Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 28.02.2007, Az.: 3 A 112/06

Badeschuhe; Beamter; Beihilfe; Beihilfefähigkeit; Erkrankung; Fürsorgeanspruch; Hilfsmittel; orthopädische Badeschuhe; Sprunggelenk; Wassertherapie; Wirbelsäule

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
28.02.2007
Aktenzeichen
3 A 112/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71896
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die zur Konkretisierung der Fürsorgeansprüche der Beamten für eine Übergangszeit weiterhin heranzuziehenden Beihilfevorschriften sind wie Rechtsnormen auszulegen und anzuwenden.

Die Aufführung in der Negativliste (Nr. 9) der Anlage 3 zu § 6 Absatz 1 Nr. 4 Satz 2 BhV schließt entsprechende Aufwendungen nicht von vornherein von der Beihilfefähigkeit aus. Prüfungsmaßstab sind die im Einleitungssatz zu Nr. 9 der Anlage aufgeführten übergreifenden Tatbestandsmerkmale, die den Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Anschaffung von Hilfsmitteln systemkonform daran anknüpfen, ob Hilfsmittel nicht notwendig und angemessen oder von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis sind oder der allgemeinen Lebenshaltung unterliegen.

Zur Auslegung des Rechtsbegriffs "Hilfsmittel" ist auf die objektive Eigenart und Beschaffenheit des betreffenden Gegenstands abzustellen (BVerwG, Urt. v. 14.3.1991).

Tatbestand:

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Die Klägerin ist niedersächsische Landesbeamtin. Der Arzt für Orthopädie Dr. D. verordnete ihr am 11.1.2006 ein Paar orthopädische Badeschuhe. Die Klägerin erwarb diese zum Preis von 1373,55 €. Auf ihren Antrag vom 21.1. 2006 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.2.2006 die Gewährung einer Beihilfe zu diesen Aufwendungen ab: Die Aufwendungen seien nicht beihilfefähig, weil der Gegenstand kein anerkanntes notwendiges Hilfsmittel sei. Den fristgerecht erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid vom 22.3.2006 aus folgenden Gründen zurück: Die von der Klägerin erworbenen orthopädischen Badeschuhe seien kein Hilfsmittel im Sinne der Beihilfevorschriften. Sie gehörten zu den Gegenständen, deren Kosten der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen seien, wenngleich aus ärztlicher Sicht der Einsatz eines solchen Gegenstandes „sinnvoll“ sei und somit ein medizinischer Nutzen gegeben sein möge. Orthopädische Badeschuhe dienten der Verhütung von Krankheiten, weshalb nicht die unmittelbaren Kosten der Krankheit, sondern lediglich deren mittelbare Folgekosten betroffen seien, die wiederum dem Bereich der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen seien. Der „Gesetzgeber“ habe die Aufwendungen für orthopädische Badeschuhe ausdrücklich von der Beihilfefähigkeit ausgenommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

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Die Klägerin hat fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des verordnenden Arztes im wesentlichen vorträgt: Sie leide an einer schweren Erkrankung der Lendenwirbelsäule sowie einer schwerwiegenden Arthrose der Fußwurzel sowie in den Bereichen des oberen- und des unteren Sprunggelenkes. Ohne die erworbenen Schuhe könne sie nicht barfuß gehen, weshalb sie ohne die Schuhe nicht an der wegen ihrer Erkrankung notwendigen Wassertherapie teilnehmen könne. Die Schuhe dienten also dem Ausgleich einer körperlichen Behinderung und keineswegs lediglich der Verhütung von Krankheiten.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 10.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr zu den Aufwendungen in Höhe in 1.373,55 € für die Anschaffung orthopädischer Badeschuhe Beihilfe zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hält an seiner im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung fest.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Gemäß § 87c Absatz 1 NBG in der seit dem 1.1.2005 geltenden Fassung (Haushaltsbegleitgesetz 2005 vom 17.12.2004, Art. 4 Nr. 3, GVBl. 2004, 664) erhalten Beamte und Versorgungsempfänger des Landes Niedersachsen grundsätzlich "nach den für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes geltenden Beihilfevorschriften in der Fassung vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918), zuletzt geändert durch Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 30. Januar 2004 (GMBl. S. 379), Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen".

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Diese Regelung des Beihilferechts ist einerseits wegen Verletzung des Gesetzesvorbehalts verfassungswidrig, andererseits ist für eine - bislang nicht näher bestimmte - Übergangszeit von der Weitergeltung der Beihilfevorschriften auszugehen, so dass gewährleistet ist, dass die Leistungen nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden (BVerwG, U. v. 25.11.2004, 2 C 30/03, NVwZ 2005, 712 = juris; U. v. 15.12.2005, 2 C 35/04, E 125, 21 = juris; U. v. 17.6.2004, 2 C 50/02, E 121, 103 = juris; U. v. 30.10.2003, 2 C 26/02, E 119, 168 = juris). Die Kammer geht davon aus, dass die Beihilfebestimmungen gemäß dieser Rechtsprechung einstweilen weiterhin anzuwenden sind. Entsprechend der "besonderen rechtlichen Form und ungewöhnlichen Funktion der Beihilfevorschriften" sind diese aus sich heraus in gleicher Weise wie Normen auszulegen (BVerwG, U. v. 15.12.2005, 2 C 35/04, E 125, 21 = juris m. w. Nachw.). Dabei ist für die rechtliche Beurteilung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt werden (BVerwG, U. v. 15.12.2005, 2 C 35/04, E 125, 21 = juris m. w. Nachw.).

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Gemäß § 1 Absatz 1 Beihilfevorschriften (BhV) regeln die Beihilfevorschriften insbesondere die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Satz 1); die Beihilfen ergänzen in diesen Fällen die Eigenvorsorge, die aus den laufenden Dienstbezügen zu bestreiten ist (Satz 2). Beihilfen werden zu den beihilfefähigen Aufwendungen beihilfeberechtigter Personen und deren berücksichtigungsfähigen Angehörigen gewährt (§ 1 Absatz 4 BhV). Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen setzt gemäß § 5 Absatz 1 BhV voraus, dass die Aufwendungen (1.) dem Grunde nach notwendig, (2.) der Höhe nach angemessen sind und (3.) ihre Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Bezüglich der aus Anlass einer Krankheit entstandenen Aufwendungen sind neben den ärztlichen Leistungen sowie den vom Arzt verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten Arznei- und Verbandsmitteln (§ 6 Absatz 1 Nr. 1 und 2 BhV) auch Aufwendungen für die Anschaffung, Reparatur, Ersatz, Betrieb und Unterhaltung der vom Arzt schriftlich verordneten Hilfsmittel (§ 6 Absatz 1 Nr. 4 Satz 1 BhV) grundsätzlich beihilfefähig sind. Voraussetzung und Umfang der Beihilfefähigkeit solcher Hilfsmittel bestimmen sich nach der Anlage 3 (§ 6 Absatz 1 Nr. 4 Satz 2 BhV).

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Notwendige und angemessene Aufwendungen für die Anschaffung der im Katalog der Nr. 1 dieser Anlage (Positivliste) aufgeführten Hilfsmittel sind beihilfefähig, wenn sie vom Arzt schriftlich verordnet sind. Zu den - beihilfefähigen - Hilfsmitteln gehören gemäß der einleitenden Normierung der Nr. 9 der Anlage hingegen nicht Gegenstände, die nicht notwendig und angemessen (§ 5 Abs. 1 BhV), von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis (§ 6 Abs. 4 Nr. 3 BhV) sind oder der allgemeinen Lebenshaltung unterliegen, was "insbesondere" für die nachfolgend im Katalog der Nr. 9 dieser Anlage (Negativliste) aufgeführten Gegenstände - regelmäßig - der Fall ist.

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Die Bezeichnung „Orthopädische Badeschuhe“ findet sich in der „Negativliste“. Die Aufwendungen für den Erwerb Orthopädischer Badeschuhe sind aber nicht bereits deshalb von vornherein von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen, weil „Orthopädische Badeschuhe“ in der Negativliste ausdrücklich erwähnt sind (Letzteres aber - obiter dictum -: OVG Lüneburg, U. v. 21.09.2005 - 2 LB 118/03 -und: Bay. VGH, Urt. v. 12.06.1991 -3 B 90.3727 -).

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Eine systematisch gebotene und dem Wortsinn gerecht werdende Auslegung der Regelungen der Anlage 3 führt nämlich zu dem Ergebnis, dass im Einleitungssatz zur „Negativ-Liste“ der Nr. 9 übergreifende Tatbestandsmerkmale aufgeführt sind, die den Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Anschaffung eines "Hilfsmittels" systemkonform regeln, nämlich soweit sie nicht notwendig und angemessen oder von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis sind oder der allgemeinen Lebenshaltung unterliegen. In diesem Einleitungssatz der Nr. 9 ist das maßgebende Programm niedergelegt, nach welchem sich die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die Anschaffung eines "Hilfsmittels" im Einzelfall beurteilt. Hierfür spricht selbst die nachfolgende Negativ-Liste, nach der die dort aufgeführten Geräte im Grundsatz von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind. Die in der Liste aufgeführten Gegenstandsbezeichnungen sind mit dem die Liste einleitenden „Programmsatz“ durch das Wort „insbesondere“ verknüpft. Daraus folgt, dass die in der Liste aufgeführten Gegenstände wenigstens einem der die Beihilfefähigkeit ausschließenden Tatbestandsmerkmale "systemkonform" müssen zugeordnet werden können (VG Osnabrück, U. v. 28.2.2007, 3 A 113/06). Umgekehrt sind nicht in der Negativliste aufgeführte Gegenstände für die Beurteilung deren Beihilfefähigkeit an den Tatbestandsvoraussetzungen des Einleitungssatzes zu messen wie auch selbst in der Positivliste aufgeführte Gegenstände zwar regelmäßig als beihilfefähig anzuerkennen sind, ohne dass dadurch jedoch ausgeschlossen wäre, in einem besonders gelagerten Einzelfall in Anwendung des Prüfungsmaßstabs des Einleitungssatzes der Nr. 9 hiervon abweichend die Beihilfefähigkeit zu verneinen. Letzteres trägt auch der Notwendigkeit einer aktualisierenden Überprüfung der Voraussetzungen der Aufnahme des Gegenstandes in die Positivliste anhand der zwischenzeitlichen Entwicklung des als Hilfsmittel in Betracht kommenden verfügbaren Angebots einschließlich der Preisentwicklung Rechnung. Für diese Auslegung der Anlage 3 spricht auch der Umstand, dass die in Anlage 3 Nr. 9 normierten wie auch die - hiermit teilidentischen - Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsnorm des § 6 Abs. 5 Nr. 3 BhV (ehemals § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BhV) in "inhaltsgleicher" Umsetzung der für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988 (BGBl. S. 2477) eingeführten, die vorliegende sozialgerichtliche Rechtsprechung aufgreifenden Bestimmungen der §§ 33 Abs. 1 Satz 1, 34 Abs. 4 Satz 1 SGB V Eingang in die Beihilfebestimmungen fanden (vgl. Schröder u.a., a.a.O., § 6 Anm. 35 zu Ziffer 3, § 6 Anm. 9 zu Ziffer 1; ohne nähere Begründung im Ergebnis anders OVG Münster, Urt. v. 21.7.2000, 12 A 2489/99, juris).

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Dem ist auch nicht mit dem Einwand zu begegnen, dem Dienstherr sei ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet, die Aufwendungen für die Beschaffung bestimmter Gegenstände von der Beihilfegewährung auszuschließen. Diesem Einwand liegt zwar der zutreffende Gedanke zu Grunde, der Dienstherr müsse kraft seiner Fürsorgepflicht dem Beamten nicht für jede Aufwendung im Krankheitsfall Beihilfe gewähren (vgl. BVerwG Urt. v. 14.03.1991 - 2 C 23.89 -, a.a.O.). Aus der Regelung zu Nr. 9 der Anlage 3 folgt indessen, dass der Dienstherr sein Gestaltungsermessen durch Anwendung der Beihilfevorschriften selbstbindend dahingehend ausgeübt hat, dass die Aufwendungen für die in der Liste aufgeführten Gegenstände nach Maßgabe des Einleitungssatzes von der Beihilfegewährung ausgeschlossen sein sollen. Die Aufwendungen für die Anschaffung eines in der Liste aufgeführten Gerätes sind demnach nur dann von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen, wenn und soweit wenigstens eines der Tatbestandsmerkmale erfüllt ist. Umgekehrt bedeutet dies: Soweit die Anschaffung eines der Liste zugehörigen Geräte unter kein Tatbestandsmerkmal des Einleitungssatzes subsumiert werden kann, so ist die Beihilfefähigkeit entsprechender Aufwendungen nicht durch die Nr. 9 der Anlage 3 ausgeschlossen. Daraus folgt weiter, dass eines der Tatbestandsmerkmale des Einleitungssatzes zu Nr. 9 der Anlage 3 nicht bereits deshalb erfüllt ist, weil eine bestimmte Gattung von Geräten in der Negativ-Liste aufgeführt ist.

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Die Aufwendungen für die Anschaffung von orthopädischen Badeschuhen erfüllen hier die Tatbestandsmerkmale der Beihilfefähigkeit.

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Die der Klägerin verordneten und von ihr erworbenen orthopädischen Badeschuhe erfüllen den Begriff des Hilfsmittels. Sie sind zur Behebung oder Beseitigung der Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes geeignet und aufgrund des Krankheitsbildes dazu bestimmt, die natürlichen Funktionen nicht oder nicht voll funktionstüchtiger Körperorgane zu ersetzen oder zu ergänzen. Es handelt sich bei den Schuhen nicht um Gegenstände der allgemeinen Lebenshaltung. Der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnenden Gegenständen ist gemeinsam, dass sie in der Gesellschaft verbreitet sind und die allgemein auch von Gesunden zur Vorbeugung vor einer Erkrankung, zur Erhaltung des Wohlbefindens oder sogar ohne zwingenden Bezug zu einer Erkrankung genutzt und daher nach der Verkehrsauffassung schon als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens der allgemeinen Lebenshaltung zugerechnet werden (Topka/Möhle, a.a.O., Erl. 6.1.1). Demgegenüber sind Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt werden, nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Die Frage, ob ein Hilfsmittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen ist, stellt sich für einen Gegenstand, der von der Konzeption her vorwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist, erst dann, wenn er in nennenswertem Umfang auch von gesunden Menschen benutzt wird (BSG, Urt. v. 16.9.1999, B 3 KR 9/98 R, juris = FEVS 51, 355 -Therapie-Tandem-).

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Für die Einordnung als Hilfsmittel kommt es dabei auf die objektive Eigenart und Beschaffenheit des betreffenden Gegenstands an, nicht dagegen darauf, ob im Einzelfall der Gegenstand auch ohne Erkrankung überhaupt und in gleich teurer Ausführung beschafft worden wäre. Eine solche Unterscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weder in der Praxis durchführbar noch erforderlich, weil weder die Beihilfevorschriften noch die ihnen zugrundeliegende Fürsorgepflicht des Dienstherrn es gebieten, neben der amtsangemessenen Besoldung oder Versorgung dem Beamten umfassend für jede durch Krankheit bedingte Verteuerung der allgemeinen Lebenshaltung Beihilfe zu gewähren. An dieser gegenständlichen Begrenzung der Beihilfeansprüche vermag auch die besondere Schwere einer Behinderung nichts zu ändern (so BVerwG, Urt. v. 14.3.1991, juris = ZBR 1991, 350 - behindertengerecht umgebautes Kraftfahrzeug -; Schröder u.a., a.a.O., Anm. 9 (1) zu § 6; Topka/Möhle, a.a.O., Erl. 6.1).

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Nach Angaben ihres behandelnden Arztes leidet die Klägerin - von dem Beklagten nicht ernsthaft infrage gestellt - an einer schwerwiegenden Erkrankung der Wirbelsäule und der Sprunggelenke. Ihre Erkrankung erlaubt es der Klägerin nicht, ohne orthopädische Badeschuhe die nach ärztlicher Beurteilung notwendige Wassertherapie durchzuführen. Als Folge ihres regelwidrigen Körperzustandes ist es der Klägerin nicht möglich barfuß zu gehen. Letzteres aber ist Voraussetzung etwa für den Besuch eines Schwimmbades, das Duschen im häuslichen Bereich oder für die Teilnahme an einer Wassertherapie. Mithin beseitigen die orthopädischen Badeschuhe die Folgen der Erkrankung der Klägerin. Ihre Funktion beschränkt sich nicht, wie der Beklagte meint, auf eine Vorbeugung, die im übrigen mit einem Hilfsmittel häufig als Nebeneffekt verbunden ist, indem es (z. B. Gehhilfe) etwa einem Sturz und damit der Gefahr einer Verletzung vorbeugt. Der primäre Zweck eines Hilfsmittel liegt nicht darin, die Entstehung oder Verschlimmerung einer Erkrankung zu verhindern, sondern darin, dem Betroffenen in einem bestimmten Lebensbereich die Teilnahme an einem sozial üblichen Verhalten oder - wie hier - an einer Therapie überhaupt erst zu ermöglichen. Auch ihre objektive Eigenart und Beschaffenheit kennzeichnen die der Klägerin verordneten und von ihr erworbenen orthopädischen Badeschule als Hilfsmittel. Der Rechnung des Herstellers der Schuhe vom 31.1.2006 (Bl. 8 der Verwaltungsvorgänge) ist zu entnehmen, dass die Schuhe nach Maßgabe des individuellen Bedarfs der Klägerin hergestellt worden sind (vgl. zu diesem Kriterium: BSG, Urt. v. 16.03.1993 - 4 S 695/92 -, IÖD 1993, 174, zit. nach juris). Sie entsprechen Maßschuhen, die nicht serienmäßig herstellbar und als solche den zum Positivkatalog (Nr. 1 Anlage 3) zählenden orthopädischen Maßschuhen vergleichbar sind. Ihre Herstellung geht über eine orthopädische Zurichtung an Konfektionsschuhen hinaus, die ihrerseits beihilfefähig wäre (Nr. 1 Anlage 3).

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Auch die weiteren Ausschlusstatbestände des Einleitungssatzes zu Anlage 3 Nr. 9 sind nicht erfüllt. Nach Maßgabe des ärztlicherseits beschriebenen Verwendungszweckes erkennt die Kammer keinen Anhaltspunkt, wonach die Schuhe nicht notwendig und angemessen oder von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen wären. Insbesondere handelt es sich bei den Schulen auch nicht um Gegenstände von geringem Abgabepreis. Bei einem Preis von 1373,55 € bedarf dies kaum einer näheren Begründung. Jedenfalls gilt hier, was die Kammer in ihrem Urteil vom 28.02.2007 - 3 A 113/06 -ausgeführt hat:

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„Die Beihilfevorschriften selbst regeln nicht, bis zu welchem Betrag von einem geringen Abgabepreis auszugehen ist. Der Inhalt dieses Rechtsbegriffes ist daher durch Auslegung zu ermitteln. Grundsätzlich wird die Beihilfe ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beihilfeberechtigten gewährt. Dies rechtfertigt es, unter „geringfügigem Abgabepreis“ eine Bagatell-Belastung zu verstehen, die jedem Beamten, gleich welcher Besoldungsgruppe er zugehört, nach allgemeiner Verkehrsauffassung ohne weiteres zugemutet werden kann. Dazu kann wiederum der Maßstab der Eigenbeteiligung orientierend in den Blick genommen werden, die bei Hilfsmitteln im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV höchstens 10 € beträgt (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b)). Den geringen Abgabepreis als Bagatell-Belastung zu verstehen, wird dem mit einer vergleichbaren Regelung ( 34 Abs. 4 SGB V i. v. m. Verordnung vom 13.12.1989, BGBl I, S. 2237) im Sozialversicherungsrecht verfolgten und ins Beihilferecht wesensgleich transferierten Zweck gerecht, dem Wachstum der Ausgaben im Gesundheitswesen zu begegnen und dazu Leistungen aus dem Leistungskatalog herauszunehmen, für die der Beamte keiner ergänzenden Hilfe des Dienstherrn beziehungsweise der gesetzlich Versicherte keiner solidarischen Absicherung bedarf (vgl. zu Letzterem: BSG, Urt. v. 28.09.1993 - 1 RK 37/92 -). Ohne die Unterschiede zwischen dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Beihilferecht zu verkennen, hält die Kammer ein inhaltsgleiches Verständnis des die Leistungskataloge beider Systeme bestimmenden Rechtsbegriffs „ geringer Abgabepreis“ für geboten. Das bedeutet, dass unter dem Gesichtspunkt des geringen Abgabepreises nur solche Aufwendungen von der Beihilfefähigkeit auszuschließen sind, für die der Beamte nur wenige Euro aufbringen muss (vgl. für die gesetzliche Krankenversicherung: BSG, Urt. v. 28.09.1993 - 1 RK 37/92 -)“.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

24

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die hier vertretene Auslegung der Beihilfevorschriften, insbesondere der Anlage 3, hat grundsätzliche Bedeutung. Die Berufung ist deshalb zuzulassen (§ 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).