Landgericht Oldenburg
Urt. v. 03.07.2024, Az.: 3 O 2299/23
Entfallen der Schadensersatzverpflichtung eines Tierhalters aufgrund des überragenden Eigenverschuldens eines Geschädigten an dem Unfall und der zuzurechnenden Tiergefahr des eigenen Pferdes
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 03.07.2024
- Aktenzeichen
- 3 O 2299/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 25228
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 833 BGB
In dem Rechtsstreit
hat das Landgericht Oldenburg - 3. Zivilkammer - durch den Richter am Landgericht Knobloch als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 12.06.2024 für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz für Verdienstausfall aus einer Kollision mit einem Pferd.
Die Klägerin arbeitet als Dolmetscherin und Übersetzerin auf Honorarbasis. Sie ist unter anderem an der VHS in Brake und an der KVHS in Westerstede tätig. Sie hält seit über 30 Jahren Pferde.
Am 02.09.2022 versuchte Klägerin das von ihr gehaltene Pferd von der Weide in Ovelgönne zu holen. Es war dort zusammen anderen Jungtieren untergebracht. Nachdem die Klägerin ihrem Pferd den Halfter mit Strick angelegt hatte, riss es sich los. Es galoppierte zusammen mit weiteren jungen und ihr nicht näher bekannten Hengsten über die Weide, wobei der am Halfter hängende Strick die Tiere immer wieder von neuem in Panik versetzte. Während die ebenfalls anwesenden Zeugen Dieker und Gerdes am Rand der Weide blieben und versuchten, das Pferd des Zeugen Dieker zu beruhigen, machte sich die Klägerin auf den Weg über die ca. 400 m lange und 60 m breiten Weide, um ihr Pferd wieder einzufangen. Dabei liefen drei Pferde auf sie zu. In dieser Gruppe von Pferden befand sich ein Rappe, deren Halterin die Beklagte ist. Hiervon fertigte die Klägerin mit ihrem Mobiltelefon ein Lichtbild an (Anl. K1). Eines dieser Pferde rannte die Klägerin dann um, wobei sie sich verletzte.
Die Klägerin behauptet, der Rappe der Beklagten habe sie umgerannt. Ihr eigenes Pferd sei zu diesem Zeitpunkt schon wieder von den Zeugen Gerdes und Dieker eingefangen gewesen. Sie habe gesehen, dass die Pferde sie taxiert und gezielt umgerannt hätten. Ein Ausweichen sei unmöglich gewesen. Die Weide habe sie betreten, um ihr Pferd einzufangen. Das Mobiltelefon habe sie in der Hand gehabt, da sich auf der Wieder gute Bilder haben machen lassen.
Aufgrund von Schmerzen sei sie ca. sieben Wochen arbeitsunfähig gewesen und habe dementsprechend keine Einnahmen erzielt. Im September 2022 habe sie einen Verdienstausfall von ca. EUR 1.488,38 erlitten. Darüber hinaus macht sie keinen Schadensersatz für Verdienstausfall geltend. Noch heute leide sie unfallbedingt unter Schmerzen.
Sie ist der Meinung, dass sie kein Mitverschulden treffe. Die Klägerin habe keine ungewöhnlichen Risiken übernommen, als sie die Weide betrat. Ihr Pferd sei ihr vertraut gewesen, das Halfter habe er sich ohne Probleme anlegen lassen. Es sei bekannt, dass Pferde keine Menschen umrennen würden. Das Verhalten der Klägerin sei üblich und lediglich mit den normalen Gefahren der Tiernutzung verbunden gewesen. Ein Schmerzensgeld von mindestens EUR 4.000,00 sei angemessen. Neben den Schmerzen sei zu berücksichtigen, dass die Bindungsphase zu ihrem seit wenigen Monaten in der Familie lebenden Pflegesohn verzögert gewesen sei. Sie behauptet, diesen schmerzbedingt nicht habe betreuen zu können.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.488,38 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 3.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen materiellen und immateriellen Zukunftsschaden aus dem Ereignis vom 02.09.2022 zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, dass das Pferd der Klägerin zum Unfallzeitpunkt noch nicht wieder eingefangen gewesen sei. Die Klägerin habe im September 2022 auch weiter als Dolmetscherin arbeiten können.
Sie ist der Meinung, dass das Verhalten der Klägerin und die von dem Pferd der Klägerin ausgehende Tiergefahr ein Mitverschulden begründe, dass den Anspruch entfallen ließe. Sie hätte die Weide nicht betreten dürfen. Aufgrund der galoppierenden Pferde hätte sie zu ihrem eigenen Schutz warten müssen, bis sich diese wieder beruhigten. Nur um Lichtbilder anzufertigen, hätte sie die Weide erst Recht nicht betreten dürfen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dieker (Protokoll vom 19.02.2024, Bl. 86-91) sowie Gerdes (Protokoll vom 12.06.2024). Zudem wurde die Klägerin angehört (Protokoll vom 19.02.2024). Wegen des Ergebnisses wird auf die Protokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Insbesondere ist der Feststellungsantrag zulässig. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO liegt vor, da die Klägerin behauptet, noch weiter an den Unfallfolgen zu leiden und damit die Möglichkeit besteht, dass weitere Schäden eintreten werden (vgl. z.B. BeckOK ZPO/Bacher, 52. Ed. 1.3.2024, ZPO § 256 Rn. 24).
Die Klage ist aber unbegründet. Der Klägerin steht weder ein Schmerzensgeld noch ein Schadensersatzanspruch zu. Zwar liegen die Voraussetzungen der Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB als einzig in Betracht kommender Anspruchsgrundlage grundsätzlich vor. Allerdings entfällt die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aufgrund ihres überragenden Eigenverschuldens an dem Unfall und der ihr zuzurechnenden Tiergefahr des eigenen Pferdes.
In dem Unfall hat sich die Tiergefahr des Rappens der Beklagten verwirklicht und zwar unabhängig davon, ob es selbst die Klägerin umrannte oder diese von einem der anderen Pferde aus der fotografierten Gruppe getroffen wurde. Das panische Galoppieren der Pferde ist gerade Ausdruck der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens. Diese von der gesamten Herde - und damit auch dem Pferd der Beklagten - ausgehende Tiergefahr hat sich gerade in der Verletzung der Klägerin verwirklicht. Denn durch das gemeinsame Herdenverhalten haben die Pferde ihre gegenseitige Tiergefahr erhöht, die zu der Verletzung der Klägerin führte (vgl. zur Ursächlichkeit bei mehreren Tieren: OLG München, Urteil vom 23.6.2017 - 10 U 4540/16).
Nach diesen Grundsätzen muss die Klägerin jedoch entsprechend § 254 BGB auch die Tiergefahr ihres eigenen Pferdes zurechnen lassen. Denn hat bei der Entstehung des Schadens auch das von der Geschädigten gehaltene Tier mitgewirkt, muss sich diese die eigene Tiergefahr gemäß § 254 BGB analog zurechnen lassen (allgemeine Meinung, BGH NJW 1976, 2130 (2131) [BGH 06.07.1976 - VI ZR 177/75]. Dies ist hier der Fall, da das Verhalten des Pferdes der Klägerin mitursächlich für den Unfall war. Unstreitig hat das Losreißen ihres Pferdes und der an diesem befestigten Strick zu dem panikartigen Galopp der kleinen Herde geführt. Das Pferd der Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt auch noch galoppierend auf der Weide. Hiervon ist das Gericht aufgrund der Aussagen der Zeugen Gerdes und Dieker überzeugt, auch wenn das Pferd auf dem Lichtbild der Klägerin (K1) nicht zu sehen ist. Beide Zeugen haben glaubhaft und übereinstimmend ausgesagt, dass das Pferd der Klägerin erst nach dem Unfall wieder eingefangen wurde. Die Angaben der Klägerin zu dem Verbleib ihres Pferdes zum Zeitpunkt des Unfalls beschränken sich dagegen auf eine Vermutung und begründen keinen Zweifel an den glaubhaften Aussagen der beiden Zeugen.
Nach den oben dargestellten Grundsätzen ist es unerheblich, ob sich dieses zum Unfallzeitpunkt in unmittelbarer Nähe der Gruppe von drei Pferden befand, die die Klägerin überrannten oder ob es außerhalb des Bildes der Kamera der Klägerin mitgaloppierte. Fest steht, dass es durch das Losreißen, den flatternden Strick und dem Mitgaloppieren die Tiergefahr erhöht hat, die zu ihrer Verletzung führte.
Neben der zuzurechnenden Tiergefahr hat die Klägerin aber auch ein ganz erhebliches eigenes Verschulden an dem Unfall. Generell darf sich die Verletzte nicht ohne besonderen Grund in die Gefahr bringende Nähe eines Tieres begeben haben oder sonst besondere Risiken heraufbeschworen haben (vgl. BGH NJW-RR 2006, 814; OLG Celle VersR 2015, 1266). Bei überragendem Eigenverschulden kann die Haftung ausnahmsweise sogar ganz entfallen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16. 6. 2002 - 9 U 185/01; OLG Düsseldorf, Urteil vom 29. 9. 2005 - 5 U 21/05; OLG Zweibrücken Hinweisbeschluss vom 28.4.2022 - 2 U 32/21).
Die Klägerin hat sich ohne Not bereits dadurch einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, als sie über die Weide lief, um ihr Pferd einzufangen, obwohl sie wusste, dass die jungen, ihr nicht näher bekannten und unerfahrenen Hengste in Panik über die Weide galoppierten. Sie hätte hier die Gefahr eines Überrennens erkennen und vermeiden können. Dabei kann als wahr unterstellt werden, dass Pferde Menschen nicht gezielt umrennen, wie die Klägerin in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.06.2024 behauptet. Soweit darüber hinaus behauptet werden soll, dass mit derartigen Unfällen nicht zu rechnen sei, ist der diesbezügliche Beweisantritt zum einen verspätet und zum anderen ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt. Es ist allgemein bekannt, dass es durch panische Pferde - gerade in der Herde - zu Unfällen kommen kann (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16. 6. 2002 - 9 U 185/01 zum Fluchtinstinkt). Darüber hinaus setzt sich die Klägerin in Widerspruch zu ihren eigenen Behauptungen aus der Klageschrift. Dort ließ sie - ebenfalls unter Angebot eines Sachverständigenbeweises - vortragen, dass das unfallursächliche Verhalten des Pferdes der Beklagten Ausdruck der sog. Hengstmanieren gewesen sei. Es habe verhindern wollen, dass ein Pferd von der Weide geholt wird. Ein Sachverständigengutachten war daher nicht einzuholen. Ein Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, bestand nicht.
Der Unfall wäre auch vermeidbar gewesen, indem die Klägerin die Weide nicht betreten, sondern abgewartet hätte, bis die Pferde sich beruhigt haben. Dies wäre auch ohne Weiteres zumutbar gewesen, da neben einem Zeitverlust keine weiteren Nachteile drohten. Zudem sind völlig naheliegende Schutzmaßnahmen außer Betracht geblieben. Es wäre ohne große Umstände möglich gewesen, am Rand der nur 60m breiten Weide entlang zu gehen, um Risiken zu minimieren. Es war nicht erforderlich, mitten über die Wiese zu laufen. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass das Verhalten der Klägerin üblich sein mag. Gefährlich bleibt es aber dennoch, wie auf der Zeuge Gerdes aussagte.
Der Fall ist vergleichbar mit dem, der der überzeugenden Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 16. 6. 2002 - 9 U 185/01) zugrunde liegt und bei dem die Haftung der dortigen Beklagten ebenfalls entfiel. Dort hatte die Klägerin versucht ein Pferd auf die Weide zu führen und hatte dabei das Gatter geöffnet. Das ihr unbekannte Pferd der dortigen Beklagten habe sie dann umgerannt, als es eine Fluchtmöglichkeit gesehen hatte. Das OLG Hamm führte aus, dass die Klägerin den Unfall durch das Öffnen des Gatters erst ermöglicht habe. Die erfahrende Pferdehalterin hätte die darin liegende Gefahr erkennen können und müssen. Denn schon nach allgemeiner Lebenserfahrung sei damit zu rechnen, dass ein weidendes Pferd auf einen in seine Nähe kommenden Fremden unberechenbar reagiert und eine ihm "sehenden Auges" eröffnete Fluchtmöglichkeit nutzt, wobei im Wege stehende Personen zu Schaden kommen können. Die dortige Klägerin hätte die Gefahr durch ein Verbringen in den nahegelegenen Stall vermeiden können.
Ähnlich - wenn auch nicht identisch - liegt der Fall hier. Die Klägerin hat durch das Betreten der Weide den Unfall erst ermöglicht. Sie hätte mit der Gefahr rechnen müssen, da es schon der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass es durch Gruppen in Panik geratender, galoppierender Pferde zu Unfällen kommen kann. Dies umso mehr, da sie die anderen Pferde nicht kannte und die Hengste unerfahren waren. Diese Gefahr war für jedermann offensichtlich, sodass das Gericht auch davon überzeugt ist, dass die Klägerin die Gefahr bewusst eingegangen ist, um Zeit zu sparen und Lichtbilder anzufertigen. Ohne Weiteres wäre die Gefahr vermeidbar gewesen, indem sie abgewartet hätte. Hinzu kommt in dem streitgegenständlichen Fall, dass das eigene Pferd der Klägerin die Tiergefahr erhöht hat.
Schon dieses Verhalten der Klägerin lässt in der Gesamtschau mit der ihr zurechenbaren Gefahr ihres eigenen Tieres die Haftung der Beklagten vollständig entfallen, die lediglich für die Tiergefahr ihres Pferdes einzustehen hat. Eine Haftungsteilung stellt zwar den Regelfall dar; sie ist hier aber in dem vorliegenden Fall nicht mehr angemessen.
Darüber hinaus hat die Klägerin weitere naheliegende Vorsichtsmaßnahmen unterlassen: Als die Gruppe der Pferde auf sie zu galoppierte, hat sie sich weder groß und breit aufgebaut und die Arme hochgerissen, noch hat sie beispielsweise ihr Mobiltelefon in die Luft geworden, um die nahenden Pferde zu verschrecken. Stattdessen hat sie zunächst ein Lichtbild angefertigt und sich dann seitwärts zu den Pferden hingestellt. Als erfahrende Pferdehalterin hätte ihr bekannt sein müssen, dass dieses Handeln die Gefahr erhöht, statt diese zu vermindern. Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin die Zeit hatte, ein Lichtbild anzufertigen, aber nicht, naheliegende Schutzmaßnahmen zu treffen.
Auch hierdurch entfällt die Haftung der Beklagten vollständig.
Aus den genannten Gründen besteht schon dem Grunde nach kein Schadensersatzanspruch und zwar weder für vergangene materielle und immaterielle Schäden (Anträge zu .1 und 2.) noch zukünftige (Antrag zu 3.). Zur Schadenshöhe bedarf es daher keiner weiteren Ausführungen. Die Zinsansprüche teilen das Schicksal der Hauptforderungen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.