Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.08.1981, Az.: 19 UF 67/81

Ausschluss des Versorgungsausgleichs; Aufgrund fiktiver Zurechnungszeiten errechnete Anwartschaften; Beitragslose Zurechnungszeit als rein rechnerische Größe

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.08.1981
Aktenzeichen
19 UF 67/81
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1981, 16469
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1981:0825.19UF67.81.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Rotenburg (Wümme) - 23.02.1981 - AZ: 1 F 129/77

Prozessführer

Rentner J. S.

Prozessgegner

Frau E. S. geb. W. verwitwete B.

Sonstige Beteiligte

Landesversicherungsanstalt Hannover, Lange Weihe 2, 3014 Laatzen 1, Vers.-Nr.: ...; Vers.-Nr.: ...

Der 19. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
hat auf die Beschwerde des Antragsgegners
vom 23. März 1981
gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Rotenburg (Wümme)
vom 23. Februar 1981
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wendt,
den Richter am Oberlandesgericht Hinnekeuser sowie
den Richter am Landgericht Bartels
am 25. August 1981 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Beschwerdewert wird auf 2.018,76 DM festgesetzt.

Für diese Entscheidung wird das Verfahren im vorausgesetzten Einverständnis der Parteien zur Feriensache erklärt.

Gründe

1

1.

Der Antragsgegner, geboren am ... 1926, bezieht ab 1. Juni 1951 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die zur Zeit monatlich 752 DM beträgt (vgl. Auskunft der Landesversicherungsanstalt Hannover vom 10. Juni 1981 (Bl. 65 bis 70 d.A.)) Am 4. Oktober 1968 haben die Parteien die Ehe geschlossen. Aufgrund des am 29. Dezember 1977 zugestellten Scheidungsantrags ist die Ehe durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Rotenburg (Wümme) vom 18. Mai 1978 geschieden worden. Das Verfahren über den Versorgungsausgleich hat das Familiengericht im Hinblick auf § 628 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 3 ZPO abgetrennt.

2

Die Antragstellerin, geboren am ... 1940, war während der Zeit vom 1. Oktober 1968 bis 30. November 1977 berufstätig. Nach der Auskunft der Landesversicherungsanstalt Hannover vom 21. Juli 1978 hat sie während dieser Zeit Rentenanwartschaften i.S.d. § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB in Höhe von monatlich 245 DM erworben. Ferner war sie während der soeben erwähnten Zeit bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder zusatzversichert. Nach der Auskunft dieser Anstalt vom 20. September 1978 hat sie unverfallbare Anwartschaften auf eine (dynamische) Versorgungsrente in Höhe von monatlich 91,45 DM erworben.

3

Durch Beschluß vom 23. Februar 1981 hat das Familiengericht ausgesprochen, daß ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Wegen der Erwägungen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen, wird auf die Begründung seines Beschlusses (Bl. 28, 28R d.A.) verwiesen.

4

Gegen diesen ihm am 10. März 1981 zugestellten Beschluß hat der Antragsgegner am 24. März 1981 Beschwerde erhoben und diese am 8. April 1981 begründet. Er hält die Voraussetzungen des § 1587 c BGB für nicht gegeben.

5

Während des Beschwerdeverfahrens hat die Landesversicherungsanstalt Hannover mitgeteilt, die Rente des Antragsgegners sei nach Art. 2 §§ 32 ff ArVNG mit Wirkung vom 1. Januar 1957 umgestellt worden. Da der Antragsgegner bei "Rentenbeginn noch keine 55 Jahre alt" gewesen sei, enthalte die Rente eine "fiktive besitzgeschützte Zurechnungszeit", die bei der Berechnung des "fiktiven Altersruhegeldes" - soweit sie in die Ehezeit entfalle - zu berücksichtigen sei. Unter Einbeziehung dieser Zurechnungszeit hat der Antragsgegner während der Zeitvom 1. Oktober 1968 bis 30. November 1977 Rentenanwartschaften i.S.v. § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB in Höhe von monatlich 208 DM erworben (vgl. Auskunft der Landesversicherungsanstalt Hannover vom 10. Juni 1981 (Bl. 65-70 d.A.)).

6

Nach Auffassung des Antragsgegners können Anwartschaften, die aufgrund "fiktiver Zurechnungszeiten" errechnet worden sind, beim Versorgungsausgleich keine Berücksichtigung finden, weil diese Anwartschaften nicht während der Ehezeit "durch Arbeitsleistung oder Vermögen" begründet worden sind.

7

Die Antragstellerin hält den angefochtenen Beschluß für zutreffend und tritt insbesondere der letztgenannten Rechtsauffassung entgegen.

8

2.

Die nach § 621 e ZPO zulässige Beschwerde hat sachlich keinen Erfolg.

9

Wie das Familiengericht in seinem angefochtenen Beschluß zutreffend festgestellt hat, findet ein Versorgungsausgleich im Hinblick auf § 1587 c Nr. 1 BGB nicht statt.

10

a)

In die Berechnung des Versorgungsausgleichs könnten nur die Rentenanwartschaften einbezogen werden, welche die Antragstellerin während der Ehezeit - das ist die Zeit vom 1. Oktober 1968 bis 30. November 1977 (§ 1587 Abs. 2 BGB) - erworben hat. Denn nach § 1587 Abs. 1 Satz 1 BGB findet zwischen geschiedenen Ehegatten ein Versorgungsausgleich nur statt, soweit für sie oder einen von ihnen in der Ehezeit Anwartschaften oder Aussichten begründet oder aufrechterhalten worden sind. Diese Voraussetzung ist auf Seiten des Antragsgegnersnicht gegeben. Er bezieht bereits seit dem 1. Juni 1951 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Für die Zeit danach hat er keine Rentenanwartschaften durch "Arbeitsleistung oder Vermögen" mehr begründet. Die von der Landesversicherungsanstalt Hannover mit Auskunft vom 10. Juni 1981 errechneten Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 208 DM beruhen allein auf Zurechnungszeiten, die in die Ehezeit fallen. Solche Anwartschaften müssen bei der Berechnung des Versorgungsausgleichs außer Betracht bleiben (§ 1587 Abs. 1 Satz 2 BGB), weil sie nicht mit Hilfe des Vermögens oder durch Arbeit begründet worden sind (so zutreffend: OLG Bremen, FamRZ 1980, 267; OLG Düsseldorf, FamRZ 1979, 595; AG Charlottenburg, FamRZ 1981, 371, 372; v. Maydell, FamRZ 1980, 509 (513); Ruland, DRV 1980, 48, 68; Bergner, SozVers 1979, 65, 66 und 231). Nach der Begründung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucksache 7/4361, S. 35) ist es "nach der Konzeption des Versorgungsausgleichs nicht vorstellbar, daß ein Recht auf eine Versorgung in den Versorgungsausgleich einbezogen wird, ohne daß während der Ehezeit Anwartschaften oder Aussichten hierauf begründet worden sind". Da die Zurechnungszeit bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres des Versicherten nach § 1260 RVO den bereits zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallszeiten hinzuzurechnen ist, wird der Versicherte so gestellt, als hätte er bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres rechtserhebliche Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben (Müchener-Kommentar (Mayer), § 1587 a BGB, Rdz. 126). Es handelt sich bei dieser beitragslosen Zurechnungszeit also lediglich um eine "rein rechnerische Größe" (AG Charlottenburg, a.a.O., S. 372; Bergner, SozVers. 1979, 231; Ruland, DRV 1980, 48, 68). Der hier vertretenen Auffassung steht nicht die Vorschrift des § 1304 Abs. 1 RVO entgegen. Denn diese Bestimmung ist im Rahmen des Versorgungsausgleichssystemwidrig (so zutreffend: AG Charlottenburg, a.a.O., S. 371), weil die Werteinheiten für die vorerwähnte Zurechnungszeit, die der Antragsgegner allein vor Eingehung der Ehe erworben hat, wegen fehlender gemeinsamer Arbeitsleistung der Parteien in keinem Zusammenhang mit der Ehe stehen (Bergner, a.a.O.; Ruland, a.a.O.). Ob die Vorschrift des § 1304 Abs. 1 RVO verfassungswidrig ist, wie Bergner (Versorgungsausgleich, RWS-Seminarskript, 1980, S. 20 ff und 40) meint, oder ob die Sachwidrigkeit dieser Bestimmung noch nicht so unerträglich ist, "daß sie zur Verfassungswidrigkeit durchschlägt" (so Ruland, DRV 1980, 48, 69), kann letzlich auf sich beruhen. Denn die Systemwidrigkeit des § 1304 Abs. 1 RVO kann durch den in den Vorschriften der §§ 1587 b Abs. 4, 1587 c, 1587 h BGB sowie durch den in Art. 12 Nr. 3 III Satz 3 und 4 des 1. Ehe RG zum Ausdruck gekommenen Gerechtigkeitsgedanken überwunden werden (so zutreffend: AG Charlottenburg, a.a.O.). Im vorliegenden Verfahren ist die Rente des Antragsgegners durch Art. 2 § 32 ff ArVNG mit Wirkung vom 1. Januar 1957 umgestellt worden. Die jetzt in die Ehezeit fallende Zurechnungszeit beruht also auf einer nachträglichen Gesetzesänderung. Soweit hierdurch Rentenanwartschaften geschaffen worden sind, müssen sie gem. § 1587 Abs. 1 S 2 BGB bei dem Versorgungsausgleich außer Betracht bleiben, weil sie weder mit Hilfe des Vermögens noch durch die Arbeit des Antragsgegners begründet worden sind (OLG Bremen, a.a.O.).

11

b.

Müßte die Antragstellerin ihre während der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften ausgleichen, so wäre dies grob unbillig i.S.d. § 1587 c Nr. 1 BGB. Denn eine grobe Unbilligkeit i.S. dieser Vorschrift liegt - jedenfalls im Regelfall - vor, wenn ein Ehegatte während der Ehezeit eine geringe ausgleichspflichtige Versorgung erlangt hat,der andere aber nicht, weil er vor der Ehe Rentner geworden und seine Rente nicht ausgleichspflichtig ist (Palandt-Diederichsen, Komm, zum BGB, 40. Aufl., § 1587 c, Anm. 2; Ruland, NJW 1976, 1719; Belchaus, FamRZ 1973, 342). Im vorliegenden Verfahren gilt nichts anderes. Die Antragstellerin hat während ihres gesamten Berufslebens Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 377,50 DM erworben; davon entfallen in die Ehezeit Anwartschaften in Höhe von monatlich 245 DM. Ferner hat sie während dieser Ehezeit Anwartschaften auf eine VBL-Versorgungsrente in Höhe von monatlich 91,45 DM erlangt, die ebenfalls auszugleichen wären. (Dabei hat der Senat das Problem der Gesamtversorgung (§ 41 der VBL-Satzung) außer Betracht gelassen, weil hierdurch die vorerwähnten Anwartschaften nur äußerst geringfügig verändert werden könnten und diese Veränderung für die nachfolgende Gesamtbetrachtung ohne Bedeutung wäre). Müßte nun die Antragstellerin ihre während der Ehezeit erworbenen Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung "splitten", dann verblieben ihr lediglich Anwartschaften in Höhe von (377,50 DM - (245 DM: 2)) = 255 DM. Ferner müßte sie nach § 1587 b Abs. 3 BGB - die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung auch für VBL-Versorgungsrenten einmal unterstellt - Anwartschaften in Höhe von (91,45 DM: 2) = 45,73 DM durch Beitragszahlung begründen. Hierfür müßte sie (nach den Tabellen 1 und 3 der Rechengrößen-VO 1981 (Nds. Rpfl. 1981, 260)) 9.293,84 DM aufwenden. Doch selbst wenn die Vorschrift des § 1587 b Abs. 3 BGB im Sinne der Rechtsausführungen des Senats in seinem Vorlagebeschluß vom 4. Dezember 1979 (FamRZ 1980, 265; Nds.Rpfl. 1980, 27 f) für verfassungswidrig erklärt würde, soweit sie die VBL-Versorgungsrenten in ihre Regelung einbezieht, änderte sich die versorgungsrechtliche Situation der Antragstellerin nicht grundlegend. Zwar entfiele in diesem Falle ihre vorerwähnte Beitragsverpflichtung. Dafür müßte sie aber höchstwahrscheinlich ihre Anwartschaften auf die VBL-Versorgungsrente "splitten". Mithin verblieben ihr Anwartschaften in Höhe von insgesamt (255 DM + 45,73 DM) = 300,73 DM. Demgegenüber erhielte der Antragsgegner zu seiner Rente von monatlich 752 DM Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 122,50 DM und 45,73 DM. Seine Rente bzw. seine Rentenanwartschaften beliefen sich auf monatlich 920,23 DM. Dies zeigt das grob unbillige Mißverhältnis, das bei Durchführung des Versorgungsausgleichs entstehen würde. Zwar soll nicht verkannt werden, daß die Antragstellerin erst 41 Jahre ist und höchstwahrscheinlich weitere Rentenanwartschaften erwerben wird. Mit Rücksicht auf ihre bisherige "soziale Biographie" und ihre ausgeübte Tätigkeit (Stationshilfe) kann jedoch nicht erwartet werden, daß sie am Ende ihres Berufslebens einen Rentenanspruch haben wird, der an den des Antragsgegners auch nur annähernd heranreicht.

12

Aus diesen Gründen mußte die Beschwerde zurückgewiesen werden.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 3 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Beschwerdewert wird auf 2.018,76 DM festgesetzt.

Der Beschwerdewert ist nach § 17 a GKG festgesetzt worden.

Wendt
Hinnekeuser
Bartels