Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.04.2010, Az.: 3 A 91/08

Nebenleistungen; Pfändung; Pfändung von Nebenforderungen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.04.2010
Aktenzeichen
3 A 91/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41245
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2010:0414.3A91.08.0A

Fundstellen

  • JurBüro 2010, 444-445
  • NVwZ-RR 2010, 590

Amtlicher Leitsatz

Wird die Vollstreckung wegen der Hauptforderung nicht eingeleitet und sollen Nebenleistungen allein beigetrieben werden, so bedarf es für diese Nebenleistungen zwingend eines gesonderten Leistungsbescheides.

Der interne Vollstreckungsauftrag gegenüber dem Vollstreckungsbeamten allein kann nicht im Sinne des § 3 Abs. 2 NVwVG als eine Einleitung der Vollstreckung wegen der Hauptleistung angesehen werden, da der Vollstreckungsauftrag lediglich ein interner Vorgang ist.

Mahnungen hinsichtlich der Hauptforderungen können nicht als eine Einleitung der Vollstreckung im Sinne des § 3 Abs. 2 NVwVG angesehen werden, weil eine Mahnung gemäß §§ 3, 4 NVwVG Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist, selbst jedoch noch keine Vollstreckungshandlung darstellt.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtswidrig gewesen ist.

2

Er ist Eigentümer mehrerer Grundstücke. Hierfür setzte der Beklagte Abfallgebühren fest, und zwar mit Bescheiden vom 15. November 2006. Auf diese Bescheide leistete der Kläger im April 2007 Zahlungen in Höhe der festgesetzten Gebühren.

3

Nach einer Forderungsaufstellung des Beklagten entstanden wegen der verspäteten Zahlung Säumniszuschläge, Mahnungsgebühren und Pfändungsgebühren in Höhe von insgesamt 47,40 EUR.

4

Nach dem Vortrag des Beklagten hat dieser dem Kläger eine Pfändungsankündigung vom 27. März 2007 übersandt, die auch die Forderungsaufstellung über 47,70 EUR enthielt. Der Kläger rügte gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Mai 2007, er habe die Anschreiben nicht erhalten. Der Beklagte übersandte die Forderungsaufstellung unter dem 8. Mai 2007 erneut.

5

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 9. Mai 2007 pfändete der Beklagte bei der Hamburger Sparkasse die Forderungen des Klägers aus seinen Konten. Der Betrag ergibt sich aus den bereits erwähnten 47,70 EUR zzgl. weiterer Kosten für die Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Der Kläger zahlte den geforderten Betrag am 14. Mai 2007.

6

Der Kläger hat am 4. Januar 2008 Klage erhoben. Er trägt vor, sein "Rating" bei der Sparkasse habe sich wegen der Pfändung verschlechtert, und die Hamburger Sparkasse behalte sich das Recht vor, nach der 3. Pfändung die Geschäftsverbindung zu kündigen. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung sei fehlerhaft, wozu der Kläger im Einzelnen Ausführungen zur Sach- und Rechtslage macht.

7

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten vom 9. Mai 2007 rechtswidrig war;

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 489,45 EUR nebst Zinsen zu zahlen (Rechtsanwaltskosten in der Pfändungsangelegenheit).

8

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Er hält die angefochtene Verfügung für rechtmäßig.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

11

Über die Klage kann der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben ( § 101 Abs. 2 VwGO ).

12

Die Klage hinsichtlich des Klageantrages zu 1. ist als Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Abs.1 Satz 4 VwGO zulässig und begründet.

13

Der Kläger hat ein besonderes gesteigertes sogenanntes Fortsetzungsfeststellungsinteresse an der begehrten Feststellung, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten rechtswidrig ist. Dieses Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass ohne die begehrte Feststellung sein "Rating" bei der Sparkasse schlechter wird und zu befürchten ist, dass die Hamburger Sparkasse nach der 3. Pfändung die Geschäftsverbindung kündigt. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, er habe inzwischen schon zum zweiten Mal und ausschließlich wegen angeblicher Mahngebühren und Nebenkosten eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung erhalten. Dies zeigt, dass die begehrte gerichtliche Feststellung für den Kläger von ausschlaggebender wirtschaftlicher Bedeutung ist, da er hierdurch der Sparkasse nachweisen kann, dass die Pfändung rechtswidrig gewesen ist.

14

Es ist festzustellen, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten vom 9. Mai 2007 rechtswidrig gewesen ist.

15

Die Voraussetzungen für den Erlass einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung haben nicht vorgelegen. Nach § 3 Abs. 1 NVwVG darf eine Vollstreckung erst beginnen, wenn ein Leistungsbescheid vorliegt, der unanfechtbar geworden ist oder wenn Rechtsbehelfe gegen ihn keine aufschiebende Wirkung haben. Für die mit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung geltend gemachten Säumniszuschläge, Mahngebühren und Pfändungsgebühren fehlt es an einem entsprechenden Leistungsbescheid.

16

Allerdings kann gem. § 3 Abs. 2 NVwVG von dem Erlass eines Leistungsbescheides bei Nebenleistungen wie Säumniszuschläge, Zinsen und Kosten abgesehen werden, wenn die Vollstreckung wegen der Hauptleistung eingeleitet worden ist und im Leistungsbescheid über die Hauptleistung auf diese Nebenleistungen dem Grunde nach hingewiesen worden ist. Die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschrift liegen jedoch nicht vor.

17

Denn werden Nebenforderungen - wie hier - getrennt von der Hauptforderung vollstreckt, muss ein besonderer Leistungsbescheid ergehen. Nebenleistungen dürfen demzufolge ohne Leistungsbescheid nur beigetrieben werden, wenn auch (zusätzlich) wegen der Hauptforderung die Vollstreckung eingeleitet worden ist. Fehlt diese Voraussetzung, so ist ein Leistungsbescheid erforderlich (Osburg/Bürmann, Verwaltungsvollstreckungsrecht für die Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Kommentar, 1996, § 3 Rn. 6). Mit anderen Worten: Wird die Vollstreckung wegen der Hauptforderung nicht eingeleitet und sollen Nebenleistungen allein beigetrieben werden, so bedarf es für diese Nebenleistungen zwingend eines gesonderten Leistungsbescheides (Bautsch, Nieders. Verwaltungsvollstreckungsrecht, 1983, § 3 Anm. 2).

18

Im vorliegenden Fall ist wegen der Hauptforderung die Vollstreckung nicht eingeleitet worden.

19

Allerdings hat der Beklagte unter dem 26. März 2007 dem Vollstreckungsbeamten des Landkreises einen Vollstreckungsauftrag zugeleitet, der die Nebenleistungen, aber auch die Hauptforderungen - die Abfallgebühren - umfasst hat. Der interne Vollstreckungsauftrag allein kann jedoch noch nicht im Sinne des § 3 Abs. 2 NVwVG als eine Einleitung der Vollstreckung wegen der Hauptleistung angesehen werden. Denn der bloße Vollstreckungsauftrag stellt lediglich einen internen Vorgang dar (Osburg/Bürmann, a.a.O., § 8 Rn. 2), so dass die Vollstreckung erst im Sinne des § 3 Abs. 2 NVwVG eingeleitet wird, wenn der Vollstreckungsbeamte - oder auch der Vollstreckungsgläubiger - eine Vollstreckungstätigkeit nach außen hin gegenüber dem Schuldner entfaltet.

20

Selbst wenn man es als Einleitung der Vollstreckung ansehen wollte, wenn der Schuldner vom Vollstreckungsauftrag durch die Behörde oder durch den Vollstreckungsbeamten in Kenntnis gesetzt wird - somit für den Schuldner ein Tätigwerden des Vollstreckungsbeamten sozusagen unmittelbar bevorsteht -, so führte das im vorliegenden Fall nicht weiter, da der Kläger unwidersprochen vorgetragen hat, er habe die Pfändungsankündigung vom 27. März 2007 nicht erhalten.

21

Im Hinblick auf die dem Kläger unter dem 8. Mai 2007 übersandte Forderungsaufstellung kann ein Einleiten der Vollstreckung hinsichtlich der Hauptforderung im Sinne des § 3 Abs. 2 NVwVG ebenfalls nicht gesehen werden. Denn diese Forderungsaufstellung enthält die - inzwischen getilgten - Hauptforderungen nicht mehr, da insoweit mittlerweile ein Ausgleich vorgenommen worden war. Diese Forderungsaufstellung kann nach ihrer verständigen Auslegung auch nicht als Leistungsbescheid im Sinne des § 3 Abs. 1 NVwVG ausgelegt werden, der den Beklagten zum Erlass einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung berechtigen würde - abgesehen davon, dass in Beziehung hierauf die übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 3 und 4 NVwVG nicht vorliegen.

22

Schließlich können die vor Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung versandten Mahnungen hinsichtlich der Hauptforderungen nicht als eine Einleitung der Vollstreckung im Sinne des § 3 Abs. 2 NVwVG angesehen werden, weil eine Mahnung gemäß §§ 3, 4 NVwVG Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist, selbst jedoch noch keine Vollstreckungshandlung darstellt (Osburg/Bürmann, a.a.O., § 4 Rn. 2; Bautsch, a.a.O., § 4 Rn. 5 und 6).

23

Auf die übrigen von den Beteiligten angesprochenen Rechtsprobleme kommt es deshalb nicht mehr an. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist allein deshalb rechtswidrig gewesen, weil es zur Vollstreckung des aufgeführten Betrages den erforderlichen Leistungsbescheid nicht gegeben hat.

24

Der Antrag des Klägers zu 2. hat keine eigenständige Bedeutung und muss in diesem Klageverfahren nicht beschieden werden. Es handelt sich erkennbar um die Geltendmachung von Gebühren und Auslagen des Rechtsanwaltes. Über diese Gebühren und Auslagen kann und muss der Urkundsbeamte des Gerichtes auf entsprechenden Antrag gesondert entscheiden ( §§ 162, 164 VwGO ). Es handelt sich gleichsam um einen "vorweggenommenen" Kostenerstattungsantrag, nicht aber um ein eigenständiges im Rahmen des Urteils abzuhandelndes Klagebegehren.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.