Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 01.03.2005, Az.: S 6 KR 93/02

Voraussetzungen eines Anspruchs gegenüber einer gesetzlichen Krankenversicherung auf Erstattung von Aufwendungen für selbst beschaffte Leistungen

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
01.03.2005
Aktenzeichen
S 6 KR 93/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 37207
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2005:0301.S6KR93.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 21.02.2007 - AZ: L 4 KR 78/05
BSG - 02.11.2007 - AZ: B 1 KR 14/07 R

In dem Rechtsstreit
...
hat die 6. Kammer des Sozialgericht Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2005
durch
den Richter am Sozialgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herr ...
entschieden:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für Konvergenzbestrahlungen.

2

Die 1961 geborene Klägerin erkrankte 1994 an Brustkrebs. Es bildeten sich auch Metastasen im Kopf, welche im Jahr 2000 und 2001 durch zwei Operationen entfernt wurden.

3

Am 26. Oktober (Eingang bei der Beklagten am 30. Oktober) 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenerstattung für eine Behandlung am 10. und 17.

4

August 2001 in der Gemeinschaftspraxis für Strahlentherapie, .... Nach Auftreten eines dritten Tumors sei ihr von Ärzten der ... am 27. Juli 2001 eine sogenannte Konvergenzbestrahlung dringend empfohlen worden. Sie reichte eine Rechnung des Herrn ... vom 25. Oktober 2001 über 4.003,53 DM (= 2.045,44 ?) ein. Mit Bescheid vom 1. November 2001 wies die Beklagte den Antrag zurück. Die Beschleunigerbestrahlung sei keine vertragsärztliche Versorgung. Dagegen wandte sich die Klägerin in einem persönlichen Schreiben an den Vorstand der Beklagten. Es seien inzwischen zwölf Wochen seit der Konvergenzbestrahlung im August 2001 vergangen, die linksseitige Lähmung habe sich weitgehend zurückgebildet und ein erstes MRT zeige den fast vollständigen Rückgang des Tumorgewebes. Die Beklagte spare durch die somit erfolgreiche Behandlung hunterttausende, die sie für eine konventionelle Behandlung hätte ausgeben müssen. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 wiederholte die Beklagte ihren ablehnenden Bescheid und verwies darauf, dass es sich bei der Konvergenzbestrahlung um eine neue Behandlungsmethode, die nicht zugelassen sei, handele. Zudem hätte die Behandlung als vertragsärztliche Leistung stationär an de MHH durchgeführt werden können. Im weiteren Widerspruchsverfahren verwies die Klägerin darauf, dass die Strahlentherapie eine weltweit praktizierte und anerkannte Methode sei. Es könne nicht sein, dass die Kosten für die stationäre Behandlung an der MHH von der Beklagten getragen würden, die wesentlich billigere ambulante Behandlung aber nicht. Selbst nach Aussage des MDK sei die Beschleunigerbestrahlung bei der Klägerin medizinisch notwendig gewesen.

5

Mit Schreiben vom 22. Februar 2002 (Eingang bei der Beklagten am 25. Februar 2002) erweiterte die Klägerin ihren Antrag auf Kostenerstattung für eine weitere Rechnung über 3.998,94 DM (= 2.044,63 ?).

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar sei ihr über eine zweite Rechnung nichts bekannt, die Kosten könnten aber insgesamt nichtübernommen werden, da es sich nicht um eine vertragsärztliche Leistung handele und zudem der Antrag auf Kostenerstattung zu spät gestellt worden sei.

7

Dagegen hat die Klägerin am 13. Mai 2002 Klage erhoben. Die zweite Rechnung (über 3.998,94 DM) betreffe eine weitere Konvergenzbestrahlung bei ... am 17. Dezember 2001. Sie sei am 27. Juli 2001 aus der stationären Behandlung in der ... entlassen worden. Die dortigen Ärzte hätten ihr dringend empfohlen, eine Beschleunigerbestrahlung durchzuführen. Sie sei dann von ihrem Hausarzt Dr. ... zu Herrn ... überwiesen worden. Weder die Ärzte der ... noch ihr Hausarzt hätten die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten erwähnt. Eine vorherige Antragstellung sei zumindest im Hinblick auf die am 17. Dezember 2001 erfolgte Behandlung offensichtlich aussichtslos gewesen und von daher nicht erforderlich. Die Behandlung sei im Übrigen effektiv und erfolgreich gewesen. Der epileptische Herd habe sich verkleinert und die Beschwerden hätten massiv abgenommen. Vertragsärztliche Alternativen gäbe es nicht. Auch sei die durchgeführte Konvergenzbestrahlung wirtschaftlich, da sie billiger sei als vergleichbare konventionelle Behandlungen und auch die stationäre Behandlung an der MHH. Sie habe sich auch in der Praxis durchgesetzt, was bereits daran zu erkennen sei, dass sie an der MHH als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werde. Eine Absprache mit Herrn ... wegen der Zahlungsmodalitäten habe die Klägerin nicht getroffen. Von dort sei ihr nur mitgeteilt worden, dass eine Rechnung erstellt werde, die sie dann bei der Beklagten einreichen müsse. Die Rechnung vom 20. Dezember 2001über 3.998,94 DM (Bestrahlung am 17. Dezember 2001) habe sie mittlerweile bezahlt. Die Rechnung vom 25. Oktober 2001 über 4.003,53 DM (Bestrahlungen am 10. und 17. August 2001) stünde noch offen. Seit 1. Juni 2004 sei sie nicht mehr Mitglied der Beklagten. Ihre jetzige Krankenkasse, die ... habe weitere erforderliche Konvergenzbestrahlungen übernommen.

8

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Bescheide vom 1. November 2001 und 18. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2002 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin den Betrag von 2.044,63 ? (= 3.998,94 DM) zu zahlen und sie von der Inanspruchnahme durch den Arzt ... wegen der Rechnung vom 25. Oktober 2001 über 2.045,44 ? (= 4.003,53 DM) freizustellen.

9

Der Vertreter der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist auf die Begründung in Bescheid und Widerspruchsbescheid.

12

Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und es weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

13

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.

14

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

15

Aufwendungen für selbst beschaffte Leistungen darf die Krankenkasse nach §13 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V -) anstelle der eigentlich geschuldeten Sach- oder Dienstleistung nur erstatten, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist.

16

Ein Anspruch auf Übernahme der bei der Gemeinschaftspraxis für Strahlentherapie ... durchgeführten Konvergenzbestrahlungen am 10. August, 17. August und 17. Dezember 2001 könnte sich nur aus §13 Absatz 3 SGB V ergeben. Nach dieser Vorschrift sind die Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und von der Krankenkasse nicht rechtzeitig erbracht werden konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Hat der Versicherte die selbstbeschaffte Leistung noch nicht bezahlt, kann er anstelle der Erstattung die Freistellung von der gegenüber dem Leistungserbringer bestehenden Verbindlichkeit verlangen.

17

Unaufschiebbar ist die am 10. August 2001 erstmals durchgeführte Konvergenzbestrahlung nicht gewesen. Zwischen der Empfehlung der Ärzte der ... am 27. Juli 2001 und der ersten Bestrahlungsbehandlung am 10. August 2001 lagen ca. zwei Wochen. Eine unaufschiebbare Notfallbehandlung kann schon deshalb nicht vorgelegen haben.

18

Die Klägerin kann sich für ihr Begehren auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte die Gewährung der streitigen Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Ein auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nämlich regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (vgl. z.B. BSG vom 20. Mai 2003 - B 1 KR 9/03 R -; Breithaupt 2004, 182 bis 187 mit weiteren Nachweisen). §13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (a.a.O. m.w.N.) Eine solche Fallkonstellation liegt im Hinblick auf die Behandlungen am 10. und 17. August 2001 zweifellos vor. Der Antrag auf Kostenerstattung ging bei der Beklagten am 30. Oktober 2001, alsoüber zwei Monate nach der durchgeführten Behandlung, ein. Auch von der Behandlung am 17. Dezember 2001 hat die Beklagte erst verspätet, nämlich mit dem klägerischen Schriftsatz im Widerspruchsverfahren vom 22. Februar 2002 Kenntnis erlangt. Weder wusste die Beklagte noch konnte sie aus vorliegenden und von der Klägerin eingereichten Unterlagen erahnen, dass eine weitere Konvergenzbestrahlung nach den Bestrahlungen im August notwendig werden würde. Es liegen keine ärztlichen Unterlagen aus der Zeit bis zum 17. Dezember 2001 vor, aus denen hervorgeht, dass eine dritte Bestrahlung notwendig ist. Auch die Klägerin selbst hat dies im Widerspruchsverfahren nie erwähnt. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, eine vorherige Antragstellung sei entbehrlich gewesen, da die Ablehnung der Beklagten wie aus dem Bescheid vom 1. November 2001 bekannt, bereits festgestanden habe. Hierzu hat das Bundessozialgericht in mehreren Entscheidungen richtigerweise festgestellt, dass Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck eine dahingehende Ausnahme nicht zulassen (siehe dazu schon BSG vom 18. Januar 1996 - 1 RK 8/95 - und zuletzt BSG vom 20. Mai 2003 - B 1 Kr 9/03 R -, Leitsatz und Orientierungssatz 3).

19

Da der geltend gemachte Anspruch bereits wegen der Nichteinhaltung des Beschaffungswegs scheitert, kommt es auf die Frage, ob die Leistung dem Grunde nach als ambulante Leistung eine solche der gesetzlichen Krankenversicherung war, nicht mehr an.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §193 Sozialgerichtsgesetz.

21

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

22

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