Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.03.2024, Az.: 15 A 3025/21

Kostenfestsetzung nach Verfahrenstrennung in Asylrechtsstreit

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.03.2024
Aktenzeichen
15 A 3025/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 11410
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2023:0531.15A3025.21.00

Fundstellen

  • RENOpraxis 2024, 87
  • ZAP EN-Nr. 220/2024
  • ZAP 2024, 308-309

Amtlicher Leitsatz

In asylrechtlichen Verfahren kann der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt nach Verfahrenstrennung gemäß § 93 VwGO eine Festsetzung der Gebühren nur anteilig nach dem Gesamtgegenstandswert im Ausgangsverfahren geltend machen. Anders als in allgemeinen Verfahren besteht für ihn kein Wahlrecht, stattdessen die Festsetzung aus den jeweiligen Einzelgegenstandswerten nach Verfahrenstrennung zu verlangen. Eventuelle Unbilligkeiten lassen sich über die Anwendung des § 30 Abs. 2 RVG ausgleichen (entgegen u.a. VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 17. Januar 2024 1 KE 38/23.A , juris).

Beschluss
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 15. Kammer - am 4. März 2024 durch den Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 15. August 2023 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 28. August 2023 wird hinsichtlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Kläger abgeändert. Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird der Urkundsbeamtin übertragen.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Kläger.

Gründe

I.

Die Beklagte und Erinnerungsführerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 15. August 2023.

In dem ursprünglich zwischen den Beteiligten geführten Hauptsacheverfahren 15 A 5228/17 begehrten die drei Kläger und Erinnerungsgegner sowie ihre Tochter mit einer am 4. Juli 2017 erhobenen Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung trennte das Gericht das Verfahren der Kläger durch Beschluss vom 14. September 2021 zum jetzigen Aktenzeichen ab. Das Gericht gab der Klage der im Verfahren 15 A 5228/17 verbliebenen Klägerin mit Urteil vom 9. September 2021 statt und erlegte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Im Hinblick auf einen von der Beklagten im Verfahren 15 A 5228/17 gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung setzte das Gericht das Verfahren der Kläger durch Beschluss vom 26. Oktober 2021 aus. Mit Beschluss vom 5. April 2023 (9 LA 255/21) lehnte das Nds. Oberverwaltungsgericht den Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung ab und erlegte ihr die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens auf. Das wiederaufgenommene Verfahren 15 A 3025/21 wurde nach einer durch die Beklagte erfolgte Klaglosstellung mit Beschluss vom 31. Mai 2023 eingestellt, die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt.

Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2023 und - auf einen Hinweis der Urkundsbeamtin - ergänzendem Schriftsatz vom 1. August 2023 ließen die Kläger beantragen, ihnen die außergerichtlichen Kosten (Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert von 7.000 Euro, Terminsgebühr aus einem Gegenstandswert von 8.000 Euro sowie Auslagenpauschale zzgl. Umsatzsteuer) festzusetzen.

Im Verfahren 15 A 5228/17 wurde für die Tochter der Kläger beantragt, die außergerichtlichen Kosten (1. Instanz: Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert von 8.000 Euro, Terminsgebühr aus einem Gegenstandswert von 8.000 Euro sowie Auslagenpauschale zzgl. Umsatzsteuer, 2. Instanz: Verfahrensgebühr aus einem Gegenstandswert von 5.000 Euro sowie Auslagenpauschale zzgl. Umsatzsteuer) festzusetzen.

Im Verfahren der 15 A 5228/17 der Tochter der Kläger setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. August 2023 die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten betreffend beide Rechtszüge auf 867,75 EUR fest. In ihrer Berechnung legte sie in Bezug auf die 1. Instanz - ausgehend von vier Klägern - einen Gegenstandswert von 8.000 Euro zugrunde und hielt - im Hinblick auf den Abtrennungsbeschluss vom 14. September 2021 - einen Anteil von jeweils 1/4 der Verfahrensgebühr 3100 VV-RVG und der Terminsgebühr 3102 VV-RVG zuzüglich der Auslagenpauschale und Umsatzsteuer sowie die geltend gemachten Kosten für die 2. Instanz für erstattungsfähig.

Mit dem streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. August 2023 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 28. August 2023 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die von der Beklagten an die dortigen drei Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.138,71 EUR zuzüglich Zinsen ab dem 7. Juni 2023 fest. Dabei legte sie in Bezug auf die Verfahrensgebühr 3100 VV-RVG - ausgehend von drei Klägern - einen Gegenstandswert von 7.000 Euro zugrunde und hielt 1,3 Gebühren ohne Aufteilung nach Kopfteilen für erstattungsfähig. In Bezug auf die Terminsgebühr 3104 VV-RVG setzte sie unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von 8.000 Euro 3/4 der Terminsgebühr fest. Zur Begründung führte die Kostenbeamtin aus, die Verfahrensgebühr sei nach dem Streitwert des neuen (abgetrennten) Verfahrens zu berechnen, der 7.000 Euro betrage. Nach einer Abtrennung handele es sich um zwei Angelegenheiten. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger sei nach der Abtrennung des Verfahrens weiter tätig geworden, sodass die Verfahrensgebühr 3101 VV-RVG in Höhe von 1,3 Gebühren entstanden sei. Die Terminsgebühr sei nach dem alten Streitwert in Höhe von 8.000 Euro im Ursprungsverfahren zu berechnen und dann entsprechend des Antrags der Kläger zu quoteln.

Am 25. August 2023 hat die Beklagte gerichtliche Entscheidung gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse beantragt. Zur Begründung macht sie geltend, für die Berechnung der Verfahrensgebühr sei der zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Gebühr anzunehmende Gegenstandswert maßgeblich. Ursprünglich seien vier Personen beteiligt gewesen, später sei das Verfahren von drei Klägern abgetrennt und unter einem neuen Aktenzeichen fortgeführt worden. Mit der Regelung in § 30 RVG habe der Gesetzgeber gezeigt, dass nicht "Einzel-Streitwerte" maßgeblich seien, sondern für Klageverfahren nach dem Asylgesetz auf ein Gesamtinteresse abzustellen sei. Weil die Gebühr bereits vor der Abtrennung des Verfahrens entstanden sei und sich nach dem Gegenstandswert für vier Personen bemesse, sei von einem Streitwert von 8.000,00 Euro auszugehen, die Gebühren sowie die Auslagenpauschale seien dabei entsprechend der Kopfteile der Kläger aufzuteilen.

Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung (nach Korrektur des ebenfalls gerügten Datums betreffend die Verzinsung) nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Über den Antrag auf Entscheidung des Gerichts gemäß §§ 165, 151 VwGO (Erinnerung) entscheidet der Einzelrichter. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist ein von der Kostenlastentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren. Deshalb entscheidet das Gericht über eine Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin in derselben Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostenlastentscheidung getroffen wurde.

Die zulässige Erinnerung ist begründet. Die durch Beschluss vom 15. August erfolgte Festsetzung der von der Beklagten Kosten ist unrichtig erfolgt.

Für allgemeine, d.h. nicht das Asylrecht betreffende Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (Beschluss vom 4. September 2009 - 9 KSt 10.09 - juris Rn. 5) dass der Rechtsanwalt bei durch Abtrennung verselbständigten Verfahren ein Wahlrecht hat, ob er die Festsetzung der Gebühren aus dem Gesamtstreitwert vor der Abtrennung oder die Gebühren aus den Einzelstreitwerten nach der Trennung geltend macht (vgl. Müller-Raabe, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, Rn. 61 ff.) Jedoch ist zur Überzeugung des Gerichts ein solches Wahlrecht für Klageverfahren nach dem Asylgesetz nicht gegeben. Die Festsetzung eines Streitwertes in einem allgemeinen Verfahren erfolgt nach völlig anderen Grundsätzen als dies bei der Festsetzung des Gegenstandswertes in asylrechtlichen Verfahren der Fall ist.

In nicht gerichtskostenfreien Verfahren löst jede Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht Gerichtsgebühren aus, die sich grds. nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert) errechnen, der nach Abschluss des Verfahrens endgültig festzusetzen ist. Dieser Wert ist gem. § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend.

Der Streitwert ist gem. § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache zu bemessen. Durch die Verbindung von Verfahren gem. § 93 VwGO wandeln sich bisher selbständige Verfahren in ein einziges um, dessen Streitwert sich durch Addition der zuvor selbständigen Verfahren ergibt (vgl. VGH München, Beschluss vom 3. Mai 2023 - 8 C 23.553 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Umgekehrt gilt, dass die (Einzel-) Streitwerte abgetrennter Verfahren in ihrer Summe den ursprünglichen Gesamtstreitwert des Ausgangsverfahren abbilden. Die Verbindung oder Trennung von Verfahren lässt demgemäß die Summe des Gesamtstreitwertes unberührt, was durchaus auch berechtigt ist, weil sich durch eine solche prozessuale Maßnahme die für den (bzw. die) Kläger ergebende Bedeutung der Sache nicht ändert. Der Rechtsanwalt kann in diesem Fall allerdings wählen, ob er die Gebühren in dem Verfahren vor der Trennung auf der Grundlage des noch höheren Gesamtstreitwertes geltend macht oder die Gebühren der getrennten Verfahren mit jeweils niedrigeren Einzelstreitwerten.

Diese Systematik der Gebührenbemessung lässt sich auf gerichtliche Verfahren nach dem Asylgesetz nicht übertragen.

In Asylverfahren findet aufgrund der in § 88 Satz 2 VwGO geregelten Gerichtskostenfreiheit keine Streitwertfestsetzung statt, so dass auch § 32 RVG für die Gebührenbemessung keine Anwendung findet. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 30 Abs. 1 RVG bestimmt, dass der Gegenstandswert im Hauptsacheverfahren personenbezogen 5.000,00 EUR und für jede weitere Person 1.000,00 EUR beträgt. Nur in besonderen Einzelfällen kann das Gericht aus Gründen der Billigkeit einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen (§ 30 Abs. 2 RVG). Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass der gemeinsamen Klage mehrerer Personen im Asylverfahren in der Regel ein gemeinsamer oder doch vergleichbarer Lebenssachverhalt zugrunde liegt, was den Aufwand für den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt mindert. Dem trägt die Regelung durch den (in Vergleich zu Einzelklagen) verminderten Gegenstandwert Rechnung. Dies zeigt, dass sich der Gesetzgeber für die Gebührenforderungen nicht nach Einzel-"Streitwerten" richten wollte, sondern ein Gesamtinteresse für Klageverfahren nach dem Asylgesetz spezifisch festgelegt hat (so auch VG Würzburg, Beschluss vom 20. Januar 2020 - W 3 M 18.32375 -, juris Rn. 13).

Eine andere Betrachtungsweise würde dazu führen, dass die Anordnung einer Trennung nach § 93 VwGO in asylrechtlichen Verfahren - anders als in allgemeinen Verfahren - eine erhebliche Erhöhung der Summe des Gesamtgegenstandswertes und damit letztlich auch der Gebührenforderungen zur Folge hat. So würde bspw. der Gegenstandswert des asylrechtlichen Hauptsacheverfahrens einer zehnköpfigen Familie ursprünglich 14.000 Euro (5.000 + 9 x 1.000) betragen und sich im Falle einer Trennung in zehn Einzelverfahren in der Summe auf 50.000 Euro (10 x 5.000) erhöhen, ohne dass sich die Bedeutung der Sache für die jeweiligen Kläger geändert hätte. Ein nachvollziehbarer Grund, weshalb einer bloßen prozessleitenden Anordnung des Gerichts, die im Interesse einer zweckmäßigen Gestaltung des Verfahrens erfolgt, eine derartige Auswirkung auf die Gebühren für die rechtsanwaltliche Tätigkeit zukommen sollte, ist nicht erkennbar.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 17. Januar 2024 - 1 KE 38/23.A -, juris Rn. 11) begründet seine dem entgegenstehende Ansicht damit, dass die dem § 30 Abs. 1 Satz 2 RVG zugrundeliegende Erwägung, einer Asylklage mehrerer Personen läge regelmäßig ein vergleichbarer Lebenssachverhalt zugrunde, der den Arbeitsaufwand des Prozessbevollmächtigten vermindere, jedenfalls dann nicht zutreffe, wenn das ursprünglich von den Klägern gemeinsam verfolgte Klagebegehren nach Trennung in separaten Verfahren weiterverfolgt werde, die eine eigenständige, unterschiedliche Entwicklung nehmen könnten (ebenso VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Juli 2022 - 13a K 4238/21.A -, juris Rn. 38, sowie VG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Juli 2023 - 26 K 424/20.A, juris Rn. 8, die die Berücksichtigung eines eigenständigen Gegenstandswertes jedenfalls dann für gerechtfertigt halten, wenn dem abgetrennten Verfahren ein eigenständiges Gewicht zukommt und es sich nicht etwa in der bloßen verfahrensrechtlichen Einstellung nach Abtrennung erschöpft). Einer solchen eher als Ausnahme zu betrachtende Fallgestaltung - die hier auch nicht vorliegt -, ließe sich indes über § 30 Abs. 2 RVG lösen, der es dem Gericht in besonderen Einzelfällen erlaubt, aus Gründen der Billigkeit einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen.

Angesichts dessen ist dem Rechtsanwalt für Klageverfahren nach dem Asylgesetz kein Wahlrecht im obigen Sinne zuzugestehen, da dem Gericht eine entsprechende einzelne Festsetzung des Gegenstandswerts für das ursprüngliche und das abgetrennte Verfahren aufgrund der Regelung in § 30 Abs. 1 RVG verwehrt bleibt.

Die Kläger können unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von 8.000 Euro nur eine Festsetzung der Verfahrens- und Terminsgebühren zu einem Anteil von 3/4 beanspruchen, während der übrige Anteil von 1/4 von der Klägerin im Verfahren 15 A 5228/17 geltend zu machen ist, was auch erfolgt ist.

Die Pauschale für die Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV- RVG in Höhe von 20 EUR ist demgegenüber ungekürzt anzusetzen. Nach der Trennung handelt es sich nicht mehr um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG, weshalb die Pauschale in jedem Verfahren gesondert beantragt werden kann. § 30 Abs. 1 RVG steht dem nicht entgegen, da die Höhe des Gegenstandswertes auf die Höhe der Auslagenpauschale keinen Einfluss hat.

Die Übertragung der abschließenden Kostenfestsetzung auf die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beruht auf § 173 VwGO i.V.m. § 573 Abs. 1 Satz 3 und § 572 Abs. 3 ZPO (VG Würzburg, Beschluss vom 21. März 2018 - W 5 M 17.1421 -, juris Rn. 23 m.w.N.).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).