Amtsgericht Burgwedel
Beschl. v. 04.07.2001, Az.: 42 F 44/00
Voraussetzungen der gemeinsamen elterlichen Sorge für ein Kind nach einer Scheidung; Voraussetzungen der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für ein Kind vom Vater auf die Mutter
Bibliographie
- Gericht
- AG Burgwedel
- Datum
- 04.07.2001
- Aktenzeichen
- 42 F 44/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 30039
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGBURGW:2001:0704.42F44.00.0A
Rechtsgrundlage
- § 1696 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- FamRZ 2002, 631-632 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Das Kind XX geb. am ..., derzeitiger Aufenthalt bei der Mutter
In der Familiensache
hat das Amtsgericht Burgwedel - Familiengericht
durch
die Richterin am Amtsgericht Dr. Neumann-Müller
nach persönlicher Anhörung der Beteiligten
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für XX. wird der Mutter übertragen. Durch diese Entscheidung wird die Regelung des Urteils vom 30. Juni 1999 des Familiengerichts Burgwedel - Az.: 42 F 162/97 - abgeändert.
Die Anträge der Eltern, ihnen jeweils die alleinige elterliche Sorge zu übertragen, werden zurückgewiesen. Es bleibt bei der gemeinsamen elterlichen Sorge.
- 2.
Die Gerichtsgebühren werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt.
Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selber.
- 3.
Der Gegenstandswert wird auf 5.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Ehe der Eltern des Kindes XX ist durch Urteil des AG Burgwedel - Familiengericht - vom 30. Juni 1999, Az. 42 F 162/97, geschieden worden.
Die Eltern beantragen,
die zitierte Entscheidung, durch die das Aufenthaltsbestimmungsrecht für X. dem Vater übertragen wurde, während es ansonsten bei der gemeinsamen elterlichen Sorge geblieben ist, abzuändern und das Sorgerecht jeweils auf den beantragenden Elternteil alleine zu übertragen.
Während der Trennungszeit ist dem Vater durch Beschluss des AG Burgwedel vom 24.03.1998, Az. 42 F 162/97, im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht übertragen worden.
Hintergrund dieser Regelung war, dass die Tochter überwiegend vom Vater betreut wurde, da die Mutter ganztägig berufstätig war. Auch nach Scheidung der Ehe der Eltern hatte X. zunächst ihren Lebensmittelschwerpunkt beim Vater. In dem hier zu entscheidenden Verfahren wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt zu der Frage, ob es dem Wohl des Kindes am ehesten entspricht, wenn die elterliche Sorge allein dem Vater bzw. allein der Mutter übertragen wird. Auf das Gutachten der Sachverständigen Frau Karin Mehmel vom 28.9.2000 wird verwiesen.
Im Anhörungstermin vom 13.12.2000 erklärte X., dass sie probehalber gerne bei der Mutter wohnen möchte. Die Eltern vereinbarten sodann, dass X. zur Probe für 1/2 Jahr in den Haushalt der Mutter übersiedelt. Eine endgültige Regelung sollte dann 6 Monate später getroffen werden.
Die Eltern konnten sich im Termin vom 11. Juni 2001 nicht darüber einigen, wo X. zukünftig wohnen solle. X. selber erklärte während der Anhörung, dass alles so bleiben solle wie es ist, d.h. dass sie weiter bei der Mutter wohnen möchte.
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht war gem. § 1696 Abs. 1 BGB der Mutter zu übertragen, weil dies aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Es bestand jedoch keine Veranlassung, einem Elternteil die alleinige elterliche Sorge zu übertragen.
Das Gericht hat ebenso wie die Gutachterin im Gutachten vom 28.09.2000 festgestellt, dass X. zu beiden Eltern eine gleichwertig intensive Beziehung unterhält und dass beide Eltern für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes notwendig sind. Während der persönlichen Unterredungen mit dem Gericht berichtete X. gleicher Maßen zufrieden von den Aktivitäten und den Betreuungsleistungen der Eltern.
Bei der Entscheidung, wo das Kind zukünftig seinen Aufenthalt hat, war ganz entscheidend der vom Kind geäußerte Wille zu berücksichtigen. X., die im Dezember 2000 ganz stark den Wunsch geäußert hat, einmal ausprobieren zu dürfen bei der Mutter zu leben, hat während der Anhörung bestätigt, dass sie dort weiter leben möchte. Es besteht keine Veranlassung, diesem Wunsch des Kindes nicht zu entsprechen, zumal Pia die Möglichkeit gegeben werden sollte, nachdem sie jahrelang beim Vater gelebt hat, nun auch das Zusammenleben mit der Mutter kennen zu lernen.
Das Gericht sah keine Veranlassung, die bislang praktizierte gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben. Bereits die Gutachterin hat darauf hingewiesen, dass es nicht zum Wohle des Kindes wäre, wenn ein Elternteil die alleinige elterliche Sorge für X. erhielte, da dies automatisch dazu führen würde, dass dieser begünstigte Elternteil das Recht zu Alleinentscheidungen erhielte, die den jeweils anderen Elternteil ausgrenzen würden. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Sorgerecht häufig zum Austragungsort unbewältigter Elternkonflikte wird, erscheint es nicht sachgemäß, einem Elternteil die alleinige Entscheidungskompetenz zu übertragen, zumal jeder Elternteil für sich in der Lage ist, die Belange des Kindes zu wahren. Wenn die Parteien unterschiedliche Einstellungen über Erziehungs- und Versorgungsfragen haben, wird ihnen - wollen sie das Kind nicht größeren Konflikten aussetzen - nichts anderes übrig bleiben als eine Ebene zu finden, auf der organisatorische und sonstige X. betreffende Erziehungsfragen abgehandelt werden können. Es ist die Aufgabe beider Eltern, sich zum Wohle des Kindes im hohen Maß an Kooperationsbereitschaft und Akzeptanz innerlich verpflichtet zu fühlen.
Die sich nun unterschiedlich entwickelnden Lebenswege der betroffenen Eltern mit einem neuen Partner (bei der Mutter) und anstehender und erwünschter beruflicher Weiterbildung (beim Vater) stellen auch in Zukunft potentiell neue Krisenherde dar, die die Fähigkeit, Entscheidungen zum Wohle des gemeinsamen Kindes zu treffen und sie mitzutragen, auf die Probe stellen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, aus einer inneren Stabilität heraus, die Fähigkeit, dem anderen Elternteil in dessen Umgang mit dem Kind mit Akzeptanz und Gelassenheit begegnen zu können, die nicht nur dessen Anderssein respektiert, sondern auch dessen Andershandeln in tolerabelen Grenzen zulassen kann.
X. wird in Liebe mit beiden Elternteilen verbunden bleiben. Es ist ein grundlegendes Bedürfnis des Kindes, dieser Liebe Ausdruck verleihen zu können. Es ist geradezu die Verpflichtung der Eltern, dem Kind den Raum zu geben, diese Liebe zum anderen Elternteil auch zu respektieren, ohne das Kind unschönen Konfliktsituationen auszusetzen.
Eine sichere und erwünschte Beziehung zu beiden Elternteilen, die X. nicht in schwere Ambivalenzkonflikte stürzt, da sie in Angst lebt die Liebe des einen Elternteils zu verlieren, wenn sie sich dem anderen zuwendet, ist Grundlage für eine stabile eigene Entwicklung, die ein hohes Maß an sozialen Kompetenzen fördert. Die Eltern sollten gerade im Hinblick auch auf ihre Liebe zu ihrer Tochter mit Hilfe einer dritten Person (Jugendamtsberaterin/Mediatorin) versuchen, auch nach ihrer Scheidung für X. ein Umfeld zu schaffen, in dem sie wachsen und gedeihen kann.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30 Abs. 2, 94 Abs. 3 Satz 2 KostO, 13 a FGG.
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert wird auf 5.000 DM festgesetzt.