Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.02.2008, Az.: 2 WF 17/08
Entstehen einer Einigungsgebühr in einem isolierten Sorgerechtsverfahren bei fehlender Verfügungsbefugnis über den Gegenstand der Einwilligung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 28.02.2008
- Aktenzeichen
- 2 WF 17/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 28816
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2008:0228.2WF17.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wolfsburg - 22.08.2007 - AZ: 18 F 1479/06
Rechtsgrundlagen
- § 1671 Abs. 1 BGB
- § 48 Abs. 3 RVG
- Nr. 1000 RVG-VV
- Nr. 1003 RVG-VV
Fundstellen
- FamRZ 2008, 1465-1466 (Volltext mit red. LS)
- OLGR Braunschweig 2009, 52-53
In der Familiensache
...
hat der 2. Familiensenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht,
den Richter am Amtsgericht und
den Richter am Oberlandesgericht
am 28. Februar 2008
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Wolfsburg vom 22. August 2007 abgeändert.
Zu Gunsten der Beschwerdeführer wird für das Hauptsacheverfahren eine weitere aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung von 224,91 EUR festgesetzt.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerdeführer haben den Antragsteller in einem isolierten Sorgerechtsverfahren, welches die Tochter der Parteien betraf und mit einer einvernehmlichen Lösung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge geendet hat, vertreten.
Die Beschwerdeführer hatten beantragt, für dieses Verfahren einschließlich einer Einigungsgebühr aus der Staatskasse zu erstattende 769,34 EUR festzusetzen. Der Kostenbeamte des Amtsgerichts hat die geltend gemachte Einigungsgebühr von 189 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer abgesetzt und nur 544,43 EUR festgesetzt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers.
Die Beschwerde der Beschwerdeführer ist form- und fristgerecht erhoben worden, und der Beschwerdewert übersteigt 200 EUR, so dass das Rechtsmittel zulässig ist (§§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 7 RVG).
Es ist auch der Sache begründet.
Nach soweit ersichtlich ganz überwiegender Auffassung kann in einem auf Antrag durchgeführten Sorgerechtsverfahren gemäß § 1671 BGB für einen als Verfahrensbevollmächtigten beteiligten Rechtsanwalt eine Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000, 1003 RVG-VV entstehen (vgl. OLG Dresden MDR 1999, 1201 [OLG Dresden 16.12.1998 - 20 WF 452/98]; OLG Koblenz MDR 2001, 1017 [OLG Koblenz 04.04.2001 - 13 WF 711/00]; OLG Nürnberg Rpfleger 2005, 280 [OLG Nürnberg 02.12.2004 - 7 WF 3907/04]; OLG Nürnberg NJW 2005, 2021; OLG Koblenz NJW-RR 2005, 1160 [OLG Koblenz 11.03.2005 - 7 WF 105/05]; OLG Koblenz; OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1007 [OLG Zweibrücken 07.10.2005 - 5 WF 96/05]; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 637 [OLG Zweibrücken 14.12.2005 - 2 WF 220/05]; Brandenburgisches OLG NJW-RR 2006, 1368; ablehnend für ein Verfahren gemäß § 1666 BGB OLG Koblenz NJW-RR 2006, 1151 [OLG Koblenz 24.01.2006 - 7 WF 27/06]). Mittelbar ergibt sich diese Möglichkeit bereits aus der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 3 RVG, in der vom Abschluss eines Vergleichs im Sinne der Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses, unter anderem über die elterliche Sorge für die gemeinschaftliche Kinder der Parteien, die Rede ist.
Die Gebühr gemäß Nrn. 1000, 1003 RVG-VV entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Notwendig wird eine Mitwirkung an einer vertraglichen Vereinbarung regelmäßig dann sein, wenn erst dadurch die Grundlage für eine auf ihr aufbauende gerichtliche Regelung gemäß § 1671 BGB geschaffen wird.
Dass das beiderseitige Nachgeben der Parteien noch nicht ohne Weiteres zur Verfahrensbeendigung führen konnte, sondern noch eine Entscheidung des Gerichts nach § 1671 BGB erforderlich war, steht dem Anfall einer Einigungsgebühr nicht entgegen. Bestreben des Gesetzgebers war es, mit der Vergütung nach Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG "jegliche vertragliche Beilegung des Streits zu honorieren" (BT-Drs. 15/1971, Seite 147, 204). Wie der Ausschluss von Anerkenntnis und Verzicht zeigt, geht diese Herabsetzung der Voraussetzungen zwar nicht so weit, dass das Erfordernis eines gegenseitigen Nachgebens gänzlich entfällt. Sie rechtfertigt es aber, für Fälle der Einigung im Sorgerechtsverfahren vom Erfordernis der Verfügungsbefugnis über den Gegenstand der Einwilligung Abstand zu nehmen. Deshalb entspricht es seit Inkrafttreten des RVG der - soweit ersichtlich - vorherrschenden Auffassung, dass auch in isolierten Sorgerechtsverfahren eine Einigungsgebühr anfallen kann.
Dem schließt sich der Senat an.
Damit ist die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Einigungsgebühr von insgesamt 224,91 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) gemäß Nrn. 1000, 1003 RVG-VV nicht nur entstanden, sondern auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 55 RVG erstattungsfähig, weil aus dem Akteninhalt hinreichend glaubhaft wird, dass der ursprüngliche Streit der Parteien sich weit gehend schon erledigt hatte, als es zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 20.07.2007 kam.
Das Protokoll enthält die Feststellung, dass die Situation "sich ganz offenbar entspannt hat", "die Kindeseltern wieder besser in der Lage sind, miteinander zu reden" und "sich entschlossen haben, das gemeinsame Sorgerecht für S auszuüben".
Das Verfahren hatte mit einem Antrag des Antragstellers auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge begonnen. Die Antragsgegnerin wollte das ihr ursprünglich allein zustehende Sorgerecht für die Tochter S behalten. Nach der beiderseitigen Annäherung im Laufe des Verfahrens haben die Parteien sich darauf verständigt, das Sorgerecht für S zukünftig gemeinsam auszuüben. Damit haben beide Parteien durch gegenseitiges Nachgeben ihren bisherigen Streit beigelegt.
Dies lässt nur den Schluss zu, dass eine Annäherung der Parteien bereits vor der letzten mündlichen Verhandlung stattgefunden hatte und, da zumindest auf Seiten des Antragstellers auch zum Schluss des Verfahrens noch Verfahrensbevollmächtigte beteiligt waren, ist auch davon auszugehen, dass diese zur gütliche Einigung zumindest insoweit beigetragen haben, als sie den Antragsteller nicht ermutigt haben, an seinem ursprünglich erhobenen Anspruch festzuhalten.
Im Übrigen wäre die Einigungsgebühr auch dann "verdient", wenn die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers diesem "nur" empfohlen hätten, einer vom Gericht weitestgehend allein vorbereiteten und erarbeiteten Lösung zuzustimmen. Auch dies setzt eine Auseinandersetzung mit der vorgeschlagenen Lösung voraus und eine sich nachträglich als falsch oder unvorteilhaft erweisende Empfehlung kann u.U. Ersatzansprüche auslösen.
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers war deshalb unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und der zu Grunde liegenden Vergütungsfestsetzung ein weiterer Betrag von 224,91 EUR festzusetzen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).