Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.12.2020, Az.: S 26 AY 44/20 ER

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
02.12.2020
Aktenzeichen
S 26 AY 44/20 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71542
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Aufgrund erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken an der Eingriffsermächtigung des § 1a Abs. 7 AsylbLG in den grundrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (aus Art.1 i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG), der durch den Gesetzgeber in den §§ 3, 3a AsylbLG ausgestaltet worden ist, ist der Leistungsträger aufgrund einer Folgenabwägung im Wege der einstweiligen Anordnung zu Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG verpflichten.

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet - vorläufig und vorbehaltlich einer anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache -, dem Antragsteller für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht am 24.9.2020 bis zu seiner Ausreise oder Abschiebung, längstens bis zum 15.3.2021 zusätzlich zu den bewilligten Sachleistungen Barleistungen i.H.v. 139 € und Gutscheinleistungen i.H.v. 33,93 € monatlich zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt ungekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG – von der Antragsgegnerin.

Der am C. geborene Antragsteller ist liberischer Staatsangehöriger. Er ist am 13.3.2020 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Seinen unter dem 1.4.2020 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – BAMF – mit Bescheid vom 31.7.2020 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an. Zur Begründung führte es aus, dass die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nummer 6 104/2013 des europäischen Parlamentes und des Rates (Dublin III-VO) vorliege. Am 20.5.2020 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Italien gerichtet worden. Italien habe sich nicht fristgerecht erklärt. Damit sei Italien für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Hiergegen hat der Kläger unter dem 13.08.2020 Klage vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg erhoben (Az. 6 A 2172/20), die - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist. Mehrere versuchte Überstellung sind bislang gescheitert (15.10.2020 und 5.11.2020). Die italienischen Behörden verlangen für eine Überstellung, dass zuvor ein negativer Covid 19-Test (nicht älter als 72 Stunden vor Überstellung) durchgeführt worden ist. Ein neuerer Termin zur Überstellung steht derzeit nicht fest.

Mit Bescheid vom 19.3.2020 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Zeit ab dem 16.3.2020 bis zum 30.6.2020 Leistungen gem. §§ 3, 3a AsylbLG in Form von Sachleistungen für seinen Bedarf an Ernährung, Unterkunft und Heizung und in Form von Wertgutscheinen i.H.v. insgesamt 42 € für seinen Bedarf an Bekleidung und Gesundheitspflege sowie für seinen notwendigen persönlichen Bedarf als Bargeldleistungen i.H.v. 139 € monatlich. Er erhielt zudem nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin bei Ankunft einen zusätzlichen Bekleidungsgutschein i.H.v. 40 €.

Nach einer Anhörung gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 3.9.2020 ab dem 16.9.2020 bis zu seiner Ausreise oder Abschiebung, längstens bis zum 15.3.2021, eingeschränkte Leistungen nach § 1 a Abs. 7 AsylbLG als Sachleistung für den Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung sowie Gesundheits- und Körperpflege und Leistungen im Falle von Krankheit bei vorliegender Notwendigkeit nach § 4 AsylbLG. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Voraussetzungen für eine Einschränkung des Anspruches nach § 1a Abs. 7 AsylbLG erfüllt seien. Sie wies darauf hin, dass, soweit im Einzelfall besondere Umstände vorlägen, der Bedarf an Bekleidung und Schuhe gewährt werden könne. Der Bedarf an Gesundheitspflege wird nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin durch Ausgabe von Gutscheinen für rezeptfreie Medikamente und pharmazeutische Erzeugnisse gewährt. In der Unterkunft ist WLAN kostenlos nutzbar.

Unter dem 24.9.2020 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 3.9.2020 Widerspruch erhoben und das Sozialgericht Oldenburg um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er die Verfassungswidrigkeit der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG geltend.

Er beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ihm ungekürzte Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie weist ergänzend darauf hin, dass sie im Rahmen der Gesetzesbindung im Falle des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzung des § 1a Abs. 7 AsylbLG lediglich eingeschränkte Leistungen gewähren kann und muss. Die eingeschränkte Leistungsgewährung sei jedoch auch nicht verfassungswidrig und ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens sei dem Antragsteller zumutbar, da ihm durch die Bildungs- und Freizeitangebote in der Einrichtung sowie die Zurverfügungstellung von WLAN letztendlich auch die übrigen nach der EVS vorgesehenen Bedarfe gewährt würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und die beigezogene Ausländerakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet. Maßgebend für die Bestimmung der statthaften Antragsart ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf.

Statthafte Antragsart ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, da der Antragsteller mit seinem Begehren in der Hauptsache nur durch eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, durchdringen könnte.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung für eine solche einstweilige Anordnung ist deshalb, dass der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Anordnungsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller zum anderen ohne eine einstweilige Regelung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).

Das Bundesverfassungsgericht hat ein seinem Kammerbeschluss vom 8.7.2020 (– 1 BvR 932/20 –, juris, Rn. 10 ff.) hierzu nochmals ausgeführt, dass das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ansonsten dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Rechte droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, verlangt. Dies bedeutet für den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches nicht überspannt werden dürfen. Zwar dürfen die Entscheidungen auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, dabei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (BVerfG a.a.O. Rn. 11). Eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage hat dann nicht zu erfolgen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Dann hat das Gericht eine abschließende Prüfung vorzunehmen, was allerdings nur in Betracht kommt, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist eine Folgenabwägung durchzuführen (BVerfG a.a.O. Rn. 11 m.w.N.).

Zwar macht die Antragsgegnerin zu Recht geltend, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Einschränkungstatbestandes des § 1a Abs. 7 AsylbLG, nach seinem Wortlaut erfüllt sind. Der Antragsteller ist ein Leistungsberechtigter nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Seinen Asylantrag lehnte das BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 6 des Asylgesetzes mit Bescheid vom 31.7.2020 als unzulässig ab. Die Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 2. Alt. des Asylgesetzes wurde im Bescheid angeordnet. Eine aufschiebende Wirkung der verwaltungsgerichtlichen Klage wurde nicht angeordnet. Eine Frist von bis zu 6 Monaten (vgl. §14 Abs. 1 AsybLG) ist bestimmt.

Jedoch war vorliegend die Antragsgegnerin aufgrund einer Folgenabwägung im Wege der einstweiligen Anordnung zu Leistungen gem. §§ 3, 3a AsylbLG vorläufig zu verpflichten. Zwar ist zweifelhaft, ob in der Konstellation der einstweiligen Regelungsanordnung es mit der Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) vereinbar ist, wenn ein Gericht die Auffassung vertritt, entgegen einer in Kraft getretenen Neuregelung wegen vorhandener Zweifeln an deren Verfassungsmäßigkeit dem von der Neuregelung erfassten und hierdurch von (höheren) Leistungen ausgeschlossenen Personenkreis im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gleichwohl Leistungen zusprechen zu dürfen (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86b SGG (Stand: 03.02.2020), Rn. 78).

Vorliegend ist jedoch die Nichtanwendbarkeit des § 1a Abs. 7 AsylbLG im einstweiligen Rechtschutzverfahren, mit der Gesetzesbindung der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Normverwerfungsmonopol des BVerfG (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar. Zwar können die Fachgerichte den Rechtskreis des Rechtsschutzsuchenden nicht ohne gesetzliche Grundlage erweitern (ders. a.a.O. Rn. 72). Sie dürfen jedoch einstweiligen Rechtsschutz gewähren, wenn sie ernstliche Zweifel haben, ob eine Norm des einfachen Rechts, die von der Behörde als Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen genutzt wird, mit dem Grundgesetz vereinbar ist (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86b SGG (Stand: 16.11.2020), Rn. 71). Bei den Einschränkungstatbeständen des § 1a AsylbLG handelt es sich um eine solche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in den grundrechtlich garantierten Anspruch auf (staatliche) Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, der durch den Gesetzgeber in den § 3, 3a AsylbLG als Regelleistung für die erste Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet ausgestaltet worden ist. Die Einschränkungstatbestände des § 1 a AsylbLG ermächtigen die Behörden in ihrer Rechtsfolge zu einer Leistung unterhalb des gesetzlich ausgestalteten Existenzminimums gem. §§ 3, 3a AsylbLG. Es erfolgen nach § 1a Abs. 7 AsylbLG keine Leistungen zur Deckung zur Deckung der soziokulturellen Existenz (sog. notwendiger persönlicher Bedarf). Es erfolgen aber auch keine Leistungen regelhaft zur Deckung des notwendigen Bedarfs an Bekleidung und Schuhen. Die Garantie des Existenzminimums bezieht sich nach Rspr. des BVerfG jedoch einheitlich sowohl auf die physische Existenz (Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit) als auch auf die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvR 10/10 und 2/11 - Rn. 64; sog. soziokulturelles Existenzminimum). Der Antragsteller gehört zu dem nach § 1 AsylbLG berechtigten Personenkreis auf existenzsichernde Leistungen gem. §§ 3, 3a AsylbLG. Er ist hiervon nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Insoweit wird durch die Anwendung des § 1a AsylbLG der Rechtskreis des Antragstellers eingeschränkt. Das Gericht spricht hier nicht einen höheren von Gesetzes wegen nicht vorgesehenen Anspruch zu, sondern spricht eine einstweilige Anordnung zu Leistungen in der gesetzlich vorgesehenen Regelhöhe gem. §§ 3, 3a AsylbLG aus.

Eine Folgenabwägung zugunsten des Schutzes des Rechtskreises des Antragstellers hat zu erfolgen, da das Gericht sich nicht in der Lage zu einer abschließenden Prüfung der Rechtslage sieht. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1a Abs. 7 AsylbLG und gegebenenfalls der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung im Sinne einer teleologischen Reduktion ist in der derzeit hierzu nur in einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorliegenden Rechtsprechung äußerst umstritten (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der Norm: SG Osnabrück Beschluss vom 27.01.2020 - S 44 AY 76/19 ER, zu verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.Mai 2020 – L 20 AY 7/20 B ER –, juris).

Das Gericht sieht sich aufgrund des klaren Wortlautes der gesetzlichen Regelungen und des erkennbaren Willens des Gesetzgebers daran gehindert eine entsprechend einschränkende Auslegung des Tatbestandes vorzunehmen (vgl. zur teleologischen Reduktion: SG München vom 10.02.2020 - S 42 AY 82/19 ER; SG Landshut vom 28.01.2020 - S 11 AY 3/20 ER und SG Landshut vom 23.01.2020 - S 11 AY 79/19 ER). Die Vorschrift dürfte vielmehr unabhängig von einem persönlich vorwerfbaren Fehlverhalten des Leistungsberechtigten diesem lediglich einen eingeschränkten Leistungsanspruch zukommen lassen, soweit, dessen Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF aufgrund einer anderweitigen Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens nach der Dublin-III-VO als unzulässig abgelehnt worden ist und die Abschiebung angeordnet worden ist (vgl. BT-Drs. 19/20984 vom 13.07.2020 S. 8, wonach über das Verweilen im Bundesgebiet hinaus kein „weiteres Fehlverhalten“ hinzutreten muss).

Der Tatbestand des § 1a Abs. 7 AsylbLG ist ausschließlich auf die Durchsetzung des asyl- bzw. ausländerrechtlichen Konzepts ausgerichtet und nicht an leistungsrechtlichen Bedarfslagen orientiert (vgl. Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 1a AsylbLG (Stand: 01.02.2020), Rn. 145). Dies wirft im Hinblick auf das Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 – erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit auf. Kernaussage der dortigen Entscheidung war, dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht relativierbar ist. Dies hat das BVerfG in seinem aktuellen Urteil zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit von Einschränkungen von Leistungen nach dem SGB II nochmals aufgegriffen (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 120, juris). Es hat deutlich gemacht, dass der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung stehen und der entsprechende Anspruch allen zusteht und dem Grunde nach unverfügbar ist und selbst durch vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren geht (BVerfG a.a.O).

Das BVerfG hat die bereits zuvor getroffenen Erwägungen, dass diese Verpflichtung durch Erreichung migrationspolitischer Erwägungen nicht zu relativieren ist, neuerlich bekräftigt und auf seine dortige Entscheidung verwiesen, indem es ausführt: „Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind (vgl. BVerfGE 35, 202 [BVerfG 05.06.1973 - 1 BvR 536/72] <236>). Diese Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums ist auch zur Erreichung anderweitiger Ziele nicht zu relativieren (vgl. BVerfGE 132, 134 <173 Rn. 95>)“ (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 120, juris).

Insoweit ist äußerst fraglich, ob der hinter der Regelung stehende Gesetzeszweck der Durchsetzung der Ausreisepflicht sowie der Begrenzung der Sekundärmigration und das Interesse an Einsparungen von Ausgaben (vgl. BT-Drucksache 19/10047) ein legitimes Ziel zur Einschränkung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist.

Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, dass in ihrer Unterkunft letztlich alle von der EVS vorgesehenen Bedarfe gedeckt würden, kann sie nicht gehört werden. Der Bedarf an Bekleidung und Schuhen, wird nur nach Antrag und laut Hinweis zu dem Bescheid vom 3.9.2020 im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände, also nicht - wie gesetzlich nach den §§ 3, 3a AsylbLG vorgesehen - regelhaft gewährt. Eine anderweitige als durch Barmittel ausreichende Deckung des soziokulturellen Bedarfs ist im vorliegenden Einzelfall schon nicht hinreichend konkret vorgetragen. Die Antragsgegnerin räumt selbst ein, dass das Angebot an Bildungs- und Freizeitaktivitäten an ihrem Standort pandemiebedingt eingeschränkt ist. Dass die in Abt. 7 bis 12 vorgesehenen Bedarfe (Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen und andere Waren und Dienstleistungen) kompensiert werden, ist in keinerlei Weise ersichtlich. Dies ändert die Zurverfügungstellung von kostenlosem WLAN nicht. Unabhängig von der Frage, ob dem Antragsteller ein internetfähiges Endgerät zur Verfügung steht, wäre hierdurch dem Antragsteller nur zum Teil die Teilhabe an Kultur oder der Austausch mit anderen ermöglicht. Die regelhaft durch die Bargeldleistungen vorgesehenen Leistungen sollen dem Leistungsberechtigten einen bedarfsgerechten individuellen Einsatz entsprechend seinen Bedürfnissen durch die Gewährung einer pauschalierten Geldleistung ermöglichen.

Aufgrund der geäußerten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 1a Abs. 7AsylbLG, war die Antragsgegnerin einstweilig zu Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu verpflichten, da hier der Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG betroffen ist. Dessen Beeinträchtigung kann nach Rspr. des BVerfG auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des ‒ möglicherweise noch längere Zeit in Anspruch nehmenden ‒ Hauptsacheverfahrens nicht mehr ausgeglichen werden, weil der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er besteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. 7.2020 – 1 BvR 932/20 –, Rn. 13, juris m.w.N.).

Der Anordnungsgrund ergibt sich aufgrund der Bedeutung existenzsichernder Leistungen für die Menschenwürde.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.