Sozialgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.01.2021, Az.: S 10 SV 1/21 ER

Corona; Impfung; Teilhabeanspruch

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
21.01.2021
Aktenzeichen
S 10 SV 1/21 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70637
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist nicht eröffnet für ein Verfahren, mit dem ein Anspruch auf vorzeitige Impfung gegen das Coronavirus geltend gemacht wird.
2. Weder aus der CoronaImpfVO selbst noch aus einem verfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch besteht gegenwärtig ein Anspruch auf vorzeitige Impfung in Abweichung von den Priorisierungsregeln der §§ 2 bis 4 CoronaImpfVO.

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihn in die in § 2 der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) definierte Gruppe aufzunehmen und eine unverzügliche Impfung zu gewährleisten, hilfsweise diesen zu verpflichten, ihm unmittelbar im Anschluss an die Impfungen in Alten-und Pflegeheimen eine Impfung zu ermöglichen.

Der 73-jährige Antragsteller, der privat krankenversichert ist, lebt gemeinsam mit seiner Frau, von Beruf Lehrerin, und 2 minderjährigen Kindern in einem Haushalt. Er leidet unter einer koronaren 3-Gefäßerkrankung mit schwerer eingeschränkter linksventrikuläre Funktion, wegen der er schon seit langen Jahren in Behandlung steht. Nach einem Attest seines behandelnden Internisten Dr. {D.} vom 02.12.2020 hat er durch diese Erkrankung ein erheblich erhöhtes Risiko eines schweren Covid 19-Verlaufes und eine frühzeitige Impfung ist zwingend indiziert. Der Antragsteller wandte sich an die an seinem Wohnort eingerichtete Impfhotline und bat um eine Terminierung zu Impfung innerhalb der ersten Gruppe nach § 2 CoronaImpfV. Dieses lehnte der kontaktierte Mitarbeiter der Impfhotline, Herr {E.}, telefonisch ab. Eine schriftliche Ablehnung konnte dieser dem Antragsteller nicht erteilen. Der Antragsteller wandte sich daraufhin im weiteren Verfahren an den Antragsgegner. Dieser teilte in einer E-Mail vom 04.01.2021 mit, dass aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit des Impfstoffes eine Impfung zunächst nur bestimmten Personengruppen angeboten werden könne, für die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe einer Covid 19-Erkrankung anzunehmen sei oder die beruflich entweder besonders exponiert seien oder im engen Kontakt zu einer gefährdeten Personengruppe arbeiten würden. Aufgrund dessen sei in der CoronaImpfV eine Priorisierung vorgenommen worden, nach der dem Antragsteller gegenwärtig keine Impfmöglichkeit nachgewiesen werden könne.

Mit Schriftsatz vom 31.12.2020 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht (VG) Oldenburg den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihn in die unter § 2 CoronaImpfV definierte Gruppe mit höchster Priorität aufzunehmen und eine unverzügliche Impfung zu gewährleisten. Zur Begründung führte er aus, dass er unter einer schweren Herzerkrankung leiden würde, die dazu führe, dass er im Falle einer Erkrankung mit Covid 19 unter Berücksichtigung seines hohen Alters ganz besonders gefährdet sei. Eine solche Erkrankung könne er bei dem Zustand seines Herzens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Dass die Gefährdung bei ihm besonders groß sei, würde durch zahlreiche Publikationen in öffentlich zugänglichen Foren und Zeitungen belegt, die er in seinem Antrag im Detail benannte. Zudem würden zahlreiche Verfassungsrechtler die Auffassung vertreten, dass die CoronaImpfV gegen das GG verstoßen würde und deshalb nicht tauglich sei, eine Priorisierung für die Reihenfolge der Impfungen vorzugeben.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller in die unter § 2 CoronaImpfV mit höchster Priorität definierte Gruppe aufzunehmen und eine unverzügliche Impfung zu gewährleisten,

hilfsweise

den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller unmittelbar im Anschluss an die Impfungen in Alten- und Pflegeheimen eine Impfung zu ermöglichen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner führt aus, er sei an die Priorisierungsregelungen in der CoronaImpfV gebunden. Der Antragsteller könne in die Gruppe nach § 2 CoronaImpfV nicht eingegliedert werden. Soweit der Antragsteller mit seinem Verfahren begehre, in § 2 CoronaImpfV eine Öffnungsklausel aufzunehmen, nach der sein eigener Fall und vergleichbare Fälle in die höhere Priorisierungsgruppe aufgenommen werden müssten, sei der Antrag an den falschen Antragsgegner gerichtet, da es sich bei der CoronaImpfV um eine Bundesverordnung handele. Der Antragsgegner sei Normadressat der CoronaImpfV und an diese gebunden.

Selbst wenn man die Auffassung vertreten wolle, dass der Antragsteller zu den Berechtigten nach § 2 CoronaImpfV zu zählen sei, was der Antragsgegner ausdrücklich nicht vertrete, so stehe dem Antragsgegner nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaImpfV ausdrücklich eine Einschätzungsprärogative zu, nach der der Antragsgegner, solange nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehe, regeln könne, in welcher Reihenfolge die in der Norm genannten Personen geimpft werden sollen. Dabei habe sich der Antragsgegner strikt an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) gehalten, nach der zunächst die Bewohnerinnen und Bewohner von Senioren- und Altenpflegeheimen zu impfen seien. Da dieses noch nicht beendet sei, könne dem Antragsteller eine Impfung nicht angeboten werden.

Durch die CoronaImpfV werde der Antragsteller auch nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Grundgesetz (GG) verletzt. Die Verordnung sei formell und materiell ordnungsgemäß zustande gekommen. Insbesondere sei es dem Verordnungsgeber aufgrund der Ermächtigungsgrundlagen im 5. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) und dem Infektionsschutzgesetz gestattet, die notwendigen Regelungen durch eine Verordnung ohne Zustimmung des Bundesrates zu treffen. Die vom Verordnungsgeber insbesondere in Bezug auf die Priorisierungsregelungen getroffenen Entscheidungen seien weder willkürlich noch unvollständig. Vielmehr beruhten diese auf einer Empfehlung der STIKO, die gemeinsam mit Expertinnen und Experten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und des Deutschen Ethikrates entwickelt worden seien. Diese seien auch eingehend wissenschaftlich begründet worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 11.01.2021 Bezug genommen. Weiterhin führt der Antragsgegner aus, dass es auch an einem Anordnungsgrund fehlen würde. Insbesondere sei es dem Antragsteller zumutbar – und anders als Bewohnern und Beschäftigten von Alten-und Pflegeheimen auch möglich -, sich innerhalb der Häuslichkeit von Familienmitgliedern zu separieren und sich eigenständig zu schützen, bis ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehe und er nach den Regelungen der Verordnung an der Reihe sei. Der Antragsteller könne damit das Risiko für eine Erkrankung mit Covid 19 minimieren und es sei nicht erforderlich, eine Impfung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung durchzusetzen. In der Gesamtabwägung sei dem überwiegenden öffentlichen Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit der mit der höchsten Priorität bedachten Personengruppen Vorrang gegenüber den individuellen Belangen des Antragstellers einzuräumen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, er ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht Oldenburg ist für die Entscheidung des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig geworden, nachdem dieses Verfahren an das Sozialgericht Oldenburg im Wege einer Rechtswegverweisung nach § 73 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verwiesen worden ist und die Beteiligten gegen den Verweisungsbeschluss ein Rechtsmittel nicht eingelegt haben, sondern ausdrücklich auf ein solches Rechtsmittel verzichtet haben. An diese aufdrängende Verweisung ist das Sozialgericht gebunden, obwohl die erkennende Kammer die Ansicht vertritt, dass der Sozialgerichtsweg nach § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht eröffnet ist. Für den Rechtsstreit ist vielmehr der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet. Insoweit kann auf die überzeugenden Ausführungen des VGs Gelsenkirchen im Beschluss vom 11.01.2021 (Az. 20 L1812/20, zitiert nach juris) Bezug genommen werden, denen das erkennende Gericht sich anschließt.

Trotz der nach Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht zutreffenden Einschätzung zum Rechtsweg im Verweisungsbeschluss des VG Oldenburg ist das Sozialgericht an den rechtskräftigen Verweisungsbeschluss gebunden. Dieses ergibt sich schon aus der gesetzlichen Vorschrift des § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG und entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (vgl. Beschluss vom 13.12.2016, B 4 SF 4/16 R, Rn. 7, zitiert nach juris). Nach dieser Rechtsprechung kann nur in seltenen Ausnahmefällen eine Durchbrechung der Bindungswirkung in Betracht kommen, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf willkürlichen Erwägungen beruht. Eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird und die vertretene Auffassung jedes sachlichen Grundes entbehrt, sodass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt (vgl. BSG aaO. Rn. 7 mit weiteren Nachweisen). Dafür sieht das Gericht schon vor dem Hintergrund keinen Anlass, dass zumindest eine der Ermächtigungsgrundlagen für die vom Antragsteller angegriffenen Regelungen der CoronaImpfV im SGB V normiert ist, zumindest also ein gewisser Bezug zu den in § 51 SGG geregelten Rechtswegzuweisungen an die Sozialgerichtsbarkeit besteht.

Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Oldenburg ergibt sich unmittelbar aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG, da der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbezirk des Sozialgerichts Oldenburg hatte. Die Zuständigkeit der 10. Kammer des Sozialgerichts Oldenburg beruht auf dem Umstand, dass es sich im vorliegenden Antragsverfahren um ein Verfahren handelt, für das der Rechtsweg zu den Sozialgerichten aufgrund der geltend gemachten Ansprüche eigentlich nicht eröffnet ist und eine Fachkammer bei dem Sozialgericht für die Entscheidung über den hier geltend gemachten Anspruch nicht gebildet ist (vgl. Teil B f) 1.) des ab 01.01.2021 gültigen Geschäftsverteilungsplanes des Sozialgerichts Oldenburg).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner ist zulässig.

Der Antragsteller hat für den gestellten Antrag eine Antragsbefugnis. Diese besteht schon deshalb, weil der Antragsteller im Verfahren geltend macht, durch die Ablehnung einer vorgezogenen Impfung in seinen eigenen Rechten verletzt zu werden. Ein solcher Anspruch könnte sich einmal aus der CoronaImpfV ergeben oder sich unmittelbar aus einem Teilhabeanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG herleiten.

Der Antrag richtet sich auch gegen den richtigen Antragsgegner. Die Leistungen nach § 1 CoronaImpfV werden nach § 6 Abs. 1 Satz 2 CoronaImpfV von den Ländern erbracht, sodass es zutreffend ist, den Antrag auf vorzeitige Vergabe eines Impftermins im Rahmen der Priorisierung unmittelbar gegen den Antragsgegner zu richten. Für die Priorisierungsentscheidung sind nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaImpfV (vom 18.12.2020 veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 21.12.2020, BAnz AT 21.12.2020 V 3), das Land und damit der Antragsgegner zuständig (vgl. dazu VG Gelsenkirchen vom 11.01.2021 aaO., Seite 9). Im Übrigen hat der Antragsgegner die angegriffene Entscheidung gegenüber dem Antragsteller getroffen.

Schließlich liegt auch ein Rechtsschutzbedürfnis zugunsten des Antragstellers vor, da er sich ausweislich der vorliegenden Unterlagen ausdrücklich mit dem Begehren der Vergabe eines früheren Impftermins zunächst an das lokale Impfzentrum und danach an den Antragsgegner gewandt hat und dieser das Begehren mit seinem Schreiben vom 04.01.2021 abgelehnt hat.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung konnte dennoch keinen Erfolg haben, da der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung hinreichend glaubhaft gemacht hat.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist, dass durch den Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (besondere Eilbedürftigkeit) und des Anordnungsanspruches (Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des geltend gemachten Rechtsanspruches) nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht wird. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Ein Anspruch auf Impfung des Antragstellers nach § 1 Abs. 1 der CoronaImpfV besteht derzeit nicht. Der Antragsteller gehört nicht zu der Gruppe der Personen, für die die Schutzimpfung eine höchste Priorität im Sinne der gesetzlichen Definition des § 2 CoronaImpfV hat. Allein für diese Personengruppe kann aktuell ein Anspruch auf Verabreichung einer Schutzimpfung gegen das Corona-Virus bestehen. Dass noch nicht alle Personen, die unter die Regelung des § 2 CoronaImpfV fallen, bereits geimpft sind, ist zwischen den Beteiligten offensichtlich nicht streitig und entspricht auch den Informationen in der Presse und auf der Webseite des Landes Niedersachsen (https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/hinweise-zur-corona-schutz-impfung-195357.html)

Eine Ausnahmeregelung, die für bestimmte individuelle Konstellationen bereits jetzt im Rahmen einer Einzelfallentscheidung eine vorzeitige Impfung von bestimmten Personen abweichend von der Priorisierungsregel, die der Bundesgesetzgeber in den § 2-4 CoronaImpfV getroffen hat, ermöglicht, ist in der CoronaImpfV nicht enthalten. Bis jetzt enthält die CoronaImpfV lediglich die Regelung, dass innerhalb der in Satz 1 des § 1 Abs. 2 CoronaImpfV aufgeführten Gruppen auf der Grundlage der jeweils vorliegenden infektionslogischen Erkenntnisse und der aktuellen Empfehlungen der STIKO sowie der epidemiologischen Situation vor Ort bestimmte Anspruchsberechtigte vorrangig berücksichtigt werden können. Diese Regelung bezieht sich nach ihrem klaren Wortlaut nur auf eine mögliche Priorisierungsentscheidung innerhalb der einzelnen Gruppen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 CoronaImpfV, nicht jedoch auf eine vorrangige Impfung von Personen, die nach der Definition der Verordnung nicht in die aktuell zu impfende Gruppe (d. h. gegenwärtig nach § 2 CoronaImpfV) fallen. Eine einfach-gesetzliche oder untergesetzliche Norm, die dem Antragsteller den geltend gemachten Anspruch geben würde, ist damit nicht vorhanden.

Auch aus verfassungsrechtlichen Vorschriften ergibt sich zur Überzeugung des erkennenden Gerichtes kein Anspruch des Antragstellers auf eine sofortige Impfung gegen das Covid-19 Virus. Grundsätzlich kann ein solcher Anspruch unmittelbar aus der Verfassung zwar zumindest im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zugebilligt werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.11.2016, L 11 AS 567/16 B ER und vom 03.12.2009 L 15 AS 1048/09 B ER, jeweils zitiert nach juris). Hier besteht ein solcher Anspruch jedoch nicht.

Insbesondere kann ein solcher Anspruch nicht auf eine Verletzung des Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG oder auf den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden. Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass Grundrechte nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates begründen, sondern zugleich eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfassung darstellen, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gilt und verfassungsrechtliche Schutzpflichten begründet (vgl. BVerfGE 77,214 mit weiteren Nachweisen). Sowohl dem Gesetzgeber als auch der vollziehenden Gewalt kommt bei der Erfüllung dieser Schutzpflichten aber ein weiterer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der Raum lässt, etwa mit dem Schutz des Individualinteresses konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen. Dieser weite Gestaltungsspielraum kann gerichtlich nur in begrenztem Umfang überprüft werden. Verlangt werden kann nur, dass die staatlichen Organe Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts treffen, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Nur unter ganz besonderen Umständen kann sich diese Gestaltungsfreiheit in der Weise verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht genüge getan werden kann (vgl. BVerfGE 77,215).

Nach Maßgabe dieser Kriterien liegt im vorliegenden Fall eine Verletzung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten nicht vor. Eine Untätigkeit des Gesetzgebers oder der vollziehenden Gewalt im Hinblick auf den Schutz der Bevölkerung vor dem Corona Virus liegt zweifelsfrei nicht vor. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach der Zulassung eines Coronaimpfstoffes sehr kurzfristig die CoronaImpfV erlassen und damit das im Rahmen der Verfügbarkeit eines Impfstoffes Mögliche getan, um einen Schutz der Bevölkerung durch eine Impfung zu gewährleisten.

Bei der Schaffung der CoronaImpfV bewegen sich der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber und auf der Basis der getroffenen Regelungen bei deren Ausführung die Exekutive zur Überzeugung des erkennenden Gerichtes auch innerhalb des weiten Gestaltungsspielraumes, der ihnen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (aaO.) bei dem Schutz der Verfassungsrechte der Bevölkerung eingeräumt ist.

Wie der Antragsgegner zuletzt im Schriftsatz vom 15.01.2021 für das Gericht nachvollziehbar dargelegt hat, reicht der gegenwärtig verfügbare Impfstoff zur Impfung gegen das Corona Virus nicht aus, um alle Impfwilligen in der Bundesrepublik Deutschland zu impfen. Gegenwärtig steht noch nicht einmal hinreichend Impfstoff zur Verfügung, um alle Personen zu impfen, die in die höchste Priorisierungsgruppe nach § 2 CoronaImpfV fallen (https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/hinweise-zur-corona-schutz-impfung-195357.html). Der Gesetzgeber und die Exekutive können Teilhabeansprüche grundsätzlich aber nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel verwirklichen. Aufgrund dessen war es erforderlich, eine Reihenfolge zu schaffen, welche Personengruppen zuerst geimpft werden und wie danach der weitere Ablauf der Impfung zu erfolgen hat. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber in der hier maßgebenden CoronaImpfV vor der Personengruppe, in die der Antragsteller einzuordnen ist (§ 3 CoronaImpfV), zunächst ältere Personen über 80 Jahre, Personen, die in entsprechenden stationären Einrichtungen zur Betreuung und Pflege wohnen, Personen, die in ambulanten Pflegediensten mit der Betreuung älterer und pflegebedürftiger Menschen betraut sind sowie die in besonders gefährdeten Bereichen der medizinischen Versorgung tätigen Personen nach § 2 Ziffern 4 und 5 CoronaImpfV priorisiert. Nach den von dem Antragsgegner dargelegten für das Gericht nachvollziehbaren statistischen Erhebungen tragen insbesondere Personen oberhalb des 80. Lebensjahres ein extrem hohes Risiko, an einer Erkrankung mit Covid 19 zu versterben. Nicht allein der Schutz dieser Personengruppe sondern gerade auch der Schutz der Funktionsfähigkeit der medizinischen Versorgungseinrichtungen lässt es nachvollziehbar erscheinen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der CoronaImpfV die Impfung dieses Personenkreises in den Vordergrund stellt. Denn bei Erkrankten hohen Alters ist signifikant erhöht mit einem schweren Krankheitsverlauf zu rechnen, sodass durch diese Personen in besonderem Maße Intensivbetten in den Kliniken belegt würden. Würde der Gesetzgeber einen besonderen Schutz der in stationären Einrichtungen betreuten Personen und der über 80-jährigen nicht vorsehen, so würde dieses möglicherweise die Funktionsfähigkeit des medizinischen Versorgungssystems insbesondere der Intensivpflege beeinträchtigen. Der als höchste Priorität vorgesehene Schutz der in § 2 Ziff. 1 und 2 der CoronaImpfV genannten Personen dient damit nicht alleine deren individuellem Gesundheitsschutz sondern gleichzeitig dem Schutz des medizinischen Versorgungssystems vor einer Überlastung und damit in hohem Maße der Allgemeinheit. Gleiches gilt für die in § 2 Ziff. 3 bis 5 CoronaImpfV genannten Personenkreise, die ohne Impfung möglicherweise Infektionen in besonders gefährdete Kreise tragen könnten (Ziff. 3) oder die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind und deren Ausfall aufgrund einer Infektion ebenfalls die Funktion des medizinischen Versorgungssystems nachhaltig beeinträchtigen könnte (Ziff.4 und 5). Aus diesem Grunde ist die vom Verordnungsgeber vorgenommene Entscheidung, die in § 2 CoronaImpfV genannten Personen zuerst zu impfen, von dem Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber und der Verwaltung bei dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bevölkerung eingeräumt ist, gedeckt. Dieses gilt insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Impfstoff gegenwärtig nur sehr eingeschränkt zur Verfügung steht. Die Ausweitung der Impfung im Rahmen der höchsten Prioritätsstufe auf andere Personen würde damit zur Verzögerung der Impfung der in § 2 CoronaImpfV genannten besonders schutzbedürftigen Personen führen. Die Entscheidung des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers ist vor diesem Hintergrund möglicherweise nicht zwingend die einzig denkbare Entscheidung, sie bewegt sich aber in dem den Staatsorganen verfassungsrechtlich eingeräumten Gestaltungsspielraum.

Das Gericht sieht es vor diesem Hintergrund auch nicht als zwingend an, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber eine Öffnungsklausel in die CoronaImpfV aufnimmt, die eine Einzelfallentscheidung für Personen ermöglicht, die auf Grund einer besonderen gesundheitlichen Betroffenheit die Einstufung in eine höhere Prioritätsgruppe, als die Verordnung sie nach den abstrakt generellen Regelungen vorsieht, verlangen. Im neuesten epidemiologischen Bulletin der STIKO vom 14.01.2021 (Seite 54) wird eine solche Einzelfallentscheidung für einzelne Personen oder Gruppen, die in den Priorisierungskatalogen der STIKO nicht genannt werden, für möglich gehalten. Das Gericht hält es im Rahmen der Prüfung der verfassungsrechtlichen Teilhabeansprüche jedoch nicht für zwingend, eine solche Öffnungsklausel vorzusehen. Auch eine solche gruppenübergreifende Öffnungsklausel wäre mit zahlreichen Nachteilen für den Ablauf der Impfungen verbunden. Die Exekutive müsste unter Bewertung beizuziehender medizinischer Unterlagen eine Entscheidung darüber treffen, in welche Priorisierungsstufe der jeweilige Anspruchsteller einzustufen wäre. Dies wäre nicht nur mit einem sehr großen Verwaltungsaufwand verbunden. Es muss auch stets bedacht werden, dass bei dem Vorziehen einzelner Personen oder Gruppen im Impfprozess andere Personen zurückgestellt werden müssen, solange der Impfstoff nicht in größeren Mengen zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht die Schaffung einer solchen Öffnungsklausel zumindest für einen Fall wie denjenigen des Antragstellers nicht als zwingend an, zumal für den Antragsteller Möglichkeiten verbleiben, sich vor Infektionen durch entsprechendes Verhalten weitgehend zu schützen. Sollte der Verordnungsgeber eine solche Öffnungsklausel, die anders als § 1 Abs. 2 Satz 2 der CoronaImpfV nicht nur eine Priorisierungsentscheidung innerhalb der in den §§ 2 des 4 CoronaImpfV genannten Gruppen sondern auch die Einstufung in eine höhere Priorisierungsgruppe ermöglicht, einführen, so müsste der Antragsteller eine entsprechende Verwaltungsentscheidung herbeiführen, bevor dann gegebenenfalls gegen eine solche Entscheidung der Rechtsweg offen stünde.

Ein Anordnungsanspruch ist nach alledem nicht gegeben.

Schließlich fehlt es auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Das Vorliegen eines solchen Anordnungsgrundes kann nur dann angenommen werden, wenn dem Antragsteller das Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist, weil nur durch die begehrte einstweilige Anordnung wesentliche Nachteile für den Antragsteller vermieden werden können. Es soll verhindert werden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz in der Hauptsache erlangen kann. Im Rahmen einer Interessenabwägung ist zu entscheiden, ob es für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung der Hauptsache abzuwarten.

Auch in dieser Hinsicht stimmt das erkennende Gericht dem Antragsgegner zu. Das Gericht verkennt bei seiner Entscheidung nicht die Schwere der Gesundheitsstörungen des Antragstellers. Gleichwohl ist es dem Antragsteller nach Auffassung des Gerichtes zuzumuten, sich zur Vermeidung einer Infektion mit dem Covid 19-Virus in besonderem Maße an die ohnehin für die gesamte Bevölkerung geltenden Schutzmaßnahmen zu halten und sich gegebenenfalls nur noch in seiner häuslichen Umgebung aufzuhalten und selbst dort eine besondere Vorsicht im Umgang mit anderen Haushaltsmitgliedern walten zu lassen. Dass ihm dieses aus objektiven Gründen nicht möglich ist, hat er im Antragsverfahren nicht vorgetragen. Das Gericht verkennt bei seiner Entscheidung nicht, dass diese Maßnahmen des Selbstschutzes für den Antragsteller mit erheblichen Einschränkungen verbunden sind. Auch vor diesem Hintergrund ist der Wunsch des Antragstellers, möglichst unverzüglich eine Schutzimpfung zu erhalten, menschlich uneingeschränkt nachvollziehbar. Aufgrund der nach wie vor bestehenden Knappheit des Impfstoffes gegen die Infektion mit Covid-19 muss jedoch grundsätzlich die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland mit erheblichen Einschränkungen leben. Dieses gilt in besonderem Maße für Personen, die an Vorerkrankungen leiden. Diese Gefährdung betrifft also nicht nur den Antragsteller, sondern eine große Zahl anderer Bürger in Deutschland. Durch eine Impfung kann diese Gefährdung aufgrund der Knappheit des Impfstoffes jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht unmittelbar für alle gefährdeten Personen beseitigt werden. Zudem soll nochmals angemerkt werden, dass der Antragsteller nach der derzeit gültigen CoronaImpfV bereits zu der in § 3 aufgeführten Gruppe zu zählen ist und damit der Zeitraum bis zu einem möglichen Impftermin überschaubar erscheint. Unter Abwägung aller zu berücksichtigenden Interessen sieht das Gericht es nicht als unzumutbar an, den Antragsteller auf einen späteren Impftermin zu verweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO, da der Antragsteller nicht zum privilegierten Personenkreis des § 183 SGG zu zählen ist. Die Streitwertfestsetzung mit dem Regelstreitwert von 5000 € beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Ein Anlass, einen Abschlag vom Regelstreitwert im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorzunehmen, besteht zur Überzeugung des Gerichtes nicht, da im Falle der Verurteilung des Antragsgegners zur sofortigen Durchführung der Impfung des Antragstellers eine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen würde (vgl. VG München vom 22.10.2020, M 26a E 20.5020, Rn. 31 zitiert nach juris).

Bezüglich der Entscheidung über den Sachantrag gilt die Rechtsmittelbelehrung I, wegen der Streitwertfestsetzung die Rechtsmittelbelehrung II.