Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.12.1970, Az.: V (OVG) A 105/68

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Ordnungsverfügung zur Abwehr der Lärmbelästigung durch das von einem Tierheim ausgehende Hundegebell; Ausgestaltung der polizeirechtlichen und ordnungsrechtlichen Qualifizierung von Lärmimmissionen eines Tierheims als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.12.1970
Aktenzeichen
V (OVG) A 105/68
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1970, 15495
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1970:1229.V.OVG.A105.68.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Schleswig - 30.07.1968 - AZ: 3 A 68/67

Verfahrensgegenstand

Aufhebung einer Ordnungsverfügung

Der V. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg hat
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 1970 in Pinneberg
durch
den Senatspräsidenten Lindner und
die Oberverwaltungsgerichtsräte Dr. Winkelvoß und Kröger sowie
die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - III. Kammer - vom 30. Juli 1968 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

I.

Der Kläger unterhält seit 1957 auf dem Grundstück R.straße ... ein Tierheim. In diesem waren zunächst nur herrenlose Katzen untergebracht. Nachdem es im Jahre 1965 zu einem Eingreifen der Beklagten wegen der Zustände auf dem genannten Grundstück gekommen war, verpflichtete sich der Kläger in einem gerichtlichen Vergleich vom 25. August 1965 vor dem Oberverwaltungsgericht (V OVG B 31/65) zwischen den Parteien unter anderem, kranke Katzen abgesondert unterzubringen und die Quarantänebaracke abgesperrt zu halten. Zeit 1966 werden in dem Tierheim auch Hunde im laufenden Wechsel beherbergt. Ihre Zahl wechselt ständig. Nach den auf Veranlassung des Beklagten von der Polizei durchführtenÜberprüfungen seit 1966 betrug die Zahl der Hunde zeitweise bis zu 15. Mit einer Eingabe vom 3. September 1966 wandte sich der Zeuge Wegner, der damals das dem Tierheim des Klägers benachbarte Haus ...straße ... mit seiner Ehefrau bewohnte, an die Kreisverwaltung Pinneberg und beschwerte sich über Störungen, unter anderem der Nachtruhe durch das Bellen der in dem Tierheim des Klägers untergebrachten Hunde. EineÜberprüfung durch die Veterinäraufsichtsbehörder ergab, daß einige kranke Katzen nicht gesondert gehalten wurden, die Quarantänebaracke zum größten Teil mit Hunden besetzt war und neu angekommene Katzen ohne Beobachtungszeit mit anderen Katzen zusammengebracht werden. Die behauptete Lärmbelästigung der Nachbarschaft durch die Hunde wurde für glaubhaft gehalten. Daraufhin gab die Beklagte dem Kläger mit Ordnungsverfügung vom 13. Oktober 1966 die Entfernung der Hunde aus dem Tierheim innerhalb einer Frist von 2 Wochen auf. Der Kläger sagte mit Schreiben vom 29. Oktober 1966 die Abschaffung der Hunde zu, bat jedoch um Fristverlängerung und erklärte im übrigen, daß nachts völlige Ruhe herrsche. Nachdem eine Sammelanzeige vom 30. Oktober 1966, unterzeichnet von 17 Einwohnen wegen ruhestörenden Lärms durch etwa 10 Hunde auf dem Grundstück des Klägers bei der Beklagten eingegangen war, teilte der Kläger mit Schreiben vom 4. November 1966 der Beklagten mit, daß alle Hunde bis auf einen abgegeben worden seien. Dennoch sei während der letzten Abende Hundegebell zu hören gewesen, das aber nicht von dem auf dem Grundstück verbliebenen abgerichteten Schutzhund, sondern von Hunden der Nachbarschaft hergerührt habe. Bei einer polizeilichen Überprüfung am 8. März 1967 wurden wiederum 5 Hunde auf dem Grundstück des Klägers festgestellt, deren Bellen bereits von der Straße aus zu hören war. Zur Innehaltung des seinerzeit abgeschlossenen Vergleichs und zur Abwehr der Lärmbelästigung durch das ständige Hundegebell gab die Beklagte dem Kläger durch Ordnungsverfügung vom 10. März 1967 auf, nunmehr sämtliche Hunde von seinem Grundstück zu entfernen und neue in seinem Heim nicht mehr aufzunehmen. Für jeden Fall der Nichtbeachtung dieser Verfügung drohte die Beklagte die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 50,- DM an.

2

Gegen diese Verfügung erhob der Kläger Widerspruch und trug zur Begründung vor: Der seinerzeit abgeschlossene Vergleich habe nur die Unterbringung der Katzen zum Gegenstand gehabt. Um diese Unterbringung der Katzen Sicherzustellen, bedürfe es nicht der Abschaffung der Hunde. Auch gingen von diesen Hunden keine besonderen Lärmbelästigungen aus, vielmehr bellten der Hund des Zeugen ... und der des Zeugen .... Im übrigen seien neun Quarantäneboxen vorhanden. Die Zahl der Hunde solle nicht über fünf, erhöht werden, so daß genügend Quarantäneraum für die Katzen verbliebe. In der ländlichen Gegend müsse man, Hundegebell in Kauf nehmen. Das Verbot, Hunde im Tierheim aufzunehmen, sei mit dem Tierschutzgedanken nicht vereinbar.

3

Mit Bescheid vom 25. April 1967 wies der Landrat des Kreises Pinneberg den Widerspruch des Klägers unter Hinweis auf die§§ 14, 41 und 55 PVG zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Hunde im Tierheim des Klägers hätten einen erheblichen Lärm verursacht, der über das normale Maß hinausginge und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Es könne zu erheblichen Gesundheitsschädigungen für die umliegenden Anwohner kommen. Selbst wenn in einem oder anderem Falle ein Hund aus der Nachbarschaft belle, so seien die allein maßgebliche unmittelbare letzte Ursache für erhebliche Lärmbelästigungen die auf engem Raum zusammenglebenden Hunde im Tierheim des Klägers, die einen größeren Lärm erzeugten als in Haushalten der Umgebung lebende Tiere.

4

Daraufhin hat der Kläger den Verwaltungsrechtsweg beschritten und zur Begründung seiner Klage auf seine Darlegungen im Widerspruchsschreiben Bezug genommen. Er hat erneut bestritten, daß ein etwaiger Lärm durch Hundegebell von den Hunden des Tierheims herrühre.

5

Der Kläger hat beantragt,

die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 10. März 1967 und den Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises Pinneberg vom 25. April 1967 aufzuheben.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat erwidert: Sie vertrete weiterhin die Auffassung, daß für die Zukunft Ruhestörungen durch das Hundegebell seitens der Hunde des Klägers nur durch Abschaffung dieser Tiere verhindert werden könne. Erst seit der Hundehaltung im Tierheim sei es zu Beschwerden gekommen. Zuvor seien keine Lärmbelästigungen etwa durch Hunde anderer Besitzer festgestellt worden.

8

Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben darüber, ob durch die vom Kläger in seinem Tierheim gehaltenen Hunde die Nachtruhe der Bewohner der Nachbargrundstücke gestört wird, durch Vernehmung der Zeugen ... und ..., die durch das Amtsgericht in Pinneberg erfolgt ist. Ferner hat eine Ortsbesichtigung durch den Berichterstatter stattgefunden. Wegen der Bekundungen der Zeugen und der Feststellungen bei der Ortsbesichtigung wird auf die bei den Akten befindlichen Niederschriften Bezug genommen.

9

Sodann hat das Verwaltungsgericht die Klage durch Urteil vom 30. Juli 1968 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte habe dem Kläger zu Recht durch die angefochtene Ordnungsverfügung aufgegeben, zur Abwehr von Lärmbelästigungen die im Tierheim des Klägers untergebrachten Hunde zu entfernen und neue Hunde in dem Tierheim nicht aufzunehmen. Durch das dichte Zusammenleben der Menschen nach dem Kriege, die immer stärker werdende technische Entwicklung und den ständig wachsenden Verkehr seien die Menschen vielen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Das habe in Schleswig-Holstein zum Erlaß der Verordnung zur Bekämpfung des Lärms vom 16. Dezember 1966 geführt. Nach § 2 Abs. 5 dieser Verordnung seien Hunde und andere Haustiere so zu halten, daß die Nachtruhe nicht gestört werde. Dagegen sei aber hier verstoßen worden. Die nächtliche Störung, die durch das Bellen der Hunde im Tierheim hervorgerufen werde, werde durch die glaubhaften Bekundungen der Zeugen ... und ... bewiesen. Das häufige nächtliche Bellen der Hunde sei daraus zu erklären, daß die Hunde immer wieder wechselten und die jeweiligen Zugänge sich in der neuen Umgebung erst eingewöhnen müßten. Da die nächtliche Ruhestörung durch das Bellen der Hunde auf andere Weise nicht zu unterbrinden sei, sei die Beklagte berechtigt, von dem Kläger zu verlangen, das Tierheim frei von Hunden zu halten. Wenn auch die Verdienste des Klägers um den Schutz von Tieren durchaus anzuerkennen seien, so müsse doch die Bekämpfung von drohenden gesundheitlichen Gefahren für die Nachbarn des Tierheims den Vorrang haben.

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Gegen dieses ihm am 21. August 1968 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. September 1968 Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet: Es sei nicht dargetan und auch durch die Aussagen der in erster Instanz vernommenen Zeugen nicht bewiesen, daß die Lärmentwicklung durch das Bellen der Hunde einen solchen Umfang angenommen habe, daß die öffentliche Ordnung gestört werde. Es müsse auch berücksichtigt werden, daß das Tierheim in einem weitläufig bebauten Gebiet mit ländlichem Charakter liege. Bezeichnend sei, daß viele Anwohner selbst einen Hund hätten und daß auf dem Grundstück des unmittelbaren Nachbarn ... sogar eine Gänsehaltung betrieben werde. Daher stelle die Hundehaltung auf dem Grundstück des Tierheims nichts Ungewöhnliches dar. Auch in jüngster Zeit habe es keine Störungen der öffentlichen Ordnung durch das Bellen der Hunde gegeben. Den Vorfall vom 7. Mai 1970 habe der Nachbarn ... selbst durch unvorsichtiges Abbrennen von Holz und Abfall verursacht. Bedeutsam sei auch, daß das vorliegende Verfahren in erster Linie auf den früheren Nachbarn Wegner zurückzuführen sei, der mit dem Kläger zerstritten sei. Der Nachbar ... habe Unterschriften für die Beschwerde gesammelt, die Grundlage der angefochtenen Ordnungsverfügung geworden sei. Keinesfalls aber habe die Ordnungsverfügung dahin ergehen dürfen, die Hunde zu entfernen, sondern allenfalls die Lärmbelästigung zu unterbinden.

11

Der Kläger beantragt daher,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach dem Klagantrag in erster Instanz zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Es treffe nicht zu, daß die Beschwerden des Nachbarn ... den Ausschlag gegeben hätten. Denn alle Beschwerden würden vor Einleitung von Ordnungsmaßnahmen eingehend auf ihren sachlichen Gehalt und aufgrund unabhängiger amtlicher Ermittlungen getroffen. Das sei auch hier geschehen. Es sei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels nicht verletzt worden. Da man aber im vorliegenden Falle der Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht auf andere Weise habe entgegenwirken können, habe sich die Notwendigkeit ergeben, dem Kläger das Aufnehmen und Halten von Hunden zu untersagen. Der Kläger könne sich ferner auch nicht auf Hundehaltung der Nachbarn berufen. Denn entscheidende Quelle der vom Tierheim ausgehenden Störungen sei der Umstand, daß die Hunde ständig wechselten und dadurch ein besonders häufiges Bellen der Hunde ausgelöst werde. Die Störungen der öffentlichen Ordnung hätten auch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt angehalten, wie die Nachbarn bezeugen könnten.

14

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im übrigen auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

15

Dem Senat haben als Gegenstand der mündlichen Verhandlung die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A) sowie die Akten des Vorprozesses des Verwaltungsgerichts 3 D 66/65 (= V OVG B 31/65 = Beiakten B)) vorgelegen.

16

Der Senat hat durch Beweisbeschluß vom 29. September 1970 zur Frage, wie stark und von welcher Dauer die von dem Tierheim des Klägers ausgehenden Lärmbelästigungen seit 1967 gewesen sind, die Vernehmung der Zeugen W., D., E., W., B., S., v. S., und E., angeordnet. Zur Frage der gesundheitlichen Auswirkungen dieser Lärmbelästigungen ist der Kreismedizinaldirektor Dr. ... als Sachverständiger gehört werden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungprotokoll vom 30. Oktober 1970 (Bl. 151 ff GA) verwiesen.

17

II.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

18

Der Kläger kann nicht die Aufhebung der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 10. März 1967 und des dazugehörigen Widerspruchsbescheides vom 25. April 1967 verlangen. Durch die angefochtene Ordnungsverfügung vom 10. März 1967 wurde dem Kläger zu Recht zur Abwehr der Lärmbelästigung durch das von seinem Tierheim ausgehende Hundegebell aufgegeben, die Hunde aus dem Heim zu entfernen und anderweitig unterzubringen. Außerdem wurde ihm mit Recht verboten, in Zukunft im Tierheim Hunde zu halten oder zur Pflege aufzunehmen.

19

Diese mit der Androhung von Zwangsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung verbundene Ordnungsverfügung der Beklagten vom 10. März 1967 läßt sich - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht auf die Verordnung zur Bekämpfung des Lärms (Lärmverordnung) vom 16. Dezember 1966 (GVOBl S. 262) stützen. § 2 Abs. 5 dieser Verordnung schreibt vor, daß Hunde und andere Haustiere so zu halten sind, daß sie die Nachtruhe nicht stören. Demgemäß könnte die Beklagte den Kläger nach dieser Verordnung lediglich auffordern, die auf seinem Grundstück befindlichen Hunde so zu halten, daß sie die Nachtruhe nicht stören. Die Beklagte könnte ferner gegen den Kläger im Nichtbefolgungsfalle ein Zwangsgeld festsetzen, wie sich aus § 10 dieser Verordnung ergibt. Die Beklagte könnte aber aufgrund dieser Verordnung nicht - das steht hier allein in Frage - die von ihr angeordnete Entfernung der Hunde verlangen.

20

Als Rechtsgrundlage für die angefochtene Ordnungsverfügung kommen die Bestimmungen des Pr. Polizeiverwaltungsgesetzes - PVG - vom 31. Juni 1931 (GS S. 77) in der Fassung vom 8. April 1935 (GS S. 53) in Betracht, das in Schleswig-Holstein als Landesrecht zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verfügungen weitergalt (vgl. 2. Fortgeltungserlaß vom 10.2.1951 in Amtsblatt Schleswig-Holstein S. 121). Ein Eingreifen der Ordnungsbehörde aufgrund des PVG wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß in allen Fällen der Störung durch Geräusche wegen unzulässiger Immissionen vielleicht auch privatrechtliche Ansprüche der Nachbarn auf Unterlassung nach §§ 903, 906 ff BGB gegeben sind. Die Behörde darf nicht untätig bleiben, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt (vgl. Drews-Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 7. Aufl., S. 88). Denn nach§ 14 PVG haben die Ordnungsbehören im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwenden, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht wird.

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Diese eben genannten Voraussetzungen des § 14 PVG sind im vorliegenden Falle gegeben. Denn durch den von der Beklagten beanstandeten Lärm, welchen die Hunde im Tierheim des Klägers verursachsen, entstehen für die Allgemeinheit und einzelne Personen gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht wird.

22

Der Schutz der öffentlichen Ordnung umfaßt den Schutz aller Normen über Handlungen, Unterlassungen und Zustände, deren Befolgung nach der herrschenden allgemeinen Auffassung zu den unerläßlichen Voraussetzungen des gedeihlichen menschlichen und staatsbürgerlichen Zusammenlebens gehört (vgl. hierzu Drews-Wacke, a.a.O., S. 73). Zu den Erfordernissen der öffentlichen Ordnung gehört daher auch eine angemessene Rücksichtnahme auf die Mitmenschen durch Unterlassen von Störungen durch Geräusche. Soweit dadurch die Gesundheit der Bürger unmittelbar gefährdet wird, kann die Polizei aus Gründen der öffentlichen Sicherheit einschreiten (Drews-Wacke, a.a.O., S. 84).

23

In jedem Falle muß aber - wie sich aus dem Wortlaut des§ 14 PVG ergibt - eine Gefahr vorliegen. Es ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, daß bloße Belästigungen und Unbequemlichkeiten, wie sie das Zusammenleben vieler Menschen unvermeidlich mit sich bringt, ertragen werden müssen und daher noch keine Gefahr darstellen. Angesichts solcher unvermeidlicher Störungen ist die Bevölkerung aber gegen jedes weitere Übermaß von Geräuschen - beispielsweise durch ständiges lautes Hundegebell - besonders empfindlich, so daß gerade dort eine Gefährdung der Gesundheit besonders nahe liegt (vgl. Drews-Wacke, a.a.O., S. 85; Wiethaupt, Lärmbelästigung in der Bundesrepublik, 2. Aufl. S. 419-421 m.w.H.; vgl. ferner auch OVG Lüneburg, Urt. v. 5. 12. 1961 - II OVG B 59/61 - in VRspr. 14/572). Die medizinische Wissenschaft hat erkannt, daß durch ständigen Lärm nicht nur die Nervosität gesteigert, sondern auch Erkrankungen des vegetativen, unbewußten Nervensystems und dadurch wiederum Magenerkrankungen sowie Magengeschwüre hervorgerufen werden können, aber auch Herzkrankheiten und Kreislaufstörungen, ja sogar Schädigungen des Gehirns (vgl. Drews-Wacke, a.a.O., S. 85).

24

Festzuhalten ist allerdings, daß sich die Grenze, jenseits desen nachteilige Einwirkung nicht als bloße Belästigung anzusehen ist, sondern sich zu einer Gefahr auszuwirken beginnt, nicht allgemein gültig festlegen läßt. Sie ist vielmehr von den jeweiligenörtlichen Verhältnissen und auch von dem Wandel der Zeiten und dem hiermit verbundenen Wechsel der Anschauungen abhängig und kann zutreffend nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. hierzu auch Bezirksverwaltungsgericht Berlin-Zehlendorf, Urt. v. 12.5.1950 in DVBl 1950/725). Doch liegt jedenfalls in den Fällen, in denen eine Gesundheitsgefährdung festgestellt wird, eine Gefahr im Sinne des § 14 PVG vor. Wenn Drews-Wacke (vgl. a.a.O., S. 85) meinen, daß der Fall der Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit der Mitmenschen genüge so ist dabei zu beachten, daß auch die Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit in Wahrheit bereits eine Gesundheitsgefährdung darstellt.

25

Die Entscheidung des Rechtsstreits war also davon abhängig, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle bei Erlaß der angefochtenen Verfügung im März/April 1967 vorgelegen haben. Dabei war zu beachten, daß es sich bei der erlassenen Ordnungsverfügung vom 10. März 1967 um einen Verwaltungsakt handelt, der seine Gestaltungswirkung damals noch nicht voll entfaltet hatte, sondern noch bis in die Gegenwart hinein fortwirkt. In solchen Fällen ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß es nicht nur auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung ankommt, sondern auch die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung mit berücksichtigt werden muß. Denn anderenfalls müßte dem Kläger unter Umständen etwas genommen werden, was ihm sogleich wieder gewährt werden muß (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.1961 - I C 34.60 - in NJW 1961, 1834 = DVBl 1961, 731 [BVerwG 27.06.1961 - BVerwG I C 34.60] and Urt. v. 14.11.1957 - I C 168.56 - in BVerwGE 5, 351; vgl. ferner OVG Lüneburg, Urt. v. 20.10.1965 - V OVG A 43/65 - in MDR 1966, 445 [446] [OVG Niedersachsen 20.10.1965 - V A 43/65] und Beschl. v. 10.7.1969 in - V OVG B 11/69 -). Demgemäß hat der erkennende Senat etuch die gegenwärtige Sach- und Rechtslage mitberücksichtigt. Dabei ist anzumerken, daß eine Änderung des Inhalts der Rechtsvorschriften bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingetreten ist. Zwar gilt seit dem 1. Januar 1968 in Schleswig-Holstein das Landesverwaltungsgesetz - LVwG vom 18. April 1967 (GVOBl S. 131). Doch ist die einschlägige Vorschrift des § 171 LVwG mit § 14 PVG inhaltsgleich.

26

Die Beweisaufnahme durch den Senat hat ergeben, daß eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch das von dem Tierheim des Klägers ausgehende Hundegebell im März/April 1967 vorgelegen hat und auch im gegenwärtigen Zeitpunkt noch gegeben ist.

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Durch die übereinstimmenden Aussagen der als Zeugen vernommenen Nachbarn W., D., B., W., und B. steht fest, daß von dem Tierheim des Klägers durch das Bellen der Hunde erhebliche Störungen ausgehen. Dies wird auch bestätigt durch die Aussage des Zeugen Steinert, der als Polizeibeamter die Beschwerden der Nachbarn des Klägers an Ort und Stelle geprüft hat. Diese Störungen durch das Hundegebell erfolgten nicht nur am Tage, sondern - wie die glaubhaften Bekundungen der Zeugen W., und ... beweisen - auch in der Nacht. Bezeichnend für die Stärke des Lärms ist daß das Bellen der Hunde selbst von dem schwerhörigen Zeugen Bock noch als Lärm empfunden wird. Dieser Zeuge ... dessen Wohnung der Hundebaracke am nächsten liegt, hat glaubhaft bekundet, daß er infolge des Gebells abends oft schwer einschlafen könne und daß seine Ehefrau, die noch gut hören könne, nur schlecht schlafen könne. Auch der Zeuge ... hat bestätigt, daß er und seine Frau bis zu ihrem Umzug im März 1969 ständig nachts im Schlaf gestört wurden. Schließlich hat auch der Zeuge ..., der auf den Senat einen sehr besonnenen Eindruck machte ausdrücklich erklärte, er sei nicht gegen Tierheime eingestellt, bestätigt, daß seine Ehefrau und sein Sohn schon wiederholt in ihrer Nachtruhe gestört worden seien.

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Der Kläger kann demgegenüber sich nicht darauf berufen, daß die Hunde in einer Baracke untergebracht seien und der Lärm deshalb gedämpft sei. Denn wie der Zeuge ... bekundet und der Zeuge S. bestätigt hat, sind die Hunde immer nur zeitweise in der Baracke untergebracht, und zwar insbesondere nachts. Zu den übrigen Zeiten laufen die Hunde auf dem Grundstück des Tierheims herum und verursachen durch ihr Gebell erheblichen Lärm. Hinzu komt noch, daß sich in der Baracke keine Ventilation befindet und die Fenster daher zum Zwecke der Lüftung - insbesondere im Sommer - oft geöffnet werden müssen. Dann dringt der Lärm aber verstärkt nach draußen, wie die Zeugen ... und ... bestätigt haben. Nach den Bekundungen des Zeugen ... kommt es auch oft vor, daß abends nach dem Füttern der Hunde noch die Baracke geöffnet ist und der Lärm nach draußen dringt.

29

Der Senat ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. ... davon überzeugt, daß dieses ständige Gebell der Hunde am Tage und in der Nacht eine Gefahr für die Gesundheit der Nachbarn des Tierheims darstellt. Denn zur Gesundheit gehört nicht nur das Freisein von Krankheiten, sondern auch das psychische Wohlbefinden. Die von den Zeugen ... S. und ... geschilderten Störungen sind aber nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. ... durchaus geeignet, zu einer Überreizung des vegetativen Nervensystems, zum Abfall der Leistungskraft der Konzentrationskraft, zu leichter Ermüdbarkeit und zu Unlustgefühlen zu führen. Dadurch wird aber das Wohlbefinden der betroffenen Nachbarn, nicht unerheblich beeinträchtigt. Hinzu kommt, daß das Hundegebell ein Geräusch darstellt, das in unterschiedlicher Lautstärke und in unregelmäßiger Folge auftritt. Durch ein derartiges Geräusch werden die Menschen aber - anders als bei gleichmäßigem, phonmäßig oft stärkerem Großstadtlärm - nach denüberzeugenden Darlegungen des Gutachters Dr. ... in einen neurotischen Zustand versetzt, den man medizinisch als Erwartungsneurose bezeichnet. Es liegt auf der Hand, daß die betreffenden Nachbarn des Tierheims durch eine derartige Neurose ebenfalls erheblich in ihrem gesundheitlichen Wohlbefinden gestört werden. Aus allen diesen Gründen ist der erkennende Senat davon überzeugt, daß die festgestellten, vom Tierheim des Klägers ausgehenden Lärmbelästigungen eine Gefahr für die Gesundheit der Nachbarn dieses Heimes darstellt. Die Beklagte war daher berechtigt, nach § 14 PVG wegen Gefährdung deröffentlichen Sicherheit und Ordnung einzuschreiten.

30

Es bestehen nach Auffassung des Senats keine Bedenken dagegen, daß die Beklagte durch die angefochtene Ordnungsverfügung den klagenden Verein in Anspruch genommen hat. Denn der Kläger ist als eingetragener Verein eine juristische Person des Privatrechts. Es ist aber allgemein anerkannt, daß als polizeipflichtige Personen nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen des Privatrechts in Anspruch genommen werden können (vgl. hierzu Drews-Wacke, a.a.O., S. 208, 261; Ule-Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht,§ 18 PVG, Anm. 7; vgl. ferner Pr. OVG in OVGE 2/399 [407]). Wenn der klagende Verein auch nicht Eigentümer des Grundstücks mit dem Tierheim ist, so übt er doch als Pächter die tatsächliche Gewaltüber das Grundstück aus, von dem die Lärmbelästigungen ausgehen.(vgl. § 20 Abs. 2 PVG). Daher hat die Beklagte die Ordnungsverfügung vom 10. März 1967 zu Recht gegen den Kläger gerichtet.

31

Schließlich hat die Beklagte auch vom Kläger zu Recht die vollständige Entfernung aller Hunde aus dem Tierheim verlangt und dem Kläger untersagt, in Zukunft im Tierheim wieder Hunde zu halten oder in Pflege zu nehmen.

32

Nach § 14 PVG ist die Beklagte verpflichtet, die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen. Kommen zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zur wirksamen Abwehr einer polizeilichen Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es, wenn die Behörde eines dieser Mittel bestimmt. Dabei ist nach § 41 Abs. 2 PVG tunlichst das den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Zu Unrecht meint der Kläger demgegenüber, die Beklagte habe den in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels verletzt, weil die Behörde nicht die Entfernung der Hunde fordern, sondern allenfalls habe verlangen können, die Lärmbelästigung zu unterbinden.

33

Dieser Einwand des Klägers ist schon deshalb unbegründet, weil sich auch nach Auffassung des erkennenden Senats für die Beklagte praktisch kein anderes Mittel zur Beseitigung der durch das Hundegebell hervorgerufenen Störungen anbietet, als vom Kläger die Entfernung der Hunde zu fordern. Das Hundegebell selbst wird sich nicht beseitigen lassen, zumal das Bellen der Hunde - wie die vorgelegten Akten ergeben - gerade dadurch hervorgerufen wird, daß immer neue Hunde aufgenommen werden, die sich erst aneinander gewöhnen müssen. Eine wesentliche Dämpfung dieser Geräusche ist aber ebenfalls nicht möglich. Es gäbe zwar die Möglichkeit, dem Kläger aufzugeben, die Hunde lediglich in der geschlossenen Hundebaracke zu halten. Es ist aber zu beachten, daß die Ordnungsbehörde von einem Bürger nichts tatsächlich oder rechtlich Unmögliches fordern darf. Dazu gehört aber auch der Fall, daß die Ordnungsbehörde von dem in Anspruch genommenen Bürger etwas rechtlich Unerlaubtes fordert (vgl. hierzu Drews-Wacke, a.a.O., S. 482; Ule-Rasch, a.a.O.,§ 41 PVG, Anm. 9). Ein solcher Fall würde aber hier vorliegen. Denn nach § 2 Ziffer 1 des Tierschutzgesetzes vom 24. November 1933 (RGBl I S. 987), das in Schleswig-Holstein als Landesrecht fortgilt (vgl. Sammlung Schleswig-Holsteinisches Landesrecht, 1963, Band 2, Nr. 7833), ist es verboten, ein Tier in Haltung, Pflege und Unterbringung so zu vernachlässigen, daß es dadurch erhebliche Schmerzen und erheblichen Schaden leidet. Hiergegen würde aber - wie der Sachverständige bestätigt hat - verstoßen, wenn die Hunde Tag und Nacht in der Hundebaracke, die im übrigen keinerlei Ventilation besitzt, eingesperrt würden. Dementsprechend bestimmt die auf Grund von§ 14 des Tierschutzgesetzes erlassene Landesverordnung über das Halten von Hunden vom 29. Dezember 1969 (GVOBl 1970 S. 8), daß Hunden, die in nicht zum Wohnbereich gehörenden Räumen gehalten werden, täglich ausreichende Möglichkeit zum Auslaufen geboten werden muß (vgl. § 5 Abs. 1 dieser Landesverordnung). Hinzu kommt, daß es sich bei dem Kläger um einen Verein handelt, der sich gerade zum Ziel gesetzt hat, gegen den Mißbrauch von Tieren vorzugehen.

34

Nach alledem erweist sich die angefochtene Ordnungsverfügung vom 10. März 1967 als rechtmäßig. Die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts mußte daher zurückgewiesen werden.

35

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO.

36

Die Revision ist nicht zugelassen worden, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, Uelzener Straße 40, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten einzulegen und in der Beschwerdeschrift zu begründen.

Ohne Zulassung ist die Revision statthaft, wenn die in § 133 Nr. 1-5 VwGO besonders genannten Verfahrensmängel gerügt werden. Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, Uelzener Straße 40, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen.