Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 12.06.1997, Az.: 5 B 10/97
Unerlaubte Sondernutzung einer Straße durch Inlineskating und Rollhockeyspielen; Anspruch auf behördliches Einschreiten zur Beendigung unerlaubter Straßennutzung; Zumutbarkeit des Lärms spielender Jugendlicher
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 12.06.1997
- Aktenzeichen
- 5 B 10/97
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 24488
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:1997:0612.5B10.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 VwGO
- § 22 StrG,NI
- Art. 14 Abs. 1 GG
Fundstellen
- FStBay 1999, 350-352
- NJW 1998, 1731-1732 (Volltext mit red. LS)
- NVwZ 1998, 771 (red. Leitsatz)
- NdsVBl 1998, 148-149
- SpuRt 1998, 166-167
- VR 1998, 396
In der Verwaltungsrechtssache
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg
am 12. Juni 1997
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag der Antragstellerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Benutzung der Straße ... in Deutsch Evern zu Rollhockey- und Inlineskatingspielen durch Jugendliche durch in das Ermessen der Antragsgegnerin zu stellende Maßnahmen zu beenden.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks ... in Deutsch Evern. Bei der Straße ... handelt es sich um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Ortsstraße, die als Sackgasse mit Wendehammer ausgestaltet ist. Das Grundstück der Antragstellerin grenzt geringfügig an diesen Wendehammer an.
Mit Schreiben vom 21. August 1996 wandte sich der Ehemann der Antragstellerin an die Antragsgegnerin und machte geltend, daß auf dem Wendehammer seit einiger Zeit, wenn es die Wetterlage zulasse, von etwa 6 Jugendlichen "Rollhockey" bzw. sog. "Inlineskating" betrieben werde, was ganz erheblichen Lärm verursache. Maßgeblich lärmbelästigend seien das Rollgeräusch der Rollschuhe, das Rufen der Jugendlichen und die durch die Benutzung von Hockeyschlägern bedingten Schlaggeräusche. Aufgrund des Lärms sei auf seinem Grundstück ein Aufenthalt auf der Terrasse, die zum Wendehammer gerichtet sei, nicht mehr möglich. Er forderte die Antragsgegnerin auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Störungen abzustellen.
Die Antragstellerin hat am 4. September 1996 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist (5 A 20/97).
Am 25. April 1997 hat sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Zur Begründung trägt sie vor, daß durch die regelmäßig stattfindenden, 2 bis 3 Stunden dauernden Rollhockey- und Inlineskatingspiele durch 5 bis 8 Jugendliche eine erhebliche Geräuschbelästigung bestehe, die mit einem in der unmittelbaren Nähe vorbeifahrenden Zug vergleichbar sei. Der Lärm werde durch die Rollschuhe, die Hockeyschläger und das Rufen, Jubeln und Schreien der Jugendlichen verursacht. Vermutlich werde die Schallwirkung durch die Waldlage noch verstärkt. Aufgrund dieser Lärmbelästigung sei die Benutzung der Terrasse sowie ein konzentriertes Arbeiten am Schreibtisch im Arbeitszimmer nicht möglich. Der Lärm sei gesundheitsschädlich. Durch die Sperrung der Straße durch die Jugendlichen und das Aufstellen von Toren entstünden auch Parkplatzprobleme. Die Fahrzeuge würden in Zweierreihen vor ihrem Grundstück aufgestellt, wodurch weiterer Lärm verursacht werde. Daß derzeit kein Spielbetrieb stattfinde, beruhe nur auf einem einstweiligen Stillhalten der Jugendlichen wegen des vorliegenden Verfahrens, das dem Begehren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht die Dringlichkeit nehme.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, die Benutzung der Straße ... in Deutsch Evern zu Rollhockey- bzw. Inlineskatingveranstattungen durch in das Ermessen der Antragsgegnerin zu stellende Maßnahmen zu beenden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie trägt vor, bisher nicht untätig gewesen zu sein, sondern sich bereits in einem Schreiben an die Eltern der vom Ehemann der Antragstellerin benannten Jugendlichen gewandt zu haben. Die Eltern hätten mitgeteilt, daß die Darstellung über Häufigkeit und Intensität der Störungen weit übertrieben sei und ihre Kinder durchaus auf das Ruhebedürfnis der Anwohner Rücksicht nähmen. Sie habe ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, daß sie vom Erlaß ordnungsbehördlicher Verfügungen abgesehen habe. Dabei habe sie berücksichtigt, daß es sich bei der Straße um eine Sackgasse ohne Durchgangsverkehr handele, so daß Gefährdungen des Straßenverkehrs bzw. für die spielenden Jugendlichen nicht ersichtlich seien. Eine wesentliche Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs sei ebenfalls nicht gegeben. Bezüglich der Geräuscheinwirkungen sei zu bedenken, daß Geräusche, die von spielenden Kindern ausgingen, in einem Wohngebiet ortsüblich und zulässig seien. Dem Grundstück der Antragstellerin komme kein stärkerer rechtlicher Schutz vor Geräuschen von spielenden Kindern und Jugendlichen zu, als es bei einem an eine verkehrsberuhigte Spielstraße angrenzenden Wohngrundstück der Fall wäre. Die Intensität der Geräusche gehe nach ihrer Einschätzung nicht über das hinaus, was in Wohngebieten als zumutbar anzusehen sei. Im übrigen sei fraglich, ob die Störungen durch ordnungsbehördliche Verfügungen effektiv beseitigt werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte zu diesem Verfahren und zu dem Verfahren 5 A 20/97 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Rechtsgrundlage für das von ihr begehrte Einschreiten der Antragsgegnerin ist § 22 NStrG. Danach "kann" die zuständige Behörde, wenn eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt wird, Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung anordnen. Zwar handelt es sich bei dem von der Antragstellerin beanstandeten Inlineskating und dem Rollhockeyspielen durch Jugendliche auf der Straße ... um eine Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus und damit um eine Sondernutzung, die, weil ohne Sondernutzungserlaubnis betrieben, auch unberechtigt ausgeübt wird. Ob jedoch gegen eine unerlaubte Sondernutzung vorgegangen wird, steht gemäß § 22 NStrG im Ermessen der Antragsgegnerin als Trägerin der Straßenbaulast für die gemeindlichen Straßen in ihrem Bereich. Daher ist eine einstweilige Anordnung in der Regel nur möglich, wenn wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht ist. Eine solche, sog. "Ermessensreduzierung auf Null" ist hier von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht worden. Vielmehr lassen die von der Antragsgegnerin genannten Erwägungen für ihr Nichteinschreiten erkennen, daß die Entscheidung der Antragsgegnerin noch von dem ihr zustehenden Ermessensspielraum gedeckt ist.
Zunächst ist zu berücksichtigen, daß die Antragstellerin nur die Verletzung eigener Rechte im vorliegenden Verfahren geltend machen kann. Allein die Tatsache, daß auf der Straße ohne Sondernutzungseriaubnis Rollhockey gespielt wird, reicht nicht aus, um einen Anspruch auf behördliches Einschreiten zu begründen. Die Antragstellerin hat insofern zwar vorgetragen, durch den durch Rollschuhe, Hockeyschläger, Rufen und Schreien beim Spielen verursachten Lärm erheblich belästigt zu werden. Dieser Lärm, der regelmäßig mehrmals in der Woche für 2 bis 3 Stunden stattfinde, hindere sie an der Benutzung ihrer Terrasse und ihres Arbeitszimmers und sei gesundheitsschädlich. Die Antragsgegnerin hat aber die durch die Jugendlichen verursachten Geräuscheinwirkungen erkennbar in ihre Abwägung mit einbezogen und berücksichtigt. Daß dieser Belang die Antragsgegnerin nicht zu dem begehrten Einschreiten gegen die unerlaubte Sondernutzung veranlaßt hat, dürfte nicht ermessensfehlerhaft sein. Denn die Antragstellerin hat im gerichtlichen Verfahren nicht glaubhaft gemacht, daß sie durch die von ihr beanstandeten Spiele auf der Straße unzumutbar in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt wird. Bei der Frage der Zumutbarkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, daß Geräusche spielender Kinder und Jugendlicher in einem Wohngebiet üblich und damit sozialadäquat sind. So müssen z.B. die von einem planungsrechtlich ausgewiesenen Kinderspielplatz ausgehenden Einwirkungen auf die benachbarten Grundstücke - ebenso wie der übliche Lärm von Kraftfahrzeugen oder Rasenmähern - in einem Wohngebiet grundsätzlich und regelmäßig hingenommen werden und sind trotz eines zeitweise nur schwer erträglichen Lärms mit der für ein Wohngebiet charakteristischen Wohnruhe zu vereinbaren (VGH München, Urteil vom 30.11.1987 - 26 B 82 A. 2088 -, NVwZ 1989, 269 m.w.N., Schrödter, Baugesetzbuch, Kommentar, 5. Aufl. 1992, § 9 Rdnr. 75 ff.). Mithin ist der Lärm spielender Kinder und Jugendlicher unabhängig davon, ob er auf einem Kinderspielplatz, auf dem Nachbargrundstück oder auf der Straße verursacht wird, trotz mitunter subjektiv empfundener schwerer Erträglichkeit grundsätzlich der Nachbarschaft in einem Wohngebiet zuzumuten. Deshalb hätte die Antragstellerin glaubhaft machen müssen, daß hier ausnahmsweise die Geräusche der spielenden Jugendlichen nach Art, Ausmaß oder Dauer jugendlicher Geselligkeit die Zumutbarkeitsschwelle überschreiten. Daß sich die Antragstellerin durch derartige Lebensäußerungen in der Nutzung ihrer Terrasse und ihres Arbeitszimmers gehindert sieht, reicht insofern nicht aus. Angesichts der durchschnittlichen Zahl von 5 Jugendlichen läßt sich auch bei mehrmals in der Woche stattfindendem Spielen keine über normalen Spiellärm hinausgehende gesundheitsgefährdende oder sonst erhebliche Belästigung erkennen, zumal die Dauer der Spiele nach der von der Antragstellerin gefertigten Aufstellung in diesem Jahr durchschnittlich nur ca. 1 Stunde und 30 Minuten betragen und der letzte Spielbetrieb am 7. Mai 1997 stattgefunden hat.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, daß der Wendehammer wegen der Spiele zeitweise nicht mehr zum Parken genutzt werden könne und deshalb vor ihrem Grundstück Fahrzeuge abgestellt würden, läßt sich auch daraus keine Verletzung der Rechte der Antragstellerin entnehmen. Denn die Antragstellerin hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, daß ihr Grundstück nicht mehr erreichbar und sie daher erheblich und nachhaltig in ihrem Anliegergebrauch aus Art. 14 Abs. 1 GG beeinträchtigt werde. Unzumutbare Lärmimmissionen durch die vor dem Grundstück abgestellten Fahrzeuge sind ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Denn diese Fahrzeuge würden, wenn sie nicht vor dem Grundstück der Antragstellerin parken würden, an diesem vorbeifahren, um auf dem an das Grundstück der Antragstellerin grenzenden Wendehammer abgestellt zu werden.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist auch abzulehnen, weil ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden ist. Maßgeblich hierfür ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Gegenwärtig ist nicht feststellbar, daß auf dem Wendehammer der Straße ... die von der Antragstellerin beanstandeten Rollhockey- und Inlineskatingveranstaltungen noch stattfinden. Selbst bei teilweise sehr gutem Wetter in den Tagen nach dem 7. Mai 1997 und damit seit gut einem Monat ist kein Rollhockey auf dem Wendehammer mehr gespielt worden. Es ist daher nicht ersichtlich, daß der Antragstellerin ein akuter, gegenwärtiger Nachteil droht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,- DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Tröster