Landgericht Osnabrück
Urt. v. 20.04.1994, Az.: 11 S 66/94

Verteilung der Haftungsquote bei einem sogenannten "Überholer-Linksabbieger-Unfall"

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
20.04.1994
Aktenzeichen
11 S 66/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 23780
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:1994:0420.11S66.94.0A

Entscheidungsgründe

1

Der Kläger kann nach §§ 7, 17 StVG, 3 PflVG keinen höheren als den ihm vom Amtsgericht zugebilligten und unstreitig bereits erfüllten Anspruch gegen die Beklagten geltendmachen. Nach dem festzustellenden Unfallhergang hat der Kläger für 3/4 des ihm entstandenen Schadens selbst einzutreten. Es handelt sich hier um den klassischen Fall eines sogenannten "Überholer-Linksabbieger-Unfalls", bei dem nach ständiger Rechtsprechung der Berufungszivilkammern des Landgerichts Osnabrück (vgl. 12 S 173/86,12 S 456/87, 12 S 355/89, zuletzt 11 S 2/94, 11 S 22/94) der Abbieger wegen der Verletzung der ihm gem. § 9 Abs. I StVO obliegenden Sorgfaltspflichten 2/3 des Schadens zu tragen hat. Wenn darüber hinaus wie im vorliegenden Fall die besonderen Anforderungen des § 9 Abs. V StVO beim Abbiegen in ein Grundstück verletzt wurden, erhöht sich die vom Abbieger zu tragende Quote über die genannten 2/3 hinaus.

2

Die den PKW führende Schwester des Klägers hat offensichtlich § 9 Abs. I und V StVO nicht beachtet. Dies folgt bereits daraus, daß die Zeugin * unstreitig nach links in die Grundstückseinfahrt abzubiegen begonnen und dabei bereits mit einem Teil des Wagens die Mittellinie der Fahrbahn überfahren hatte, als es zum Unfall kam. Der damit gegen sie sprechende Beweis des ersten Anscheins ist auch nicht durch ihre Aussage in erster Instanz widerlegt worden.

3

Vielmehr ergibt sich aus den Bekundungen der Zeugin *, daß sie vor dem Abbiegen nach hinten gesehen haben will, ohne den PKW des Beklagten zu 1. wahrgenommen zu haben. Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt hätte sie bereits dann aber den Pkw des Beklagten zu 1. erkennen können und müssen. Die Einhaltung der ihr gem. § 9 StVO obliegenden zweiten Rückschau durch die Zeugin * hat diese selbst nicht einmal behauptet.

4

Ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1. läßt sich hingegen nicht feststellen. Es ist weder erwiesen, daß die Zeugin nach links geblinkt oder sich zur Straßenmitte eingeordnet hätte, noch daß der Beklagte mit unzulässig hoher Geschwindigkeit gefahren wäre.

5

Die Zeugin * hat allerdings ausgesagt, bereits vor der Einfahrt, in die sie einbiegen wollte, den Blinker nach links gesetzt zu haben. Im Hinblick auf das eigene Interesse der Zeugin reicht jedoch diese Bekundung für eine sichere Überzeugungsbildung der Kammer nicht aus. Dabei ist zu erwägen, daß die während einer Autofahrt vielmehr automatisch ausgeführten Handgriffe nur von sehr geringer Einprägsamkeit sind und deshalb auch schon nach kürzester Frist nicht mehr sicher erinnert werden können. Es kommt hinzu, daß die Aussage der Zeugin auch in anderen Einzelheiten zweifelhaft erscheint. So ist es außerordentlich unwahrscheinlich, daß der PKW des Beklagten zu 1. vor Beginn des Abbiegevorgangs, als dier Zeugin sich über den rückwärtigen Verkehr vergewissert haben will, noch nicht sichtbar gewesen sein sollte. Der PKW müßte demnach entweder aus dem Nichts aufgetaucht sein oder aber die gesamte einsehbare Strecke von mindestens 200 m innerhalb des kurzen Zeitraums von der Rückschau bis zur Kollision, zurückgelegt haben. Wahrscheinlicher ist demgegenüber, daß die Zeugin - wie der Kläger in der Berufungsbegründung bezüglich der Rückschau der Zeugin selbst vorträgt - die Ereignisse zum Unfallzeitpunkt nicht im vollen Umfang wahrgenommen hat, so daß ihre Angaben insgesamt unzuverlässig erscheinen müssen. Die Zeugin vermochte zudem nicht anzugeben, wann sie den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt haben will. Insoweit äußerte sie erkennbar lediglich eine Vermutung. Die Aussage der Zeugin reicht damit nicht aus, ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1. festzustellen. Auch die Feststellungen des Sachverständigen *, wonach eine von ihm untersuchte Glühlampe, die aus dem PKW des Klägers stammen könnte, im geschalteten Zustand durch eine starke Erschütterung verformt wurde, belegt nicht, daß der Beklagte das Abbiegemanöver rechtzeitig hätte erkennen können. Das Gutachten läßt nämlich keinen Rückschluß auf die Brenndauer und damit die Distanz zwischen dem Ort des Einschaltens und dem der Kollision zu. Es bleibt damit - ebenso wie nach der Aussage der Zeugin * - offen, ob der Fahrtrichtungsanzeiger nicht erst im Augenblick des Abbiegens betätigt wurde. Anhaltspunkte für eine überhöhte Geschwindigkeit des PKW des Beklagten zu 1. sind nicht vorgetragen worden.

6

Im Hinblick darauf, daß auch die Beklagten den Beweis der Unabwendbarkeit gem. § 7 Abs. 2 StVG nicht geführt haben, ist die vom Amtsgericht vorgenommene Schadensverteilung trotz der äußerst hohen Sorgfaltsanforderungen an den Linksabbieger in ein Grundstück gem. § 9 Abs. V StVO nicht zu beanstanden.