Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 25.09.1985, Az.: 9 U 217/84
Anspruch auf Auszahlung restlichen Abfindungsguthabens; Zulässigkeit einer Aufrechnung im Konkursverfahren; Entgelt für den Verlust der Gesellschaftsanteilen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 25.09.1985
- Aktenzeichen
- 9 U 217/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 15073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1985:0925.9U217.84.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 02.10.1984 - AZ: 14 O 264/84
Rechtsgrundlagen
- § 389 BGB
- § 55 Nr. 1 KO
- § 15 Abs. 3 GmbHG
- § 138 BGB
- § 103 Abs. 1 KO
Fundstellen
- GmbHR 1986, 120-121 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1986, 663-665 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1985, 1392-1394
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Regelungen über die Anfechtbarkeit wegen Gläubigerbenachteiligung gemäß der §§ 29 fortfolgende KO (Konkursordnung) haben abschließenden Charakter.
- 2.
Steht fest, dass ein Anspruch eines Gemeinschuldners auf ein Abfindungsguthaben bereits vor Konkurseröffnung bedingt entstanden war, kommt es nicht mehr darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Gemeinschuldner aus der Gesellschaft ausgeschieden ist, da ein Fall des § 54 KO (Konkursordnung) vorliegt, der den Aufrechnungsverboten des § 55 KO vorgeht.
In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 2. Oktober 1984 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Wert der Beschwer: DM 17.723,49
Tatbestand
Der Kläger, Konkursverwalter einer Aktiengesellschaft, macht den Anspruch auf Auszahlung restlichen Abfindungsguthabens in Höhe von DM 17.723,49 nebst Zinsen für das Ausscheiden der Aktiengesellschaft aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geltend. Beklagte sind eine Kommanditgesellschaft, sowie deren persönlich haftender Gesellschafter. Die Aktiengesellschaft und die Kommanditgesellschaft waren alleinige Gesellschafter der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Es herrscht zwischen den Parteien Einvernehmen darüber, daß die Aktiengesellschaft aufgrund folgender Vorschrift des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft mit beschränkter Haftung aus dieser ausgeschieden ist:
§ 9 Ausscheiden
Ein Gesellschafter, der in Konkurs fällt oder über dessen Vermögen der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt wird, oder bei dem ein solcher Antrag mangels Masse abgelehnt wird, scheidet zu dem vorerwähnten Zeitpunkt aus. Sein Geschäftsanteil geht zu diesem Zeitpunkt auf den oder die anderen Gesellschafter zum Nennwert über.
Die Beklagten haben die Aufrechnung mit Gegenforderungen in Höhe der Klagforderung erklärt. Die - mittlerweile unbestrittenen - Gegenforderungen stehen teilweise der Kommanditgesellschaft, der Beklagten zu 1), und im übrigen deren persönlich haftendem Gesellschafter, dem Beklagten zu 2), zu und bestanden bereits vor Konkurseröffnung.
Der über die Gegenforderungen hinausgehende Anspruch auf Auszahlung des Abfindungsguthabens wurde von den Beklagten außerprozessual anerkannt, und zwar gemäß der zitierten Vertragsvorschrift berechnet nach dem Nennwert.
Einen Erwerb von Gesellschaftsanteilen zum Nennwert sah der Gesellschaftsvertrag noch in § 5 des Gesellschaftsvertrages vor: Danach war die beklagte KG verpflichtet, vor einer Abtretung oder Veräußerung ihres Gesellschaftsanteils diesen ihrer Mitgesellschafterin zum Nennwert anzubieten.
Der Kläger ist der Ansicht, die von den Beklagten erklärten Aufrechnungen verstießen gegen § 55 Nr. 1 KO.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Zeitpunkt, zu dem die Gesellschaftsanteile gemäß § 9 des Gesellschaftsvertrages übergegangen seien, vor dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung gelegen habe. Deshalb stehe § 55 KO der Aufrechnung nicht entgegen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und insbesondere geltend macht, das Landgericht habe den § 9 des Gesellschaftsvertrages falsch ausgelegt.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Der Anspruch der Gemeinschuldnerin gegen die Beklagten auf Zahlung des restlichen Abfindungsguthabens ist durch Aufrechnungen der Beklagten zu 1) und des Beklagten zu 2) gem. § 389 BGB erloschen. § 55 Nr. 1 KO, wonach eine Aufrechnung im Konkursverfahren unzulässig ist, wenn jemand vor oder nach der Eröffnung des Konkurses eine Forderung an dem Gemeinschuldner erworben hat und nach der Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist, steht der Wirksamkeit der von den Beklagten erklärten Aufrechnung nicht entgegen. Der Abfindungsanspruch der späteren Gemeinschuldnerin bestand nämlich aufgrund der wirksamen Regelung in § 9 des Gesellschaftsvertrages als bedingter Anspruch bereits vor Konkurseröffnung. Für zur Zeit der Konkurseröffnung bedingt bestehende Forderungen ist die Aufrechnung gemäß § 54 Abs. 1 KO zulässig.
Im einzelnen:
1.
a)
Die Formvorschrift des § 15 Abs. 3 GmbHG ist gewahrt; der Gesellschaftsvertrag ist notariell beurkundet.
b)
Bei isolierter Betrachtung des § 9 des Gesellschaftsvertrages könnten Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der darin getroffenen Vereinbarung über das Ausscheiden bestehen, weil eine Abfindung zum Nennwert ein nicht vollwertiges Entgelt für den Verlust der Gesellschaftsanteile darstellen könnte und daher eine Gläubigerbenachteiligung in Betracht zu ziehen ist, die gem. § 138 BGB zur Nichtigkeit führen kann. Diese Bedenken erweisen sich im Ergebnis als unbegründet.
Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung BGHZ 32, 151 (156) [BGH 07.04.1960 - II ZR 69/58] ausgeführt, die Gesellschafter einer GmbH hätten zwar ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse daran, das Eindringen eines Dritten in die Gesellschaft zu verhindern, doch verstoße eine Satzungsbestimmung gegen gute Sitte und sei von § 15 Abs. 5 GmbHG nicht gedeckt, die die Einziehung eines Geschäftanteils eigens für den Fall seiner Pfändung oder des Konkurses seines Inhabers gegen nicht vollwertiges Entgelt vorsehe. Für eine Abtretung, wie sie in § 9 des Gesellschaftsvertrages vereinbart wurde, kann insoweit nichts anderes gelten, da durch diese der Gesellschaftsanteil den Gläubigern als Haftungsobjekt ebenso entzogen wird wie durch eine Einziehung.
Mit Recht hat der Bundesgerichtshof aber in BGHZ 65, 22 (26) [BGH 12.06.1975 - II ZB 12/73] betont, daß die Vereinbarung eines nicht vollwertigen Entgelts (es sollte der Firmenwert unberücksichtigt bleiben) für die Einziehung des Gesellschaftsanteils dann nicht zur Unwirksamkeit führe, wenn eine derartige Regelung nicht lediglich für die Fälle der Zwangsvollstreckung in einen Geschäftsanteil, des Konkurs- und des Vergleichsverfahrens vorgesehen sei. So liegt es auch im vorliegenden Fall. Zwar greift § 9 des Gesellschaftsvertrages nur im Konkursfall ein. § 5 des Gesellschaftervertrages sieht aber eine Anbietungspflicht zum Nennwert auch im Fall einer Veräußerungsabsicht der Beklagten zu 1) vor. Damit ist der Abfindungswert der Gesellschaftsanteile der Beklagten zu 1) nicht nur zu Lasten von Konkursgläubigern, sondern auch für den Fall freiwilligen und konkursunabhängigen Ausscheidens der Beklagten zu 1) auf den Nennwert der Gesellschaftsanteile festgelegt. Sind somit die Konkursgläubiger hinsichtlich der Verwertung des im Gesellschaftsanteil verkörperten Wertes wirtschaftlich nicht schlechter gestellt als der Gesellschafter, der ebenfalls zum Nennwert abzufinden wäre, dient § 9 des Gesellschaftsvertrages nicht lediglich der Gläubigerbenachteiligung und ist nicht gem. § 138 BGB nichtig. Das gilt umsomehr, als der wahre Wert der Beteiligung auch unter dem Nennwert hätte liegen können; dann würde die Abfindung zum Nennwert die Konkursgläubiger begünstigen.
Auf die Frage, ob § 138 BGB unter dem Gesichtspunkt der Gläubigerbenachteiligung nicht zum Zuge kommen kann, weil die Regelungen über die Anfechtbarkeit wegen Gläubigerbenachteiligung gem. §§ 29 ff. KO abschließenden Charakter haben (so RGZ 74, 224, 226; 170, 328 (332); BGHZ 56, 339, 355 [BGH 05.07.1971 - II ZR 176/68]; Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, München 1973, S. 116 ff. m.w. N.; a.A. Uhlenbruck, Anm. zu BAG Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 4 zu § 30 KO), braucht daher nicht eingegangen zu werden.
2.
Die danach ursprünglich begründet gewesene Forderung der Gemeinschuldnerin ist durch die von den Beklagten erklärten Aufrechnungen erloschen.
a)
§ 55 Nr. 1 KO steht der Aufrechnung allerdings nicht entgegen. Der Senat hat zwar große Zweifel, ob § 9 des Gesellschaftsvertrages dahin ausgelegt werden kann, daß die Gemeinschuldnerin schon mit Stellung des Konkursantrages aus der Gesellschaft ausgeschieden ist und die Beklagten deshalb vor der Eröffnung des Konkursverfahrens überhaupt nichts zur Masse schuldig geworden sind. Der Wortlaut dieser Vertragsbestimmung ist ungereimt, weil er mit dem Antragsgrundsatz des § 103 Abs. 1 KO nicht in Einklang steht. Es erscheint kaum gerechtfertigt, daß ein Gesellschafter schon bei Einreichung eines später vor Konkurseröffnung zurückgenommenen, eines unbegründeten oder gar eines rechtsmißbräuchlichen Konkursantrages ausscheiden sollte. Den Interessen der Gesellschafter und des Unternehmens an einer klaren, allen Belangen gerecht werdenden Regelung dürfte es mehr entsprechen, wenn der Gesellschafter im Zeitpunkt der Konkurseröffnung oder der Ablehnung mangels Masse ausscheidet.
b)
Aber auch diese Frage braucht nicht weiter vertieft zu werden. Denn die Berufung ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil § 55 Nr. 1 KO der Aufrechnung der Beklagten auch dann nicht entgegensteht, wenn der Gesellschafter erst "mit" der Eröffnung des Konkursverfahrens aus der Gesellschaft ausscheidet oder, wie der Kläger meint, sogar erst eine "logische Sekunde" danach. Die Gemeinschuldnerin hatte nämlich bereits mit Abschluß des Gesellschaftsvertrages einen bedingten Anspruch auf das Abfindungsguthaben erlangt.
Der Übergang der Gesellschaftsanteile zum Nennwert ist von einem Ungewissen Ereignis, nämlich dem Konkurs eines Gesellschafters abhängig gemacht. Damit liegt eine aufschiebende Bedingung vor. In einem ähnlich gelagerten Fall, dem auch die Frage der Zulässigkeit der Konkurs-Aufrechnung zugrunde lag, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht 1908, S. 626) ebenfalls einen bedingten Anspruch eines aus einer juristischen Person ausscheidenden Gemeinschuldners angenommen, und zwar den Anspruch eines Genossen auf Auszahlung seines Geschäftsguthabens, der bedingt gewesen sei durch die Lösung des Verhältnisses zwischen dem Genossen und der Genossenschaft. Ein Unterschied liegt zwar insofern vor, als der Genosse gemäß § 22 GenG ein Kündigungsrecht hat, durch dessen Ausübung - die im Falle des OLG Frankfurt durch den Konkursverwalter erfolgt war - die Bedingung erfüllt wird, während das GmbHG eine Kündigung nicht vorsieht; doch tritt im vorliegenden Fall an die Stelle der fehlenden Kündigungsmöglichkeit das in § 9 des Gesellschaftsvertrages für den Fall des Konkurses vereinbarte Ausscheiden, wodurch der Abfindungsanspruch des Gesellschafters in ähnlicher Weise bedingt besteht wie der Anspruch auf das Geschäftsguthaben für den Genossen. Das Reichsgericht hat für das Bestehen eines bedingten Anspruchs, gegen den gem. § 54 KO aufgerechnet werden könne, darauf abgestellt, ob die Forderung "in ihrem Kern schon vor der Konkurseröffnung" entstanden sei (RGZ 121, 367, 371). Dieses hat das Reichsgericht beim Wiederkauf bejaht für den Anspruch des Verkäufers auf den Wiederkaufspreis (RGZ 121, 367, 369, bestätigt von BGHZ 29, 107, 110) [BGH 17.12.1958 - V ZR 51/57]. Als Bedingung wurde vom Reichsgericht die Ausübung des Wiederkaufsrechts angesehen. Der Anspruch der späteren Gemeinschuldnerin auf das Abfindungsguthaben wurde in ähnlicher Weise ebenfalls vor dem Konkurs seinem Kern nach begründet, und zwar bereits im Gesellschaftsvertrag. Das Entstehen der jeweiligen Rechte und Pflichten, deren Umfang bereits festgelegt war, hing im Fall des Reichsgerichts wie im vorliegenden lediglich noch vom Eintritt des Ereignisses - Ausübung des Wiederkaufsrechts bzw. Konkurs - ab. Bei dem Anspruch des aufgrund gesellschaftsvertraglicher Vorschriften aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausscheidenden Gemeinschuldners liegt die Annahme einer Bedingung im Sinne von § 54 KO sogar noch näher, da der Bedingungseintritt vom Willen der Beteiligten unabhängig war (siehe zur Problematik der "Potestativbedingung" und der "Wollensbedingung" Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., § 38 2 c,d; Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 6. Auflage, § 25 I).
3.
Steht somit fest, daß der Anspruch der Gemeinschuldnerin auf das Abfindungsguthaben bereits vor Konkurseröffnung bedingt entstanden war, kommt es für die Entscheidung nicht mehr darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Gemeinschuldnerin aus der Gesellschaft ausgeschieden ist, da ein Fall des § 54 KO vorliegt, der den Aufrechnungsverboten des § 55 KO vorgeht (vgl. Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 9. Aufl., § 55 Rn. 7; Jaeger/Lent, Konkursordnung, Erster Band, 8. Aufl., § 55 Rn. 1).
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Satz 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 und 713 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Wert der Beschwer: DM 17.723,49