Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 18.07.1997, Az.: 5 U 13/97
Schadensersatz aufgrund einer Verletzung des Anwaltsvertrages; Beratungspflichten eines Rechtsanwaltes gegenüber einem Erblasser bei dem Ziel einer Alleinerbschaft; Möglichkeiten einer Errichtung eines neuen Testaments unter Vernichtung der Rechtwirkungen eines früheren Testaments; Anscheinsbeweis für beratungsgemäßes Verhalten des Mandanten eines Rechtsanwalts oder Notars
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 18.07.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 13/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 17916
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1997:0718.5U13.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG ... - 09.01.1997 - AZ: 4 O 355/96
Rechtsgrundlage
- § 675 BGB
Verfahrensgegenstand
Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung
Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und, ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 20. Juni 1997
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts ... vom 09. Januar 1997 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 94.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer des Beklagten beträgt 75.000,00 DM.
Tatbestand
Der Kläger hat nach seinem am 30.07.1995 verstorbenen Vater als dessen einziges Kind nur den Pflichtteil erhalten. Er begehrt Ersatz eines Teils des Schadens, der ihm nach seiner Auffassung dadurch entstanden ist, daß er infolge fehlerhafter Beratung seines Vaters durch den Beklagten als Rechtsanwalt nicht Alleinerbe geworden ist.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Auf dieses Urteil des Landgerichts Braunschweig wird zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes am Schluß des ersten Rechtszuges und zur Darstellung der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Mit der Berufung begehrt der Beklagte weiterhin Klagabweisung und trägt zur Begründung vor:
Das Landgericht habe die Anforderungen an die Beratungspflicht des Beklagten überspannt und verkannt, daß der Kläger die Beweislast für Beratungsfehler des Beklagten habe. Gemäß handschriftlichem Vermerk des Beklagten auf dem Schreiben des Amtsgerichts ... vom 19.10.1994 habe der Beklagte am 27.10.1994 in seinem Büro den Vater des Klägers (Erblasser) unmißverständlich darauf hingewiesen, daß er, der Erblasser, selbst sein eigenhändiges Testament aus der Verwahrung beim Amtsgericht holen müsse. Der Beklagte habe ihm gesagt, man könne sogleich zum Amtsgericht fahren. Der Erblasser habe das aber nicht gewollt und erklärt, er wolle sich später selbst darum kümmern. Auf das Erfordernis persönlicher Abholung des Testaments habe der Beklagte nochmals bei einem Besuch des Erblassers im Krankenhaus hingewiesen, ihm auch vorgeschlagen, kurzfristig einen bestimmten Notar kommen zu lassen. Der Erblasser habe aber selbst einen Notar bestimmen wollen.
In der Berufungsverhandlung hat der Beklagte folgendes ergänzt: Der Erblasser hätte ihm, dem Beklagten, bereits im August 1994 fernmündlich erklärt, er beabsichtige, seinen Sohn als Alleinerben einzusetzen. Im September 1994 sei der Erblasser in seinem Büro gewesen und habe erklärt, er wolle sein Testament ändern, weil er sich mit seinem Sohn vertragen habe. Der Beklagte solle das Testament aus der Verwahrung nehmen. Am 27.10.1994 habe er den Erblasser nicht nur auf das Erfordernis persönlicher Abholung hingewiesen und ihm angeboten, sofort mit ihm das Testament zu holen, sondern ihm auch gesagt, er müsse ein neues Testament machen, und ihm angeboten, sofort mit ihm ein neues Testament aufzusetzen. Der Erblasser habe zu jenem Zeitpunkt beides nicht gewollt. Entgegen seinem erstinstanzlichen Vortrag habe der Beklagte den Erblasser nicht auf ein Erfordernis, einen Notar zu beauftragen, hingewiesen. Zur näheren Darstellung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.06.1997 Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt zur Begründung vor, das Landgericht habe zu Recht festgestellt, daß der Beklagte als Rechtsanwalt seinen Vater, den Erblasser, falsch beraten habe, dadurch sei ihm der geltend gemachte Schaden entstanden.
Der Erblasser habe von dem, Zeitpunkt an, wo er sich nach einem Zerwürfnis mit dem Kläger versöhnt hatte, also von der ersten Beauftragung des Beklagten an, diesen stets nur veranlassen wollen, dafür zu sorgen, daß der Kläger Alleinerbe wird. Das habe der Beklagte auch in seinem Schreiben an das Amtsgericht ... vom 21.08.1995, auf dessen Wortlaut Bezug genommen wird, selbst treffend formuliert.
Der Beklagte könne sich demgegenüber nicht auf seinen handschriftlichen Vermerk mit dem Datum des 27.10.1994 auf dem Schreiben des Amtsgerichts ... vom 19.10.1994 berufen. Ein Gespräch des Erblassers mit dem Beklagten in dessen Büro am 27.10.1994 habe gar nicht stattgefunden. Der Erblasser habe damals im Krankenhaus gelegen. Erschöpft durch eine chemotherapeutische Behandlung habe er das Krankenhaus ohne fremde Hilfe nicht verlassen können. Bezeichnenderweise trage der Beklagte auch nicht vor, wie es zu diesem Gespräch gekommen sein solle. Der Erblasser habe keine Veranlassung gehabt, von sich aus sich mit dem Beklagten in Verbindung zu setzen, weil der Erblasser damals davon ausgegangen sei, daß die Erbfolge bereits im Sinne einer Alleinerbschaft des Klägers geregelt sei.
Vorsorglich bestreitet der Kläger den vom Beklagten behaupteten Inhalt jenes Gesprächs wie auch des vom Beklagten behaupteten späteren Gesprächs mit dem Erblasser im Krankenhaus.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst allen Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, führt jedoch aus folgenden Gründen nicht zum Ziel.
Der Beklagte schuldet dem Kläger nach den anerkannten Grundsätzen über eine positive Vertragsverletzung (Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl. 1997, § 276 Rdnr. 104 f. m. w. N.) und denjenigen über Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (vgl. Heinrichs a.a.O. § 328 Rdnr. 13 f., insbesondere 21 m. w. N.) aufgrund einer Verletzung des Anwaltsvertrages, den der Vater des Klägers, also der Erblasser, mit dem Beklagten geschlossen hatte, Schadensersatz in Höhe eines Teilbetrages von 75.000 DM nebst Prozeßzinsen in gesetzlicher Höhe von 4% (§§ 291, 288 S. 1 BGB).
Der Erblasser hatte dem Beklagten zu Zeitpunkten, die sich nicht genau haben feststellen lassen Jedenfalls vor dem 17.10.1994, erklärt, er, der Erblasser, beabsichtige, seinen Sohn als Alleinerben einzusetzen, ferner, er wolle sein Testament ändern, weil er sich mit seinem Sohn vertragen habe. So hat es der Beklagte in der Berufungsverhandlung selbst erklärt. Diese Erklärungen des Erblassers umreißen die Interessen, mit deren Wahrnehmung er den Beklagten beauftragte. Irgendeine Einschränkung dieses Auftrags dahin, daß der Erblasser sich noch nicht sicher gewesen sei, ob er seinen Sohn, den Kläger, zum Alleinerben machen wollte öder daß die Herbeiführung des alleinigen Erbrechts des Klägers noch aufgeschoben werden sollte, hat der Beklagte nicht behauptet, sie ist auch sonst nicht ersichtlich. Sie ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem ersten Tätigwerden des Beklagten, das darin bestand, daß er dem Amtsgericht ... mitteilte, er vertrete die Interessen des Erblassers und sei beauftragt, das vom Amtsgericht in Verwahrung genommene Testament unverzüglich an den Unterzeichner zurückzugeben.
Ein sorgfältiger Rechtsanwalt hätte den Erblasser aufgrund des von ihm kundgetanen Interesses und des Auftrags, dieses Interesse zu vertreten, gleich zu Beginn der Interessenvertretung darüber belehrt, daß der Erblasser sein Ziel, den Kläger zum Alleinerben zu machen, dadurch erreichen konnte, daß er entweder das in amtliche Verwahrung gegebene eigenhändige Testament sich persönlich zurückgeben ließ und es dann vernichtete oder entsprechend änderte oder ein neues Testament - öffentlich oder der Einfachheit halber wieder eigenhändig - errichtete, in welchem er entweder lediglich das frühere Testament widerrief oder abweichende Verfügungen traf.
Eine solche Belehrung hat der Beklagte dem Erblasser nicht erteilt. Daß er den Erblasser nicht darauf hinwies, daß ihm das Testament nur persönlich zurückgegeben werde, ergibt sich daraus, daß er mit Schreiben vom 17.10.1994 das Amtsgericht ... um Rückgabe an ihn, den Beklagten, bat. Daß er den Erblasser auch nicht darüber belehrte, daß er, ohne sich das verwahrte Testament zurückgeben zu lassen, sogleich ein neues Testament, und zwar auch ein eigenhändiges, errichten konnte, ergibt sich daraus, daß der Beklagte dies nicht vorgetragen hat. Er hätte es aber vortragen müssen. Denn er ist insoweit verpflichtet gewesen, den Gang der Verhandlung im einzelnen zu schildern und konkret anzugeben, welche Hinweise und Belehrungen er im einzelnen erteilt hat (vgl. BGH NJW 1996, 522 [BGH 19.10.1995 - IX ZR 104/94] mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Im übrigen spricht schon die Tatsache, daß der Erblasser kein eigenhändiges Widerrufstestament errichtet hat, dafür, daß der Beklagte ihn über diese Möglichkeit nicht belehrt hat.
Irgendein Umstand, der die Tatsache, daß der Beklagte den Erblasser nicht zutreffend und vollständig belehrte, entschuldigen könnte, ist nicht ersichtlich.
Es ist auch zugunsten des Klägers davon auszugehen, daß der Erblasser bei richtiger Belehrung und Beratung sogleich das eigenhändige Testament vom Amtsgericht zurückgefordert und vernichtet oder verändert hätte oder aber sogleich ein neues Testament und zwar, der Einfachheit halber und um Kosten zu sparen, wieder ein eigenhändiges Testament errichtet hätte, durch welches er das frühere Testament widerrief und so den Kläger zum Alleinerben machte. Dem Kläger hilft hier der in der Rechtsprechung anerkannte Anscheinsbeweis für beratungsgemäßes Verhalten des Mandanten eines Rechtsanwalts oder Notars (vgl. BGH NJW 1994, 3295 und VersR. 1985, 265).
Eine Erschütterung dieses Anscheinsbeweises durch die konkrete Möglichkeit eines anderen Kausal Verlaufs folgt nicht daraus, daß der Erblasser nach der Behauptung des Beklagten später nicht mehr, insbesondere nicht mehr unverzüglich bereit war, den Kläger zum Alleinerben zu machen. Dieser Vortrag eines Sinneswandels des Erblassers hilft dem Beklagten schon deshalb nicht, weil der Beklagte diesen Vortrag hätte beweisen müssen (vgl. BGH NJW 1994, 3295).
Er hat aber ein Beweismittel nicht angeboten. Sein einziges Beweisangebot bezieht sich darauf, daß er anläßlich eines Besuchs des Erblassers im Krankenhaus zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt diesem vorgeschlagen habe, den Notar ... für die Errichtung eines Testaments ins Krankenhaus kommen zu lassen. Der Beklagte hat hierfür den Notar ... als Zeugen vom Hörensagen benannt. Würde der Beklagte diesen Beweis führen, so würde daraus noch nicht folgen, daß es der Erblasser zu jener Zeit trotz richtiger und vollständiger Belehrung, insbesondere über die Möglichkeit, ein eigenhändiges Widerrufstestament zu errichten, ablehnte, den Kläger zum Alleinerben zu machen. Noch viel weniger könnte daraus geschlossen werden, daß der Erblasser ein schon früher aufgrund richtiger und vollständiger Belehrung seitens des Beklagten herbeigeführtes alleiniges Erbrecht des Klägers wieder beseitigt hätte.
Da feststeht, daß der Beklagte den Erblasser zunächst falsch und unvollständig belehrte, wäre es darüber hinaus Sache des Beklagten gewesen, seine Behauptung, später, nämlich am 27.10.1994 und danach, seine Belehrung korrigiert und ergänzt zu haben, zu beweisen. Abgesehen davon, daß sein Vortrag hierzu in den einzelnen Schriftsätzen und seinen Erklärungen in der Berufungsverhandlung gewechselt hat und teilweise widersprüchlich gewesen ist, fehlt es an Beweisangeboten des Beklagten.
Zur Höhe des Schadens wird auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, die in der Berufung nicht angegriffen worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Anordnungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO. Die Beschwer des Beklagten ist gem. § 546 Abs. 2 S. 1 ZPO festgesetzt worden.
Streitwertbeschluss:
Der Wert der Beschwer des Beklagten beträgt 75.000,00 DM.