Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.08.2011, Az.: 4 K 40/11

Ausbildungsstätte als regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. Einkommensteuerrechts; Abzug von im Rahmen einer Berufsförderungsmaßnahme entstandenen Reisekosten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.08.2011
Aktenzeichen
4 K 40/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 24022
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2011:0803.4K40.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 09.02.2012 - AZ: VI R 42/11

Fundstellen

  • EFG 2011, 2051-2052
  • StX 2012, 38-39

Einkommensteuer 2009

Ausbildungsstätte als regelmäßige Arbeitsstätte

Tatbestand

1

Streitig ist der Abzug von Reisekosten, die einem Soldaten auf Zeit im Rahmen einer Berufsförderungsmaßnahme entstanden sind.

2

Der Kläger war bis zum 30. Juni 2009 Soldat auf Zeit und bezog als solcher im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Durch Bescheid vom 29. November 2007 bewilligte das Kreiswehrersatzamt dem Kläger die Förderung einer beruflichen Bildungsmaßnahme nach § 5 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG). Hierbei handelte es sich um die in der Zeit von Februar 2008 bis Januar 2010 in Vollzeitform durchgeführte Ausbildung an der A-Schule in B. Für die Zeit von Februar 2008 bis Juni 2009 wurde der Kläger vom militärischen Dienst freigestellt.

3

Bereits im Juni 2007 hatte der Kläger einen Antrag auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes gestellt, der durch Bescheid des Personalamts der Bundeswehr von April 2008 abgelehnt wurde. Ein im Jahr 2008 gestellter Wiederholungsantrag wurde durch Bescheid des Personalamts der Bundeswehr von März 2009 abgelehnt.

4

Mit der am 1. April 2010 bei dem Beklagten (dem Finanzamt - FA -) eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 machte der Kläger Fortbildungskosten i. H. v. 7.570 EUR als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Diese entfielen in Höhe von 6.452 EUR auf die unter Zugrundelegung eines Kostensatzes von 0,30 EUR je gefahrenen Kilometer ermittelten Kosten der Fahrten zwischen der Wohnung und der A-Schule und in Höhe von 918 EUR auf Verpflegungsmehraufwendungen wegen mindestens achtstündiger Abwesenheit von der Wohnung an 153 Tagen.

5

Durch Einkommensteuerbescheid vom 21. Juni 2010 berücksichtigte das FA die geltend gemachten Fahrtkosten nur in Höhe des sich unter Ansatz der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebenden Betrages von 3.226 EUR. Die Berücksichtigung der Mehraufwendungen für Verpflegung lehnte es in vollem Umfang ab. Zur Begründung führte es aus, dass es sich bei der Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme nicht um eine vorübergehende Auswärtstätigkeit gehandelt habe, weil der Kläger wegen der Beendigung seiner Dienstzeit nicht mehr an seinen früheren Arbeitsplatz zurückgekehrt sei. Damit sei die A-Schule zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte geworden.

6

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 9. Juli 2010 Einspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, dass die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme eine vorübergehende Auswärtstätigkeit dargestellt habe, weil sie von vornherein auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt gewesen sei. Nach Beendigung der Fortbildungsmaßnahme habe er eine Tätigkeit als . aufgenommen. Folglich lägen vorweggenommene Werbungskosten vor. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. April 2008 VI R 66/04 (BFHE 221, 35, [BFH 10.04.2008 - VI R 66/05] BStBl. II 2008, 825) werde eine Bildungseinrichtung auch dann nicht zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte, wenn ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer eine längerfristige, jedoch vorübergehende berufliche Fortbildungsmaßnahme durchführe und die Bildungseinrichtung über einen Zeitraum von vier Jahren aufsuche. Regelmäßige Arbeitsstätten könnten nur Einrichtungen des Arbeitgebers sein.

7

Durch Einspruchsbescheid vom 17. Januar 2011 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Eine Auswärtstätigkeit im Sinne von R 9.4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der Lohnsteuerrichtlinien (LStR) 2008 liege nur bei einer Berufstätigkeit vor, die der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und an keiner seiner regelmäßigen Arbeitsstätten ausübe. Vorübergehend sei die Auswärtstätigkeit, wenn der Arbeitnehmer voraussichtlich an die regelmäßige Arbeitsstelle zurückkehren und seine berufliche Tätigkeit dort fortsetzen werde. Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht erfüllt, da die Rückkehr des Klägers an seinen früheren Arbeitsplatz nicht geplant gewesen und tatsächlich auch nicht erfolgt sei. Die Aufwendungen im Zusammenhang mit der Fortbildungsmaßnahme stellten vorweggenommene Werbungskosten im Zusammenhang mit der späteren beruflichen Tätigkeit des Klägers dar. Damit sei die Ausbildungsstätte zur regelmäßigen Arbeitsstätte geworden.

8

Am 14. Februar 2011 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend trägt er vor: Die Auffassung des FA, dass eine Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz nicht beabsichtigt gewesen sei, sei unzutreffend. Wie sich aus seiner Bewerbung um eine Verwendung als Offizier im militärfachlichen Dienst ergebe, habe er die Absicht gehabt, seine Tätigkeit bei der Bundeswehr nach Abschluss der Fortbildungsmaßnahme fortzusetzen. Dass die Bundeswehr seine Bewerbung abgelehnt habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Im Übrigen habe der BFH in seinem Urteil vom 9. Juli 2009 VI R 21/08 (BFHE 225, 449, BStBl. II 2009, 822) entschieden, dass betriebliche Einrichtungen eines Kunden des Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte sein könnten. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass nur Einrichtungen des Arbeitgebers regelmäßige Arbeitsstätten darstellen könnten. Darum handele es sich bei der A-Schule aber gerade nicht.

9

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2009 vom 9. Dezember 2010 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheides vom 17. Januar 2011 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 4.144 EUR ergibt.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrundeliegenden Beurteilung fest. Ergänzend führt er aus:

12

Die Beurteilung der Frage, ob eine Auswärtstätigkeit vorübergehend sei, weil der Steuerpflichtige voraussichtlich an die regelmäßige Arbeitsstelle zurückkehren werde, beurteile sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse und nicht nach der subjektiven Absicht des Steuerpflichtigen. Bei Antritt der Fortbildungsmaßnahme im Februar 2008 habe der Kläger nicht damit rechnen können, dass er nach deren Abschluss seine berufliche Tätigkeit bei der Bundeswehr fortsetzen werde. Die Tatsache, dass er sich bereits im Juni 2007 - also vor Beginn der Fortbildungsmaßnahme - um eine Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes beworben habe, zeige zwar, dass er selbst an einer Fortsetzung seines Dienstverhältnisses mit der Bundeswehr interessiert gewesen sei. Doch habe er wegen der bereits im April 2008 erfolgten Ablehnung seiner ersten Bewerbung keinesfalls mit einer solchen Fortsetzung rechnen können.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Über den von dem FA bereits berücksichtigten Umfang hinaus sind die von dem Kläger geltend gemachten Fortbildungskosten nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen.

14

1.

Die Aufwendungen für die Wege zwischen der Wohnung und der A-Schule in Bremen sind nur in Höhe des sich unter Ansatz der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG ergebenden Betrags von 3.226 EUR als Werbungskosten abziehbar, weil es sich bei der Ausbildungsstätte um die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers handelte.

15

a)

Regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG ist der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers (BFH-Urteile vom 5. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl. II 2004, 1074; vom 22. Juli 2003 VI R 190/97, BFHE 203, 111, BFH/NV 2003, 1646). Während dies nach der Verwaltungsauffassung unabhängig davon gelten soll, ob es sich dabei um eine Einrichtung des Arbeitgebers handelt (R 9.4 Abs. 3 Satz 1, zweiter Satzteil LStR 2008), hat der BFH den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte in seiner neueren Rechtsprechung auf betriebliche Einrichtungen des Arbeitgebers beschränkt (BFH-Urteile in BFHE 207, 225, BStBl. II 2004, 1074; vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BFHE 209, 515, BStBl. II 2005, 788; VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl. II 2005, 789, und VI R 25/04, BFHE 209, 523, [BFH 11.05.2005 - VI R 25/04] BStBl. II 2005, 791; vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53; vom 4. April 2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl. II 2008, 887; vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923; vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl. II 2009, 475) und daraus den Schluss gezogen, dass Einrichtungen eines Kunden des Arbeitgebers selbst dann keine regelmäßige Arbeitsstätte sein könnten, wenn der Arbeitnehmer dort längerfristig eingesetzt ist oder im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses tätig wird (BFH-Urteile vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl. II 2009, 822; vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl. II 2010, 852). Andererseits hat der BFH die von einem Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum zum Zweck eines Vollzeitunterrichts aufgesuchte Bildungseinrichtung als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen (Urteil vom 22. Juli 2003 VI R 190/97, BFHE 203, 111, BStBl. II 2004, 886) und es für möglich gehalten, dass bei einem aus Erwerbszwecken absolvierten Studium die Universität den ortsgebundenen Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen bildet (Urteil vom 29. April 2004 VI R 86/99, BFHE 202, 299, BStBl. II 2003, 749). Hiervon ist auch er in seinem Urteil vom 10. April 2008 VI R 66/04 (BFHE 221, 35 [BFH 10.04.2008 - VI R 66/05]; BStBl. II 2008, 825) nicht abgerückt; er hat darin lediglich klargestellt, dass eine andere Beurteilung geboten ist, wenn ein Arbeitnehmer neben seiner Vollbeschäftigung mit regelmäßiger Arbeitsstätte eine zeitlich befristete Bildungsmaßnahme an einem anderen Ort absolviert.

16

b)

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die von dem Kläger besuchte A-Schule während des gesamten Streitjahrs als seine regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.

17

Für die Zeit bis zum 30. Juni 2009 folgt dies daraus, dass sich das Dienstverhältnis des Klägers durch die von dem Kreiswehrersatzamt verfügte Freistellung vom militärischen Dienst in ein Ausbildungsdienstverhältnis verwandelt hatte, bei dem dieser seinen Arbeitslohn nicht mehr als Gegenleistung für die Zur-Verfügung-Stellung seiner Arbeitskraft, sondern für die Teilnahme an der Fachausbildung erhielt (vgl. BFH-Urteile vom 22. Juli 2003 VI R 15/03, BFH/NV 2004, 175, und vom 15. April 1996 VI R 99/95, BFH/NV 1996, 804). Damit konnte nur noch die zu diesem Zweck besuchte Bildungseinrichtung den ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bilden. Dem Umstand, dass es sich nicht um eine Einrichtung seines Arbeitgebers handelte, kann keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden, weil sich anderenfalls eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber solchen Steuerpflichtigen ergäbe, denen außerhalb eines solchen Dienstverhältnisses durch eine Berufsausbildung Erwerbsaufwendungen erwachsen.

18

Für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 können die als regelmäßige Arbeitsstätte in Betracht kommenden Ausbildungsstätten schon deshalb nicht auf Einrichtungen des Arbeitgebers beschränkt werden, weil das Dienstverhältnis des Klägers als Soldat auf Zeit am 30. Juni 2009 abgelaufen war und er damit keinen Arbeitgeber mehr hatte, in dessen Einrichtungen er hätte tätig werden können. Dass der Kläger nach dem 30. Juni 2009 noch Übergangsgebührnisse gemäß § 11 SVG erhielt, steht dieser Beurteilung nicht entgegen, weil es sich dabei nicht um Bezüge aus einem gegenwärtigen, sondern aus einem früheren Dienstverhältnis (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) handelte.

19

Die Einordnung der A-Schule als regelmäßige Arbeitsstätte ist auch im Hinblick auf den Regelungszweck des§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG sachgerecht. Die sich daraus ergebende Beschränkung des Werbungskostenabzugs trägt dem Umstand Rechnung, dass der Steuerpflichtige bei einer auf Dauer angelegten Arbeitsstätte die Möglichkeit hat, - z.B. durch Bildung von Fahrgemeinschaften, durch Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder durch eine entsprechende Wohnsitznahme - auf eine Minderung der Wegekosten hinzuwirken (BFH-Urteil in BFHE 225, 449, [BFH 09.07.2009 - VI R 21/08] BStBl. II 2009, 822, m.w.N.). Unter diesem Gesichtspunkt befand sich der Kläger beim Besuch der A-Schule aber in keiner anderen Situation, als wenn er eine Bildungseinrichtung der Bundeswehr besucht hätte oder - ohne Freistellung vom militärischen Dienst - für die restliche Dauer seiner Dienstzeit an einen anderen Standort versetzt worden wäre.

20

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger nach Abschluss der Bildungsmaßnahme eine Fortsetzung seines militärischen Dienstes anstrebte. Denn im Rahmen des bestehenden Dienstverhältnisses als Soldat auf Zeit war eine solche Fortsetzung ausgeschlossen.

21

2.

Der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen kommt nicht in Betracht, weil der Kläger beim Besuch der A-Schule nicht vorübergehend vom Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt beruflich tätig geworden ist (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG).

22

3.

Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kosten sind dem Kläger als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Ausbildungsstätte regelmäßige Arbeitsstätte ist, hat grundsätzliche Bedeutung.