Landgericht Osnabrück
Urt. v. 22.06.1994, Az.: 11 S 181/94

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort als Verletzung der versicherungsvertraglichen Aufklärungsobliegenheit; Rechtsfolgen eines Verstoßes des Versicherten gegen § 142 Strafgesetzbuch (StGB) für den Teilkaskoversicherer; Anforderungen an für die Verwirklichung des § 142 StGB erforderlichen Schäden; Schutzzweck des § 142 StGB

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
22.06.1994
Aktenzeichen
11 S 181/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 23781
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:1994:0622.11S181.94.0A

Entscheidungsgründe

1

Es kann dahinstehen, ob der Unfall des Klägers vom 28.08.1993 geeignet war, eine Leistungspflicht der Beklagten gem. § 12 Nr. 1 AKB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien unstreitig bestehenden Teilkasko-Versicherungsvertrag auszulösen. Denn die Beklagte hat sich zu Recht auf eine Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gem.§ 7 Nr. 1 Abs. II Satz 3 und Nr. 3 Satz 2 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. III VVG berufen.

2

Grundsätzlich ist von einer Verletzung der genannten Aufklärungsobliegenheit auszugehen, falls dem Versicherungsnehmer unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB vorzuwerfen ist (st. Rspr.; z.B. BGH NJW 87, 2374; OLG Hamm NJW-RR 92, 925 [OLG Hamm 06.12.1991 - 20 U 228/91]). Ein derartiges Vergehen fällt hier dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag zur Last.

3

Es lag ein erheblicher Sachschaden im Sinne des § 142 StGB vor. Da Schutzobjekt des § 142 StGB nicht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, sondern allein die Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche ist, scheiden zwar für die Anwendung des § 142 StGB die eigenen Schäden des Klägers ebenso aus, wie alle völlig belanglosen Personen oder Sachschäden. Wie der Kläger selbst vorträgt wurden hier jedoch einerseits das Tier, mit dem er kollidiert sein will, und andererseits ein Leitpfahl und ein Verkehrszeichen (Zeichen 307) beschädigt. Bereits die Verletzung des Tieres kann nicht mehr als Bagatellschaden gewertet werden. Zumindest aber erreichen die Kosten für den Ersatz des überfahrenen Verkehrsschildes erfahrungsgemäß einen Betrag, der nicht mehr unerheblich ist.

4

Es kann dahinstehen, ob am 28.08.1993, einem Samstag, zur Unfallzeit zwischen 3.30 und 4.30 Uhr mit dem Auftauchen einer feststellungsbereiten Person zu rechnen war, oder ob sich der Kläger berechtigterweise vom Unfallort entfernt hat. Jedenfalls war er gem. § 142 Abs. II StGB zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung der Feststellungen verpflichtet.

5

Auch unter Berücksichtigung der nicht gravierenden Schäden hat der Kläger diese Pflicht verletzt. Vor dem Hintergrund des Aufklärungs- und Beweissicherungsinteresses der Geschädigten - hier des Jagdpächters und der Straßenbauverwaltung - ist die Unverzüglichkeit nur solange gewahrt, als mit Rücksicht auf Art und Umfang der Schäden die nötigen Feststellungen weder ernstlich gefährdet noch ungebührlich verzögert werden (BGHSt 29, 138; OLG Stuttgart NJW 87, 1445; OLG Hamm NJW-RR 93, 353). Diesem Zweck sind andere, ebenfalls schutzwürdige Interessen untergeordnet. So muß insbesondere das Interesse des Schädigers an einer an sich straflosen Selbstbegünstigung zurücktreten. Das kann dazu führen, daß einem Unfallbeteiligten, der - wie hier - am Wochenende, an dem öffentliche Stellen regelmäßig nicht besetzt sind, Eigentum von öffentlich-rechtlichen Körperschaften beschädigt, der Weg einer direkten Information des Geschädigten versperrt ist, weil er diesen nicht innerhalb einer Frist, die dem Unverzüglichkeitsgebot genügt, erreichen kann (vgl. BGH NJW 80, 896 [BGH 29.11.1979 - 4 StR 624/78]; OLG Hamm NJW-RR 93, 353 [OLG Hamm 23.09.1992 - 20 U 65/92]). Daß dies u.U. einer Pflicht zur Selbstanzeige gleichkommen kann, ist eine Folge, die nach dem Gesetz in Kauf zu nehmen ist. Es handelt sich um eine sich aus der Vorschrift des § 142 StGB ergebende Aufklärungspflicht, die mittelbar dem Versicherer in seinem Aufklärungsinteresse durch die mögliche Auswertung der Ermittlungsergebnisse zu Gute kommt (BGH NJW 87, 2374).

6

Entgegen seiner Verpflichtung den Schaden unverzüglich, d.h. zum frühest möglichen Zeitpunkt am Morgen des 28.08.1993 den Behörden, d.h. bei Nichterreichbarkeit der Straßenbauverwaltung der Polizei, anzuzeigen, hat der Kläger unstreitig den Schaden erst gegen 15.45 Uhr auf der Wache des Polizeireviers Bersenbrück gemeldet. Damit lag objektiv ein Vergehen gegen § 142 StGB und eine Verletzung der versicherungsvertraglichen Aufklärungsobliegenheit vor. Das galt insbesondere im Hinblick auf die bei frühzeitiger Einschaltung der Polizei noch mögliche Feststellung einer evtl. Blutalkoholkonzentration beim Kläger (vgl. Siefel-Hofmann, AKB, 15. Aufl., § 7 Rz. 106).

7

Auch die subjektive Seite des § 142 StGB ist gegeben. Dem Kläger war die Beschädigung des Verkehrsschildes bekannt. Damit nahm er zumindest billigend in Kauf, daß ein nicht unerheblicher Schaden entstanden war.

8

Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. III VVG wird durch den Vortrag des Klägers nicht in Frage gestellt. Der pauschale Vortrag, er habe den Schaden unverzüglich gemeldet, seht einerseits im Widerspruch zu dem unstreitigen Zeitablauf zwischen Unfall und Unfallmeldung. Er ist andererseits auch nicht geeignet, ein bewußtes Zuwarten des Klägers in Frage zu stellen.

9

Die Obliegenheitsverletzung ist auch im Sinne der Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofes als schwerwiegend anzusehen. Der Verstoß gegen § 142 StGB ist generell geeignet, die berechtigten Aufklärungsinteressen der Beklagten zu gefährden, da sie in Form der Reflexwirkung die behördlichen Ermittlungsergebnisse nutzen kann. Diese Aufklärungsmöglichkeit gewinnt für den Versicherer insbesondere dann an Gewicht, wenn die Umstände (nächtliche Rückfahrt vom Gaststättenbesuch) den Verdacht der Trunkenheit zu begründen geeignet sind.

10

Da somit ein Verstoß des Klägers gegen die Aufklärungsobliegenheit des § 7 AKB feststeht, konnte die Beklagte sich auf ihre Leistungsfreiheit gem. § 6 Abs. III VVG berufen, ohne daß es darauf ankäme, ob bei rechtzeitiger Schadensanzeige tatsächlich Umstände ermittelt worden wären, die den Leistungsanspruch des Klägers aus der Teilkaskoversicherung hätten beeinträchtigen können.