Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.01.2016, Az.: 2 Ss 188/15

Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen bei Veurteilung nach § 266a Abs. 1 StGB

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.01.2016
Aktenzeichen
2 Ss 188/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 20361
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0112.2SS188.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 03.06.2015 - AZ: 5 Ns 77/14

Fundstellen

  • NZI 2016, 6
  • StV 2017, 121-122
  • WiJ 2017, 8
  • ZInsO 2016, 1665-1667
  • wistra 2016, 334-335

Amtlicher Leitsatz

Der Tatrichter muss bei einem Schuldspruch nach § 266a Abs. 1 StGB Feststellungen zu der Anzahl der Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiten, der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen treffen, es sei denn, die Feststellungen dazu beruhen auf Beitragsnachweisen.

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionen - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Verden zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Nienburg/Weser hat die Angeklagten am 17. Juni 2014 vom Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 22 Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Verden dieses Urteil am 3. Juni 2015 aufgehoben und die Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 22 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von jeweils 75 Tagessätzen zu 8 € (Angeklagter R. F.) bzw. 25 € (Angeklagter S. P. F.) verurteilt.

Hiergegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten Revisionen der Angeklagten mit den Rügen der Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten Gesellschafter der F. Transport GbR, A. D. in N. und betrieben das Unternehmen gemeinsam. Die GbR transportierte mit LKWs Container und Stückgut. Sie beschäftigte anfangs etwa 10 bis 12 Mitarbeiter. Der Angeklagte S. F. war überwiegend für den Fuhrpark und die Fahrer zuständig. Der Angeklagte R. F. übernahm die Büroarbeiten. Die Buchhaltung war überwiegend sein Bereich. Er überwies in der Regel die Löhne an die Beschäftigten, wobei der Angeklagte S. F. dies auch zum Teil tat. Den Kontakt zu den Mitarbeitern hielt ganz überwiegend der Angeklagte S. F. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2012 beantragte die B. Ersatzkasse die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GbR. Diesen Antrag erklärte sie später mit Schreiben vom 30. Januar 2013 für erledigt. Einen weiteren Insolvenzantrag stellte die Knappschaft B. S. unter dem 17. Dezember 2012. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 27. Juni 2013 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Der vorläufige Insolvenzverwalter bezifferte die fälligen Zahlungsverpflichtungen der GbR in seinem Gutachten vom 12. August 2013 auf 190.443,26 €. Die Angeklagten betrieben die GbR noch bis Mai/Juni 2013. In der Zeit von November 2011 bis September 2012 beschäftigte die GbR u. a. die Zeugen T., S. und W. Diese waren ordnungsgemäß gemeldet. In diesem Zeitraum führten die Angeklagten entgegen der ihnen bekannten gesetzlichen Verpflichtungen die sich aus den jeweiligen Lohnzahlungen im genannten Zeitraum ergebenden Beiträge der Beschäftigten zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 7.952,55 € bei Fälligkeit nicht an die zuständige Einzugsstelle ab, im Einzelnen wie folgt:

für den bei der B. GEK versicherten Arbeitnehmer M. T. für die Monate

1. - 4. Februar - Mai 2012 jeweils € 368,55,

5. Juni 2012 € 278,84,

6. Juli 2012 € 712,53,

7. - 8. August und September 2012 jeweils € 655,20,

für den bei der B. 24 versicherten Arbeitnehmer M. S. für die Monate

9. März 2012 € 207,52 €,

10. -11. April und Mai 2012 jeweils € 246,90,

12. Juni 2012 € 139,91,

für den bei der D. versicherten Arbeitnehmer D. W. für die Monate

13. November 2011 € 130,96,

14. Januar 2012 € 255,99 €,

15. - 22. Februar - September 2012 jeweils € 368,55.

Die Arbeitnehmer T., S. und W. bekamen ihren Lohn in der Zeit von November 2011 bis September 2012 von den Angeklagten vollständig überwiesen.

III.

Die Revisionen haben Erfolg. Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge aufzuheben, weil die Feststellungen des Landgerichts die Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB nicht tragen.

Der Tatrichter muss bei einem Schuldspruch nach § 266a Abs. 1 StGB die der Sozialversicherung geschuldeten Beiträge feststellen, um die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils zu ermöglichen. Festzustellen sind diese nach Anzahl, Beschäftigungszeiten und Löhnen der Arbeiternehmer und nach der Höhe des Beitragssatzes des jeweiligen Sozialversicherungsträgers (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96 = NStZ 1996, 543; Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 544/06 = wistra 2007, 220; Fischer, StGB, 63. Aufl. (2016), § 266a RdNr. 9d).

Die bloße Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate genügt demgegenüber nur dann, wenn das Urteil auf Beitragsnachweisen (§ 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV) beruht, also Berechnungen der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber, hier also die Angeklagten. Dies muss das Tatgericht in seinem Urteil bei der Beweiswürdigung darlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 1 StR 424/10 = NStZ 2011, 161; OLG Braunschweig, Beschluss vom 27. Mai 2015 - 1 Ss 14/15, juris).

Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts nicht gerecht. Zum einen hat das Landgericht keine Feststellungen zur Höhe des jeweiligen Gesamtsozialversicherungsbeitrage getroffen, sondern ausschließlich zur Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmeranteile, zudem auch nicht zu den jeweiligen Beitragssätzen der Krankenkassen und es hat auch nicht die Löhne der drei Arbeitnehmer in den betreffenden Zeiträumen mitgeteilt. Dies wäre indes erforderlich gewesen, wenn Beitragsnachweise nicht vorlagen. Dazu stellt das Landgericht nichts fest.

IV.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Täter des Sonderdelikts nach § 266a StGB kann nur der Arbeitgeber oder eine diesem gleichgestellte Person sein. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die von den Angeklagten gemeinsam geführte Gesellschaft bürgerlichen Rechts Arbeitgeber. Die Insolvenzanträge der Krankenkassen richteten sich nicht gegen die beiden Angeklagten, sondern gegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Dies belegt, dass die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Arbeitgeberin der in ihrem Geschäftsbetrieb tätigen Arbeitnehmer war.

Bei einer rechtsfähigen Personengesellschaft wird das die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB begründende besondere persönliche Merkmal der Arbeitgebereigenschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2011 - 1 StR 90/11 = wistra 2011, 344) nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf die für diese handelnden vertretungsberechtigten Gesellschafter erstreckt (vgl. Fischer, a.a.O., § 266a RdNr. 5). Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich entnehmen, dass auch der Angeklagte S. P. F. vertretungsberechtigter Gesellschafter war. Im Verhältnis zum Angeklagten R. F. kam ihm im Geschäftsbetrieb der Gesellschaft keine untergeordnete Rolle zu. Vielmehr nahm er im Rahmen einer von den Angeklagten gewählten Aufgabenzuweisung eine gleichberechtigte Position innerhalb des Betriebs wahr.

Trotz der von den Angeklagten getroffenen Aufgabenverteilung, wonach der Angeklagte Reinhard Fricke vorrangig die Buchhaltung übernahm und die Löhne überwies, war auch der Angeklagte S. P. F. Arbeitgeber im Sinne des § 266a StGB. Durch eine Zuständigkeitsverteilung innerhalb einer mehrgliedrigen Geschäftsleitung kann sich einer der Beteiligten nicht der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten entledigen. Jedoch kann sich seine Handlungspflicht in solchen Fällen auf eine Pflicht zur Überwachung des Handelns der übrigen Beteiligten reduzieren, die ihn zum Eingreifen veranlassen muss, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben nicht mehr gewährleistet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1986 - II ZR 114/85 - ZIP 1987, 1050 (1051); BGH, Urteil vom 6. Juli 1990 - 2 StR 549/89 - wistra 1990, 342, (346 f); OLG Düsseldorf NStZ 1981, 265; Möhrenschlager in Laufhütte u. a., Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. (2012), § 266a RdNr. 21). Dies gilt insbesondere für das Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Februar 1972 - VI ZR 199/70 = VersR 1972, 554, 556; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 289 [OLG Düsseldorf 27.10.1995 - 22 U 53/95]). In solchen Fällen kann aber häufig der Vorsatz des Überwachungspflichtigen fraglich sein (vgl. Fischer, a.a.O, § 266a RdNr. 5). Feststellungen dazu, ob dem Angeklagten S. P. F. bekannt war, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt worden sind, hat das Landgericht aber nicht getroffen.

2. Sollte das Landgericht erneut zu einem Schuldspruch kommen, so wäre bei dem Angeklagten S. P. F. über die Einbeziehung der Geldstrafen aus den Verurteilungen vom 30. April 2014 und 19. Mai 2014 in eine Gesamtstrafe bzw. im Falle einer vollständigen Erledigung dieser Strafen über einen Härteausgleich zu entscheiden.

Die nunmehr zuständige Kammer wird auch zu berücksichtigen haben, dass bei Mittätern die Strafe in individueller Würdigung des Maßes der eigenen Schuld zu bestimmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2009 - 5 StR 8/09, NStZ 2009, 382). Es werden also die jeweiligen Tatbeiträge der Angeklagten festzustellen und zu gewichten sein.

Daneben bemerkt der Senat, dass die Begründung des Landgerichts, wonach die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung einer Strafe erforderte, weil es die Angeklagten in Kauf nahmen, anderen finanziell zu schaden, sich als Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot von Strafzumessungstatsachen darstellen dürfte.