich hat bei einem Starkstromunfall eines ebenfalls vierzehnjährigen Jungen eine Haftungsquote der Beklagten von 2/3 angenommen, wobei es im Hinblick auf die schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung wegen fehlender Warnhinweise auch auf einen früheren Stromunfall im betreffenden Bereich abgestellt hat (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 07. November 1991 - 9 U 45/91, NZV 1993, 111), der im hier zu entscheidenden Fall nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich ist.

Vorliegend bewertet das Gericht bei Abwägung aller Umstände die beiderseitigen Verantwortungsbeiträge - insbesondere unter Berücksichtigung des Alters des Klägers, der hier zusätzlich zum Verursachungsbeitrag der beherrschten Gefahrenquelle gegebenen schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten, der örtlichen Gegebenheiten und der Ausgestaltung des Waggons - gleich, so dass eine Mitverschuldensquote von 50 % sachgerecht erscheint.

Nach alledem schuldet die Beklagte zu 1) dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers von 1/2 gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2, 254 Abs. 2 BGB bzw. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 4, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz.

e) Dieser Anspruch des Klägers ist auch nicht gemäß § 214 BGB verjährt.

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB, § 11 Haftpflichtgesetz drei Jahre. Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beginnt sie, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Selbst wenn diese Voraussetzungen im Hinblick auf die Beklagte zu 1) bereits im Laufe des Jahres 2012 vorlegen haben sollten und demnach die dreijährige Verjährungsfrist schon mit Schluss des Jahres 2012 begonnen hätte, wäre die Verjährung jedenfalls durch die erfolgte Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags und sodann durch die Klageerhebung gehemmt.

Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB wird die Verjährung gehemmt durch die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe. Dabei tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein, sofern die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlasst wird. Vorliegend hat der Kläger am 23. September 2015 - und somit rechtzeitig vor einem zugunsten der Beklagten unterstellten Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist am 31. Dezember 2015 - einen Antrag auf Prozesskostenhilfe bei dem Landgericht Oldenburg eingereicht. Die Bekanntgabe des Antrags zur Stellungnahme im Sinne von § 118 Abs. 1 ZPO wurde vom Landgericht Oldenburg mit Verfügung vom 29. September 2015 und damit "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO veranlasst; auf die Bekanntgabe selbst kommt es nach dem Wortlaut von § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB nicht an. Damit ist die Verjährungshemmung bereits am 23. September 2015 eingetreten.

Dabei war der Antrag auf Prozesskostenhilfe auch ordnungsgemäß gestellt. Grundsätzlich ist unerheblich, ob dem Antrag auf Prozesskostenhilfe stattgegeben oder er zurückgewiesen wird. Wie bei den anderen Hemmungsgründen des § 204 Abs. 1 BGB hemmt auch ein unzulässiger oder unbegründeter Antrag die Verjährung (vgl. MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 204 Rn. 71, m.w.N.; BeckOGK/Meller-Hannich, 1.6.2023, BGB § 204 Rn. 407). Soweit die Beklagte zu 1) moniert, dass der Antrag des zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Klägers von beiden Elternteilen hätte unterzeichnet werden müssen, geht diese Annahme fehl. Aus dem vom Kläger vorgelegten Beschluss des Amtsgerichts Delmenhorst 22 F 154/07 SO vom 19. Juli 2002 (Bl. 50 Bd. IV d.A.) ergibt sich, dass die elterliche Sorge für den Kläger allein bei der Kindesmutter und Zeugin Stefanie XXXXXX lag, so dass er durch seine Mutter gemäß § 1629 Abs.1 Satz 3 BGB ordnungsgemäß vertreten war.

Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) ist das Prozesskostenhilfeverfahren auch nicht bis zur Klageerhebung in Stillstand geraten und die Hemmung der Verjährung aus diesem Grunde geendet. Gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB endet die Hemmung grundsätzlich sechs Monate nach Beendigung des Verfahrens; gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, so tritt an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle (§ 204 Abs. 2 Satz 3 BGB). Dabei beendet nur ein auf der Untätigkeit der Parteien beruhender Verfahrensstillstand die Hemmung der Verjährung, nicht ein zeitweiliger Stillstand des Verfahrens wegen Arbeitsüberlastung oder auf anderen Gründen beruhender Untätigkeit des Gerichts (vgl. BeckOK BGB/Henrich, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 204 Rn. 85). Hier lag eine zwischenzeitliche Verfahrensverzögerung jedoch in der Verantwortung des Gerichts, das zunächst in der Absicht einer gemeinsamen Terminierung und Verhandlung mit dem Parallelverfahren 2 O 3175/15 den dortigen Fortgang abgewartet hat und sodann aufgrund der hohen Auslastung der Kammer an einer zügigen Förderung des Prozesskostenhilfeverfahrens gehindert war. Hierauf hat das Gericht die Parteien auch mit Schreiben vom 20. September 2018 hingewiesen (Bl. 133 Bd. I d.A.). Diese Verzögerung ist nicht dem Kläger anzulasten. Die Parteien sind in einem solchen Fall auch nicht gehalten, das Verfahren beim Gericht in Erinnerung zu bringen oder auf die Vornahme von Maßnahmen zu dringen (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2009, aaO, Rn. 20). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 18. September 2019 war die Verjährung daher noch gehemmt und der Anspruch allein aus diesem Grunde noch nicht verjährt.

f) Dem Kläger ist durch die Gesundheitsbeeinträchtigung ein gemäß § 253 BGB bzw. § 6 Satz 2 HaftpflichtG ersatzfähiger Schaden entstanden, der - unter Berücksichtigung des Mitverschuldens - ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,- Euro rechtfertigt. Dieser Betrag erscheint angesichts der unstreitigen Verletzungen und Verletzungsfolgen angemessen, aber auch ausreichend.

Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für dessen immaterielle Beeinträchtigungen bieten. Die wesentliche Grundlage für die Höhe der Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen und Leiden sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit, Übersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufs, die Fraglichkeit der endgültigen Heilung sowie ferner der Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falles. Die Eigenart des Schmerzensgeldanspruchs hat zur Folge, dass dessen Höhe nicht betraggenau bestimmbar und für jedermann nachvollziehbar begründbar ist. Daher kommt Vergleichsfällen besondere Bedeutung zu (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 - VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388-394, zitiert nach juris, Rn. 13; OLG München, Urteil vom 19. Januar 2011 - 20 U 4661/10, juris, Rn. 16).

Die für die Höhe des Schmerzensgeldes maßgebenden unfallbedingte Verletzungen des Klägers, deren Auswirkungen und die eingetretenen Dauerfolgen sind zwischen Parteien weitgehend unstreitig. Der Kläger erlitt durch den Stromschlag schwere Brandverletzungen und fiel auf das Waggondach. Aufgrund der erheblichen Verletzungen mussten sein linker Arm und die beiden Unterschenkel amputiert werden. Ausweislich des Schlussberichtes der Polizeiinspektion XXXXXXXXXXX vom 5. Juni 2012 (Bl. 16 f. der Ermittlungsakte 650 AR 30801/12) befand sich der Kläger nach dem Unfall vom 27. April 2012 bis etwa Mitte Mai im Koma und bis Ende Mai auf der Intensivstation. Monatelange Krankenhausaufenthalte und Rehabilitationsmaßnahmen folgten. Mit den schweren Verletzungen gehen lebenslang erhebliche Bewegungseinschränkungen und Belastungsminderungen einher, verbunden mit einer dauerhaften Beeinträchtigung der Lebensführung, insbesondere Einschränkungen in Körperpflege und Mobilität. Es sind auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich sein Zustand künftig einmal bessern könnte.

Besondere Berücksichtigung muss bei der Bemessung des Schmerzensgeldes das Alter des Klägers finden. Bei einem jungen Mensch, der einen schweren Schaden erlitten hat, erscheint wegen seines Alters im Verhältnis ein höheres Schmerzensgeld angemessen, da er noch lange an den Verletzungsfolgen zu tragen hat. Dauerschäden rechtfertigen bei jungen Menschen, die ihr Leben weitgehend noch vor sich haben, ein deutlich höheres Schmerzensgeld als bei älteren Menschen mit einem kürzeren Leidensweg (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - VI ZR 163/90, juris, Rn. 14; OLG Celle, Urteil vom 19. Mai 2021 - 14 U 129/20, NJW 2021, 2124, Rn. 39). Insbesondere wenn - wie hier - schwere Schäden in den Entwicklungsjahren eines Kindes bzw. Jugendlichen entstanden sind, müssen diese schmerzensgelderhöhend berücksichtigt werden, weil sich die entgangene Lebensfreude prägend auf die gesamte weitere Entwicklung auswirkt; es wird mehr zerstört, als bei bereits etablierten Menschen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19. Mai 2021, aaO, 39).

Das Gericht hat sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch an den nachfolgend genannten Entscheidungen orientiert, denen zwar jeweils andere Verletzungen und Verletzungsfolgen zu Grunde lagen, deren Schwere aber in der Gesamtschau nach Auffassung des Gerichts als Vergleichsmaßstab für die Schmerzensgeldbemessung im vorliegenden Fall geeignet erscheint. Bei der Heranziehung von Vergleichsentscheidungen verbietet sich eine unkorrigierte Übernahme der ausgewiesenen Beträge älterer Entscheidungen. Vielmehr ist zu Gunsten der Geschädigten die seit dem Entscheidungszeitpunkt verstrichene Geldentwertung ebenso zu berücksichtigen, wie die allgemeine Tendenz, bei der Bemessung von Schmerzensgeld höhere Beträge zuzusprechen als noch in früheren Zeiten (vgl. OLG München, Urteil vom 09. September 2020 - 10 U 1722/18, juris, Rn. 24; OLG Frankfurt, Urteil vom 19. August 2009 - 7 U 23/08, juris, Rn. 21; KG Berlin, Urteil vom 15. März 2004 - 12 U 333/02, juris, Rn. 6).

So hat das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 2013 (Urteil vom 30. August 2013 - I-1 U 68/12, juris) bei einer Amputation des rechten Beines auf Höhe der Hüfte bei einem 11-jährigen Mädchen unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 ein kapitalisiertes Schmerzensgeld von 80.000 Euro und 65.000 Euro als lebenslange Rente in Höhe von monatlich 228 Euro für angemessen erachtet. Das dem Kläger zuzusprechende Schmerzensgeld muss im Verhältnis deutlich höher ausfallen, da der Kläger beide Unterschenkel und einen Arm verlor und sich die lebenslangen Beeinträchtigungen noch gravierender auswirken.

Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht Hamm im Jahr 2002 (Urteil vom 2. Dezember 2002, AZ. 6 U 131/02, juris) einem 33-jährigen Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 332.340,00 EUR zugesprochen, dem das Bein mitsamt dem Hüftgelenk, einem Teil der Beckenhälfte und dem Gesäßmuskel amputiert werden musste. Die Zumessung des hohen Schmerzensgeldes begründete das Oberlandesgericht damit, dass Anus, Darm und Hodensack ebenfalls schwer geschädigt wurden und der Kläger weitere Frakturen an Ellenbogen, Arm und Hand erlitt. Zudem gestaltete sich der Heilungsverlauf sehr kompliziert, da es zu einer Lungenembolie und Harnweginfektionen kam und der Kläger unter massiven Phantomschmerzen litt. Er verlor nicht nur sein komplettes Bein, sondern erlitt Bewegungseinschränkungen des linken Armes sowie eine Versteifung der rechten Hand und erhielt einen künstlichen Darmausgang. Darüber hinaus verlor seine in der 14. Woche schwangere Ehefrau schockbedingt ihr Kind. Angesichts der vorstehend aufgeführten zahlreichen Verletzungsfolgen und vielfältigen Komplikationen muss das vom Gericht für angemessen gehaltene Schmerzensgeld im vorliegenden Fall - trotz Berücksichtigung der seitherigen Geldentwicklung und des jüngeren Alters des Klägers - deutlich unterhalb des dortigen Schmerzensgeldes bleiben.

Das Oberlandesgericht München hat im Jahr 2021 (Urteil vom 4. März 2021 - 24 U 1682/20, juris) auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,- EUR bei einer Verletzung, die zur Amputation des linken Unterschenkels bei einem 20-jährigen Mann führte, erkannt. Da der Kläger im vorliegenden Fall erst 13 Jahre alt war und nicht nur einen, sondern beide Unterschenkel und einen Arm verloren hat, betrifft die hier zu treffende Entscheidung wiederum einen deutlich schwereren Fall.

Nach alledem erscheint unter Berücksichtigung der von dem Kläger erlittenen Verletzungen, seines Leidensweges und seines Mitverschuldens das zugesprochene Schmerzensgeld von als angemessen, aber auch ausreichend. Hierbei geht das Gericht davon aus, dass ohne ein Mitverschulden des Klägers ein Gesamtbetrag in Höhe von 300.000,- € anzusetzen gewesen wäre.

g) Auf die Haftungsgrenze des § 9 Haftpflichtgesetz können sich die Beklagten schließlich nicht mit Erfolg berufen. Nach dieser Vorschrift haftet der Bahnbetriebsunternehmer (oder der in § 2 Haftpflichtgesetz bezeichnete Inhaber der Anlage) im Falle der Tötung oder Verletzung eines Menschen für jede Person bis zu einem Kapitalbetrag von 600.000 Euro oder bis zu einem Rentenbetrag von jährlich 36.000 Euro. Selbst wenn die von dem Sozialversicherungsträger im Parallelverfahren geltend gemachten Ansprüche zu berücksichtigen wären, gilt die Haftungsgrenze des § 9 Haftpflichtgesetz nur für eine Haftung der Beklagten nach §§ 1 bis 3 Haftpflichtgesetz. Sie dient dazu, das mit der reinen Gefährdungshaftung verbundene Risiko für den Schädiger überschaubar zu halten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2003 - V ZR 37/02 -, BGHZ 155, 99-110, zitiert nach juris, Rn. 17). Auf andere Ansprüche aus Vertrag oder Delikt - mithin auch auf den hier gegebenen Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB - findet die Haftungsgrenze des § 9 Haftpflichtgesetz daher keine Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2003, aaO, Rn. 16 ff; BeckOGK/A. Vogeler, 15.4.2023, HPflG § 9 Rn. 5; Filthaut/Piontek/Kayser/Kayser, 10. Aufl. 2019, HPflG § 9 Rn. 5).

2. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2) ebenfalls - unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens des Klägers - einen Anspruch auf Schmerzensgeld in der tenorierten Höhe gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB beziehungsweise §§ 1 Abs. 1, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz.

a) Dem Kläger steht auch gegen die Beklagte zu 2) ein Anspruch aus § 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB zu. Die Beklagte zu 2) hat die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt, indem sie an dem von ihr betriebenen Waggon, auf welchem sich der Unfall vom 27. April 2012 ereignete, nicht auf die Gefahr eines tödlichen Stromschlags durch die Oberleitung hingewiesen hat.

aa) Unter Zugrundelegung der unter II. 1.) a) aa) dargelegten Maßstäbe bestand für die Beklagte zu 2) aufgrund der Schaffung einer abstrakten Gefahrenlage eine Verkehrssicherungspflicht insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen. Als Betreiberin eines unter elektrifizierten Oberleitungen geführten Waggons mit einer fest angebrachten Steighilfe war sie gehalten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder und Jugendliche darauf hinzuweisen, dass bei Erklettern eines unter den Oberleitungen abgestellten Waggons die Gefahr eines Stromschlags besteht. Denn gerade wenn der Waggon - wie hier - durch eine fest angebrachte Leiter eine Aufstiegshilfe enthält, die spielende Kinder zum Erklettern des Waggons verlocken kann, muss ihnen deutlich gemacht werden, dass sie sich bei Erreichen des Dachs in die Nähe der Oberleitung und damit in unmittelbare Lebensgefahr begeben (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, juris, Rn. 13, 15; näher hierzu unter Ziff. II. 1.) a) aa).

Diese Pflicht trifft nicht nur die Beklagte zu 1) als Eigentümerin der Gleisanlagen, die für die Sicherheit der Schieneninfrastruktur verantwortlich zeichnet, sondern auch die Beklagte zu 2) als Betreiberin von (Güter-)Zügen nebst Waggons, die unter elektrischen Oberleitungen geführt und bei vorübergehendem Nichtbetrieb abgestellt werden. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten zu 1) war der vom Kläger erklommene Waggon Teil des von der Beklagten zu 2) betriebenen Güterzuges XXXXX, der am Vortag auf dem Abstellgleis am Ende des XXXXXXXXXXX in XXXXXXXXXXX abgestellt worden war. Mit diesem Güterzug hatte die Beklagte zu 2) aufgrund eines mit der Beklagten zu 1) bestehenden Infrastrukturnutzungsvertrages am Vortag die Schienentrassen entgeltlich genutzt. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem Störfallprotokoll vom 27. April 2012 (Anlage B3, Bl. 28 Bd. II d. A.), dem Bericht des Störfallmanagers vom gleichen Tage (Anlage B4, Bl. 29 f. Bd. II d. A.) und der Rechnung "Trassennutzung April 2012" vom 4. Mai 2012 (Anlage B5, Bl. 31 Bd. II d. A.). Die der vorstehenden Rechnung beigefügte Aufstellung der Trassennutzung (Anlage B6, Bl. 32 Bd. II d. A.) weist für den betreffenden Zug mit der Zugnummer XXXXX X schließlich auch eine Fahrt am 26. April 2012 von XXXXXXXXXXX nach XXXXXXXXXXX aus. Die Beklagte zu 2) erbrachte mithin als Eisenbahnverkehrsunternehmen (s. sogleich unter Ziff. II. 2. b.) mit dem betreffenden Güterzug Eisenbahnverkehrsdienste, nämlich die Beförderung von Gütern. Sie besaß insofern zumindest die Verfügungsgewalt über die hierfür genutzten Fahrzeuge, weshalb sie für den ordnungsgemäßen und sicheren Zustand der verwendeten Waggons verantwortlich war und Maßnahmen zu ergreifen hatte, um die von diesem Teil des Bahnbetriebs ausgehenden Gefahren auszuschließen oder zu mindern (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 54). Dabei musste die Beklagte zu 2) auch damit rechnen, dass die von ihr betriebenen Güterzüge bzw. Waggons bis zur nächsten Verwendung auf Abstellgleisen geparkt werden, die sich unter elektrifizierten Leitungen befinden.

Im Hinblick auf die ihr als Betreiberin des abgestellten Güterzuges obliegenden Verkehrssicherungspflichten kann sich auch die Beklagte zu 2) nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich der Kläger unbefugt in den Gefahrenbereich begeben habe. Insofern besteht, wie bereits unter II.

1. a. aa. erörtert, gegenüber Kindern und Jugendlichen eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht mit Rücksicht auf ihre Unerfahrenheit, ihren Bewegungsdrang und Spieltrieb. Güterwaggons auf einem Abstellgleis bieten für diese einen besonderen Anreiz, sie näher zu erkunden und sie zu diesem Zweck auch zu besteigen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 07. November 1991 - 9 U 45/91, NZV 1993, 111). Dies gilt nach den obigen Ausführungen erst Recht, wenn sie - wie hier - mit einer fest angebrachten Leiter versehen sind, die zum Erklettern des Waggons einlädt und dazu führt, dass der Waggon besonders leicht bis zum Dach zu besteigen ist.

Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zu 2) geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um Kinder und Jugendliche vor Gefahren bei Erklettern der von ihr betriebenen, unter elektrischen Oberleitungen geführten Waggons zu schützen. Insofern kann auch von ihr nicht verlangt werden, alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um das Besteigen von auf Abstellgleisen befindlichen Wagen zu unterbinden, so dass ein Kontakt mit der Stromleitung gar nicht erst ermöglicht wird (vgl. BeckOGK/Ballhausen, 1.6.2023, HPflG § 12 Rn. 75). Allerdings war sie aufgrund der bei einem Abstellen unter Oberleitungen stets gegebenen und wegen der Beschaffenheit des Waggons besonders gefahrerhöhenden Umständen gehalten, etwa durch piktographische Darstellungen oder Warntafeln im Bereich der Leiter deutlich auf die Gefahr eines tödlichen Stromschlags hinzuweisen, die beim Aufstieg auf den dazu verführenden Waggon schon bei Annäherung an die Oberleitung besteht (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, juris, Rn. 16).

bb) Soweit die Beklagte zu 2) darauf verweist, dass sie keinen Einfluss auf die konkrete Gestaltung von Warnhinweisen an dem Waggon gehabt habe, da es sich um einen in Frankreich zugelassenen Waggon eines französischen Halters gehandelt habe, entbindet die Nutzung eines nicht in ihrem Eigentum stehenden Fahrzeugs die Beklagte zu 2) nicht von der Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten, die ihr als Verfügungsberechtigte und Betreiberin des Waggons im inländischen Schienenverkehr obliegen. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass - und von welcher Behörde - der Wagen ordnungsgemäß zugelassen wurde. Es kann daher offen bleiben, ob Eigentümer bzw. Halter des Waggons tatsächlich ein französisches Unternehmen war und die Zulassung in Frankreich erfolgte, was der Kläger bestritten hat.

Bahnanlagen und insbesondere die im Bahnbetrieb eingesetzten Fahrzeuge müssen so beschaffen sein, dass sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen, wobei der Bahnunternehmer in eigener Verantwortung zu prüfen hat, welche Maßnahmen zu treffen sind, und grundsätzlich nicht dadurch entlastet wird, dass die zuständigen Behörden die Anlagen und Fahrzeuge zugelassen und im Wege der Aufsicht keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen gefordert haben (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Kayser, 10. Aufl. 2019, HPflG § 12 Rn. 46). Denn die behördliche Prüfung der Einrichtung und eine frühere Genehmigung entbinden nicht von der eigenen Verantwortung (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1953 - VI ZR 130/52, BGHZ 11, 175-181, zitiert nach juris, Rn. 10; OLG Hamm, Urteil vom 27. März 1981 - 9 U 234/78, VersR 1982, 557; Filthaut/Piontek/Kayser/Kayser, 10. Aufl. 2019, HPflG § 12 Rn. 15, m.w.N.). Insofern muss auch der Betreiber der eingesetzten Fahrzeuge stets die Entwicklung beobachten und prüfen, ob wegen einer Änderung der Verhältnisse weitergehende oder andere Sicherungsmaßnahmen notwendig sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1953, aaO, Rn.10; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 11 U 1010/97, juris, Rn. 11), wobei die Anforderungen an die im konkreten Fall bestehenden zivilrechtlichen Gefahrabwendungs- und Verkehrssicherungspflichten über die von der Aufsichtsbehörde geprüften Vorschriften hinausgehen können (vgl. BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 823 Rn. 430; s.a. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. April 2007 - 1 Ws 475/04, BeckRS 2007, 10864; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 506). Die Verkehrspflicht kann sich an anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausrichten und zum Schutze bedrohter Rechtsgüter höhere Anforderungen stellen und mehr an Sorgfalt verlangen, als in öffentlich-rechtlichen Bestimmungen normiert ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1998 - VI ZR 238/97, BGHZ 139, 79-88, zitiert nach juris, Rn. 14). Die staatliche Aufsicht dient nicht dazu, den Unternehmer vor Schadensersatzansprüchen Dritter etwa infolge technischer Fehler zu bewahren; dementsprechend kann sich bereits aus diesem Grund der zivilrechtlich Verkehrspflichtige grundsätzlich nicht mit dem Hinweis auf die behördliche Abnahme bzw. Zulassung seiner Anlage oder seines Fahrzeugs entlasten (vgl. BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 823 Rn. 430, m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 506) Dies gilt erst recht für behördliche Abnahmen oder Überwachungsmaßnahmen im Ausland (vgl. BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 823 Rn. 430). Gerade wenn die Zulassung eines Fahrzeugs - wie hier - nicht durch eine inländische Behörde erfolgt ist, hat sich der Verkehrssicherungspflichtige zu vergewissern, dass die im Inland geltenden Anforderungen an die Sicherheit der Waggons - auch im Hinblick auf die eigene zivilrechtliche Verantwortung - eingehalten werden und im Zweifel selbst die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dass eine ausreichende Kennzeichnung der in der Verfügungsgewalt der Beklagten zu 2 stehenden Waggons nicht möglich gewesen sein soll, ist weder hinreichend vorgetragen, noch ersichtlich. Allein der Umstand, dass es sich bei dem vom Kläger erklommenen Waggon um einen Wagen eines französischen Halters handelt, genügt jedenfalls nicht, um die Beklagte zu 2) von ihren Pflichten zu entbinden.

Schließlich kann sich die Beklagte zu 2) in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg auf die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. März 1995 (VI ZR 34/94, juris) berufen. Der Bundesgerichtshof hat in der vorgenannten Entscheidung angenommen, dass die Beklagte, selbst wenn ihr eine Kennzeichnung ausländischer Waggons nicht möglich gewesen sein sollte, zumindest durch stationäre Warntafeln im Bereich von Abstellgeländen und Kennzeichnung der eigenen Waggons die Gefahren hätte minimieren können. Allerdings war die Beklagte in dem der dortigen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt Eigentümerin des Bahngeländes und der Schienentrassen, wie vorliegend die Beklagte zu 1). Diese besitzt als Eisenbahninfrastrukturunternehmen (s. Ziff. II. 1. b. bb.), das die von ihm betriebene Schienentrasse auch anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Nutzung überlässt, naturgemäß nicht die Verfügungsgewalt über die von fremden Unternehmen verwendeten Schienenfahrzeuge. Im Gegensatz dazu hat die Beklagte zu 2) im hier vorliegenden Fall jedoch selbst als Eisenbahnverkehrsunternehmen den abgestellten Güterzug nebst Waggons für die Beförderung von Gütern genutzt. Sie besaß insofern die Verfügungsgewalt und, wie bereits dargelegt, damit auch die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Zustand der Fahrzeuge, unabhängig davon, ob diese in ihrem Eigentum standen oder lediglich angemietet waren.

cc) Die Beklagte zu 2) hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht zumindest fahrlässig verletzt, da der von ihr betriebene Güterwaggon nicht mit Warnhinweisen versehen war.

Der vom Kläger erklommene Tankwaggon war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht am oberen Ende der Leiter, die am Waggonende auf das Dach führte, mit einem gelben, auf die Basis gestellten dreieckigen Warnschild versehen. Auch an keiner anderen Stelle des Waggons konnte ein Warnhinweis festgestellt werden. Es war insbesondere kein Warnschild mit Blitzsymbol angebracht, wie es auf dem von der Beklagten zu 2 mit Schriftsatz vom 4. Februar 2020 eingereichten Vergleichsbild (Anlage SV 5, Blatt 45 Band III d. A.) zu sehen ist und von dem die Beklagte zu 2) selbst vorträgt, zur Anbringung durch den allgemeinen Verwendungsvertrag verpflichtet gewesen zu sein.

Dies steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Der gerichtlich bestellte Sachverständige XXX XXXXX ist in seinem Gutachten vom 29. Juli 2022 zu dem Ergebnis gekommen, dass die von ihm eingehend analysierten Videosequenzen, Lichtbilder und Originalaufnahmen vom Unfalltag keine Anhaltspunkte für ein gelbes, auf die Basis gestelltes dreieckiges Warnzeichen mit einem Blitzsymbol liefern. Die im Wege der umfangreichen Analyse aus dem Filmmaterial herausgearbeiteten Einzelbilder zeigen dem Gutachter zufolge den Waggon, auf dem der Kläger verletzt wurde, vielmehr eindeutig ohne ein solches Warnzeichen am oberen Ende der auf das Dach führenden Leiter.

Der Sachverständige hat hierzu näher ausgeführt, dass die Bewertung der Bilddateien auf Grundlage videoforensischer Analysemethoden erfolgt sei. Für die durchgeführte Bildanalyse habe er alle im relevanten Teil 1 der Videoaufzeichnungen vom Unfalltag vorhanden Einzelbilder im Bereich 0:30-12:30 extrahiert und einer Bildschärfung unterzogen. Der bildverbesserte Film sei sodann vollständig analysiert worden. Insgesamt seien aus diesem Abschnitt 18.000 Einzelbilder exportiert und eine Bewertung sowohl im laufenden Bild als auch anhand der Einzelbilder vorgenommen worden. Daraufhin seien wiederum 11 Bildpositionen selektiert worden, die einen freien Blick auf den Leiterbereich des Waggons boten (vgl. Seite 21 ff des Gutachtens vom 29. Juli 2022, Sonderband Gutachten). Die aussagekräftigsten sieben Einzelbilder seien nochmals mithilfe von künstlicher Intelligenz einer Bearbeitung unterzogen worden (vgl. Seite 24 ff des Gutachtens). Sichtbares Rauschen, Flimmern und andere Fehler in den Aufnahmen seien mit dem Einsatz von Algorithmen reduziert worden. Auf diese Weise sei neben einer Bildverbesserung (gute Schärfe, wenig Artefakte) eine bis zu 15-fache Erhöhung der Bilddaten erreicht worden. Die Einzelbilder, wie auch der bearbeitete Film, hätten in der Großbildprojektion mit mehreren Metern Bildbreite betrachtet und analysiert werden können. Eine optische Beamer-Projektion habe weitere Bildvergrößerungen zugelassen, die durch Hineinzoomen in das Bild möglich gewesen seien. Durch diese deutlichen Qualitätsverbesserungen des ursprünglichen Aufnahmematerials seien alle zur Beantwortung der Beweisfrage notwendigen Bilddetails gut sichtbar gewesen. Anhaltspunkte für ein gelbes Warnzeichen seien auf diesen Aufnahmen vom infrage stehenden Waggon am Unfalltag jedoch nicht zu erkennen gewesen.

Zum Ausgangspunkt seiner Analyse hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten erläutert, dass er neben den in der gemeinsamen Verhandlung der Verfahren 2 O 2383/15 und 2 O 3175/15 in Augenschein genommen Videosequenzen sowie Lichtbildern der Polizeiinspektion XXXXXXXXXXX auch die Originalaufnahmen der Firma XXXXXXXXXXX vom 25. April 2012 angefordert und in die forensische Videoanalyse einbezogen habe. Dabei hätten die Originalaufnahmen im relevanten Teil 1 der Video-Dateien eine höhere Datenrate aufgewiesen, als die dem Gericht vorliegenden Aufnahmen und seien ansonsten völlig identisch mit dem in der Akte befindlichen Videomaterial gewesen. Grundlage der Begutachtung sei daher der Teil 1 der vom Unfalltag vorliegenden Originalaufnahmen gewesen. Die Teile 2 und 3 der Videosequenzen hätten lediglich Personeninterviews gezeigt, die für die Beantwortung der Beweisfrage nicht relevant gewesen seien, und die drei Foto-Dateien der Polizeiinspektion XXXXXXXXXXX seien für eine weitere Bildanalyse nicht geeignet gewesen.

Der Sachverständige XXX XXXXX hat seine schriftlichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung am 3. Februar 2023 ergänzt und plausibel dargelegt, dass die von ihm vorgenommene Bearbeitung des Bildmaterials nur in geringen Schritten erfolgt sei. Es sei stets die gesamte Datei - nicht nur Teile oder Ausschnittsansichten - bearbeitet worden, um anschließend ins Detail gehen zu können. Farbveränderungen oder gar Retuschen sei nicht vorgenommen worden. Auch Bildinhalte seien nicht bearbeitet worden. Das Bildmotiv habe sich durch die Bearbeitung des Materials nicht verändert. Eine Verschiebung im Farbspektrum habe es ebenso wenig gegeben. Die Bildpunkte hätten sich nicht verändert. Letztlich habe er eine minimale Bearbeitung für eine bessere Sichtbarkeit vorgenommen, die aber aufgrund des vorhandenen Ausgangsmaterials zu keinem Mehrwert geführt habe. Die erforderliche Analyse sei auch vom Originalmaterial aus möglich gewesen.

Dass das gelbe Warnzeichen auf den Aufnahmen vollständig von der Leiter verdeckt worden sein könnte, hat der Sachverständige in seiner Anhörung eindeutig ausgeschlossen. Dies sei nach der Größe derartiger Warnzeichen (entsprechend der europäischen DIN-Norm und dem Vergleichsbild Anlage SV 5, Blatt 45 Band III d. A.) und dessen Position nicht möglich. Hierzu hat der Sachverständige näher ausgeführt, in der Vergrößerung etwa des Bildes 09250 (Bl. 24 des Gutachtens vom 29. Juli 2022, Sonderband Gutachten) sei zu erkennen, dass an der Leiter vorbeigesehen werden könne. Das Bild sei auch nicht retuschiert worden oder habe Farbveränderungen erhalten, wie man unter anderem an dem Schriftzug des Waggons an der Seite erkenne. Die Gelbtöne seien identisch geblieben. Das Warnschild hätte nach der geltenden DIN-Norm eine Seitenlänge von 20 cm aufweisen und an mehreren Stellen hinter der Leiter sichtbar sein müssen, sodass eine Verdeckung etwaiger gelber Flächen durch Artefaktblöcke auszuschließen sei. Sowohl der gelbe Farbton als auch der schwarze Rahmen des Schildes hätten sichtbar sein müssen. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung zwei Tischvorlagen zur Verdeutlichung seiner Schlussfolgerungen vorgelegt sowie eine Videosimulation erstellt, die von allen Beteiligten in Augenschein genommen wurden. Auf diesen Bildern sind auch für das Gericht keinerlei Anhaltspunkte etwa in Form von gelben Farbpigmenten oder schwarzen Rahmen erkennbar. Des Weiteren hat der Sachverständige ausgeführt, dass aufgrund einer vorgenommenen Lichtanalyse auch Reflexionen sehr unwahrscheinlich seien, und auch insofern seine Angaben in der mündlichen Verhandlung mithilfe mehrerer Tischvorlagen verdeutlicht. Flimmereffekte konnte der Sachverständige ebenfalls ausschließen. Unschärfen im Video durch die Bewegung des Objekts habe es nicht gegeben, da der Wagon ohnehin gestanden habe.

Schließlich hat der Sachverständige auf die Einwendungen der Beklagten klargestellt, dass zwar die von der Nachrichtenagentur überlieferten Aufnahmen kein Rohmaterial beinhalten, sondern eine bereits erstellte Zusammenfassung aus den ursprünglichen Rohaufnahmen und damit bereits einer Konvertierung unterliegen würden. Allerdings handele es sich bei dem vorliegenden Videomaterial (MP4-Format) nicht um schlechten Standard oder einen Mangel in der Bildqualität, sondern hochauflösendes gutes Ausgangsmaterial. Die Komprimierung verursache keinen Datenverlust und sei für die Begutachtung nicht relevant. Es sei nicht davon auszugehen, dass durch die Komprimierung im Bild etwas verschwinde. Die Begutachtung sei mithin aus seiner Sicht ohne Weiteres mit klaren Ergebnissen möglich gewesen.

Das Gericht folgt nach alledem den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen XXX XXXXX. Der Sachverständige ist als Diplom-Ingenieur im Bereich Medientechnik qualifiziert für die Begutachtung. Seine überaus detaillierten Ausführungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere ist der Sachverständige von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die daraus gezogenen Konsequenzen nicht nur logisch und widerspruchsfrei dargestellt, sondern auch eingehend und plausibel anhand von Tischvorlagen und einer Videosimulation erörtert. Er hat sich zudem sehr sorgfältig mit den vorhandenen Untersuchungsmöglichkeiten auseinandergesetzt.

Nach alledem befand sich an dem Tankwaggon, auf dem der Kläger verletzt wurde, zur Überzeugung des Gerichts kein gelbes Warnzeichen mit einem Blitz-Symbol links oben neben der Aufstiegshilfe. Soweit sich die Beklagte zu 2) wiederholt auf das als Anlage SV5 vorgelegte Vergleichsbild vom 27. September 2013 beruft und behauptet, dass dieses Foto den vom Kläger erklommenen Kesselwagen zeige, der schon zum Zeitpunkt des Unfalls ordnungsgemäß mit dem dort abgebildeten gängigen Warnschild ausgestattet gewesen sei, so kann dahinstehen, ob es sich dabei tatsächlich um denjenigen Waggon handelt, auf dem sich der Unfall ereignet hat. Keinesfalls lässt der Umstand, dass auf dem Vergleichsbild vom 27. September 2013 links oben neben der Steigleiter ein Warnschild erkennbar ist, zwingend darauf schließen, dass dieses Schild bereits am 27. April 2012 - mithin 1 Jahr und 5 Monate vorher - am betreffenden Waggon angebracht war. Angesichts der vorstehend dargestellten, plausiblen Ausführungen des Sachverständigen XXX XXXXX ist vielmehr vom Gegenteil auszugehen. Insofern ist auch unerheblich, ob das auf dem Vergleichsbild erkennbare gelbe Warnschild mit einem Blitz-Symbol links oben neben der Aufstiegshilfe im hier zu entscheidenden Fall überhaupt als Warnung vor der Gefahr eines elektrischen Schlags ausgereicht hätte (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 1995 - VI ZR 34/94, Rn. 15 ff, juris).

dd) Die Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zu 2) ist für den Unfall des Klägers und die erlittenen schweren Verletzungen auch ursächlich geworden. Grundsätzlich ist mit der obergerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass entsprechend deutliche und verständliche Warnhinweise auch von Kindern und Jugendlichen beachtet werden. Insofern kann auf die Ausführungen unter Ziff. II. 1. a) dd) verwiesen werden, denn die Beklagte zu 2) ist dem Vortrag des Klägers, er hätte den Waggon bei Vorhandensein entsprechender Warnschilder nicht bestiegen, ebenfalls nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Auch die Beklagte zu 2) stellt darauf ab, dass der Kläger vorherige Warnungen ignoriert und eine derartige Selbstgefährdung gezeigt habe, dass von einer Missachtung jeglicher Warnschilder auszugehen sei. Dies schließt sie aus der von beiden Beklagten aufgestellten und nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht bestätigten Behauptung, der Kläger habe die drohende Gefahr erkannt und trotz Warnung bewusst in Kauf genommen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die üblichen Warnhinweise etwa aufgrund seiner geistigen Entwicklung nicht verstanden oder angesichts vorheriger besonders leichtsinniger Verhaltensweisen nicht befolgt hätte, sind jedoch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.

ee) Die Beklagte zu 2) hat die ihr für den Waggon obliegende Verkehrssicherungspflicht zumindest fahrlässig verletzt. Selbst wenn der in den Unfall verwickelte Waggon im Ausland ordnungsgemäß zugelassen worden sein sollte, durfte die Beklagte daraus nicht folgern, dass damit auch die - im Inland geltenden - Anforderungen an die Sicherheit der Waggons eingehalten werden, sondern hätte sich bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt insbesondere vergewissern müssen, ob für die Einhaltung der zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten weitere Maßnahmen zu ergreifen sind. Wie bereits dargelegt, galten die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zum Erfordernis deutlicher Hinweise auf die Gefahr eines elektrischen Schlags durch die Oberleitung - gerade wenn die darunter abgestellten Waggons durch fest angebrachten Leitern eine Aufstiegshilfe enthalten - bereits seit mehr als 25 Jahren (s.o. unter Ziff. II. 1. a) ee)).

ff) Eine Haftung der Beklagten zu 2) entfällt schließlich auch nicht, weil mit der Beklagten zu 1) eine weitere Verkehrssicherungspflichtige existiert, die der bestehenden Gefahr ebenfalls durch Aufstellung von Warnhinweisen im Bereich der Schienen hätte begegnen können. In Bezug auf die hier vorliegende, gemeinsam geschaffene Gefahrenquelle ist jeder Verkehrssicherungspflichtige für den Schutz Dritter verantwortlich und muss im Rahmen seiner Möglichkeiten eigenes Eingreifen prüfen (vgl. BeckOK BGB/Förster, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 823 Rn. 307), wobei die Sicherungspflichtigen gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner haften (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2023 - VI ZR 19/22, juris, Rn. 14; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn. 520).

b) Dem Kläger steht darüber hinaus auch gegen die Beklagte zu 2) nach §§ 1 Abs. 1, 6 Satz 2 HPflG ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu.

aa) Der Kläger erlitt durch den Stromschlag aus den elektrifizierten Oberleitungen schwerste Verletzungen, wobei sich der Unfall bei Betrieb einer Schienenbahn im Sinne von § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz ereignete. Dazu zählt, wie bereits eingehend erörtert (s.o. unter Ziff. II. 1. b) aa)), auch das Abstellen vorübergehend nicht benötigter Waggons auf einem Abstellgleis unter stromführenden Leitungen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19. Juni 1995 - 6 U 55/94, NZV 1996, 30).

bb) Die Beklagte zu 2) ist auch Betriebsunternehmerin im Sinne des § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz, da sie die Bahn für eigene Rechnung nutzt und ihr die Verfügungsgewalt zumindest über einen Teil des Betriebes zusteht (vgl. im Einzelnen oben unter Ziff. II. 1. b) bb)).

Ausweislich der vorliegenden Rechnung vom 4. Mai 2012 nebst Aufstellung der Trassennutzung im April 2012 (Anlagen B5 und B6, Bl. 31 ff. Bd. II d. A.) nutzte die Beklagte zu 2) aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung die Schienentrassen der Beklagten zu 1) für die Beförderung von Gütern und entrichtet hierfür ein Entgelt. Bei lebensnaher Betrachtung generierte sie aus den Frachtverträgen mit den Versendern wiederum Einnahmen, zog aus dem Bahnbetrieb also einen wirtschaftlichen Nutzen. Die Benutzung für eigene Rechnung setzt auch nicht das Eigentum an den Betriebsmitteln oder Fahrzeugen voraus (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 35, s.a. bereits Ziff. II. 1. b. bb.), so dass unerheblich ist, ob die Beklagte zu 2) Eigentümerin und/oder Halterin des in Frage stehend Waggons war oder diesen lediglich gemietet hatte.

Die Beklagte zu 2) ist in diesem Zusammenhang als Eisenbahnverkehrsunternehmen im Sinne von § 2 Abs. 1 AEG anzusehen, das Eisenbahnverkehrsdienste erbringt, mithin die Beförderung von Personen oder - wie hier - Gütern auf einer Eisenbahninfrastruktur übernimmt (§ 2 Abs. 3 AEG). Ausweislich der vorgenannten Rechnung vom 4. Mai 2012 nebst Leistungsaufstellung nutzte sie den Güterzug mit der Zugnummer XXXXX X, in welchem sich der in Frage stehende Waggon befand, am 26. April 2012 für die Beförderung einer Fracht von 300 t von XXXXXXXXXXX nach XXXXXXXXXXX. Da für die Eigenschaft als Bahnbetriebsunternehmer ausreichend ist, wenn lediglich die Herrschaft über einen Teil des Betriebes besteht und Einwirkungsmöglichkeiten und -verpflichtungen hinsichtlich dieses Teils des Betriebes zur Abwendung ausgehender Gefahren bestanden, ist auch nach der Trennung von Eisenbahninfrastruktur und Fahrbetrieb der Eisenbahnverkehrsunternehmer als Betriebsunternehmer im Sinne des Haftpflichtgesetzes anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - VI ZR 69/03, BGHZ 158, 130-142, zitiert nach juris, Rn. 12; BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 77; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 54). Denn selbst wenn das Eisenbahnverkehrsunternehmen seine Verkehrsleistungen auf einer fremden Eisenbahninfrastruktur erbringt, besitzt es zwar nicht die Verfügungsgewalt über die Infrastruktur, behält sie aber in Bezug auf das "rollende Material", nämlich die Fahrzeuge und das Fahrpersonal. Es ist verantwortlich für den ordnungsgemäßen und sicheren Zustand der verwendeten Fahrzeuge und ihm obliegt die Auswahl und Überwachung des beim Transport tätigen Fahrpersonals - damit ist es in der Lage, von diesem Teil des Bahnbetriebs aus wesentlich auf dessen Sicherheit einzuwirken, um Gefahren auszuschließen oder zu mindern (vgl. Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 54). Nichts Anderes ist hier der Fall, denn auch die Beklagte zu 2) hatte die Verfügungsgewalt über den von ihr am Vortag genutzten und auf dem Abstellgleis in XXXXXXXXXXX abgestellten Güterzug, einschließlich der darin eingestellten Waggons, und war für den ordnungsgemäßen Zustand der Fahrzeuge verantwortlich. Dies entspricht auch dem Zweck der Gefährdungshaftung, die stets denjenigen treffen soll, der die Gefahr, die Motiv für die Einführung der verschuldensunabhängigen Haftung gewesen ist, schafft, unterhält oder unter Kontrolle hat und sie zu eigenem Nutzen einsetzt bzw. einsetzen kann (vgl. BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 68).

cc) Unschädlich ist schließlich auch, dass im vorliegenden Fall bereits eine Haftung der Beklagten zu 1) aus § 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz gegeben ist. Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen verfolgen unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und üben die Verfügungsgewalt über den Bahnbetrieb von verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Positionen aus. Sie sind daher nebeneinander (jeder für sich genommen) Betriebsunternehmer (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - VI ZR 69/03, BGHZ 158, 130-142, zitiert nach juris, Rn. 13; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 173/06, juris, Rn. 19; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 56). Dem Kläger als unbeteiligtem Dritten haften sie aufgrund einer gemeinsam geschaffenen Gefahr - dem unter stromführenden Oberleitungen der Beklagten zu 1) abgestellten, von der Beklagten zu 2) betriebenen Güterwaggon - gemeinschaftlich als Gesamtschuldner (vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - VI ZR 69/03 aaO, Rn. 13; BeckOGK/M. Vogeler, 1.5.2023, HPflG § 1 Rn. 79; Filthaut/Piontek/Kayser/Piontek, 10. Aufl. 2019, HPflG § 1 Rn. 28).

dd) Die Haftung der Beklagten zu 2 ist schließlich nicht gemäß § 1 Abs. 2 Haftpflichtgesetz ausgeschlossen. Der Unfall ist nicht durch höhere Gewalt verursacht worden, insbesondere nicht durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Verhalten des Klägers selbst (eingehend hierzu oben unter Ziff. II. 1. b) cc)).

c) Ein Anspruch des Klägers aus § 2 Abs. 1 Haftpflichtgesetz besteht gegen die Beklagte zu 2) indes nicht, da diese nicht Inhaberin der Stromleitungsanlage ist, von der die den Kläger verletzenden Wirkungen der Elektrizität ausgegangen sind.

d) Der Kläger muss sich aber auf seine Ansprüche gegen die Beklagte zu 2) aus §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB bzw. §§ 1 Abs. 1, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz ein Mitverschulden von 1/2 gemäß § 254 Abs. 1 BGB, § 4 Haftpflichtgesetz anrechnen lassen.

Der Kläger besaß, wie bereits dargelegt (vgl. unter Ziff. II. 1. d) bb)) zum Zeitpunkt des Unfalls die erforderliche Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 828 Abs. 2, 3 BGB. Er hat darüber hinaus zumindest sorgfaltswidrig gehandelt, als er auf das Dach des Tankwaggons kletterte und dort so nahe an die Oberleitung kam, dass ein Stromschlag ausgelöst wurde. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unter Zugrundelegung des Kenntnis- und Entwicklungsstandes eines durchschnittlichen Jugendlichen aus der gleichen Altersgruppe hätte er erkennen können und müssen, dass das Erklettern eines unter Oberleitungen abgestellten Waggons mit der Gefahr eines lebensbedrohlichen Stromschlags verbunden sein würde, und diese Erkenntnis hätte ihn bei besonnenem Handeln auch von seinem Vorhaben abhalten müssen.

Dass der Kläger darüberhinausgehend die von der Oberleitung ausgehende Gefahr konkret und positiv kannte und sich bewusst darüber hinwegsetzte, steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht fest. Insbesondere haben die darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht nachweisen können, dass der Kläger auf die Gefahr eines Stromschlags hingewiesen worden war. Auf die Ausführungen unter Ziff. II. 1. d. cc. (2) kann insofern vollumfänglich verwiesen werden.

Ein leichtsinniges, die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzendes Verhalten des Klägers, das jegliche Einstandspflicht der Beklagten zu 2) sowohl im Hinblick auf die schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht als auch hinsichtlich der Gefährdungshaftung zurücktreten ließe, liegt nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Vielmehr erscheint bei Abwägung der Verursachungsbeiträge auch im Verhältnis der Beklagten zu 2) - unter Berücksichtigung der ihr vorzuwerfenden schuldhaften Verkehrspflichtverletzung, der hohen Betriebsgefahr des unter den Oberleitungen abgestellten Waggons, der Ausstattung des Waggons mit einer fest angebrachten Leiter und des Alters des Klägers - eine Mitverschuldensquote von 50 % sachgerecht.

Die Beklagte zu 2) schuldet dem Kläger nach alledem ebenfalls ein angemessenes Schmerzensgeld unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers von 1/2 gemäß §§ 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2, 254 Abs. 2 BGB bzw. §§ 1 Abs. 1, 4, 6 Satz 2 Haftpflichtgesetz.

e) Dieser Anspruch des Klägers ist auch im Hinblick auf die Beklagte zu 2) nicht gemäß § 214 BGB verjährt.

Die dreijährige Verjährungsfrist im Sinne von § 195 BGB, § 11 Haftpflichtgesetz war zum Zeitpunkt der Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags für die Klageerweiterung gegenüber der Beklagten zu 2 (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB) am 18. Dezember 2019 (Bl. 158 Bd. II d. A.) noch nicht abgelaufen.

aa) Die Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, wobei im Falle der beschränkten Geschäftsfähigkeit - wie hier - die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des gesetzlichen Vertreters entscheidend ist (vgl. BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 199 Rn. 49, m.w.N.). Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt zwar nicht, dass der Gläubiger alle Einzelheiten der dem Anspruch zugrundeliegenden Umstände überblickt. Die Verjährungsfrist beginnt schon dann zu laufen, wenn dem Geschädigten bei seinem Kenntnisstand die Erhebung einer hinreichend aussichtsreichen Klage gegen eine bestimmte Person zumutbar ist, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko. Daher ist nicht erforderlich, dass er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand hat, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - VI ZR 594/15, juris, Rn. 11; s.a. MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 199 Rn. 28). Andererseits ist aber eine Klageerhebung bei noch weitgehend ungeklärtem Sachverhalt nicht zumutbar (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 30. Januar 2020 - 1 U 137/19, BeckRS 2020, 1974 Rn. 81). Für eine Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis des Klägers im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB trägt der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152-164, zitiert nach juris, Rn. 25, m.w.N.).

bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2) nicht verjährt. Eine Klageerhebung gegen die Beklagte zu 2) war dem Kläger jedenfalls bis Ende 2016 nicht zumutbar, da er frühestens im Jahr 2016 ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis von der Identität der Beklagten zu 2) bzw. ihrer Beteiligung als Verantwortliche hätte erlangen können.

(1) Im Hinblick auf die Person des Schuldners ist die Kenntnis im Sinne der vorgenannten Vorschrift erst dann gegeben, wenn dem Gläubiger dessen Name und die Anschrift bekannt sind oder er in der Lage ist, ohne große Mühen und Kosten diese Informationen zu erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - VI ZR 345/99, juris, Rn. 13, 15; BeckOK BGB/Spindler, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 199 Rn. 39; MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 199 Rn. 30). Dabei kann der Verjährungsbeginn, wie hier, gegenüber mehreren Ersatzpflichtigen auseinanderfallen, wenn nämlich die erforderliche Kenntnis zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintritt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000, aaO, Rn. 11; MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 199 Rn. 30, m.w.N.). Kommen mehrere Personen alternativ als Passivlegitimierte in Betracht, beginnt die Verjährung gegenüber dem tatsächlich Ersatzpflichtigen erst dann, wenn begründete Zweifel über die Person und Verantwortlichkeit nicht mehr bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1979 - VI ZR 24/77, juris, Rn. 7, m.w.N.; OLG Celle, Urteil vom 16. Februar 2012 - 8 U 172/11, juris, Rn. 91; BeckOGK/Ballhausen, 1.9.2023, HPflG § 11 Rn. 13). Denn erst wenn keine wesentlichen Zweifel mehr bestehen, ist dem Anspruchsinhaber zuzumuten, die Frage der Verantwortlichkeit gerichtlich klären zu lassen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 16. Februar 2012, aaO, Rn. 91, m.w.N.).

(2) Der Kläger hat nach seinem insofern unbestritten gebliebenen Vortrag erst durch die mit Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 1. August 2019 überreichten Anlagen und den weiteren Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 30. September 2019 tatsächlich Kenntnis erlangt, dass die Beklagte zu 2) Betreiberin des Waggons war, auf dem er den Stromschlag erlitten hat.

Dass der Kläger bzw. seine Mutter noch im Jahr 2012 hiervon ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen können und müssen, da sie mühelos in der Lage gewesen wären, sämtliche in den Betrieb des betreffenden Waggons involvierte Unternehmen und damit auch die Beklagte zu 2) zu ermitteln, hat diese nicht hinreichend darzulegen bzw. nachzuweisen vermocht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger frühestens im Jahr 2016 in der Lage war, diese Informationen sowie deren Name und Anschrift ohne große Mühen und Kosten zu erlangen.

(a) Grob fahrlässige Unkenntnis liegt nur dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152-164, zitiert nach juris, Rn. 28, m.w.N.). Dabei ist der Gläubiger zwar nicht angehalten, umfassende Nachforschungen über die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person des Schuldners einzuholen; gleichwohl besteht aber die Obliegenheit, sich zumindest über diejenigen Umstände zu informieren, bezüglich denen eine Informationseinholung mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2002 - VI ZR 182/01, juris, Rn. 11, m.w.N.; MüKoBGB/Grothe, 9. Aufl. 2021, BGB § 199 Rn. 28, 35).

(b) Die Beklagte zu 2) trägt vor, der Kläger habe selbst einfachste Ermittlungen zu den beteiligten Eisenbahnunternehmen nicht angestellt, weshalb ihm eine grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten sei. Sie behauptet, entsprechende Hinweise auf die Beklagte zu 2) hätten sich bereits im Jahr 2012 sowohl aus der Ermittlungsakte als auch aus den vom Kläger selbst vorgelegten Videoaufnahmen ergeben, auf welchen die prägnanten Farben der Diesellok und die Aufschrift auf den Güterwaggons zu erkennen gewesen seien, so dass die Beklagte zu 2) innerhalb von Minuten durch eine Internetrecherche hätte identifiziert werden können.

Dieser Vortrag der Beklagten wird allerdings durch die beigezogene Ermittlungsakte 650 AR 30801/12 der Staatsanwaltschaft Oldenburg bereits insofern widerlegt, als dass in der gesamten Ermittlungsakte keinerlei Hinweise auf die Beklagte zu 2) oder zumindest nähere Details zu dem Güterzug bzw. dem Waggon, auf welchem sich der Unfall ereignete, zu finden sind. Sowohl in der übersichtsartigen Aufstellung der beteiligten Personen und Stellen als auch in den Ermittlungsberichten vom 27. April 2012 und 3. Mai 2012 ist lediglich von einem "Güterwagon" (Bl. 1 der beigezogenen Akte 650 AR 30801/12), dem "dritten Waggon hinter der Lok" (Bl. 7 d. A. 650 AR 30801/12) oder dem "Tankwagen" (Bl. 12 d. A. 650 AR 30801/12) die Rede. Gleiches gilt für den Schlussvermerk vom 5. Juni 2012 (Bl. 16 ff d. A. 650 AR 30801/12). Dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers - entgegen der Behauptung der Beklagten - tatsächlich noch im Jahr 2012 Einsicht in diese Ermittlungsakte genommen haben, ergibt sich im Übrigen aus dem entsprechenden Ersuchen an die Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 19. Juni 2012 sowie dem Übersendungsschreiben vom 2. Juli 2012 (Bl. 29, 33 d. A. 650 AR 30801/12). Es wurden aber offenbar keinerlei polizeilichen Ermittlungen zu dem beteiligten Güterzug oder dem konkreten Waggon angestellt, weder im Hinblick auf seine Beschaffenheit, noch hinsichtlich seines Einsatzes und seines Betreibers. Anhaltspunkte, die auf die Identität der Beklagten zu 2) schließen lassen, sind auch auf den Lichtbildern und Videosequenzen der Polizeiinspektion XXXXXXXXXXX, die in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen wurden, nicht zu finden. Gleiches gilt für die vom Kläger mit Prozesskostenhilfeantrag vom 23. September 2015 (Blatt 12 ff. Bd. I d. A.) sowie mit Schriftsätzen vom 19. Januar 2016 (Blatt 86 ff. Bd. I d. A.) und 17. Juni 2019 (Blatt 10 ff Bd. II d. A.) vorgelegten Lichtbilder.

Soweit die Beklagte des Weiteren auf die Videoaufzeichnung der Firma XXXXXXXXXXX (Blatt 7 Bd. II d. A.) und die dort erkennbaren Farben der Diesellok bzw. Aufschrift auf den Güterwaggons abstellt, verkennt sie bereits, dass der Kläger nach den oben dargelegten Maßstäben gerade nicht gehalten ist, umfassende Nachforschungen über die Person des Schuldners einzuholen. Dies kann jedoch letztlich dahinstehen. Denn selbst wenn der Kläger aufgrund der in den Videosequenzen erkennbaren Farben und Aufschriften des Güterzuges in der Lage gewesen wäre, Name und Anschrift der Beklagten zu 2 ohne nennenswerten Aufwand zu ermitteln, würde dies nicht bedeuten, dass er diese Informationen bereits im Jahr 2012 hätte erlangen können. Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers hat er die in Frage stehenden Aufnahmen von XXXXXXXXXXX selbst erst am 7. Juni 2019 erhalten, was sich im Übrigen auch aus dem Schreiben von XXXXXXXXXXX vom selben Tage ergibt (Bl. 9 Bd. II d.A.). Damit wäre er also erst im Jahre 2019 überhaupt in der Lage gewesen, auf Grundlage dieser Informationen weitere Erkundigungen einzuholen.

Dies gilt auch, soweit die Beklagte zu 2) vorbringt, dass auf den vorliegenden Videoaufnahmen die Adresse und Telefonnummer der Firma XXXXXX zu erkennen sei. Diese Details sind nur auf den zuvor genannten Aufnahmen von XXXXXXXXXXX zu erkennen, nicht aber auf den Fotos und Aufzeichnungen der Polizeidirektion XXXXXXXXXXX oder den übrigen zuvor vom Kläger vorgelegten Bildern. Die dort bereits erkennbare Aufschrift "XXXXXX" war jedenfalls nicht ausreichend, um dem Kläger eine mühelose Informationseinholung zu ermöglichen. Nach den obenstehenden Maßstäben war der Kläger eben nicht gehalten, umfassende Nachforschungen bei dem Hersteller des Waggons anzustellen, zumal weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich ist, dass die Firma XXXXXX überhaupt in der Lage gewesen wäre, nähere Informationen zu der konkreten Verwendung der von ihr hergestellten Waggons zu liefern. Die pauschale Behauptung der Beklagten zu 2), Wagenhalter könnten die Einsätze der Wagen im Detail nachvollziehen (vgl. Bl. 35 Bd. III d. A.), genügt hierfür nicht. Es ist schon nicht vorgetragen, auf welcher (vertraglichen) Grundlage die Nutzung des Waggons durch die Beklagte zu 2) erfolgte und inwiefern die Firma XXXXXX überhaupt noch als Eigentümerin, Halterin, Vermieterin etc. an dessen Einsatz beteiligt war bzw. hiervon Kenntnis hatte. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung erscheint eher fernliegend, dass sie den Standort eines jeden Wagens hätte zuordnen können und, falls doch, diese Information ohne Weiteres preisgegeben hätte. Dass der Kläger allein aufgrund der Aufschrift "XXXXXX" in der Lage gewesen wäre, ohne große Mühen und Kosten den Namen und die Anschrift der Beklagten zu 2) als (weitere) Verantwortliche zu erlangen, ist jedenfalls nicht anzunehmen.

(c) Weitere Anhaltspunkte für die Beteiligung der Beklagten zu 2), die eine Ermittlung von Name und Anschrift mühelos und ohne erheblichen Kostenaufwand möglich gemacht hätten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Schienengüterverkehr wird durch eine Vielzahl von Unternehmen betrieben. Die Beklagte zu 2) weist selbst darauf hin, dass die Liberalisierung der Eisenbahnen und die Existenz einiger hundert Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland allgemein bekannt sei (Bl. 206 Bd. II d. A.). Diese Unternehmen nutzen die Schienentrassen der Beklagten zu 1), so dass dort durch entsprechende Vertragsunterlagen oder Abrechnungen am Ehesten konkrete Güterzüge oder bestimmte Fahrten zugeordnet werden können. Gerade die Beklagte zu 1) hat aber im vorliegenden Verfahren zunächst falsche Informationen zu dem beteiligten Eisenbahnverkehrsunternehmen geliefert und noch mit Schriftsatz vom 10. Februar 2016 (Bl. 113 Bd. I d. A.) mitgeteilt, dass Betreiberin des in Frage stehenden Zuges die XXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXX-XXXXX XXXX gewesen sei. Selbst dort bestand offensichtlich trotz der bestehenden Trassennutzungsverträge bis zum Jahre 2016 keine Klarheit darüber, wer den in Frage stehenden Waggon befördert hatte. Eine direkte Anfrage der Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Streitverkündeten XXX XXXX-XXXXX XXXX im März und April 2016 blieb unstreitig unbeantwortet. Ebenfalls unbestritten vorgetragen hat der Kläger, dass er sich mit Schreiben vom 7. März 2016 bei dem Eisenbahn-Bundesamt erkundigt hat, wer Waggons mit der Aufschrift "XXXXXX" befördere, worauf das Eisenbahn-Bundesamt unter dem 10. März 2016 antwortete, dass die gewünschte Information dort nicht vorläge. Ein weiterer Versuch der Ermittlung des beteiligten Eisenbahnverkehrsunternehmens bei der Beklagten zu 1) im Mai 2019 blieb ebenfalls erfolglos (vgl. Anlage 1 zum Schriftsatz vom 17. Juni 2019, Bl. 8 Bd. II d. A.). Erst mit Schriftsatz vom 1. August 2019 (Bl. 25 ff. Bd. II d.A.) teilte die Beklagte zu 1) mit, dass nach Informationen ihrer Betriebszentrale die XXX XXXXXXXXXXXXXXX - die jetzige Beklagte zu 2) - den betreffenden Zug im Rahmen eines Infrastrukturnutzungsvertrages auf der Trasse der Beklagten zu 1 genutzt habe.

(4) Erste belastbare Hinweise für eine Beteiligung der Beklagten zu 2 lieferten im hiesigen Verfahren indes die Prozessbevollmächtigten der XX XXXXX XX, die sich mit Schriftsatz vom 1. April 2016 (Bl. 118 f. Bd. I d. A.) den Vortrag im Parallelverfahren 3 O 3175/15 zu eigen gemacht haben, wonach die Beklagte zu 2) - die XXXXXXXXXXXXXXX - Betreiberin des in XXXXXXXXXXX abgestellten Zuges gewesen sei. Aber selbst wenn dadurch für den Kläger die Möglichkeit bestanden haben sollte, sich die erforderlichen Informationen zur Person der Einstandspflichtigen und deren Verantwortlichkeit ohne nennenswerte Mühe und Kosten zu beschaffen, wäre ihm eine Erhebung der Klage gegen die Beklagte zu 2) damit frühestens im Jahr 2016 zumutbar gewesen. Dann hätte aber die dreijährige Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB frühestens am 31. Dezember 2016 zu laufen begonnen und wäre bei Veranlassung der Bekanntgabe des Prozesskostenhilfeantrags gegenüber der Beklagten zu 2) am 18. Dezember 2019 (Bl. 158 Bd. II d. A.) noch nicht abgelaufen gewesen.

f) Dem Kläger ist schließlich durch die Gesundheitsbeeinträchtigung ein gemäß § 253 BGB bzw. § 6 Satz 2 HaftpflichtG ersatzfähiger Schaden entstanden, der - unter Berücksichtigung des hälftigen Mitverschuldens - ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,- EUR rechtfertigt. Zur Höhe des dem Kläger auch gegenüber die Beklagte zu 2) zustehenden Schmerzensgeldes ist auf die Ausführungen unter Ziff. II. 1. f) zu verweisen.

Über einen Zinsanspruch war mangels Antrages nicht zu entscheiden.

III.

Der Feststellungsantrag ist überwiegend begründet. Dies ist der Fall, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, mithin ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - über die Verletzung eines Rechtsguts hinaus bereits ein daraus resultierender Schaden eingetreten ist, hängt die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden nicht von einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts ab (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2017 - VI ZR 423/16, BGHZ 216, 149-174, zitiert nach juris, Rn. 49). Eine solche liegt hier ohnehin angesichts der unfallbedingten Amputationen beider Unterschenkel und des linken Arms vor, denn allein schon wegen dieser gravierenden Verletzungsfolge besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger materieller und immaterieller unfallbedingter Schäden.

Demnach hat der Kläger gegen die Beklagte als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Ersatz künftiger materieller und noch nicht vorhersehbarer immaterieller Unfallschäden unter Berücksichtigung des entsprechenden Mitverschuldens des Klägers von 50%.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen des Klägers hinsichtlich der Haftungsquote im Feststellungsantrag ist geringfügig und verursacht keine zusätzlichen Kosten.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.