Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.10.2016, Az.: 19 WF 148/16

Zustandekommen einer Unterhaltsvereinbarung zwischen dem das Kind vertretenden Beistand und dem unterhaltspflichtigen Vater

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.10.2016
Aktenzeichen
19 WF 148/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 38354
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Osterholz-Scharmbeck - AZ: 16 F 97/16

Fundstellen

  • FamRB 2018, 15
  • FamRZ 2017, 2022
  • FuR 2018, 147-148

Amtlicher Leitsatz

Teilt der das Kind vertretende Beistand auf der Grundlage aktueller Einkommensnachweise dem unterhaltspflichtigen Vater mit, dass Kindesunterhalt nicht mehr in Höhe des durch Jugendamtsurkunde titulierten Betrags geschuldet werde und konkretisiert geringere Beträge, so liegt hierin eine Vereinbarung der Beteiligten zum geschuldeten Unterhalt.

Will das Kind später höheren Kindesunterhalt geltend machen, muss es eine wesentliche nachträgliche Änderung der dieser Unterhaltsvereinbarung zugrunde gelegten Verhältnisse darlegen.

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird teilweise dahingehend geändert, dass dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe für seinen Antrag vom 27. Januar 2016 insgesamt bewilligt wird.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus der Jugendamtsurkunde vom 26. Januar 2012.

Der im November 2006 geborene Antragsgegner ist aus der Beziehung seiner Mutter mit dem Antragsteller hervorgegangen, die seit Frühjahr 2007 getrennt leben. Aus der im Oktober 2010 geschlossenen Ehe des Antragsgegners, der als Metzgermeister tätig ist, ist der im Dezember 2010 geborene Sohn M. hervorgegangen.

Mit Urkunde vom ... Januar 2012 (...) des Landratsamts F. verpflichtete sich der Antragsteller zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 105 % des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind. Nachdem der Antragsteller dem durch den Landkreis O. als Beistand vertretenen Antragsgegner Gehaltsabrechnungen übersandt hatte, teilte dieser dem Antragsteller im Schreiben vom 6. Februar 2013 mit, dass seine "Unterhaltsverpflichtung gegenüber F. im November 2012 291 €, im Dezember 2012 218,40 € und ab dem 01.01.2013 191,04 €" betrage. Dabei war der Beistand von einem Nettoeinkommen von 1.660,07 € sowie Kreditverpflichtungen von 200 € und 111 € ausgegangen, ohne pauschalierte berufsbedingte Aufwendungen abzusetzen. Dem Antragsteller wurde zugleich Gelegenheit gegeben, "die Unterhaltsurkunde auf Grund des verringerten Unterhaltsanspruchs anpassen zu lassen." Eine Unterhaltsverpflichtung in dieser Höhe hat der Antragsteller nicht in einer neuen Urkunde beurkunden lassen.

Mit Schreiben vom 9. April 2015 wurde der Antragsteller von den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners aufgefordert, die aktuellen Einkommensverhältnisse mitzuteilen und hierzu die Gehaltsabrechnungen für Dezember 2014 sowie der ersten drei Monate des Jahres zu übersenden. Die begehrte Auskunft erteilte der Antragsteller mit Schreiben vom 24. April 2015 über seinen Verfahrensbevollmächtigten und teilte abschließend mit, dass einer "Unterhaltsberechnung mit Interesse" entgegengesehen werde. Im Schreiben vom 28. Mai 2015 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, den Kindesunterhalt von monatlich 291 € ab April 2015 zu zahlen.

Der Hauptgerichtsvollzieher H. teilte dem Antragsteller am 19. Oktober 2015 mit, dass er mit der Vollstreckung einer Forderung von 3.249,26 € beauftragt worden sei. Aus der beigefügten Forderungsaufstellung geht hervor, dass ab November 2012 ein monatlicher Kindesunterhalt von 291 € abzüglich vom Antragsgegner von April 2013 bis Juli 2015 monatlich gezahlter 191,04 € zur Vollstreckung gebracht werden soll.

Das Amtsgericht hat dem Antragsteller im angefochtenen Beschluss Verfahrenskostenhilfe insoweit bewilligt, als er sich gegen eine Vollstreckung von mehr als 218,40 € für Dezember 2012 sowie von mehr als 191,04 € von Januar 2013 bis März 2015 wendet. Der Antragsgegner habe keinen endgültigen Verzicht auf die Rechte aus der Unterhaltsurkunde erklärt, sondern bis zur erneuten Geltendmachung der Rechte aus der Urkunde nur einen vorübergehenden Vollstreckungsverzicht erklärt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sich darauf beruft, dass er bis zur Neuberechnung eines höheren Unterhaltsanspruchs durch den Antragsgegner keinen höheren Unterhalt schulde.

II.

Die gemäß §§ 113 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist - für das bis zum Juli 2015 begrenzte Einstellungsbegehren des Antragstellers - begründet.

Die Rechtsverfolgung des Antragstellers, mit der er sich gegen die Vollstreckung rückständigen Kindesunterhalts aus der Urkunde des Jugendamts des Landratsamts F. vom 26. Januar 2012 - ... - von Dezember 2012 bis einschließlich März 2015 wendet, bietet bei der im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren gebotenen summarischen und dem Antragsteller günstigen Beurteilung insgesamt hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob - wie das Amtsgericht meint - der Antragsgegner im Schreiben vom 6. Februar 2013 einen vorübergehenden Vollstreckungsverzicht erklärt hat. Dem Wortlaut dieses Schreibens kann nicht ohne weiteres entnommen werden, dass der Antragsgegner für die Zeit ab Dezember 2012 teilweise auf die Vollstreckung aus dem vom Antragsteller errichteten Unterhaltstitel verzichtet hat. Vielmehr teilte der (hiesige) Antragsgegner in diesem Schreiben mit, dass nach seiner näher dargelegten Berechnung nur noch eine Unterhaltsverpflichtung für Dezember 2012 in Höhe von 218,40 € und ab Januar 2013 in Höhe von 191,04 € bestehe.

Für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe kann das vorgenannte Schreiben dahin ausgelegt werden, dass die Beteiligten eine Unterhaltsvereinbarung geschlossen haben, wonach der Antragsteller - unabhängig von der bestehenden Jugendamtsurkunde - nur noch den geringeren und konkret bezifferten Kindesunterhalt schulde. Das im vorgenannten Schreiben liegende Angebot auf Abschluss einer Vereinbarung zum Kindesunterhalt, die in den Grenzen des § 1614 BGB (vgl. hierzu BGH FamRZ 2015, 2131 [zum Trennungsunterhalt]) im Gegensatz zum nachehelichen Unterhalt (vgl. § 1585c Satz 2 BGB) formfrei möglich ist (vgl. Wendl/Dose/Klinkhammer, 9. Aufl., Unterhaltsrecht, § 2 Rn. 755), hat der Antragsteller konkludent (vgl. § 151 BGB) bzw. durch die - über einen längeren Zeitraum - erfolgten Zahlungen angenommen.

Eine Vereinbarung nach Errichtung eines Unterhaltstitels über die Höhe des geschuldeten Unterhalts kann eine vollstreckungsbeschränkende Wirkung zur Folge haben bzw. dahingehend ausgelegt werden. Eine solche Vereinbarung kann die unterhaltsverpflichtete Person der Vollstreckung entgegengehalten, denn der Gläubiger kann sich gegenüber dem Schuldner rechtswirksam verpflichten, von einem erwirkten Titel ganz oder teilweise keinen Gebrauch zu machen. Eine solche Vereinbarung nimmt dem Titel zwar nicht dessen Vollstreckbarkeit, sie gibt dem Schuldner jedoch die Möglichkeit, gegen die weitere Zwangsvollstreckung mit einem Vollstreckungsabwehrantrag nach § 767 ZPO vorzugehen (vgl. BGH NJW 1991, 2295 [BGH 02.04.1991 - VI ZR 241/90]; siehe auch BGH FamRZ 1982, 782; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 767 Rn. 12 [Stichwort: Vereinbarungen]). Daher kann der Unterhaltspflichtige mit dem Vollstreckungsabwehrantrag eine vom Vollstreckungstitel abweichende Vereinbarung als (insoweit) rechtsvernichtende Einwendung i. S. v. § 767 ZPO geltend machen (vgl. BGH FamRZ 1979, 573, 574; Wendl/Dose/Schmitz, a. a. O., § 10 Rn. 154; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Roßmann, Der Unterhaltsprozess, 6. Aufl., Kap. 3 Rn. 1688 ff.).

Kann vorliegend vom Abschluss einer Unterhaltsvereinbarung der Beteiligten ausgegangen werden, hat diese dem fortbestehenden Unterhaltstitel in Form der Jugendamtsurkunde zwar nicht dessen Eignung als Vollstreckungstitel insgesamt wohl aber in Höhe der Beträge genommen, die die von den Beteiligten vereinbarten Unterhaltsansprüche übersteigen, sodass die Rechtsverfolgung des Antragstellers bis Juli 2015 hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

2. Für die Vollstreckung eines Unterhaltsanspruchs ergibt sich kein Unterschied danach, ob sich der Unterhaltspflichtige auf einen Verzicht der unterhaltsberechtigten Person oder auf eine der Vollstreckung entgegenstehende Vereinbarung beruft, denn in beiden Fällen handelt es sich um zulässige Einwendungen i.S.v. § 767 ZPO. Gleichwohl sind die Erklärungen bzw. Vereinbarungen in ihren Rechtswirkungen nicht notwendig identisch und können Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Unterhaltsgläubigers haben. Denn ein erklärter Widerruf eines Vollstreckungsverzichts führt unmittelbar dazu, dass der Unterhaltsberechtigte aus dem Unterhaltstitel ab diesem Zeitpunkt die Zwangsvollstreckung betreiben kann und beseitigt deswegen auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für einen Abänderungsantrag (vgl. OLG Celle FamRZ 2015, 57; OLG Thüringen FamRZ 2014, 1032 [zum Volljährigenunterhalt]; OLG Zweibrücken FamRZ 2009, 142 [zum Trennungsunterhalt]). Demgegenüber begründet eine Unterhaltsvereinbarung neben der Jugendamtsurkunde eine weitere unmittelbar auf den geschuldeten Unterhalt gerichtete rechtliche Beziehung zwischen den Beteiligten, die für den zukünftig geschuldeten Unterhalt maßgeblich ist. Diese hindert die unterhaltsberechtigte Person indessen nicht, den ihr (aktuell oder rückständig) zustehenden Unterhaltsanspruch geltend zu machen.

Dabei sind jedoch die materiell-rechtlichen Bindungen zu beachten, die aus der getroffenen Unterhaltsvereinbarung folgen. In dieser hatten die Beteiligten aus den von ihnen zugrunde gelegten finanziellen Verhältnissen einen bestimmten, konkret bezifferten Unterhaltsbetrag hergeleitet. Vorliegend haben die Beteiligten dem monatlich vom Antragsteller gezahlten Unterhalt von 191,04 € die Anfang 2013 relevanten - und ggf. im weiteren Hauptsacheverfahren noch näher vorzutragenden - Einkommensverhältnisse auf Seiten des Antragstellers, wie sie sich aus dem Schreiben vom 6. Februar 2013 ergeben, als für sie rechtlich erheblich zugrunde gelegt. Eine Änderung dieser Vereinbarung kommt daher nur nach Maßgabe des § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, sodass die unterhaltsberechtigte Person eine wesentliche nachträgliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse darlegen muss, die ihr ein Festhalten an der bisherigen Abrede als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. hierzu Wendl/Dose/Schmitz, a. a. O., § 10 Rn. 369, 372).

Vor diesem Hintergrund kann sich der Antragsgegner nicht allein darauf berufen, dass er mit Schreiben vom 9. April 2015 den bisher titulierten Kindesunterhalt wieder geltend macht. Allein die Erklärung, Unterhalt in vollem Umfang erhalten zu wollen oder Auskunft über die Einkünfte des Antragstellers zu begehren, begründet zwar die Verzugsvoraussetzungen nach § 1613 Abs. 1 BGB, führt jedoch nicht die Voraussetzungen für die Abänderung der zuvor geschlossenen Unterhaltsvereinbarung herbei. Selbst wenn Unterhalt (nur) bis zur Höhe des Mindestunterhalts begehrt wird, enthebt dies das unterhaltsberechtigte minderjährige Kind nicht davon, die materiell-rechtlichen Abänderungsvoraussetzungen nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage konkret darzulegen und ggf. zu beweisen. Denn aus den damals obwaltenden finanziellen und wirtschaftlichen Umständen haben die Beteiligten einvernehmlich eine den Mindestunterhalt unterschreitende Unterhaltspflicht hergeleitet.

Neben diesen materiell-rechtlichen Bindungen unterliegt eine außergerichtliche Vereinbarung zwar grundsätzlich nicht den Abänderungserfordernissen des § 239 FamFG, weil die Vereinbarung weder die Voraussetzungen eines gerichtlichen Vergleichs noch einer vollstreckbaren Urkunde erfüllt (vgl. Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 3. Aufl., § 239 Rn. 9 f.; Schulte-Bunert/Weinreich/Kein, FamFG, 5. Aufl., § 239 Rn. 12). Vorliegend ist indessen der besondere Zusammenhang zwischen der vom Antragsteller errichteten Jugendamtsurkunde einerseits und der diese begrenzenden Unterhaltsvereinbarung zu beachten. Durch letztere haben die Beteiligten dem vom Antragsteller errichteten Unterhaltstitel teilweise die Vollstreckbarkeit genommen. Die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsanspruchs des Antragsgegners wurde durch die Unterhaltsvereinbarung konkretisiert. Dieser Zusammenhang rechtfertigt es, dass der Antragsgegner sein (weitergehendes) Unterhaltsbegehren nicht im Wege eines Erstverfahrens bzw. -antrags sondern über einen Abänderungsantrag nach § 239 Abs. 1 FamFG geltend zu machen hat. Dies ist grundsätzlich auch als (Abänderungs-)Widerantrag im vorliegenden Verfahren möglich (vgl. Wendl/Dose/Schmitz, a. a. O., § 10 Rn. 380 ff., 218). Zugleich führt dies dazu, dass die materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen nach § 239 Abs. 2 FamFG in Einklang stehen. Keine andere Rechtslage hätte sich für den Antragsgegner ergeben, wenn er dem Hinweis im Schreiben vom 6. Februar 2013 gefolgt wäre und die herabgesetzten Unterhaltsbeträge in einer neuen Urkunde hätte titulieren lassen. In diesem Fall hätte der Antragsgegner einen höheren Unterhaltsanspruch ebenfalls nur im Wege der Abänderung nach § 239 FamFG erreichen können.

Dass der Antragsteller dem vorgenannten Hinweis des Antragsgegners, für das aus Sicht des Senats keine Veranlassung bestand, nicht gefolgt ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn eine "Anpassung" des Unterhaltstitels hätte sich auf diesem Wege nicht erreichen lassen. Die in einer Jugendamtsurkunde enthaltene Unterhaltsverpflichtung kann allein im Wege eines Abänderungsverfahrens nach § 239 FamFG, jedoch nicht durch Errichtung einer Abänderungsurkunde oder einer neuen Jugendamtsurkunde geändert werden (vgl. OLG Köln FamRZ 2016, 1001, 1002 m. w. Nw.; OLG Brandenburg JAmt 2006, 264; Wendl/Dose/Schmitz, a. a. O., § 10 Rn. 275; Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 3. Aufl., § 239 Rn. 4; a. A. Knittel FamRZ 2016, 1794, 1795 unter Hinweis auf die Möglichkeit, einvernehmlich die bestehende Urkunde durch einen neuen Titel zu ersetzen).

Das Amtsgericht wird den Beteiligten zu den hiernach aufgeworfenen Fragen Gelegenheit zu weiterem Vortrag geben, um die erforderlichen Tatsachen im Hauptsacheverfahren feststellen zu können.