Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 25.09.2003, Az.: 5 B 2942/03
Sofortvollzug des Ruhens der Approbation bei Verdacht der unzulässigen Sterbehilfe; Bestehen einer dringenden Gefahr für das Leben von Patienten; Erfordernis eines eingeleiteten Strafverfahrens; Hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung auf Grund der Verdichtung der Verdachtsmomente; Unwürdigkeit des Arztes zur Ausübung des ärztlichen Berufes bei Verlust des Ansehens und Vertrauens
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 25.09.2003
- Aktenzeichen
- 5 B 2942/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 30739
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2003:0925.5B2942.03.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 12 Abs. 1 GG
- § 6 Abs. 1 Nr. 1 BAÖ
Fundstellen
- NJW 2004, 1760
- NJW 2004, XIV Heft 3 (Kurzinformation)
- NJW 2004, 311-314 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Anordnung des Ruhens der Approbation
Amtlicher Leitsatz
Besteht wegen des Verdachts unzulässiger Sterbehilfe eine dringende Gefahr für das Leben von Patienten, ist der Sofortvollzug des Ruhens der Approbation gerechtfertigt, selbst wenn zum Entscheidungszeitpunkt eine nur überwiegende Gefahr der Bestrafung besteht.
Das Verwaltungsgericht Hannover - 5. Kammer - hat
am 25. September 2003
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wehrt sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Ruhensanordnung ihrer Approbation als Ärztin.
Die H. geborene Antragstellerin ist seit I. niedergelassene Ärztin für Innere Medizin in D. Seitdem ist sie Belegärztin für die Internistische Abteilung in der J. -Klinik am K. in D., einem Akutkrankenhaus. Sie betreut die Internistische L. mit 30 Betten.
Mit Datum vom M. erstatteten die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen, vertreten durch die AOK N., Strafanzeige gegen die Antragstellerin wegen des Verdachts auf unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung und Totschlag zum Nachteil der drei Patienten O. P. (Q.. H. - R.), S. T. (U. - V.) und W. X. (Y. - Z.). Die Staatsanwaltschaft F. leitete ein Ermittlungsverfahren unter dem Aktenzeichen NZS-AA. ein wegen des Tatvorwurfs der fahrlässigen Tötung, Tatzeit AB. bis AC. U.a. beschlagnahmte das Amtsgericht F. daraufhin 70 Krankenakten von in der J. -Klinik auf der L. während dieses Zeitraums verstorbenen Patienten. Für die drei genannten verstorbenen Patienten ließ die AOK N. - AD. - vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung N. - AE. - unter dem AF. medizinische Gutachten von Dr. AG. AH. fertigen, die von neun Fachärzten verschiedener Fachrichtungen unterschrieben bzw. als "Einverstanden auf Grund eigener Urteilsbildung" unterzeichnet sind. Ferner hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. AI. AJ. im Auftrag der AD. ein weiteres Gutachten vom AK. über die Patienten P., T. und X. erstellt.
Mit Datum vom AL. hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zu der beabsichtigten Anordnung des Ruhens der Approbation im Wege der sofortigen Vollziehung an und wies dabei unter Bezugnahme auf die beiden Gutachten darauf hin, dass sich hieraus Hinweise auf Straftaten von gravierender Tatschwere ergäben. Es lägen Anzeichen für eine Intoxikation der Patienten vor, weshalb die Antragstellerin unzuverlässig zur Ausübung des ärztlichen Berufs sein könne. Der Antragstellerin wurde eine Frist zur Stellungnahme bis zum AM. eingeräumt.
Nachdem die Polizeidirektion F. unter dem AN. mitgeteilt hatte, zwischenzeitlich von dort bei der AE. in Auftrag gegebene Gutachten über weitere Sterbefälle begründeten den Verdacht, dass auch diese Sterbefälle durch eine Opiat-Intoxikation verursacht seien, ferner Dutzende weitere, ähnlich gelagerte Sterbefälle von Patienten der Antragstellerin sich noch in der Begutachtung befänden, ordnete die Antragsgegnerin mit Verfügung vom AO. das Ruhen der Approbation der Antragstellerin im Wege der sofortigen Vollziehung an und zog die Approbationsurkunde ein.
Zur Begründung heißt es, gegen die Antragstellerin sei wegen der Verdachts einer Straftat, aus der sich ihre Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben könne, ein Strafverfahren eingeleitet worden. Gegenstand der vom AE. und Dr. AI. AJ. gefertigten Gutachten seien die Originalkrankenakten der Patienten P., T. und X., ferner von AP. AQ. (AR. - AS.) und AT. AU. (AV. - AW.).
Der Patient P. habe bei der Aufnahme in die Belegabteilung der Antragstellerin am AX. weder unter Luftnot noch unter Schmerzen gelitten. Die Diagnostik habe am AY. ein histologisch gesichertes Oesophagus-Karzinom mit einer Metastase im Gehirn und Verdacht auf Metastasierung im Bereich der Leber ergeben. Die Gutachter hätten festgestellt, dass die von der Antragstellerin angeordnete hochdosierte Morphium-Therapie medizinisch nicht indiziert gewesen sei. Auf Grund der gleichzeitigen hohen intravenösen zusätzlichen Infusion von Valium habe sie zum Tod geführt, wobei die dramatische Gesundheitsverschlechterung des Patienten erst mit der hohen Dosierung der Morphium-Applikation und Valium-Infusion begonnen habe. Der präfinale Zustand sei nicht durch den Tumor, sondern durch eine iatrogene (vom Arzt verursachte) Medikamenten-Intoxikation entstanden. Der Patient habe ausweislich der Begutachtungen zwar ein nicht heilbares Krebsleiden gehabt. Er hätte aber auch ohne Chemo- und Strahlentherapie noch Monate leben können. Der Patient T. sei am AZ. in die Internistische Belegabteilung der J. -Klinik wegen Schwindel und einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit aufgenommen worden. Nach problemlosem Krankenhausaufenthalt habe er am BA. zwei Krampfanfälle gehabt, worauf die Antragstellerin ihm Diazepam intravenös verabreicht habe. Das vorhandene akute Abdomen sei von der Antragstellerin nicht diagnostiziert worden, vielmehr ausdrücklich von ihr angeordnet worden, dass Reanimationsmaßnahmen nicht erfolgen und alle Medikamente abgesetzt werden sollten. Vom BB. bis zum Todestag am V. habe er lediglich eine als "Schmerzprogramm" bezeichnete Therapie, bestehend aus 4x1 Ampulle Morphium 20 mg subkutan täglich, Valium und Opiaten erhalten. Ausweislich der Begutachtungen sei der Patient an einer iatrogenen Opiat-Intoxikation verstorben. Ein Schmerzereignis für die Einleitung der hochdosierten Opiattherapie habe nicht vorgelegen. Die Gabe von Sedativa und Opiaten in hoher Dosierung habe aus klinischer Sicht zur Ateminsuffizienz und danach zum Atemstillstand geführt. Bei abgelaufenem Krampfanfall sei die zuletzt angesetzte Gabe von Morphin, Dolantin und Tramal strikt kontraindiziert gewesen und habe den Tod des Patienten nach sich ziehen müssen.
Die Patientin X. sei am BC. in die Belegabteilung der Antragstellerin aufgenommen worden wegen zunehmender Schmerzen, Rötung und Schwellung der rechten Flanke, wobei ihr Praktischer Arzt eine Gürtelrose diagnostiziert habe. Die vitale Bedrohung des Lebens der Patientin am Tag nach der Aufnahme hätte eine sofortige intensivmedizinische Diagnostik und Behandlung erforderlich gemacht, u.a. Intubation und Beatmung. Als am BD. der Zustand der Patientin von der Antragstellerin als "schläfrig und komatös" beschrieben worden sei und die am Vortag festgestellten Rasselgeräusche der Lunge weiterhin vorgelegen hätten, habe diese von der Antragstellerin das zentral atemlähmende Morphium erhalten, welches bei einem Lungenödem mit objektivierter Globalinsuffizienz, verbunden mit der Gabe von Sedativa und Analgetika, zum Tod der Patientin geführt habe. Ihr Leben hätte gerettet werden können.
Der Patient AQ., dessen Hausärztin die Antragstellerin gewesen sei, sei nach einem Aufenthalt in der Medizinischen Hochschule F. - BE. - wegen eines bösartigen Gallengangskarzinoms mit Lungen- und Knochenmetastasen auf eigenen Wunsch auf die Station der Antragstellerin verlegt worden. Da der Patient bereits in der BE. intermittierend über Schmerzen geklagt habe, sei dort als Bedarfsmedikation "10 mg Morphium subkutan" empfohlen worden. Obwohl der Patient während des Aufenthalts in der J. -Klinik über Schmerzen nicht geklagt habe, sei ab dem BF. eine Dauer-Morphium-Applikation von der Antragstellerin verordnet worden. Hierdurch habe sich der Zustand des Patienten am BG. dramatisch verschlechtert, woraufhin die Antragstellerin die tägliche Morphin-Dosis auf insgesamt 80 mg erhöht und gleichzeitig täglich 12 Ampullen Valium 10 mg verordnet habe. Dies habe am gleichen Tag um 22.00 Uhr zum Koma und später zur Ateminsuffizienz geführt. Der Patient sei am AS. infolge einer Morphium-Valium-Mischintoxikation gestorben. Aus gutachterlicher Sicht seien die vollständige Einstellung der Sauerstoff-Applikation am BG. mittags, die vollständige Einstellung der Ernährung und die nicht ausreichende Flüssigkeitszufuhr ab dem BG. mitärztlicher Kunst nicht vereinbar.
Der Patient AU. (AV. - AW.), dessen Hausärztin die Antragstellerin gewesen sei, sei seit dem BH. in stationärer Behandlung auf ihrer Belegabteilung gewesen. Gutachterlicherseits habe bereits bei Aufnahme des Patienten die zwingende Indikation zur Hinzuziehung eines Chirurgen zur Diagnostik des Patienten und zu chirurgischer Behandlung bestanden, da bereits der Verdacht auf Darmverschluss bestanden habe. Statt adäquater Diagnostik habe die Antragstellerin sofort mit der Dauermedikation von Opiaten begonnen, obwohl der Patient schmerzfrei gewesen sei. Am Bl. habe er erstmalig unter Schmerzen gelitten, was lediglich zur Erhöhung der Tramal-Dosis geführt habe. Ab dem BJ. habe die Frequenz des Erbrechens bei ihm zugenommen. Er habe das typische Bild eines Darmverschlusses entwickelt. Dennoch sei er fehlerhaft flüssig und oral ernährt worden. Bei schweren Diagnostik- und Therapiedefiziten habe die Antragstellerin die Opiat-Therapie gesteigert, zusätzlich zum Opiat-Pflaster und der Tramal-Dauerinfusion ab dem BK. Dipidolor intramuskulär täglich injiziert. Der Patient sei zwar zunehmend müder geworden, habe aber bis zum BL. herumgehen können. Als er an diesem Tag Darminhalt erbrochen habe, was ein typisches Symptom für einen unbehandelten Darmverschluss sei, habe die Antragstellerin eine Morphium- und Valium-Applikation angeordnet und bei am BL. schließlich diagnostiziertem Heus (Darmverschluss) beides noch erhöht. Am AW. sei der Patient daraufhin an Atemstillstand verstorben. Dass die Antragstellerin bei Heus den Patienten keiner chirurgischen Behandlung zugeführt habe, werde gutachterlicherseits so gewürdigt, dass sie stattdessen mit der Valium-Morphium-Mischintoxikation eine Straftat habe verdecken wollen.
Der Verdacht der Begehung von Straftaten habe sich insgesamt soweit verdichtet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine strafgerichtliche Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, Totschlags und unterlassener Hilfeleistung zu erwarten sei. Die Antragstellerin habe sich durch die ihr vorgeworfenen Straftaten, die unmittelbar mit ihrer Berufsausübung zusammenhingen, als unwürdig zur Ausübung des ärztliches Berufs erwiesen. Sie habe ihr eigenes Ansehen und das der Ärzteschaft untergraben. Daneben sei die Antragstellerin unzuverlässig im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Bundesärzteordnung - BÄO - in der Fassung vom 16.04.1. (BGBI1,1218), da zu befürchten sei, dass sie auch in Zukunft bei Ausübung ihres ärztlichen Berufs Patienten sowie die Allgemeinheit schädigen werde. Damit stelle ihre ärztliche Tätigkeit eine unmittelbare Gefahr für die ihr anvertrauten Patienten dar.
Die Ruhensanordnung sei erforderlich bis zur endgültigen rechtskräftigen Entscheidung über das eingeleitete Strafverfahren, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu schützen. Nur dadurch könne der Gefahr, dass die Antragstellerin weitere rechtswidrige Taten wiederhole, entgegnet werden. Mit einem anderen, milderen Mittel sei der Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht zu gewährleisten. Das Interesse der Antragstellerin an der weiteren Berufsausübung, das durch Art. 12 GG geschützt sei, habe gegenüber den erhobenen gravierenden Vorwürfen zurückzustehen. Hierdurch sei der Antragstellerin nicht völlig verwehrt, beruflich zu arbeiten, da sie in der freien Wirtschaft, der Pharmaindustrie und der Forschung tätig sein könne. Das öffentliche Interesse überwiege ihr Interesse an der Ausübung des ärztlichen Berufs wegen der Gefahr der erneuten Fehlbehandlung und des möglichen weiteren Ansehens- und Vertrauensverlustes desärztlichen Standes, zumal die örtliche Presse über den Fall berichtet habe.
Die angeordnete sofortige Vollziehung der Ruhensanordnung sei die einzige geeignete, aber auch angemessene Maßnahme, um die Antragstellerin bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, eines möglichen Klageverfahrens und des Strafverfahrens an der medizinisch nicht korrekten Behandlung von Patienten zu hindern. Dies gelte vor allem deshalb, weil die Begutachtung der beschlagnahmten Patientenakten voraussichtlich zu ähnlichen Ergebnissen führen werde, da nach Auskunft der ermittelnden Behörden die in der Verfügung genannten Patienten rein zufällig ausgewählt worden seien. Ferner könnte die Antragstellerin anderenfalls das Ansehen der Ärzteschaft weiter schädigen.
Die Antragstellerin hat dagegen am BM. Widerspruch erhoben und sich u.a. über die Nichteinhaltung der Anhörungsfrist beschwert.
Am gleichen Tag hat die Antragstellerin um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Sie hält die Verfügung der Antragsgegnerin vom AO. für offensichtlich rechtswidrig. Zur Begründung bezieht sie sich auf das durch die J. -Klinik eingeholte Gutachten des Prof. Dr. BN. BO., Klinik für Palliativ-Medizin am Universitätsklinikum BP. vom BQ., und auf ihre schriftlichen Stellungnahmen zum stationären Aufenthalt der Patienten P., T., X., AQ. und AU. auf ihrer Belegstation.
Die Antragstellerin weist darauf hin, dass im Gutachten des Dr. AH. Fehler enthalten seien. So sei die regelmäßige Morphin-Therapie beim Patienten P. nicht, wie dort angegeben "nach telefonischer Anordnung" erfolgt, sondern durch sie persönlich. Beim Patienten AU. habe sie insgesamt nur zwei Ampullen Morphium und nicht "hohe Dosen in den letzten Tagen vor seinem Ableben" verordnet. Der Patient sei an den Folgen des metastasierten Colon-Karzinoms verstorben. Im Übrigen hätte gerade der Sofortvollzug ihre vorherige Anhörung durch die Antragsgegnerin zwingend notwendig gemacht, denn dann hätte sie die gegen sie erhobenen Vorwürfe entkräften können. Nun seien ihr Ruf und ihr Ansehen schwerstens beeinträchtigt und ihre wirtschaftliche Existenz zutiefst gefährdet. Die sofortige Vollziehung der Ruhensanordnung sei fehlerhaft, wie im Gutachten des Prof. BO. klar zum Ausdruck komme. Da das Ruhen der Approbation lediglich einen Tatverdacht, nicht einmal eine Anklageschrift voraussetze, müsse ein derartiger Bescheid wegen des Eingriffs in bedeutsame Grundrechte rechtsstaatlich besonders abgesichert sein. Prof. BO. habe zwar deutlich gemacht, dass die ärztliche Dokumentation oft sehr lückenhaft gewesen sei. Dies schlage sich jedoch nur haftungsrechtlich nieder, nicht hingegen im Verwaltungsgerichts- und im Strafverfahren. Hier müsse von Amts wegen ermittelt werden, um die Tatsachengrundlagen für ein zu erstattendes Gutachten objektiv richtig festzustellen. Sie sei in ihrer ärztlichen Tätigkeit außerordentlich gewissenhaft und um ihre Patienten besorgt. In ihrer 20-jährigen Tätigkeit in der J. -Klinik, zunächst als Leitende Oberärztin und später als Belegärztin, sei sie nie wegen eines Behandlungsfehlers von dritter Seite belangt worden. Auch gebe es keine Beschwerden über ein mögliches Fehlverhalten ihrerseits. Vielmehr hätten zahlreiche Patienten ihre hohe Qualität als Ärztin bestätigt. Von ihrer ärztlichen Tätigkeit seien keine konkreten Gefahren für ihre Patienten ausgegangen. Daher sei das Ruhen der Approbation auch nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig. Sie versorge derzeit 31 Klinikpatienten, bei denen die notwendigen Untersuchungen nicht gemacht werden könnten, da sie die zurzeit einzige Fachärztin in der Klinik sei. Viele chronisch kranke Patienten in der Klinik und in ihrer Praxis könnten plötzlich nicht mehr durch die Ärztin ihres Vertrauens behandelt werden. Das Ruhen der Approbation werde durchweg nur wegen Vorsatztaten angeordnet, nicht hingegen wegen eines fahrlässigenärztlichen Behandlungsfehlers. Da 90 % aller arztstrafrechtlichen Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt würden, müsse die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ruhensanordnung die extreme Ausnahme bleiben. Auch wenn die Dokumentation der Indikation, der Gespräche betr. des jeweiligen Patientenwillens, der Symptome und der eingesetzten Mittel nicht ausreichend seien, könne darauf nicht der Verdacht einer strafbaren Handlung begründet werden. Es könne deshalb nicht zu ihren Lasten angenommen werden, sie habe ihre Pflichten als Ärztin verletzt oder andere gefährdet.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom AO. wieder herzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie erwidert, sie habe die Ruhensanordnung vor Ablauf der eingeräumten Anhörungsfrist erlassen, weil auf Grund weiterer, neuer Erkenntnisse aus dem Schreiben der Polizeidirektion F. vom AN., dem drei weitere Gutachten des Dr. AH. beigelegen hätten, die sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse geboten gewesen sei. Sofern die unterlassene Anhörung einen Verfahrensfehler begründe, werde dieser im Verlauf des Widerspruchsverfahrens geheilt. Sie halte auch unter Berücksichtigung des Gutachtens von Prof. BO. die Ruhensanordnung im Wege der sofortigen Vollziehung bis zur endgültigen Klärung durch die Staatsanwaltschaft F. aufrecht, um Schaden von weiteren Patienten abzuwenden. Auch nach Prof. BO. hätte der Entschluss zu einer terminalen Sedierung nicht allein vom behandelnden Arzt getroffen werden dürfen. Die Antragstellerin sehe die Problematik der fehlenden Einwilligung ihrer Patienten überhaupt nicht. So habe sie ausweislich des Gutachtens von Prof. BO. ihm gegenüber eingeräumt, ihre Patienten nur sehr selten über den vollen Umfang der Erkrankung aufzuklären, um ihnen nicht die verbleibende Hoffnung gänzlich zu zerstören. In Unkenntnis ihres wahren gesundheitlichen Zustandes könnten diese kaum den Willen bekundet haben, lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen oder gar das Sterben beschleunigende Maßnahmen zu ergreifen.
Die Antragsgegnerin hat eine Stellungnahme des Dr. AH. vom BR. zum Gutachten von Prof. BO. vorgelegt. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Morphin-Betäubungsmittelbücher für den Zeitraum vom BS. bis zum BT., auch für die Klinikleitung überraschend, bis auf ein aktuelles Buch nicht mehr auffindbar seien. Das Gutachten des Prof. BO. enthalte inhaltliche Mängel. Dieser habe in seiner Zusammenfassung sein Gutachten selbst widerlegt, indem er ausgeführt habe, dass er anhand der Krankenakten nicht abschließend bewerten könne, ob überhaupt eine palliativmedizinische Behandlungssituation bestanden habe. Zusätzlich habe Dr. AH. keine Hinweise gefunden, dass die Patienten hätten sterben wollen, geschweige denn über ihr Krankheitsbild und über die von der Antragstellerin beabsichtigte terminale Sedierung aufgeklärt worden wären. Dieser sog. "künstlich herbeigeführte Tiefschlaf in den Tod hinein" stelle, wenn Patienten ahnungslos ihr Opfer würden, ein Tötungsdelikt dar. Ferner hat die Antragsgegnerin eine ergänzende nervenfachärztliche Stellungnahme des Dr. AJ. vom BU. zur Gerichtsakte gereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge -Band I und II - einschließlich der darin enthaltenenärztlichen Gutachten des Dr. AH. und des Dr. AJ. sowie auf das Gutachten des Prof. BO. und auf die Stellungnahme des AE.. Alle Vorgänge waren Gegenstand der Beschlussfassung.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung des Ruhens der Approbation gegenüber dem Interesse der Antragstellerin, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens hiervon verschont zu bleiben, fällt zu Ungunsten der Antragstellerin aus.
Angesichts der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren begrenzten Erkenntnismöglichkeiten sowie der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO lässt sich derzeit noch nicht abschließend klären, ob die Ruhensanordnung im Hauptsacheverfahren Bestand haben wird. Es spricht aber Überwiegendes dafür, dass sie den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
Die Vollzugsanordnung ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil sie an einem formellen Fehler leidet. Zwar hatte die Antragsgegnerin die Anhörungsfrist für die Ruhensverfügung und für die Vollzugsanordnung unangekündigt um einige Tage abgekürzt. Die Antragsgegnerin beruft sich insoweit aber zu Recht auf § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG direkt - bzw. für die Vollzugsanordnung analog -, wonach bei Gefahr im Verzug von einer Anhörung gänzlich abgesehen werden kann. Diese Gefahr hat die Antragsgegnerin im Hinblick auf weitere bekannt gewordene fragwürdige Sterbefälle bei zufällig ausgewählten Patientenakten und des daraus von ihr abgeleiteten Risikos für das Leben und die Gesundheit zukünftiger Patienten der Antragstellerin gesehen. ImÜbrigen kann der vom Sofortvollzug Betroffene (soweit die vorherige Anhörung hierfür überhaupt geboten ist, vgl. dazu Kopp/Schenke, Komm, zur VwGO, 11. Aufl., § 80 Rdnr. 82) gemäß § 80 Abs. 4 bzw. Abs. 5 VwGO alle Gesichtspunkte geltend machen, die den Sofortvollzug entfallen lassen sollen, so dass eine etwaige Verletzung der Anhörungspflicht hierdurch geheilt wird.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung ist von der Antragsgegnerin unter Abwägung der Folgen für die Antragstellerin, ihrer Arztpraxis und ihrer Belegabteilung in der J.-klinik, aber auch im Hinblick auf den drohenden Schaden für die Allgemeinheit nach Maßgabe des § 80 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß begründet worden.
Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO erfordert die von der Antragsgegnerin zu treffende Ermessensentscheidung, ob das Ruhen der Approbation als Arzt angeordnet wird, dass gegen den Arzt ein Strafverfahren wegen des Verdachts einer Straftat eingeleitet ist, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit ergeben kann. Mit der Aufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft F. unter dem Aktenzeichen NZS-AA. ist ein Strafverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet worden, denn das Ermittlungsverfahren ist als erster Verfahrensabschnitt bereits Teil des Strafverfahrens (Kleinknecht/Meyer, Komm, zur StPO, 40. Aufl., Einleitung, Rdnr. 59). Die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die Zeit nach der Anklageerhebung liefe dem Zweck der Bestimmung, effektive Gefahrabwehr durch vorläufige berufsregelnde Maßnahmen zu ermöglichen, zuwider (so auch OVG Münster, B. vom 27.11.1992, MedR 1993, 355 [OVG Nordrhein-Westfalen 27.11.1992 - 5 B 2973/92] - Juris).
Wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, des Gebots der Unschuldsvermutung als besonderer Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und nicht zuletzt des Eingriffs in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte freie Berufsausübung des Arztes wird von einem Teil der Rechtsprechung gefordert, dass auf Grund der Verdichtung der Verdachtsmomente eine Bestrafung sehr wahrscheinlich sein muss (VGH Mannheim, B. v. 19.07.1991 - Juris; OVG Münster, B. v. 24.09.1993, a.a.O). Allerdings ist der Grad der im Einzelfall erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung auch abhängig vom Gewicht der Straftat und dem daraus sich ableitenden Umfang an Gefahren für die von einer Ruhensanordnung zu schützenden Rechtsgüter (OVG Münster, B. v. 27.11.1992, MedR 1993, 355 [OVG Nordrhein-Westfalen 27.11.1992 - 5 B 2973/92], - Juris). Gerade deshalb, weil in dem Wer zu entscheidenden Fall Straftaten gegen das Leben und damit gegen das bedeutendste Rechtsgut überhaupt im Raum stehen und diese Gefahr für eine unbekannte Vielzahl an Patienten - wie noch ausgeführt wird - existiert, ist nach der Rechtsauffassung des Gerichts die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ausreichend.
Nach dem gegenwärtigen, vom Gericht der Entscheidung zu Grunde zu legenden Erkenntnisstand, wie er sich auf Grund der Gerichtsakte, den vorgelegten Verwaltungsvorgängen sowie den Gutachten und Stellungnahmen von drei medizinischen Gutachtern darstellt, erscheint die Bestrafung der Antragstellerin wegen Straftaten gegen das Leben -insbesondere der fahrlässigen Tötung, weshalb die Staatsanwaltschaft F. Ermittlungen aufgenommen hat, weit wahrscheinlicher als ihre Nichtverurteilung. Es spricht Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin bei ihrer Tätigkeit als Belegärztin in der J.-klinik in D. zumindest bei einigen Patienten unzulässige Sterbehilfe ausgeübt hat.
Strafrechtlich ist die direkte, aktive Sterbehilfe (Euthanasie) strafbar, unabhängig davon, ob ein Patient sie wünscht oder nicht. Passive Sterbehilfe, d. h. der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, kann bei Sterbenden und irreversibel bewusstlosen Patienten straflos sein (Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 2. Aufl. Rdnr. 287, 288).
Stellt sich die Lebensverkürzung hingegen nur als unbeabsichtigte Nebenfolge einer Schmerzlinderung dar, so wird bei dieser so genannten indirekten Sterbehilfe der Arzt heute nahezu allgemein für straflos gehalten, wobei der Begründungsweg höchst umstritten ist (Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Komm., 26. Aufl., Vorbemerkung zu § 211, Rdnr. 26). Die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird als ein höherwertiges Rechtsgut angesehen als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen (BGHSt, U. v. 15.11.1996, a. S. Bd. 42, 301 ff, - Juris). Lassen sich bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens aber Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, eines Angehörigen oder einer beteiligten Person (BGHSt, U. v. 13.09.1994 - a. S. Bd. 40, 257, - Juris).
Nach diesen rechtlichen Grundsätzen wird dasärztliche Handeln der Antragstellerin im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin in der Ruhensverfügung genannten Patienten - vom gegenwärtigen Erkenntnisstand aus gesehen, voraussichtlich nicht straflos bleiben, weil die von ihr durchgeführte Sterbehilfe rechtlich nicht zulässig war.
So war der 52-jährige Patient O. P. nach Aktenlage bei Einleitung der Valium-Morphium-Medikation durch die Antragstellerin von einer sog. palliativmedizinischen Behandlungssituation, in der nur noch die Symptome gemildert werden können, das Grundleiden keiner Behandlung mehr zugänglich ist, weit entfernt. Bei der Aufnahme am AX. in die Belegstation der Antragsstellerin, die ihn lediglich von einem länger zurückliegenden Krankenhausaufenthalt kannte, war der Patient ausweislich der Dokumentation des Untersuchungsbefundes in einem altersentsprechenden Allgemeinzustand und keinesfalls, wie die Antragstellerin nun meint, nahezu kachektisch (ab-, ausgezehrt). Lediglich die Leberwerte waren leicht und die LDH stark erhöht. Eingewiesen worden war er, weil sich bei ihm "beim Aufstehen alles gedreht hatte", keine Koordination möglich war, Zyanose (reduzierter Sauerstoffgehalt im Blut) und Hyperventilation bestand. Laut Protokoll des Rettungsdienstes war er bei dessen Eintreffen aber ohne Beschwerden. Die Diagnostik ergab am AY. ein histologisch gesichertes Oesophagus (Speiseröhren)-Karzinom mit einer Metastase im Gehirn und Verdacht auf Metastasierung der Leber. Dem Patienten wurde, obwohl er Schmerzen offenbar lediglich einmal hinter dem Brustbein am BV. verspürte, ab dem AY. allabendlich eine Ampulle Morphin 20 mg subkutan gegeben, "da er zur Ruhe kommen sollte". Am BW. setzte die Antragstellerin die am BX. eingeleitete und ausweislich des Gutachtens Prof. BO. schrittweise reduzierte Dexamethason-Therapie ab. Ab dem BY. erhielt der Patient auf Anordnung der Antragstellerin 2x eine Ampulle Morphin zusammen mit 1000 ml Infusionslösung + 10 Ampullen Diazepam (langsam laufen lassen plus erneuern), ferner 250 ml Sterofundin + 2 Ampullen Diazepam. Ab dem BZ. erhielt der weder valium- noch morphiumgewöhnte Patient P. im 6-stündigem Abstand 20 mg Morphium subkutan. Insgesamt wurden dem Patienten vom BY. abends bis zu seinem Tod am R. um CA. Uhr 10 Ampullen Morphin mit insgesamt 200 mg verabreicht.
Prof. BO. bezeichnet die kontinuierliche Zufuhr von Diazepam in Kombination mit den regelmäßigen Morphin-Injektionen "als terminale Sedierung", was auch als "Tiefschlaf in den Tod hinein"übersetzt wird. Die Antragstellerin gab dazu an, dass bei eingetretenem Präfinalzustand die Kombination von Morphium und Diazepam bei gleichzeitiger Gabe von Sauerstoff dazu geführt habe, dass Herr P. ruhig geschlafen habe. Der Patient habe zunehmend über Luftnot, Schwindel und Koordinationsstörungen geklagt sowie die verständliche ängstliche Unruhe sei bei ihm immer stärker geworden sei. In der Nacht vom 21. auf den BZ. sei eine weitere akute Verschlechterung eingetreten. Die Morphin-Diazepamgabe sei daraufhin eingeleitet worden, um dem Patienten ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen.
Gerade unter Zugrundelegung dieser Angaben spricht sehr viel dafür, dass die Antragstellerin leichtfertig eine palliativmedizinische Behandlungssituation angenommen und unzulässige Sterbehilfe gewährt hat. So hat der Gutachter Dr. AJ. darauf hingewiesen, dass die Behandlung des 1,5 cm Durchmesser großen Hirntumors mit Desamethason nicht bereits am BW. hätte abgebrochen werden dürfen, da sich der Erfolg der Behandlung während dieses Zeitraums noch nicht absehen ließ.
Unruhe, Luftnot, Schwindel, Koordinationsstörungen und auch eine nicht weiter erklärte akute Verschlechterung der Situation vermögen nicht die Situation eines Sterbenden darzulegen, der unter schwersten, insbesondere so genannten Vernichtungsschmerzen leidet. Dies haben die Gutachter Dr. AH. (AE.) und Dr. AJ. in ihren Gutachten eindrucksvoll untermauert. Auch Prof. BO. hat in seinem Gutachten letztendlich offen gelassen, ob es sich um eine derartige Situation handelte, indem er (S. 38) ausgeführt hat: "Ob in den begutachteten Fällen eine solche palliativmedizinische Behandlungssituation bestand und die Entscheidungen auf Therapiereduktion oder-verzieht damit gerechtfertigt waren, lässt sich aus den Krankenakten nicht abschließend bewerten. Es lassen sich bei allen Patienten (lediglich) Hinweise finden, nach denen die von der Antragstellerin getroffenen Therapieentscheidungen gerechtfertigt erscheinen."
Nach überzeugender Darstellung der Gutachter Dr. AJ. und Dr. AH. (AE.) war das festgestellte Speiseröhrenkarzinom mit Metastasierung im Gehirn und in der Leber zwar unheilbar. Auch ohne jegliche Chemo- und Strahlentherapie hätte er aber, so Dr. AH. (S. 28), noch Monate, möglicherweise länger, leben können. Für eine hochdosierte Valium- und Morphium-Therapie, die zu dem Tod des Patienten geführt habe, habe es nicht den geringsten medizinischen Grund gegeben.
Der 63-jährige Patient T., dessen Hausärztin die Antragstellerin gewesen war, ist nach ihren Angaben an bestehender Multimorbidität gestorben. Er hatte ausweislich der Anamnese bei Stationsaufnahme am AZ. Schwindel, ihm war schwarz vor Augen gewesen, Bewusstlosigkeit war eingetreten; er war - ohne sich zu verletzen - gestürzt. Sein Allgemeinzustand war reduziert und er hatte ein vesikuläres Atemgeräusch. Laut Auskunft der Antragstellerin war bei ihm eine chronische Leukämie bekannt. Er wies aber ein normales Differenzialblutbild auf. Bis zum BA. ging es ihm wohl zunehmend besser. An diesem Tag hatte er zwei Krampfanfälle und am BB. kollabierte er zwei Mal. Ferner sind Schmerzen im linken Unterbauch dokumentiert.
Ohne die Gründe für diese Symptome zu erforschen, erhielt der Patient ab dem BB. eine Morphium-Ampulle subkutan sowie eine Ampulle Diazepam, eine Ampulle Tramal, eine Ampulle Dolantin 100 mg subkutan. Ab dem CB. war im Pflegeerfassungsbogen von den Schwestern "Schmerzprogramm" eingetragen (4x eine Ampulle Morphium 20 mg subkutan).
Die Antragstellerin begründete die Einleitung der Morphium-Therapie und die Nichteinleitung therapeutischer Maßnahmen mit dem inzwischen desolaten Allgemeinzustand des Patienten sowie der anhaltenden Bauchsymptomatik und seiner zeitweise ängstlichen Unruhe. Sie meint, er habe ihr gegenüber nonverbal zum Ausdruck gebracht, dass er invasive und lebensverlängernde Maßnahmen ablehne.
Auch diese Begründung zur Einleitung einer Morphiumtherapie hatte nach den vorliegenden Begutachtungen (von Prof. BO. liegt keine vor) keine palliativmedizinische Behandlungssituation zum Anlass. Vielmehr verstarb dieser Patient nach der gutachtlichen Stellungnahme des Dr. AH. an einer iatrogenen (durch den Arzt verursachten) Opiat-Intoxikation, wobei das sich in der Krankenakte befindliche EKG des Patienten vom BB., CC. Uhr, eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung im Sinne einer Kammertachykardie zeigte, die offenbar nicht befundet wurde. Im Gutachten des Dr. AJ. vom AK. ist dazu erwähnt, dass das akute Abdomen (Erkrankung im Bereich der Bauchhöhle) der Diagnostik bedurft hätte, nicht hingegen der Behandlung mit Morphium.
Die 63-jährige Patientin X., die keine Vormedikation und keine Vorerkrankungen aufwies, wurde am BC. um 18.54 Uhr wegen zunehmender Schmerzen, Rötung, Schwellung der rechten Flanke auf die Belegstation der Antragstellerin aufgenommen. Am Abend erhielt sie eine halbe Ampulle Morphium subkutan. Trotz am 28.05.2001 abends bestehender vitaler Bedrohung für die Patientin, u.a. durch ein Prä-Lungenödem ("Rasselgeräusche über Pulmo"), erhielt die Patientin keine adäquate Diagnostik, geschweige denn eine Therapie mit vasoaktiven Substanzen. Bei positiver Flüssigkeitsbilanz war die Gabe von zwei Ampullen Morphium nach Maßgabe der Gutachter in dieser Situation strikt kontraindiziert, zumal eine Schmerz- oder Leidenslinderung ausgeschlossen war, da die Patientin zu diesem Zeitpunkt, wie dokumentiert, "schläfrig" und "komatös" war. Nach den Gutachtern Dres. AH. und AJ. führte dies bei der Patientin aus klinischer Sicht zu einer schweren Atemdepression und letztlich zum Atemstillstand. Sie starb am Z. um CD. Uhr.
Hier sprechen gewichtige Anhaltspunkte für schwere Diagnose- und Therapiefehler, die die Patientin wohl erst in den lebensbedrohlichen Zustand brachten. Diese wurde aber weder pulmonal noch kardial situationsadäquat diagnostiziert (Dr. AJ. vom AK., S. 16). Prof. BO. hat diese Vorwürfe in seinem Gutachten nicht substanziell erschüttert, sondern lediglich ausgeführt, die Patientin habe durch ihr Verhalten deutlich gemacht, dass sie die Therapie ablehne und dass nach Absprache mit der Tochter eine intensivmedizinische Behandlung unterblieben sei. Nachdem diese Entscheidung getroffen worden sei, sei die Behandlung mit Morphin als "gute ärztliche Sterbebegleitung" zu sehen, die nicht automatisch zum Tod führe. Auch bedeute die Tatsache, dass die Patientin in der Präfinalphase schläfrig und komatös gewesen sei, nicht, dass sie keine Schmerzen habe empfinden können. Die Therapie könne durchaus indiziert sein, wenn eine Patientin z.B. Schonoder Abwehrhandlungen zeige.
Diese Ausführungen ziehen die Prognose, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Patientin X. wahrscheinlich mit strafrechtlichen Folgen zu rechnen hat, nicht ernstlich in Zweifel.
Die in der Ruhensanordnung aufgeführten Sterbefälle AU. und AQ. enthalten im Wesentlichen den gleichen Vorwurf gegen die Antragstellerin. Zwar handelt es sich in beiden Fällen um weit vorgeschrittene Tumorstadien. Auch hier wird ein unerträglicher Tumorschmerz, dem rechtlich mit palliativmedizinischen Therapien begegnet werden darf, wenn er mit nicht lebensverkürzenden Schmerzmitteln nicht mehr in den Griff zu bekommen ist, von den Patienten ausweislich der Pflegeprotokolle und in den ärztlichen Dokumentation nicht angegeben. Unabhängig hiervon hat die Antragstellerin aber eine anderweitige, nicht lebensverkürzende Symptomkontrolle gar nicht mehr versucht, sondern ihr "Schmerzprogramm" (AU., Gutachten Dr. AH., S. 7, AQ., ebd., S. 4) ablaufen lassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die angefochtene Verfügung verwiesen.
Bei allen fünf Sterbefällen kommt hinzu, dass Patientenverfügungen nicht vorlagen. Alle Patienten waren bei Bewusstsein. Ihr Wille, ohne weitere Therapieversuche so schnell wie möglich sterben zu wollen, ist in keiner Form dokumentiert Unter diesen Umständen hält das Gericht die Prognose, dass eine Bestrafung der Antragstellerin im Zusammenhang mit ihrer ärztlichen Tätigkeit nach dem gegenwärtigen Sachstand sehr wahrscheinlich oder jedenfalls weit überwiegend wahrscheinlich ist, für gerechtfertigt.
Gerade die Umstände, die zum Tod dieser fünf Patienten geführt haben, lassen die Prognose gerechtfertigt erscheinen, dass der Antragstellerin bei ihrer Berufsausübung in Zukunft erneut vermeidbare Fehler mit schwer wiegenden Folgen unterlaufen können. Das bezieht sich sowohl auf ihre Tätigkeit in der Belegabteilung des J.-krankenhauses als auch in ihrer internistischen Praxis. Die Antragsgegnerin hat dies in der Ruhensverfügung überzeugend dargelegt, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Daneben kann sich, wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, wegen des Verdachts der Begehung der in der Strafanzeige genannten Straftaten auch die Unwürdigkeit der Antragstellerin zur Ausübung des ärztlichen Berufs nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO ergeben. Berufsunwürdigkeit ist anzunehmen, wenn der Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs erforderlich und unabdingbar nötig ist (BVerwG, NJW 1999, 3425). In der Tat erwartet der Patient von einem Arzt entsprechend dem ärztlichen Ethos Heilung und Linderung, nicht aber Verletzung und Tötung. Auch insoweit liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO vor. Das Gericht verweist hierfür gleichfalls gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom AO..
Die von der Antragsgegnerin getroffene Ermessensentscheidung über die Frage, ob das Ruhen angeordnet wird oder nicht, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Es wurde sorgfältig abgewogen, ob ein milderes Mittel gegeben ist, um das Interesse der Allgemeinheit, die Volksgesundheit vor Schäden durch eine möglicherweise unzuverlässige und unwürdige Ärztin zu schützen, gegeben ist und dies wurde mit Argumenten, die die Verfügung zu tragen geeignet sind, verneint.
Wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung unterbliebe, bestünde die konkrete Gefahr, dass die Antragstellerin auch zukünftig das Leben von hiervon nichts ahnenden, ihr voll vertrauenden Patienten gefährdet. Denn aus allen von ihr zur Gerichtsakte gereichten Erklärungen ist zu entnehmen, dass sie zwar Fehler in der Dokumentation der Patientenbehandlung einsieht, nicht hingegen die Anwendung ihres "Schmerzprogramms" in Frage stellt. Ihr fehlt jegliche Einsichtsfähigkeit im Hinblick auf das ihr vorgeworfene Fehlen palliativmedizinischer Behandlungssituationen. Das hat sie im direkt ans Gericht übersandten Schreiben vom CC..2003 deutlich ausgedrückt mit "Die Patienten... kommen zu mir und wollen hören, dass es noch Therapiemöglichkeiten gibt und sie noch nicht so bald sterben müssen." Auch gegenüber ihrem Privatgutachter Prof. BO. hat sie eingeräumt, ihre Patienten nur selten über den vollen Umfang der Erkrankung aufzuklären, um nicht die verbleibende Hoffnung gänzlich zu zerstören.
Diese und andere Äußerungen der Antragstellerin lassen befürchten, dass sie ihre Patienten trotz bei ihnen vorhandenem vollem Bewusstsein weiterhin über die von ihr beabsichtigte lebensverkürzende Sterbebegleitung nicht - auch nicht situationsangemessen vorsichtig - aufklärt und sie statt dessen in dem Glauben lässt, sie werde ihnen gegenüber auch in dieser Situation ausschließlich heilend tätig. Damit steht im Raum, dass sie sich selbst zur "Herrin über Leben und Tod" aufschwingt, d. h. glaubt selbst entscheiden zu dürfen, wann eine lebensverkürzende Schmerzbehandlung für ihre Patienten richtig ist, ohne dem Willen der Patienten, die ja offenbar nicht selten noch weitere Lebenshoffnung und weiteren Lebenswillen haben, zu entsprechen. Der Antragstellerin ist wohl gar nicht bewusst, dass sie sich bei ihrer Behandlung von der fürÄrzte in Grenzfällen zulässigen indirekten Sterbehilfe offenbar weit entfernt hat, was bei der von ihr eingeräumten Tatsache, dass sie sich weder in der Speziellen Schmerztherapie noch durch Kurse in Palliativmedizin fortgebildet hat (Gutachten Prof. BO., S.4), vielmehr ihr Wissen nur aus der Behandlung ihrer schwer kranken Patienten und der Fachliteratur bezieht, nicht Wunder nimmt. Eine derartige Einstellung stellt nicht nur eine dringende Gefahr für das Rechtsgut Leben dar, sondern ist auch mit der Berufswürde des Arztes nicht vereinbar.
Die Antragstellerin beabsichtigt nicht, bis zur endgültigen Sachverhaltsklärung auf ihr Belegrecht in der J.-klinik zu verzichten. Sie lässt sich derzeit lediglich vertreten. Damit ist die Gefahr von Fehlbehandlungen durch die Antragstellerin in der Klinik nicht ausgeräumt, da sie die Vertretung offenbar jederzeit beenden kann. Die Antragstellerin hat aber daneben auch in ihrer internistischen Praxis als Hausärztin, insbesondere bei Hausbesuchen Gelegenheit, das Leben von Schwerkranken, ihr voll vertrauenden Menschen zu gefährden.
Der Sofortvollzug der Ruhensanordnung ist bei dieser Sachlage dringend geboten, um diesen Gefahren zu begegnen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin - der lediglich etwas abgemildert ist dadurch, dass sie weiterhin nicht-kurativ tätig sein kann -, ist ebenso wie die Nachteile für ihre Mitarbeiter und für das J.-krankenhaus bei Abwägung aller widerstreitenden Interessen hinzunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; [...].
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
[D]ie Streitwertentscheidung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit Abschn. II. Ziff. 13.1,1. Ziff. 7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563).
Süllow
Wendlandt-Stratmann