Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.10.1980, Az.: 1 W 29/80; 1 W 33/80

Erfolgsaussichten einer Klage auf Unterlassen und Widerruf einer in der BILD-Zeitung veröffentlichten herabwürdigenden Aussage eines deutschlandweit bekannten Bundesligatrainers über einen seiner Spieler; Verteilung der Beweislast bei einem Widerrufanspruch im Gegensatz zu einem Unterlassungsanspruch

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.10.1980
Aktenzeichen
1 W 29/80; 1 W 33/80
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1980, 20277
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1980:1027.1W29.80.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - 05.05.1980 - AZ: 10 O 444/79

Verfahrensgegenstand

Unterlassung und Widerruf

In dem Rechtsstreit
...
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts ...
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 27. Oktober 1980
Beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde und der Anschlußbeschwerde der Beschluß des Landgerichts ... vom 5. Mai 1980 dahingehend abgeändert, daß der Kläger und der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte zu tragen haben.

Auf die Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten des Klägers wird der Streitwertbeschluß des Landgerichts ... vom 5. Mai 1980 abgeändert. Der Streitwert für den ersten Rechtszug wird auf DM 10.000,-, für die Zeit ab 11.4.1980 auf DM 1.100,- bis DM 1.200,- festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens über die sofortige Beschwerde und die Anschlußbeschwerde werden gegeneinander aufgehoben.

Beschwerdewert: DM 1.300,- bis 1.400,-.

Das Verfahren über die Streitwertbeschwerde ist gebührenfrei.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

I.

Am 4.9.1979 verletzte sich der Beklagte bei einem Fußballnachwuchsrundenspiel des ... gegen ....

2

Einige Tage nach diesem Vorfall erschien in der Bild-Zeitung ein Artikel über den Kläger mit folgendem Inhalt: "Als ... mit einer Schramme am Schienbein zum Masseur kommt, lacht ... breit: 'Schade, daß sie Dir nicht das Bein durchgetreten haben, dann wärst Du wenigstens mal wieder drei Wochen krank'." Diese Äußerung wurde von der Bild-Zeitung ein weiteres Mal abgedruckt. Auch die ... Zeitung und das Sportmagazin "Kicker" berichteten über den Vorfall. Auf Befragen des Klägers versicherte der Beklagte in Anwesenheit der versammelten Bundesligamannschaft und des 1. Präsidenten des ..., der Bild-Zeitung keine Informationen gegeben zu haben. Hieran hielt dar Beklagte auf ein nochmaliges Befragen des 1. Präsidenten fest, fügte jedoch hinzu, daß die in der Bild-Zeitung abgedruckte Äußerung tatsächlich in dieser Form gefallen sei. In einer am 8.10.1870 einberufenen Präsidiumssitzung wurde der Kläger mit sofortiger Wirkung von seinem Traineramt suspendiert.

3

Der Kläger hat behauptet, die in den Zeitungen abgedruckte Äußerung nicht abgegeben zu haben. Er habe zu der Verletzung des Beklagten nur bemerkt, daß er kein Mitleid mit einem Spieler haben könne, der sich Verletzungen zuziehe, weil er entgegen seiner Anweisung keine Schienbeinschützer trage.

4

Mit seiner Klage hat der Kläger den Beklagten auf Unterlassung sowie Widerruf der Äußerung gegenüber dem Präsidium des ... in Anspruch genommen.

5

Der Beklagte hat behauptet, daß der Kläger die streitige Äußerung tatsächlich gemacht habe. Er, der Beklagte, habe dies auf Vorhalt gegenüber dem Präsidium des ... bestätigt. Er hat die Ansicht vertreten, auf Vorhalt des Präsidiums zur wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet gewesen zu sein.

6

Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erklärt hatte, er werde die streitige Äußerung nicht mehr verbreiten, haben beide Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt.

7

Das Landgericht hat in seiner nach § 91 a ZPO getroffenen Kostenentscheidung dem Kläger 2/3, dem Beklagten 1/3 der Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Er hat den höheren Kostenanteil des Klägers mit seinem erhöhten Beweisrisiko begründet.

8

Gegen diesen am 9. Mai 1980 zugestellten Beschluß hat der Kläger am 19. Mai 1980, der Beklagte am 23. Mai 1980 sofortige Beschwerde eingelegt.

9

Beide Parteien beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts vom 5.5.1980 jeweils dem Gegner die vollen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

10

Außerdem hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers gegen den Streitwertbeschluß des Landgerichts vom 5. Mai 1980 Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, den Streitwert höher festzusetzen.

11

II.

Die sofortige Beschwerde und die Anschlußbeschwerde des Beklagten sind zulässig (§ 91 a Abs. 2 ZPO), jedoch ist nur das Rechtsmittel des Klägers teilweise begründet.

12

Nachdem beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 91 a Abs. 1 ZPO). Hierbei ist an dem Grundgedanken des Prozeßrechts festzuhalten, daß der Unterlegene die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Es ist also der mutmaßliche Prozeßausgang zu würdigen (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO, 38. Aufl., § 91 a Anm. 3 A). Angesichts der unterschiedlichen Beweislastverteilung bei den beiden Klageanträgen sind die Prozeßaussichten beider Parteien insgesamt gleich hoch einzuschätzen. Billigem Ermessen entspricht daher die gleichmäßige Belastung beider Parteien.

13

Zur Begründung seines auf eine entsprechende Anwendung der §§ 12, 862, 1004 Abs. 1 BGB gestützten Klagebegehrens hat der Kläger schlüssig vorgetragen, durch die Tatsachenbehauptung des Beklagten in seinem nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Persönlichkeitsrecht verletzt worden zu sein. Da er ein im Bundesgebiet bekannter Fußballtrainer ist, war diese Behauptung geeignet, ihm Nachteile für seine zukünftige Trainertätigkeit und damit seinem beruflichen Fortkommen zuzufügen (§ 824 Abs. 1 BGB). Schließlich erfüllt diese Behauptung auch den Tatbestand des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB, da sie in dieser Form geeignet ist, den Kläger in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.

14

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist auch die für das Widerrufs- und Unterlassungsbegehren erforderliche fortdauernde Beeinträchtigung und die daraus resultierende Wiederholungsgefahr schlüssig vorgetragen. Es war damit zu rechnen, daß die Mitglieder des Präsidiums des ... von der Richtigkeit der vom Beklagten aufgestellten Behauptung ausgingen, solange nicht das Gegenteil erwiesen war. Dies mußte aber in Anbetracht der wegen der sportlichen Mißerfolge ohnehin schon angespannten Lage zu einer weiteren Belastung des Vertrauensverhältnisses zwischen Spielern und Trainer führen, so daß die Behauptung des Beklagten für den Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung eine negative Fortwirkung entfaltete. Durch diesen vom Beklagten geschaffenen Eingriffstatbestand war auch die für das Unterlassungsbegehren erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben (vgl. hierzu Palandt-Thomas, BGB, 39. Aufl., Einführung vor § 823, Anm. 8 [xxxxx]Soergel-Siebert-Mühl, 10. Aufl. Rz. 74 zu § 1004 jeweils mit weiteren Nachweisen). Denn der Beklagte hat es nicht vermocht, die nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins gegen ihn sprechende Vermutung zu widerlegen. Er hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, die eine sichere Gewähr gegen einen weiteren Eingriff geboten hätten oder einen solchen als unwahrscheinlich hätten erscheinen lassen. Sein während des Rechtsstreits vertretener Standpunkt, zur Aufstellung der Behauptung berechtigt gewesen zu sein, läßt vielmehr die Vermutung zu, daß er auf entsprechende Vorhalte des Präsidiums des ... auch weiterhin an seiner Behauptung festgehalten hätte.

15

Sind hiernach vom Kläger beide Ansprüche schlüssig vorgetragen, so kommt es angesichts des Bestreitens des Beklagten für die Würdigung des mutmaßlichen Prozeßausganges entscheidend darauf an, ob die Wahrheit oder Unwahrheit der Behauptung des Beklagten bewiesen wäre. Da eine Beweisaufname nicht stattgefunden hat, beide Parteien aber Beweis angetreten haben, ist entscheidend auf die Beweislast abzustellen. Diese ist bei beiden Ansprüchen unterschiedlich zu beurteilen.

16

Soweit der Kläger Unterlassung begehrt, obliegt dem Beklagten der Beweis der Wahrheit der von ihm behaupteten Tatsache. Wie bereits ausgeführt, erfüllt die Behauptung des Beklagten auch den Tatbestand des § 823 Abs. 2 BGB i.v.m. § 186 StGB. In einem solchen Falle gilt die Beweisregel des § 186 StGB, nach der dem Täter der Wahrheitsbeweis obliegt, auch im Bereich des zivilrechtlichen Ehrenschutzes, soweit Unterlassung oder Geldentschädigung begehrt werden (vgl. BGHZ 69, 181 [185]; BGH NJW 1966, 1213 [1214]; Palandt-Thomas, § 824 Anm. 8, Soergel-Siebert-Zeuner, 10. Aufl., § 824 Rz 30).

17

Soweit der Kläger den Beklagten auf Widerruf in Anspruch nimmt, obliegt dagegen ihm der Beweis für die Unwahrheit der von dem Beklagten behaupteten Tatsache. Insoweit hat die Beweislastregel des § 186 StGB im Bereich den Zivilrechts jedenfalls dann keine Geltung, wenn - wie hier - ein uneingeschränkter Widerruf verlangt wird (vgl. BGHZ 37, 187 ff; 69, 181 [185]; Palandt-Thomas, § 824 Anm. 8). Der Widerruf einer Tatsachenbehauptung wird dahin verstanden und soll dahin verstanden werden, daß die beklagte Partei die aufgestellte Behauptung als unrichtig erklärt. Das Recht kann es aber nicht zulassen, daß jemand durch Richterspruch verpflichtet wird, etwas als unrichtig zu bezeichnen, was möglicherweise wahr ist. Würde sich ein Beklagter nicht freiwillig dem vom Kläger verlangten gerichtlichen Gebot fügen, so müßte er, da die abgegebene Erklärung eine unvertretbare Handlung i.S. des § 888 ZPO ist, durch Zwangsgeld oder Zwangshaft zu einer Erklärung angehalten werden, deren Inhalt sowohl der objektiven Wahrheit sowie dar subjektiven Überzeugung des Erklärenden widersprechen kann. Ein solcher Rechtszwang, der schon aus der Sicht der Art. 1 und 2 GG zu beanstanden sein würde, zeigt aber, daß der Anspruch auf Widerruf einer Behauptung die Unwahrheit der Behauptung voraussetzt. Die besondere Eigenart des Widerrufsanspruchs wirkt sich somit in der Beweislastvorteilung aus und läßt eine Übernahme der für den Unterlassungsanspruch und den Anspruch auf Geldentschädigung geltenden Beweislastregel nicht zu (BGHZ 37, 187 [189, 190]).

18

Da hiernach wegen der unterschiedlichen Verteilung der Beweislast die Erfolgsaussichten für beide Parteien gleich sind, die Klageanträge auch gleich hoch zu bewerten sind (vgl. III), entspricht es billigem Ermessen, daß die Kosten gegeneinander aufgehoben werden.

19

Der Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen (vgl. § 193 StGB), auf den der Beklagte sich möglicherweise berufen will, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Einmal ist zweifelhaft, ob insoweit genügend Tatsachen vorgetragen sind. Im übrigen kommt es auch insoweit auf den Beweis der Wahrheit oder Unwahrheit der behaupteten Tatsache an, so daß die obigen Ausführungen auch hier gelten (vgl. BGH NJW 1959, 2011 [BGH 10.07.1959 - VI ZR 149/58]).

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

21

III.

Die Streitwertbeschwerde ist zulässig (§ 9 Abs. 2 BRAGO) und auch begründet.

22

Da der Kläger mit seiner Klage auch ein Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Fußballehrer stehendes wirtschaftliches Interesse verfolgt, ist der Streitwert nach § 3 ZPO zu schätzen (vgl. OLG Celle Nds. Rpfl. 1970, 207), und zwar für beide Anträge gesondert (KG NJW 1969, 1305).

23

Die Bewertung der beiden Anträge mit je DM 2.500,- durch das Landgericht trägt den Interessen des Klägers nicht genügend Rechnung. Sie berücksichtigt insbesondere nicht, daß nach dem bisherigen Sach- und Streitstand Grund zu der Annahme besteht, daß die umstrittene Äußerung mit die Ursache für die Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Nachteile ausgesetzt hat.

24

Der Senat hält eine Bewertung beider Anträge in gleicher Höhe mit je DM 5.000,- für angemessen. Das Interesse des Klägers an einem Widerruf war zwar größer, weil er nur mit diesem Antrag die für ihn wichtige Feststellung hätte erreichen können, daß die Äußerung unwahr war (vgl. hierzu KG HJW 1969, 1305, 1306). Es ist aber vorliegend zu berücksichtigen, daß der Kläger nur einen begrenzten Widerruf gegenüber dem Präsidium des ... tracht erstrebe. Die rechtfertigt die gleich hohe Bewertung des Unterlassungsanspruches und des Widerrufsanspruches.

25

Wegen der Kosten vgl. § 25 Abs. 3 GKG.